Mein Versuch eine verdammt gute Horrorgeschichte zu schreiben

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Mortimer

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Mein Versuch, eine verdammt gute Horrorgeschichte zu schreiben

'Nasskalter Wind fauchte um ihr trockenes Haar'. Mist, verdammter. Das klingt wie ne 3-Wetter-Taft Werbung. 'trockenes' muss raus. Der erste Satz muss gleich reinkrachen. Das steht doch in jedem dieser 'Wie man trotz Sonderschulabschluss einen Wahnsinnsroman schreibt!'-Ratgeber. Der Leser muss quasi paralysiert sein. Sich kaum noch halten können vor Angst. Ihm müssen die Knie schlottern, der Angstschweiß von der Stirn tropfen und dann muss er das Buch fallen lassen, weil seine Hände so verdammt stark zittern. Also nochmal von vorne.

'Brutal nasskalter Wind peitschte ihr mit einer Wucht ins Gesicht, dass sie beinahe ein blaues Auge bekam.'

So und jetzt muss da irgendwie der Antagonist auftauchen. Am besten nur skizzenhaft, aber eindrucksvoll charakterisiert ('Wie werde ich als Schriftsteller knüppelreich?' Band 2, Kapitel 3, Rn. 145). Zudem sollte er einen unvergesslichen Tick haben. ('Crashkurs Megaseller', Kap. 2, Rn. 20).

'Aus dem Halbdunkel schälte sich eine Gestalt, die sich unentwegt am Kopf kratzte. Das Gesicht des Wesens war über und über mit prachtvollen Narben übersät.'

Irgendwas klingt da komisch. Mmmh? Ja, ja, genau: 'übersät' muss weg. Das klingt zu übertrieben.

'Aus dem Halbdunkel schälte sich eine Gestalt, die sich unentwegt am Kopf kratzte. Das Gesicht des Wesens war über und über mit prachtvollen Narben gesprenkelt.'

Perfekt. So jetzt darf er aber nicht ausschließlich böse sein, sondern er muss irgendwie ambivalent wirken. ('Scheine scheffeln mit der Schreibmaschine', Kap. 4, Rn. 10). Er muss praktisch einen ständigen Kampf zwischen Gut und Böse ausfechten.

'Das Wesen schritt auf die vor Angst versteinerte Frau zu. Er streichelte ihr liebevoll übers Haar. Sein Atem roch lustig nach Kaugummi. Plötzlich warf er sich zurück und das Böse schien von ihm Besitz zu ergreifen, doch er wehrte sich mit aller Kraft. Er schlug sich ins Gesicht und in die Magenkuhle. Doch das Böse gewann. Mit glühend roten Augen warf er sich auf die Frau und fraß sie auf.'

Wenn ich's so lese, fällt's mir auf. 'Das Böse'. Das darf ich garnicht so explzit sagen. Der Leser muss sich da - angespornt durch meine suggestive Beschreibung - selbst ein Bild davon machen. ('Auf Knopfdruck Goethe', Kap. 12, Rn. 20)

'Das Wesen schritt auf die vor Angst versteinerte Frau zu. Er streichelte ihr liebevoll übers Haar. Sein Atem roch lustig nach Kaugummi. Plötzlich warf er sich zurück und sein Schatten wirkte wie ein gehörntes Monstrum. Also wie der Teufel. Der ja nun nicht gerade als gut zu bezeichnen ist. Nach einem kurzen Fight mit sich selbst warf er sich mit glühend roten Augen auf die Frau und fraß sie auf.'

Ich bin ja echt kein Macho, aber ich hab Null Mitleid mit der Kleinen. Das kann nur daran liegen, weil ihr etwas fehlt, was einem als Leser an ihrem Schicksal teilhaben lässt. Man muss quasi mit ihr mitleiden.('Der Schiller in dir', Kap. 8, Rn. 9)

'Nach einem kurzen Fight mit sich selbst warf er sich mit glühend roten Augen auf die Frau, die in ihrem Leben schon soviel Gutes getan hat, dass Mutter Theresa neben ihr wie Saddam Hussein neben Papst Benedikt wirkt.'

Jawoll. Das sitzt. Mir kommen fast die Tränen, aber da muss ich jetzt durch. So, aber irgendwie fehlt da noch die kräftige Autorenstimme. ('Lass schreiben, Kumpel!', Kap. 17, Rn. 122).

'Nach einem ätzend kurzen Free-Fight on itself warf sich das Monster mit einer hammerbrutalen Wucht auf die blätterteigzarte Zauberpuppe, dass es ihr das Porzellan aus den Hüften fegte. Dabei war die obersüße Zuckerprinzessin doch so gut zu den Menschen, dass Mutter Theresa dagegen wie die Hure von Babylon wirkte. Dann bohrte er seine tyrannosaurusrexgroßen und messerscharfen Zähne in sie hinein und vertilgte sie mit einem Haps. Das miese Schwein!'

Wundervoll. So jetzt muss aber wieder das Gute in ihm zu sehen sein.

'Als er sie verdaut hatte und ein monstertypisches Sättigungsgefühl eintraft überfiel in das schlechte Gewissen mit voller Wucht. Er fuhr sich mit seinen rasiermesserscharfen Klauen durchs Haar und stimmte ein wolfsrudelmäßiges Geheul an, dass wie eine Sirene durch die sterile Stille der Nacht wirbelte.'

Das wird immer besser. Jetzt fehlt aber noch die Prämisse der Story. Quasi der moralische Wegweiser. ('Wie du es schaffst, dass dich Stephen King bei einer Schreibblockade anruft!', Kap. 18, Rn. 19)

'Irgendwie war das widerliche Monster aber doch nicht richtig satt geworden. Es musste noch einen unschuldigen Menschen, der in seinem Leben nur Gutes getan hatte, auffressen. Hierbei stellt sich bereits die Frage, ob immer Gut sein, wirklich von Vorteil ist. Oder ob man nicht doch so ein klitzekleines Bisschen fies sein sollte, damit einen dieses ekelige Monster verschont. Wer weiß? Wer weiß?'

Mist. Jetzt habe ich den Fehler mit dem moralischen Zeigefinger gemacht ('Schreib dich schwindelig vor Schotter!', Kap. 16, Rn. 8). Der muss raus.

'Irgendwie war das widerliche Monster aber doch nicht richtig satt geworden. Es musste noch einen unschuldigen Menschen, der in seinem Leben nur Gutes getan hatte, auffressen. NUR Gutes getan hatte. Das Monster dachte sich dabei, dass ihm ein Mensch, der sich auch hin und wieder moralische Fehltritte geleistet hatte, niemals so vorzüglich schmecken würde wie einer mit einer unbefleckten moralischen Weste.'

Wenn ichs mir Recht überlege, hab ich selbst ja auch nur Gutes im Leben getan. Wenn es jetzt dieses Monster tatsächlich gäbe, dann wäre ich doch auf seiner Liste, oder nicht? Ich glaub, ich gehe mal eben etwas aus dem Supermarkt klauen. Sicher ist sicher.

---Nach etwa 30 Minuten ----

Jo, endlich wieder Kippen im Haus. Jetzt kanns weiter gehen. Auf dem Weg zum Supermarkt ist mir eingefallen, dass es mir sprachlich noch nicht so gut gelungen ist, durch den rhytmischen Wechsel von langen und kurzen Sätzen Spannung zu erzeugen.('Authors Blackbook', Kap. 6, Rn. 3). Ich werds einfach mal versuchen.

'Das Monster, das insbesondere durch seine wahnsinnig starke, an einen Silberrücken (Gorilla), der sich gerade gepaart hatte, erinnernde Behaarung auffiel, schlenderte mit suchendem Blick, der dem Columbos, dem Fernsehkommissar, sehr ähnelte, durch den Wald, der mittlerweile, wie ein Friedhof, totenstill war. Plötzlich ein Rascheln. Monster hin. Mensch (nur gut) da. Haps.'

Das sitzt. Fehlt nur noch ein irre symphatischer Protagonist, der dem Mistvieh den Garaus machen wird.

'Als das Monster den Wald verlassen hatte, fiel ihm eine Traube von jungen, äußerst attraktiven Frauen auf. Sie alle umringten einen breitschultrigen Mann, dessen wallend langes blondes Haar zu einem Zopf gebunden war. Seine strahlend blauen Augen wirkten wie zwei Saphire inmitten seines scharfgezeichneten Antlitzes. Das S auf seiner gewaltigen Brust stand mit Sicherheit nicht für Sozialhilfe. Sein überdimensionaler Bizeps zeichnete sich durch den eng anliegenden Neoprenanzug ab. Ein blauer Umhang hing von seinen bierkistengroßen Schultern herab.'

Und jetzt kommt der Vorteil, der bereits vor einigen Zeilen suggestiv angedeuteten, Prämisse zur Geltung. Ich erspar mir nämlich jetzt die Erwähnung seiner Tugendhaftigkeit. Ich lass einfach das Monster sprechen!

'Wider erwarten stürmte das Monster nicht auf eine der hübschen Frauen los, sondern es steuerte zielgerichtet auf den breitschultrigen Mann zu. Ohne Vorwarnung biss es ihm ein Stück aus dem gymnastikballgroßen Bizeps heraus. Zum Glück besaß er danach noch immer Fussballgröße. Das Monster aber geriet derart in Verzückung, dass es vor Hochgenuss zu jauchzen begann. Mann, musste dieses Fleisch schmecken!'

Das ist mal eine Charakterisierung die seinesgleichen sucht!

Jetzt kann ich kurz vor Schluss auch noch die Technik des Zündschnur-in-Brand-setzens (Packungsbeilage der 'Goethe-Kapseln', Seite 14) zur Anwendung kommen lassen und gleichzeitig geschickt eine Rückblende einbauen!

'Der breitschultrige Mann schäumte vor Wut, er holte aus und.....

Die Mutter des Monsters war bereits im 8. Monat schwanger, als ihr der Gynäkologe die schreckliche Wahrheit offenbarte.....'

Damit kann ich jetzt erst mal ordentlich Seiten füllen. Von der Geburt, über den ersten sexuellen Kontakt, der sich aufgrund der bereits erwähnten starken Behaarung äußerst schwierig gestaltete, bis hin zur ersten Anstellung als Wischmob. Das wird der absolute Knaller, ich habs im Urin!

Jetzt noch schnell den Showdown auf Blatt gezimmert und dabei einen total überraschenden Schluss einbauen und fertig ist der Bestseller.

'Das Monster griff erneut an. Seine Klauen ritzten die Haut des Stählernen auf. Superhorst torkelte. Das Monster ergriff seine Chance und setzte mit einem gewaltigen Schwinger nach. Das Knacken des Kiefers erinnerte an das Bersten eines Schiffrumpfes. Der Stählerne wurde gegen eine Laterne geschleudert. Da ging ihm ein Licht auf. Diesen Schlag hatte er nicht das erste Mal verspürt. Mit blutigem Gesicht wankte er auf das behaarte Unikum zu. 'Papa?'. Das Monster war wie versteinert. 'Wie hast du mich erkannt?', dröhnte es in sonorem Bass zurück. Im matten Licht der Laterne glitzerten Tränen in den Augen des Monsters. 'Scheiße, Mann, ich bin es.'. Superhorst spürte wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. 'Warum bist du abgehauen als ich 6 war? Warum hast du Mutter und mich alleine gelassen? Warum hast du uns dieses unendliche Leid angetan?'. 'Guck mich doch an, Junge. Mit der Behaarung hätte ich doch nirgendswo nen Job gefunden '
Meine Chance, politische Themen einzuflechten ('Die goldende Schreibmaschine', Kap. 14, Rn. 12).
''Seit Hartz 4 gelte ich als schwer vermittelbar. Ich wollte euch einfach dieses Elend ersparen.'. Superhorst sank auf die Knie. 'Komm her mein Junge, lass uns Frieden schließen!' . Der Stählerne lächelte matt. Dann warf er sich seinem Vater in die Arme.

Haps.'
 

Mortimer

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Moin Flammarion,
vielen Dank für die nette Kommentierung. Kann im Moment nicht mehr schreiben, mein Sohn liegt mir zu schwer im Magen ...:)

Gruß Mortimer
 



 
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