Markus Veith
Mitglied
Da stehe ich nun in der Einsamkeit des Pizzeria-Stehtisches und puzzle mir zusammen, wie mir geschah.
... Wie ich gerade noch in der unter dem Feierabend kreischenden Bahn saß. Zwischen dem kaugummibepflasterten Mittelgang und einem Mütterlein, das hinter seiner schoßgedrückten Beute mit Karstadt-Werbeaufdruck schnaufte.
Da faltete sich die Tür auf. Sie. Erschien.
Ich nahm sie nicht sofort wahr. Sie hatte den freien Platz mir direkt gegenüber eingenommen, doch dauerte es zwei, drei Haltestellen, bis ich sie endlich hinter meinem Buch entdeckte. In einem unendlich langen, braunen Cordmantel, unter dem sie sich offen verbarg, in einem schwarzen Gestrick, das frech verformt hier und dort hervorlugte. Sie war ein Zierlich, ein Niedlich. Kein Hals-über-Kopf-Anblick, keine Kloß-im-Hals-Reaktion. Aber ein viel intensiverer zweiter Blick, ein Eindruck, der mir arge Mühe machte, ihn wieder auszubeulen. Plötzlich wussten meine Augen nicht mehr wohin.
Strähniges, sonnenbleiches Blond deckte dunkleres Haar zu, glich einer luftigen Stoffhaut, die man nach liebevoll ermatteter Sommernacht in wilden Formen neben sich findet; nie erfährt man, wie sie dort hingekommen ist. Sie musste eine Anpassung sein. Eine Schulterfüllung für die Achselhöhle. Wie geschaffen für die Sehnsucht nach Armumlegen und Kopf-an-Kopf-Schlendern.
Ihr Blick hing fingernagelkauend aus der vorbeiziehenden Fensterstadt. Wie ein buntes, noch nasses Tuch zum Trocknen, das bald im Wind flattern wollte. Sommerfrisch umtupft die niedlich gestupste Nase.
Ich glaube, sie fühlte meine Augen. Ja, so musste es sein. Sie roch meine Gedanken. Und als sie meinen Blick fand, fühlte ich mich freundlich zertreten wie eine verzogene Zigarette unter ihrem schwarzen Halbschuhabsatz.
Augen wie Rohdiamanten. Feuer ohne Schliff. Kleine Vulkane. Die glühenden Lider dienten meinem Schutz. Öffneten sie sich, glaubte ich, die Glut brodeln zu sehen.
PENG! Ein Blick traf. Treffer! Versengt! Glühenden Spritzer aus süßem Magmabrei. Wie Honiggeschmack im Auge.
Fassung, Junge! Fassung! Mein Herz rammte Ellenbogen gegen meine Rippen. Mein Kopf glich einer aus ihrem Kontakt geraspelten Glühbirne. Ein zweiter Blick traf den ersten, spaltete ihn der Länge nach. Ein Meisterblick!
Und da - Triumph wallt über die oberen Ränge! - lächelt sie:
"Wollen Sie Ihre Augen nicht mal wieder aus mir herausnehmen?"
"Wollen Sie eine ehrliche Antwort?"
"Ja."
"Nein."
Ich glaube das alles nicht. Ich kann an Aliens glauben und an eine Wiedervereinigung der Beatles in Originalbesetzung. Ich glaube an aufrichtiges Lügen und dass auch im geschlossenen Kühlschrank das Licht brennt. Ich muss nicht mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört haben und fordere keine rationalen Erklärungen. Aber dieses Gesicht inmitten lächelnder Sonnentupfer entzog mir jeglichen verständigen Verstand. Einfach unglaublich.
Ich gab auf. Ich war erlegt. 'Weide mich aus!' wollte ich ihr zuschreien. 'Zieh mir mein Fell ab und ? Bitte! ? wärme dich damit!'
"Möchten Sie einen Kaffee mit mir trinken?" floskelte ich stattdessen.
"Meinetwegen.!"
"Würden Sie danach mit mir spazieren gehen?"
"Meinetwegen."
"Danach würde ich Sie gerne zum Essen einladen. Möchten Sie?"
"Meinetwegen."
"Ich würde Sie danach auch nach Hause bringen und ich weiß schon jetzt genau, dass ich Sie dann zum Abschied sehr gerne küssen würde. Möchten Sie das auch?"
"Meinetwegen."
" ... Würden Sie mit mir die Nacht verbringen?"
"Meinetwegen."
" ... heiraten?"
"Meinetwegen."
" ... Ihr Leben mit mir verbringen?"
"Meinetwegen."
Ich gönnte mir einen Augenblick Pause. Mein Steuermann musste die überhitzten Ankerspindeln kühlen.
"Könnten wir auch sofort damit beginnen, unser Leben miteinander zu verbringen?"
Sie stand auf. Alles Geschehene ist vergessen. Wenn jemals ein Lächeln unglaublich war, dann dieses. Sie küsste mich auf die Stirn. Eine eben entzündete Kerze war in Sekundenschnelle heruntergebrannt. Der Docht ersoff in einer Pfütze Wachs.
Und fort war sie. Von der Falttür verschlungen. Verschluckt vom Getümmel der Großstadtecken. Und das Mütterchen neben mir guckte. Und guckte.
Da stehe ich nun. In der Einsamkeit des Pizzeria-Stehtisches und rühre meine 'Pizza-Spinat-ohne-Knoblauch-doppelt-Käse' durch den Teller. Und versuchen Sie mir jetzt bitte nicht zu erklären, Sie würden dies nicht verstehen.
März - April 1997
überarbeitet im Juli 2003
... Wie ich gerade noch in der unter dem Feierabend kreischenden Bahn saß. Zwischen dem kaugummibepflasterten Mittelgang und einem Mütterlein, das hinter seiner schoßgedrückten Beute mit Karstadt-Werbeaufdruck schnaufte.
Da faltete sich die Tür auf. Sie. Erschien.
Ich nahm sie nicht sofort wahr. Sie hatte den freien Platz mir direkt gegenüber eingenommen, doch dauerte es zwei, drei Haltestellen, bis ich sie endlich hinter meinem Buch entdeckte. In einem unendlich langen, braunen Cordmantel, unter dem sie sich offen verbarg, in einem schwarzen Gestrick, das frech verformt hier und dort hervorlugte. Sie war ein Zierlich, ein Niedlich. Kein Hals-über-Kopf-Anblick, keine Kloß-im-Hals-Reaktion. Aber ein viel intensiverer zweiter Blick, ein Eindruck, der mir arge Mühe machte, ihn wieder auszubeulen. Plötzlich wussten meine Augen nicht mehr wohin.
Strähniges, sonnenbleiches Blond deckte dunkleres Haar zu, glich einer luftigen Stoffhaut, die man nach liebevoll ermatteter Sommernacht in wilden Formen neben sich findet; nie erfährt man, wie sie dort hingekommen ist. Sie musste eine Anpassung sein. Eine Schulterfüllung für die Achselhöhle. Wie geschaffen für die Sehnsucht nach Armumlegen und Kopf-an-Kopf-Schlendern.
Ihr Blick hing fingernagelkauend aus der vorbeiziehenden Fensterstadt. Wie ein buntes, noch nasses Tuch zum Trocknen, das bald im Wind flattern wollte. Sommerfrisch umtupft die niedlich gestupste Nase.
Ich glaube, sie fühlte meine Augen. Ja, so musste es sein. Sie roch meine Gedanken. Und als sie meinen Blick fand, fühlte ich mich freundlich zertreten wie eine verzogene Zigarette unter ihrem schwarzen Halbschuhabsatz.
Augen wie Rohdiamanten. Feuer ohne Schliff. Kleine Vulkane. Die glühenden Lider dienten meinem Schutz. Öffneten sie sich, glaubte ich, die Glut brodeln zu sehen.
PENG! Ein Blick traf. Treffer! Versengt! Glühenden Spritzer aus süßem Magmabrei. Wie Honiggeschmack im Auge.
Fassung, Junge! Fassung! Mein Herz rammte Ellenbogen gegen meine Rippen. Mein Kopf glich einer aus ihrem Kontakt geraspelten Glühbirne. Ein zweiter Blick traf den ersten, spaltete ihn der Länge nach. Ein Meisterblick!
Und da - Triumph wallt über die oberen Ränge! - lächelt sie:
"Wollen Sie Ihre Augen nicht mal wieder aus mir herausnehmen?"
"Wollen Sie eine ehrliche Antwort?"
"Ja."
"Nein."
Ich glaube das alles nicht. Ich kann an Aliens glauben und an eine Wiedervereinigung der Beatles in Originalbesetzung. Ich glaube an aufrichtiges Lügen und dass auch im geschlossenen Kühlschrank das Licht brennt. Ich muss nicht mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört haben und fordere keine rationalen Erklärungen. Aber dieses Gesicht inmitten lächelnder Sonnentupfer entzog mir jeglichen verständigen Verstand. Einfach unglaublich.
Ich gab auf. Ich war erlegt. 'Weide mich aus!' wollte ich ihr zuschreien. 'Zieh mir mein Fell ab und ? Bitte! ? wärme dich damit!'
"Möchten Sie einen Kaffee mit mir trinken?" floskelte ich stattdessen.
"Meinetwegen.!"
"Würden Sie danach mit mir spazieren gehen?"
"Meinetwegen."
"Danach würde ich Sie gerne zum Essen einladen. Möchten Sie?"
"Meinetwegen."
"Ich würde Sie danach auch nach Hause bringen und ich weiß schon jetzt genau, dass ich Sie dann zum Abschied sehr gerne küssen würde. Möchten Sie das auch?"
"Meinetwegen."
" ... Würden Sie mit mir die Nacht verbringen?"
"Meinetwegen."
" ... heiraten?"
"Meinetwegen."
" ... Ihr Leben mit mir verbringen?"
"Meinetwegen."
Ich gönnte mir einen Augenblick Pause. Mein Steuermann musste die überhitzten Ankerspindeln kühlen.
"Könnten wir auch sofort damit beginnen, unser Leben miteinander zu verbringen?"
Sie stand auf. Alles Geschehene ist vergessen. Wenn jemals ein Lächeln unglaublich war, dann dieses. Sie küsste mich auf die Stirn. Eine eben entzündete Kerze war in Sekundenschnelle heruntergebrannt. Der Docht ersoff in einer Pfütze Wachs.
Und fort war sie. Von der Falttür verschlungen. Verschluckt vom Getümmel der Großstadtecken. Und das Mütterchen neben mir guckte. Und guckte.
Da stehe ich nun. In der Einsamkeit des Pizzeria-Stehtisches und rühre meine 'Pizza-Spinat-ohne-Knoblauch-doppelt-Käse' durch den Teller. Und versuchen Sie mir jetzt bitte nicht zu erklären, Sie würden dies nicht verstehen.
März - April 1997
überarbeitet im Juli 2003