Mein liebster Tod

M

mod

Gast
Mein treuester Freund ist mein Tod.
So wie er bereits mit mir geboren wurde,
wie er mein Dasein und sterben begleitet,
wie er absolut synchron mit mir diese Welt verlassen wird,
so nah
so treu
wird dereinst kein Freund und keine Freundin,
keine Liebste an meiner Seite gewesen sein.
Ich liebe meinen Tod ein lebendiges Sterben lang.

__________________________________________
Lebe einsam, wild und gefährlich.

©20010921’mod
 

Svalin

Mitglied
Geboren werden bedeutet nur, zu sterben beginnen.(Theophile Gautier)

Hallo mod

Ich habe Probleme mit der in deinem Text verwendeten Todes-Vorstellung. Sie bleibt für mich kontraintuitiv, weil Tod eigentlich immer nur da anfangen kann, wo das Leben aufhört. Er ist Teil einer Dualität. In ähnlicher Weise wie Schatten nur sein kann, wo kein Licht mehr ist. Es bedarf also nach meinem Verständnis für den Tod wie für den Schatten immer einer perspektivischen Quelle .... Leben/Licht. Eine Loslösung aus diesem Kontext (wie in deinem Text geschildert) gelingt mir selbst mit aller mir möglichen Phantasie nicht. Ich verstehe zwar durchaus den Ansatz deines Gedichtes, die Grundidee, die Art der Betrachtung - muß allerdings sagen, daß vieles darin zugunsten dieser Sichtweise undifferenziert im Raum stehenbleibt:
Beispiel: >wie er absolut synchron mit mir diese Welt verlassen wird< Tod definiert sich im Allgemeinen über das Erlöschen biologischer Funktionen. Wenn dein Körper tot ist, was verläßt dann diese Welt? Existiert (lebt) etwas weiter? Wer oder was ist dann überhaupt gestorben?
Solcherlei analytische Fragen muß man sich sicher nicht unbedingt in poetischen Bereichen stellen. Mit ging jedoch genau das beim Lesen durch den Kopf. Es ist sicher -wie Löwengeist es schreibt - eine interessante Betrachtungsweise ... nur auf mich wirkt sie derart konstruiert, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Mensch wirklich so empfinden könnte. Schließlich scheint es sich um eine Art Liebesgedicht zu handeln.

Grüße Martin
 
M

mod

Gast
konstruiert?

Ich halte hier nicht viel für konstruiert - noch für unreflektiert. Natürlich wird mein Tod Vergangenheit sein, sobald mein Leben nicht mehr ist, was schließlich sollte dann noch sterben von mir? Während ich jedoch lebe, ist jeder Augenblick der vergangen ist im wahrsten Sinne des Wortes gestorben, ja nicht nur erlebt sondern eben erstorben. (Da brauche ich mich nicht auf Profanitäten hinab zu lassen, wie jene, dass bereits vor der Geburt und von da an jeden Augenblick tausende von Zellen meines Körpers sterben.)

Im Gegenteil könnte man sagen, dass hier intellektuell nicht viel Neues ist z.B. ist der gleiche Gedanke mit Leichtigkeit bei Rilke oder Updike zu finden - aber Poesie hat ja nicht den Anspruch einer abendlichen Nachrichtensendung.
 

Svalin

Mitglied
im wahrsten Sinne des Wortes

Hallo mod

Genau darum geht es - Sinnübertragungen. Ich frage mich, wie erfolgreich es ist, literarisch mit der Belebung eines Begriffes zu operieren, der in sich selber jedes Leben ausschließt (im Gegensatz zu sterben) und komme zu dem Schluß, daß es auf mich konstruiert wirkt, da ich die Wortbedeutung von Tod und Tot-Sein vornehmlich als >aufgehört haben zu leben< verstehe. Insofern finde ich es vor diesem Hintergrund auch unreflektiert, daß dem Tod eine Zeitdimension zukommen sollte, weil man formal nie aufhört, tot zu sein. "Natürlich wird mein Tod Vergangenheit sein, sobald mein Leben nicht mehr ist [...]" Oder verwenden wir unterschiedliche Begriffsinhalte? Vielleicht liegt darin der Kern unseres "Mißverstehens"?

Grüße Martin
 
M

mod

Gast
unterschiedliche Begriffe

klar verwenden wir unterschiedliche Begriffe.

Wenn ich mein Leben zunächst einmal nur als die Existenz von Biomasse betrachte (jede andere Existenz ist m.E. nur philosophisch/religiös begründbar), dann endet es logischerweise mit dem Verfall der letzten Bausteine dieser Biomasse d.h. mit der Zersetzung/Verdauung der letzten Zelle durch irgendein Bakterium. (Bitte erspar mir jetzt die an dieser Stelle m.E. profane Diskussion über den chemischen Verfallsprozess oder Nichtverfall von Knochensubstanz).

Damit ist aber bereits heute ein weit größerer Teil der Biomasse, die ich einmal war, verfallen als jener der noch existent ist. D.h. mein Tod(passiv)/Sterben(aktiv) existiert zusammen/parallel mit mir. Und im Augenblick, in dem die letzte Zelle zerfällt, ist auch mein Tod nicht mehr existent. Ok?
 

Svalin

Mitglied
Biomasse?

Hi mod

Danke für die Erklärungen. Du zeichnest hier jenseits der mir bekannten wissenschaftlichen, philosophischen oder spirituellen Todesvorstellungen eine völlig andere Sichtweise. Diese stampft alle organischen Einheiten ungeachtet ihrer Relevanz zu einem zellulären Haufen ein. >Wenn ich mein Leben zunächst einmal nur als die Existenz von Biomasse betrachte (jede andere Existenz ist m.E. nur philosophisch/religiös begründbar)<. Was läßt sich damit noch über den Mensch und sein Leben aussagen? Es bleibt völlig unberücksichtigt, daß ein Wesen Mensch nur Mensch sein kann, weil es mehr als nur die Summe seiner materiellen Bestandteile ist. Wie sonst sollte es sich erklären, daß 10 hoch 27 Zellen ungeachtet ihrer ständigen Fluktuation ein Leben lang (wessen Leben lang? Identität von sich wandelnden Zellhaufen?) über ein eigenes Bewußtsein, ein Begreifen als Entität, als >Ich< verfügen können, mit einem stabilen Körperschema und einer psychologischen Kontinuität? Doch nur über die Leistungen einer Bewußtseins- und Persönlichkeitsinstanz (Gehirn). Aussagen wie "mein Leben", "mein Tod" entstammen aber allesamt dieser Instanz. Denn nur ihr gelingt es, ein -die rein zellulären Gegebenheiten transzendierendes- Phänomen zu erschaffen: Den Zellorganismus Mensch als Sich-Selbst-Begreifendes Wesen. Wo dieses Begreifen (im Hirntod) endet, stirbt die Person Mensch unwiderbringlich. Der Organismus Mensch erst, wenn der letzte Atemzug getan ist. Die danach verbleibende reine Existenz von Biomasse kann unmöglich ein hinreichendes Kriterium für Leben sein. Dann würde jeder Komposthaufen leben und unsere Friedhöfe wären voll von noch lebenden Zellkulturen. Eine absurde Vorstellung.
Vielleicht ist meine Sicht zu weltlich, zu alltäglich (=profan) für poetische Hypothesen. Es ist in jedem Fall nur eine von vielen möglichen Leserreaktionen. Ich habe verstanden, was du in deinem Gedicht aussagen wolltest und hoffe, du konntest mit meinen Einwänden etwas anfangen.

Grüße Martin
 
M

mod

Gast
Danke und noch das

Hallo Martin,

danke noch mal für Deine Einwände und Anregungen. Deine Sicht ist keinesfalls zu "alltäglich" oder "profan". Im Gegenteil greift sie eine andere, mir wichtige aktuelle Diskussion auf: "Wo beginnt Leben"? Nach der Definition unseres Embryonen-Schutgesetzes (in den meisten westlichen Ländern in ähnlicher Definition vorhanden) beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle. D.h. nach aktueller juristischer wie auch ethischer Diskussion („therapeutisches Klonen“, „Präimplantationsdiagnostik“, „embryonale Stammzellen“) beginnt das menschliche Leben tatsächlich beim menschlichen Einzeller.

(Danach „lebt“ dann tatsächlich auch der von Dir zitierte Komposthaufen, alleine schon wegen der ganzen Lebewesen darin, wie Würmer, Schnecken, Bakterien etc.)

Die Folge, dass nach dieser Definition menschliches Leben eben erst mit dem Zerfall der letzten Zelle wieder endgültig endet, hat sich mir, in der Diskussion, aus der sie stammt auch nicht sofort erschlossen, birgt aber eine gewisse Logik, wenn auch nicht die einzig mögliche (siehe die Themen „Hirntod“ und „Organspende“ in der ethischen Diskussion).

Die Diskussion über den Beginn von Bewusstsein, möchte ich an dieser Stelle nicht aufgreifen, weil sie über das, worüber ich schrieb hinausgeht… Ich hoffe Du hast dafür Verständnis.
 

Druidencurt

Mitglied
Herrlich, herrlich
diesen Zeilen,
er schaut sie an
und muss verweilen
um zu lesen sie von neuem
denn sie tun ihn sehr erfreuen !

Weiter will er hier nicht raten
Frisst schnell auf,
....den ganzen Braten
mit Genuss und Wohlbefinden

hielt er Ungereimtes
in den Händen...
 



 
Oben Unten