Meiner Zahnbürste geht es heute nicht gut

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Obog

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Also wenn Sie mich fragen, kann man Liebe noch am ehesten mit einem Gefäß vergleichen. Nein, ich habe keine Ahnung, welche Form oder Größe dieses Gefäß hat, dass spielt ja auch überhaupt keine Rolle. Was zählt, ist dass die Liebe nun mal erfüllt werden kann oder nicht. Gehen wir vom ersteren Fall aus, füllt sich also unser Gefäß, bei zweiterem bleibt es klarerweise leer. Können Sie mir noch folgen? Das ist nämlich noch nicht alles, es ist eben nicht alles so einfach. Überlegen Sie mal, was passiert, wenn das Gefäß übervoll ist, wenn es also übergeht! Nein, wir können jetzt keine Pause machen, konzentrieren Sie sich gefälligst! Wer schreit hier? Wo war ich jetzt ... genau, angenommen, Sie füllen immer wieder was in das Gefäß, aber es ist bereits voll und alles geht daneben. Genau, das ist frustrierend. Und hier haben wir schon den Grund für die vielen unglücklichen, gescheiterten Beziehungen auf dieser Welt. Die Liebe ist ganz einfach erschöpft! Das war gar nicht so schwer, finden Sie? Und was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen eröffnen würde, dass ich herausgefunden habe, wie man das Gefäß der Liebe ständig vergrößert und erweitert, so dass immer mehr hineinpaßt? Da sind sie jetzt also gespannt! Meine große Liebe heißt Marisa. Wir haben ein wahres Stauseebecken von einem Liebesgefäß und kein Ende in Sicht. Der Trick ist, dass sie mir etwas gibt. Und dafür liebe ich sie, so einfach ist das. Das Ganze hat natürlich auch seine Tücken. Wenn ich sie mal einen Tag nicht nehme, rächt sie sich fürchterlich, kann richtig zickig werden. Dann verschwört sie sich mit dem Staubsauger gegen mich und schmiedet Pläne, um mich vor dem Badezimmerspiegel vor mir selbst zu blamieren. Aber sie ist eben vereinnahmend. Nein nein, mit purer Sucht und Abhängigkeit kann man unsere Beziehung nicht gleichsetzen. Ich könnte jederzeit mit ihr aufhören. Und doch tue ich es nicht. Na, ist das kein Beweis für unsere unsterbliche Liebe? Na?

Marisa war zum Arzt gegangen. Sie hatte ein Drüsenproblem oder etwas ähnliches. Wenn sie es ganz genau gewußt hätte, wäre sie ja schließlich nicht zum Arzt gegangen. Da war sie also nun, saß mir gegenüber mit ihrer blümchenbestickten Unschuldsbluse und ihrem überknielangen Seriositätsröckchen. Zwinkerte der Rotzgöre zu, die sich neben mir am Spielzeugtisch Bauklötze in den gierigen Geifermund schob. War die Riesenkaktee neben der Tür echt oder aus Plastik? Die Zeitschrift auf meinen Knien zitterte leicht. Mir fiel auf, dass ich nicht einmal eine ungefähre Ahnung hatte, was sie eigentlich von mir wollte.
Eine unsichtbare Fernsprechanlage spuckte einen mißgebildeten Namen aus und der zugehörige Mensch stand auf, um sich von der Sprechzimmertür verschlucken zu lassen. Marisa hatte endlich genug von dem langsam erstickenden Kind mit seinen bescheuerten Bauklötzen und sah mich an.
Ich spürte förmlich, wie all meine Drüsen sich schleusenartig öffneten und einen Schwall Pheromone ausstießen, die unmißverständlich die Luft im Raum zu schwängern begannen.
Ich glaubte zu fühlen, wie der dünne Stoff meiner Hose vom erstarkten Schwanzprügel aus meiner Mitte durchstoßen wurde und wie jener plötzlich sondierend, taxierend, überrascht von der seltenen Freiheit, in ungewohnter Offenheit, wild umherpeitschte.
Während der Nacht hatte ich schlecht geschlafen. Wiederholte Male hörte ich murmelnde Stimmen aus dem Nebenzimmer, so dass ich schließlich aufstand, um, nachdem ich mich in jenem Nebenzimmer von der Abwesenheit jeglicher Murmler überzeugt hatte, selbst ein wenig zu murmeln, erst leise, dann lauter werdend und wieder abklingend. Nur, um dem Ganzen nachträglich etwas Sinn einzuhauchen.
„Und was fehlt Ihnen?“
„Nichts.“ Bevor ich noch realisiert hatte, dass sie mich etwas gefragt hatte, war die Antwort bereits meinem Mund entwichen. Ich sammelte mich kurz und dann fiel mir eine adäquatere Entgegnung ein.
„Ich bin mit meiner Zahnbürste hier.“
„Ah!“
„Sie fühlt sich in letzter Zeit nicht wohl.“
„Ach!“
„Ja.“
„Nein.“
„Echt.“
„So! Ach.“
„Und Sie?“
„Ich leide an einem Düsenleiden.“
„Ja?“
„Ach ja.“
Die seelenlose Knackstimme forderte Marisa indirekt abrupt auf, sich auch von der Tür verschlucken zu lassen. Nach kurzem Zögern folgte ich ihr einfach.
Der Arzt dachte vermutlich ohnehin, ich wäre ein naher Verwandter oder Freund der Familie, denn er schenkte mir keinerlei Aufmerksamkeit. Nach fachmännischer Untersuchung nahm er seine leidgeprüften Brillen ab und maß Marisa mit Blicken, die mir überhaupt nicht gefielen.
„Sie leiden an einem Flusenleiden. Sie haben Krebs.“
„Ich dachte mir schon so etwas.“

Nachdem Marisa von ihrem Busenleiden erfahren hatte, wollte sie nichts als leben. Also mieteten wir uns einen Ferienbungalow und lebten. Vom Arzt bekam sie Medikamente, die ihr helfen sollten, die Flugzeuge zu ertragen. Meine Füße stritten sich neulich beim Gehen darüber, wer von ihnen länger sei. Ich beendete die Debatte, indem ich ihnen versicherte, der linke sei grundsätzlich immer länger. Am nächsten Morgen, ich weiß nicht, war es aus boshafter Rache oder Resignation, weigerte sich mein rechter Fuß standhaft, aufzuwachen. Mit der Zeit reichten die Apothekenpillen nicht mehr aus und Marisa wandte sich an einen weitschweifigen Bekannten. Er verschaffte ihr Zugang zu etwas anderem, das besser wirkte. Eines Tages, als ich nach längerem Hadern den Bungalow betrat, fand ich sie gekrümmt am Boden neben dem Bett liegend vor. In ihrer Hand befanden sich noch einige Tabletten, die ich nach kurzem Zögern einnahm. Und mit einem Schlag war mir alles klar. Verstehen Sie nun, lieber borstiger Freund, wie wahrhaftig die Liebe zwischen mir und Marisa, von der ich jeden Morgen mehrere zu mir nehme, immer noch ist? Nein, wie könnten Sie auch. Aber zumindest sollten Sie sich jetzt etwas besser fühlen. Vielleicht können wir ja dann fortfahren, meine Mundhöhle von bakteriellem Abschaum zu befreien? Und flüstern Sie nicht mit dem Spiegel, ich höre alles!
 



 
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