Mein Opa

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Mein Opa

Als Kind war ich fest davon überzeugt, mein Opa habe magische Kräfte. Für mich war er sowieso ein wundervoller Großvater. Wie oft sah ich ihn in Hamburg vor dem Ofen hocken, er fuchtelte mit den Armen, sprach Beschwörungsformeln in das dunkle Loch und zum Schluss pustete er. Kleine blaue Flämmchen flackerten auf und plötzlich brannte im Ofenloch dann ein warmes rotes Feuer.

Doch glaubte ich auch aus einem anderen Grund, mein Opa könne zaubern. Jedes Jahr, am Heiligen Abend, nahm er mich mit auf einen nahen Wochenmarkt. Wir wollten einen Tannenbaum kaufen. Ich war zu der Zeit noch ein kleiner Krümel. Hand in Hand zogen wir los und ich fand es immer wieder spannend.

Bei dem Tannenbaumverkäufer angekommen, nahm Opa einen Baum in die Hand, betrachtete ihn von allen Seiten, fragte nach dem Preis, schüttelte den Kopf und stellte ihn zurück. So begutachtete er den gesamten Tannenbaumbestand, nach dem Preis fragen, Kopf schütteln, zurückstellen, nächster Baum.

Der Tannenbaumverkäufer hatte inzwischen eine Gesichtsfarbe, die so rot war wie seine Mütze auf dem Kopf. Ich musste ihn immer wieder anschauen, weil ich glaubte, sein Kopf würde gleich platzen.

Opa hatte eine besonders hässliche Krücke von Tannenbaum entdeckt. Er war krumm und schief, unten ganz dicht zugewachsen, als hätte er einen Rauschebart und oben nur Stiel ohne Zweige, so als hätte er es ganz eilig gehabt, sich dem Himmel entgegenzustrecken. Opa hielt dieses verkrüppelte Ding vor sich hin und wieder das gleiche Spiel, Preis erfragen, Kopf schütteln. Dann beugte er sich zu mir, strich mir über das Haar und meinte zu mir: „Na, mien lütt Deern, nu gift’s düt Joor kenen Dannboom.“ Enttäuscht fing ich an zu weinen, mir kullerten die Tränen nur so über die Wangen. Der genervte Tannenbaumverkäufer konnte nicht mehr. Er knallte Opa den Krüppeltannenbaum vor die Brust und murmelte so was, wie „verschwindet“. Opa schnappte mich und den Tannenbaum, es ging zurück nach Hause. Auf dem Hof standen schon Mutti und Oma, um den neuen Tannenbaum zu begutachten.

Papa war nicht dabei, der war ja im Krieg. Ich wusste damals nicht, was das war, aber es musste schlimm sein, denn Mutti weinte oft, wenn sie von Papa lange keine Post erhalten hatte.

Mutti und Oma sahen uns und den Tannenbaum an, ein Aufstöhnen wie ein ooouuh, kam gleichzeitig aus ihren Mündern. Mutti hielt sich die Hände vors Gesicht und ich dachte schon, sie würde wieder weinen. Das mochte ich gar nicht. Mutti sollte nicht weinen sondern sich darüber freuen, dass wir nun doch einen Tannenbaum hatten, auch wenn er gar nicht hübsch war. Aber dann sah ich die Fältchen an ihren Augen, die hatte sie immer, wenn sie ganz doll lachen musste.

Opa verschwand mit dem Tannenbaum in den Keller und ich wurde zu den Nachbarskindern zum Spielen geschickt. Ganz langsam ging ich um das Haus. Gar zu gern hätte ich einmal erlebt, was Opa im Keller nun machte. Am Kellerfenster blieb ich stehen und hörte ein Sägen und Hämmern. Ich roch auch Opas Leimtopf. Was das werden sollte, verstand ich nicht.

Am Nachmittag wurde ich gerufen und durfte erst in die Gute Stube, als ein kleines Glöckchen am Tannenbaum läutete. Erwartungsvoll betrat ich das Zimmer und da stand ein Tannenbaum, nicht der krumme schiefe mit dem Rauschebart, den Opa und ich vom Markt geholt hatten, sondern ein neuer wunderhübscher Tannenbaum, gerade gewachsen, die Zweige breiteten sich gleichmäßig nach allen Seiten aus. Er war behangen mit funkelnden Kugeln, die Kerzen verbreiteten einen warmen Schein und die vielen Zuckerkringel waren alle in für mich erreichbarer Höhe aufgehängt.

Staunend sah ich zu Opa, wieder zum Baum, und wieder zu Opa. Fragen mochte ich nicht, doch war ich wieder einmal fest davon fest überzeugt: MEIN OPA KANN ZAUBERN.
 

Kejacothie

Mitglied
Hallo, so einen Opa hätte ich auch gern gehabt.

Die Geschichte gefällt mir, ich habe mich mit geschüttelt über den hässlichen Baum.

Schön, wie der Opa den Baum verwandelt hat, so klammheimlich.

In meinem Elternhaus wurde der Baum vor unseren Augen verschönert. Erst nachdem er richtig gut aussah, wurden wir ausgesperrt, weil das Christkind kam.

Kejacothie
 
Ich danke euch, dass ihr mir schreibt, meine Geschichte hätte euch gefallen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich hab meine Gedanken dazu zusammengefasst und in die Schreibwerkstatt unter Theoretisches gestellt. Denn eigentlich ist es ja eine Anti-Geschichte. Es wird von mir zwar ein Bild gemalt aber es fehlen ihr alle Elemente einer guten Geschichte. Doch was ist eine gute Geschichte überhaupt?

Vielleicht kann ich durch euch wieder etwas hinzulernen.

Liebe herzliche Grüße
Ingrid
 

Kejacothie

Mitglied
Das frage ich mich auch

Hallo Zwillingsjungfrau,

in einem anderen Thread habe ich versucht Textarbeit zu machen. Nach mir kamen einige User und haben geschrieben, dass die Geschichte gut ist. Der Autor ist über 60 Jahre alt und ich habe mich wahnsinnig über Sprüche geärgert, wie: Es werden die typischen Adjektive verwendet wie sie nur 60+ schreiben. Die Bewertungen für diese gute Geschichte sind über Mittelmaß nicht hinausgekommen. Komm und Bewertungen klaffen da sichtbar auseinander.

Auch ich gehöre zur Gruppe 60+ und mich hat es geärgert, schon deshalb weil ich mich sehr bemühe, meine Sprache zu verbessern und ich wünsche mir sehr, nicht in die Gruftie-Schublade gesteckt zu werden. Bei mir hat sich bei der Lektüre dieser Post so ein Pflegeheim-Gefühl eingeschlichten: "Und jetzt werden wir brav unser Süppchen essen...."

Es freut mich deshalb, dass Du das auch so siehst.

Kejacothie
 
Sprache verbessern

Liebe(r) Kejacothie,

zum Thema "Sprache verbessern" kann ich dir nur rein gefühlsmäßig einen Tipp geben. Ich bin weder eine gestandene Schreiberin noch war ich je in der "Text"branche tätig.

Zum einen richtet sich die Sprache je nach der Zielgruppe. Eine Kindergeschichte verlangt nach kurzen Sätzen, einer Handlung und muss mitfühlbar sein. Nicht nur als Kind, auch heute noch rührt mich Andersens Märchen von dem Mädchen mit den Schwefelhölzern. Auch diese malt ein Bild, regt die Vorstellungskraft an und bringt zum Nachdenken.

Mir hat es geholfen, als ich mich fragte, warum gefällt mir eine Geschichte/ein Buch? Ich hab daraufhin also nicht den Inhalt aufgenommen, sondern die Wortwahl, die Anzahl der Sätze mit direkter Rede im Verhältnis zu beschreibenden Absätzen. Das hat mir geholfen, zu erkennen, was und wie ich etwas selbst sagen möchte. Auf jeden Fall ist es eine Möglichkeit, zu entdecken, was und warum du ein Buch oder einen Autor gern liest.

Im übrigen glaube ich, dass es völlig egal ist, wann man damit beginnt, zu Schreiben oder zu Malen. Grandma Moses begann mit 75! 11jährige Autoren richten sich an eine andere Zielgruppe und interessieren sich vermutlich nicht für die Geschichten Sechzigjähriger, weil sie deren Lebenserfahrungen nicht nachvollziehen können.

Sehr liebe Grüße
Ingrid
 



 
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