Mein Onkel

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mikhan

Mitglied
Mein Onkel

Mit lautem Krachen zersplitterte die Flasche vor mir auf dem Boden. Bier spritzte an meine Hosenbeine und verbreitete einen unangenehmen Kneipengeruch in dem Büro meines Onkels. Automatisch bückte ich mich, um die Scherben aufzulesen.
„Laß das liegen!“ fuhr mich mein Onkel an. „Was stehst du hier überhaupt noch herum? Mach dich ab, aber plötzlich!“
Heute Nachmittag hatte meine Tante uns verlassen, sie hatte den Alkoholkonsum meines Onkels nicht mehr ertragen können. Ich ging in den Garten, um ein wenig Holz zu hacken. Von meinem Onkel war nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich lag er wieder sinnlos betrunken im Haus herum. Doch als es dämmerte trat er vor das Haus und rief mich herein.
„Du hast genug gearbeitet, komm, laß uns etwas essen.“, seine Stimme klang versöhnlich, fast zu ruhig und zu nüchtern, um meinen Onkel zu gehören. Ich hackte noch einen Block Holz entzwei und begab mich dann zu ihm ins Haus. Zu meiner Überraschung war der Tisch bereits gedeckt, es gab Brot, Käse, Wurst und Milch.
„Greif zu. Das war ein schwerer Tag heute.“. Und das ist deine Schuld, dachte ich insgeheim.
Schweigend begannen wir das Abendbrot. Ich hatte überhaupt keinen Hunger und kaute auf jedem Bissen zehnmal herum, bevor ich ihn hinunter würgte. Beinahe hätte ich mich erbrochen.
„Wenn du solange auf dem Brot herum kaust, vergeht dir noch der Appetit, und mir ebenfalls.“, schimpfte mein Onkel. Ich sagte nichts dazu, sondern kaute angestrengt weiter. Mein Onkel sah mich wütend an, herausfordernd erwiderte ich seinen Blick.
„Verdammt!“, mein Onkel schlug heftig mit der Faust auf den Tisch. Mir wurde Angst und Bange.
„Morgen rufe ich deine Eltern an, damit sie dich abholen kommen. Ich kann mich nicht länger um dich kümmern.“
Seine Worte hallten noch lange in meinem Kopf wider. Bei uns zu Hause gab es keinen Platz für uns alle und meinen Eltern fehlte das Geld, um mich zu versorgen. Deshalb hatten sie mich zu meinem Onkel gebracht. Der lebte auf dem Land und hatte reichlich Platz.
„Sieh mich nicht so an. Ich weiß es ja, aber meine Schwester kann sich nicht immer auf mich verlassen. Ich hatte sie ja immer davor gewarnt, diesen Versager zu heiraten. Aber sie wollte ja nicht hören. Und deine Tante ist sowieso nichts wert. Mag ja sein, ich trinke vielleicht zu viel, aber muss sie deswegen gleich abhauen?“
Darauf wollte ich ihm lieber nicht antworten, ich hatte meine Tante immer sehr gerne gehabt. Und mein Vater war kein Versager. Das sagte ich ihm auch.
„Ha! Dieser Mistkerl hat in seinem ganzem Leben nichts zu Wege gebracht. Sieh mich an, ich habe ein großes Haus und es fehlt mir hier an nichts, da kann ich es mir doch leisten ein Schlückchen zu trinken. Also, es bleibt dabei, morgen ziehst du wieder zu deinen Eltern zurück. In dir steckt mir zuviel von deinem Vater.“
Das reichte mir. Ich stand auf und rannte aus dem Haus.
„Halt, komm zurück, du kleiner Drecksack! Du hast mich noch nicht kennengelernt, warte es bloß ab!“
Aber ich hörte nicht auf meinen Onkel, sondern rannte einfach immer weiter. Es war dunkel und ich stieß mit einem der Apfelbäume im Garten zusammen. Langsam ließ ich mich zu Boden sinken, lehnte meinen blutenden Kopf an den Stamm und schloß die Augen. Vom Haus her drang das Brüllen meines Onkels. Aber das störte mich nicht mehr, denn Morgen würde alles besser werden, ganz bestimmt. Ich würde die Augen aufmachen und meine Tante würde uns ein schönes Frühstück im Garten vorbereitet haben. Meine Eltern würden auch da sein. Nur meinen Onkel konnte ich nirgendwo sehen. Es wird ein schöner Tag werden. Im Garten wehte ein eisiger Wind und das Laub raschelte bedrohlich.
 
D

Denschie

Gast
hey mikhan,

die Geschichte gefällt mir sehr gut.
Ein paar Kleinigkeiten könntest du noch verbessern:

"Heute Nachmittag hatte meine Tante uns verlassen, sie hatte den Alkoholkonsum meines Onkels nicht mehr ertragen können.": besser (um das doppelte "hatte" zu vermeiden):
...sie konnte den Alkoholkonsum meines Onkels nicht mehr ertragen.

"...im Haus herum": das "herum" kannst du einsparen.

"Ich hatte sie ja immer davor gewarnt": Ich habe sie ja davor gewarnt..., denn in der Zeile davor steht auch schon einmal "immer"

Wie gesagt: liest sich ansonsten echt super!
Gruß, Denschie
 
R

Rote Socke

Gast
Ja, ich stimme Denschie zu. Die Form gehört noch etwas ausgefeilt, aber der Plot ist stark.

Gruss
Socke
 

mikhan

Mitglied
Hi Denschie, Rote Socke!
Vielen Dank für eure Kritik, vielleicht überarbeite ich die Geschichte noch einmal.
Gruß, Mikhan
 



 
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