Mein größter Wunsch

1982/ Erzählung von Heike Keuper-g


Mein größter Wunsch



bald ist Weihnachten. Sicher liegen schon seit Wochen diverse Wunschzettel bereit. Gern mag ich gerade jetzt daran denken, wie es bei uns zu Hause in der Vorweihnachtszeit war. Wir waren eine große Familie. Unsere Eltern hatten alle Hände voll zu tun, um wenigstens einen Teil unserer Kinderwünsche zu erfüllen. Natürlich hatte jedes Geschwisterkind seinen ganz besonderen Wunsch. Ich auch, ist doch logisch, oder?
Mein größter Herzenswunsch in diesem Jahr war ein Blasinstrument mit schwarzen und weißen Tasten, nämlich eine Melodika. In den Sommerferien hatte ich das Melodika - Spielen gelernt. Seitdem träumte ich davon dass ich eines Tages so toll spielen könnte dass zur Solokünstlerin bei Karajan würde, wenn ich nur erst mal eine M…… hätte.
Nun war es mir am wichtigsten herauszukriegen, ob meine Eltern mir eine M…… schenken oder nicht. In so manch günstigen Momenten durchwühlte ich alle Verstecke. Doch so sehr ich mich auch bemühte - es war immer umsonst.
Die Tage schlichen dahin, so wie meine Hoffnung und auch meine gute Laune. Endlich Heiligabend, der Tag unserer Bescherung, war da. Vater schmückte Spätnachmittags den Baum. Im verschlossenen Schlafzimmer packte Mutter die letzten Geschenke ein. Ab und zu schaute ich durchs Schlüsselloch, immer noch erfolglos. Ich gab’s auf und verzog mich in mein Zimmer. Ich übte mein Weihnachtsgedicht. Es gelang mir nicht recht, es ohne Fehler zu sagen. Mein Kopf war voller Gedanken an die heiß erwünschte Melodika. Mir wurde es vor Aufregung ganz komisch. Gleich sollte ich mein Gedicht sagen und ich konnte es nicht.
Ein Blick auf die Uhr. Ich musste mich schick machen. Da, beim letzten Schuhband zubinden klingelte unsere Christkindglocke. In Windeseile rannte ich zur Wohnzimmertür. Die anderen standen schon bereit. Mutter stimmte ein Weihnachtslied an. Vater öffnete die Tür. Der Baum erstrahlte in herrlichem Glanz. Lametta, Wunderkerzen und Engelhaar all dies brachte mein Herz zum Rasen.
Wir sangen ein paar Lieder und ein paar schiefe Töne, die Mutter mit einem Stirn runzelnden Seitenblick honorierte, während mein ältester Bruder breit grinsend feixte. Dann war ich mit meinem Gedicht dran. Und prompt blieb ich gleich zweimal hängen, wofür klein Dori mir den Doofmann zeigte. Dann endlich konnten wir uns auf unsere Pakete stürzen. Als ich an einem Stapel anfing klopfte mein Herz bis zum Hals, mein Mund wurde ganz trocken und die Ohren so heiß als ob mir jemand ein brennendes Streichholz dran hielt. Ich packte eine Menge Zeug aus: ein Paar Handschuhe, zwei Paar Strümpfe, einen Pullover, ein Kinderbuch und eine Schultasche. Die Geschenke waren hübsch. Trotzdem kamen mir die Tränen. Keine Melodika! Bis zur letzten Minute hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich war so enttäuscht, dass ich mir die Sachen nicht näher anschaute. Es fiel in dem Getümmel nicht auf.
Viel später fragte mich Papa, wie mir die Schultasche gefiel, ich sollte sie mal gründlich untersuchen. Was Vater sagte, mussten wir tun. Also öffnete ich die Tasche. Was sah ich da ? Träumte ich?? ? hatte ich plötzlich Fieber oder gar Halluzinationen? Ich glaubte, mein Herz blieb stehen. Aber dann rutschte mir ein Freudenschrei aus dem Bauch dass die Wände wackelten. Eine, nein m e i n e Melodika! Ich hatte eine Melodika ... Plötzlich standen alle um mich herum und sie freuten sich mit mir.

Viele Jahre habe ich Freude an meiner Melodika gehabt.
Ich spielte später zwar nie bei Karajan in einem weltberühmten Orchester, aber bei allen Gelegenheiten, gewünscht und ungewünscht. Sehr zum Leidwesen unseres Dackels Waldemar und meiner großer Brüder.



Überarbeitete Version am 12.12.06
 

Claudine

Mitglied
Die Geschichte hat mir sehr, sehr gut gefallen!
Ich erlebte Ähnliches,--aber ich fand das Geschenk später nicht! Es war eine Puppe für meine jüngere Schwester und ich hatte gelunst! So wurde ich bestraft durch meine eigen Neugierde. Aber sonst war Weihnachten auch mit Neugier, Spannung und Feierlichkeit gekennzeichnet.

Schöne Geschiche jedenfalls!

Gruß Claudine
 
liebe claudine,

als ich damals diese geschichte für unsere kleine zeitung schrieb, war mir bewußt das sich viele wiederfinden würden. alsmich gestern aber entschloss sie etwas überarbeitet hiereinzustellen... empfand ich es als risiko...und erwartete ob des schreibstils schelte. um so schöner das du dich ein wenig identifizieren konntest. im übrigen erlebte ich auch beim "lunsen" die enttäuschung mit anderen geschenken auf die ich gehofft hatte. meine Mutter durch die vielen kinderwünsche manche wunscherfüllung dem falschen kind zuordnete.
thats life!
lach, hurra...wir leben noch.

herzlichst heike
 



 
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