Memoiren

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Sweetrebell

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Als uns der Arzt in sein Zimmer bat, klammerte sich Holger an meine Hand.
Sein Gesicht war versteinert, aber ich sah die Angst in seinen Augen, als der Mann im weißen Kittel uns bat, Platz zu nehmen.
Wir ahnten, was er sagen würde und doch hofften wir auf eine andere Diagnose.
„Es tut mir Leid",hörte ich ihn mitfühlend sagen.

Auf dem Weg nach Hause sprach Holger kein Wort. Mit gesenktem Kopf saß er neben mir auf dem Beifahrersitz. Mir rannen die Tränen über die Wangen und ich hatte große Mühe, mich auf den Verkehr zu konzentrieren.
Alzheimer.
Wie sehr hatten wir gehofft, dass es nur der Stress, den Holger in letzter Zeit im Betrieb hatte, sein möge.
Zu Hause angekommen setzte sich Holger an den Küchentisch und starrte vor sich hin. Noch immer sprach er nicht mit mir. In letzter Zeit redete er nur, wenn ich ihn direkt ansprach. Ich setzte mich zu ihm und legte schweigend meine Hand auf seine. Er umschloss meine Hand, schaute mich kurz an und drehte den Kopf wieder weg.

Alles fing damit an, dass ich merkte, wie er immer öfter nach etwas suchte. Meistens nach seinen Schlüsseln, aber daraus machten wir uns eher einen Spaß. Wer hat denn noch nicht nach seinen Schlüsseln gesucht? Aber die Suche wiederholte sich irgendwann fast täglich. Dann verschwanden immer mehr Gegenstände, wie z. B. seine Zahnbürste oder die Zeitung, die morgens noch auf dem Tisch gelegen hatte, seine Socken, die Lieblings-CD usw.
Holger fing an, Gesagtes zu wiederholen und erinnerte sich nicht mehr an Dinge, die ich ihm erzählt hatte.
Ich machte mir immer mehr Sorgen, doch er reagierte abwehrend, wenn ich darüber reden wollte. So war er früher nicht. Nie gab es ein böses Wort zwischen uns, aber in letzter Zeit stritten wir immer öfter.
Vor drei Wochen kam er schon mittags von der Arbeit nach Hause und schmiss seine Aktentasche in den Flur. Sein Kopf war purpurrot vor Zorn.
„Die haben mich beurlaubt und gesagt, ich müsse zum Arzt,“ schrie er und seine Hände zitterten wie Espenlaub, „nur weil ich einen Kundenauftrag verlegt habe.“

Es dauerte noch eine weitere Woche, bis er endlich mit mir zum Arzt ging. Der schickte uns sofort weiter zu einem Experten. „Nur um sicher zu gehen, dass da nichts Ernstes ist", hatte er gesagt.
Wieder rannen Tränen über mein Gesicht. Holger weinte nicht. Er schien noch nicht einmal zu merken, dass ich weinte. Sein Blick war immer noch vor sich auf den Tisch gerichtet.
„Hol dir Papier und Stift", sagte er so plötzlich, dass ich zusammenzuckte. Ich stand auf und tat, um was er mich gebeten hatte, ohne nachzufragen warum.
„Schreib bitte, auf was ich dir erzähle, solange ich das noch kann", sagte er, als ich mich wieder zu ihm setzte. Ich nickte, putzte mir die Nase und schrieb:

Mein Name ist Holger Petersen. Ich bin am 15. 06.1947 in Berlin-Kreuzberg geboren worden. Meine Eltern heißen Hannelore (geborene Winter) und Theodor Petersen. Ich habe eine Schwester. Sie heißt Waltraut, Walli genannt und ist drei Jahre jünger als ich. Wir stehen uns sehr nahe.......

Von da an bat er mich täglich, weiter zu schreiben. Er erinnerte sich sehr gut an seine Kindheit und war selbst überrascht, was alles zum Vorschein kam, während er erzählte. Ab und an half uns auch Walli, um die wenigen Lücken, die sich ergaben, zu schließen.
Holger war so besessen davon, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, dass er manchmal selbst zum Kugelschreiber griff, wenn ich zu sehr mit dem Haushalt beschäftigt war.
Er wirkte glücklich und ausgeglichen. Dass er nicht mehr arbeiten gehen würde, schien ihn nicht mehr so zu quälen.

Die Krankheit schritt schneller voran, als uns der Arzt prophezeit hatte.
Nur wenige Monate nach der Diagnose brach sich Holger den rechten Oberschenkelhalsknochen und das Schienbein, als er nachts über eine Türschwelle stolperte. Nach der Operation rieten mir die Ärzte, Holger in ein Pflegeheim zu geben, aber ich bestand darauf, ihn nach Hause zu nehmen. Ein Pflegebett wurde angeschafft und zweimal täglich kam eine Schwester von der Sozialstation, um Holger beim Waschen zu helfen. Er durfte nicht mehr auf seinen Beine stehen, da seine Knochen nicht richtig verheilt waren und das Risiko zu groß war, dass sie wieder brechen würden. Unsere Tochter Sabine kam fast täglich, um mir zu helfen. Sie war in der Zeit eine große Stütze für mich. Auch Walli, kam so oft es ihr möglich war.

Jeden Tag schrieb ich an seinen Memoiren weiter. Immer öfter musste ich ihn zwar erinnern, wo wir waren, aber sobald ich einige Zeilen vorgelesen hatte, erzählte er weiter.
Mittlerweile waren wir bei der Geburt von Sabine angelangt. Sie war sein Ein und Alles.
Eines Tages sagte Holger, als die Schwester der Sozialstation gerade gegangen war und ich mit den Aufzeichnungen an seinem Bett saß: „Ich möchte, dass du mir daraus vorliest, wenn ich nicht mehr sprechen kann und dass du es fertig schreibst, wenn ich mich nicht mehr erinnere.“
Ich nickte, denn ich brachte kein einziges Wort heraus.
Nur wenige Wochen später war es soweit. Holger erkannte die Schwestern, die täglich zu ihm kamen, nicht mehr und dann suchte er verzweifelt nach Wörtern, die ich aufschreiben sollte.
Immer öfter weinte er, wenn seine Erinnerungen ihn im Stich ließen. Nachts schrie er oft meinen Namen, weil er Angst hatte, alleine zu sein. Erst als unser Hausarzt ihm ein Antidepressivum verordnete, ging es ihm wieder etwas besser.

Jeden Abend las ich Holger aus unseren Aufzeichnungen vor. Besonders die Geschichten aus seiner Kindheit und die aus Sabines schienen ihm zu gefallen, denn dann lächelte er zufrieden. Oft schlief er währenddessen ein.
Nur noch selten gelang es ihm, seine Gedanken in Worte zu fassen.
Immer öfter verwechselte er mich mit Sabine oder einer Schwester, bis er schließlich keinen mehr erkannte.
Ich weiß nicht, wie viele Tränen ich in dieser Zeit vergossen habe, wenn ich über unsere Zeit, die wir zusammen verbringen durften, nachdachte, aber ich vermied es immer, vor ihm zu weinen. Er spürte sofort, wenn es mir nicht gut ging und reagierte mit starker Unruhe.
Jede freie Minute hielt ich seine Hand und las aus seinen Erinnerungen, die auch meine waren, vor.

Erst Monate nach seinem Tod war ich in der Lage, mein Versprechen einzulösen und seine Lebensgeschichte zu Ende zu schreiben.
Nun lese ich darin, wenn ich mich nach ihm sehne, und spüre ihn ganz nah bei mir.
Als wolle er mir sagen : „Ich bin immer noch da.“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

Memoiren
Veröffentlicht von Sweetrebell am 16. 08. 2007 00:19
Als uns der Arzt in sein Zimmer bat, klammerte sich Holger an meine Hand.
Sein Gesicht war versteinert, aber ich sah die Angst in seinen Augen, als der Mann im weißen Kittel uns bat(Komma) Platz zu nehmen.
Wir ahnten, was er sagen würde und doch hofften wir auf eine andere Diagnose.
„Es tut mir Leid,(kein Komma)“(Komma) hörte ich ihn mitfühlend sagen.

Auf dem Weg nach Hause sprach Holger kein Wort. Mit gesenktem Kopf saß er neben mir auf dem Beifahrersitz. Mir rannen die Tränen über die Wangen und ich hatte große Mühe(Komma) mich auf den Verkehr zu konzentrieren.
Alzheimer.
Wie sehr hatten wir gehofft, dass es nur der Stress, den Holger in letzter Zeit im Betrieb hatte, sein möge.
Zu Hause angekommen setzte sich Holger an den Küchentisch und starrte vor sich hin. Noch immer sprach er nicht mit mir. In letzter Zeit redete er nur, wenn ich ihn direkt ansprach. Ich setzte mich zu ihm und legte schweigend meine Hand auf seine. Er umschloss meine Hand, schaute mich kurz an und drehte den Kopf wieder weg.

Alles fing damit an, dass ich merkte, wie er immer öfter nach etwas suchte. Meistens nach seinen Schlüsseln, aber daraus machten wir uns eher einen Spaß. Wer hat denn noch nicht nach seinen Schlüsseln gesucht? Aber die Suche wiederholte sich irgendwann fast täglich. Dann verschwanden immer mehr Gegenstände, wie z. B. seine Zahnbürste oder die Zeitung, die morgens noch auf dem Tisch gelegen hatte, seine Socken, die Lieblings-CD usw.
Holger fing an(Komma) Gesagtes zu wiederholen und erinnerte sich nicht mehr an Dinge, die ich ihm erzählt hatte.
Ich machte mir immer mehr Sorgen, doch er reagierte abwehrend, wenn ich darüber reden wollte. So war er früher nicht. Nie gab es ein böses Wort zwischen uns, aber in letzter Zeit stritten wir immer öfter.
Vor drei Wochen kam er schon mittags von der Arbeit nach Hause und schmiss seine Aktentasche in den Flur. Sein Kopf (war) purpurrot vor Zorn.
„Die haben mich beurlaubt und gesagt(Komma) ich müsse zum Arzt,“ schrie er und seine Hände zitterten wie Espenlaub, „nur weil ich einen Kundenauftrag verlegt habe.“

Es dauerte noch eine weitere Woche, bis er endlich mit mir zum Arzt ging. Der schickte uns sofort weiter zu einem Experten. „Nur um sicher zu gehen, dass da nichts Ernstes ist,(kein Komma)“(Komma) hatte er gesagt.
Wieder rannen Tränen über mein Gesicht. Holger weinte nicht. Er schien noch nicht einmal zu merken, dass ich weinte. Sein Blick (war) immer noch vor sich auf den Tisch gerichtet.
„Hol dir Papier und Stift,(kein Komma)“(Komma) sagte er so plötzlich, dass ich zusammenzuckte. Ich stand auf und tat(Komma) um was er mich gebeten hatte(Komma) ohne nachzufragen warum.
„Schreib bitte, auf was ich dir erzähle, solange ich das noch kann,(kein Komma)“(Komma) sagte er, als ich mich wieder zu ihm setzte. Ich nickte, putzte mir die Nase und schrieb:

Mein Name ist Holger Petersen. Ich bin am 15. 06.1947 in Berlin-Kreuzberg geboren worden. Meine Eltern heißen Hannelore (geborene Winter) und Theodor Petersen. Ich habe eine Schwester. Sie heißt Waltraut, Walli genannt und ist drei Jahre jünger als ich. Wir stehen uns sehr nahe.......

Von da an bat er mich täglich, weiter zu schreiben. Er erinnerte sich sehr gut an seine Kindheit und war selbst überrascht, was alles zum Vorschein kam, während er erzählte. Ab und an half uns auch Walli(Komma) um die wenigen Lücken, die sich ergaben, zu schließen.
Holger war [blue] wie [/blue] (so) besessen davon(Komma) seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, dass er manchmal selbst zum Kugelschreiber griff, wenn ich zu sehr mit dem Haushalt beschäftigt war.
Er wirkte glücklich und ausgeglichen. Dass er nicht mehr arbeiten gehen würde, schien ihn nicht mehr so zu quälen.

Die Krankheit schritt schneller voran, als uns der Arzt prophezeit hatte.
Nur wenige Monate,(kein Komma) nach der Diagnose brach sich Holger den rechten Oberschenkelhalsknochen und das Schienbein, als er nachts über eine Türschwelle stolperte, [blue] die zum Bad führte und hinfiel [/blue] (überflüssig) . Nach der Operation rieten mir die Ärzte(Komma) Holger in ein Pflegeheim zu geben, aber ich bestand darauf, ihn nach Hause zu nehmen. Ein Pflegebett wurde angeschafft und zweimal täglich kam eine Schwester von der Sozialstation, um Holger beim Waschen zu helfen. Er durfte nicht mehr auf [red] seine Beine [/red] (seinen Beinen) stehen, da seine Knochen nicht richtig verheilt waren und das Risiko zu groß war, [red] das [/red] (dass) sie wieder brechen würden. Unsere Tochter Sabine kam fast täglich, um mir zu helfen. Sie war in der Zeit eine große Stütze für mich. Auch Walli kam(Komma) so oft es ihr möglich war.

Jeden Tag schrieb ich an seinen Memoiren weiter. Immer öfter musste ich ihn zwar erinnern, wo wir waren, aber sobald ich einige Zeilen vorgelesen hatte, erzählte er weiter.
Mittlerweile waren wir bei der Geburt von Sabine angelangt. Sie war sein Ein und Alles.
Eines Tages sagte Holger, als die Schwester der Sozialstation gerade gegangen war und ich mit den Aufzeichnungen an seinem Bett saß: (kein Absatz)
„Ich möchte, dass du mir daraus vorliest, wenn ich nicht mehr sprechen kann und [red] das [/red] (dass) du es fertig schreibst, wenn ich mich nicht mehr erinnere.“
Ich nickte, denn ich brachte kein einziges Wort heraus.
Nur wenige Wochen später war es soweit. Holger erkannte die Schwestern, die täglich zu ihm kamen(Komma) nicht mehr und dann suchte er verzweifelt nach Wörtern, die ich aufschreiben sollte.
Immer öfter weinte er, wenn seine Erinnerungen ihn im Stich ließen. Nachts schrie er oft meinen Namen, weil er Angst hatte, alleine zu sein. Erst als unser Hausarzt ihm ein Antidepressivum verordnete, ging es ihm wieder etwas besser.

Jeden Abend las ich Holger aus unseren Aufzeichnungen vor. Besonders die Geschichten aus seiner Kindheit und die aus Sabines schienen ihm zu gefallen, denn dann lächelte er zufrieden. Oft schlief er währenddessen ein.
Nur noch selten gelang es ihm, seine Gedanken in Worte zu fassen.
Immer öfter verwechselte er mich mit Sabine oder [red] eine [/red] (einer) Schwester, bis er schließlich keinen mehr erkannte.
Ich weiß nicht, wie(getrennt)viele Tränen ich in dieser Zeit vergossen habe, wenn ich über unsere Zeit, die wir zusammen verbringen durften, nachdachte, aber ich vermied es immer, vor ihm zu weinen. Er spürte sofort, wenn es mir nicht gut ging und reagierte mit starker Unruhe.
Jede freie Minute hielt ich seine Hand und las aus seinen Erinnerungen, die auch meine waren, vor.

Erst Monate nach seinem Tod war ich in der Lage(Komma) mein Versprechen einzulösen und seine Lebensgeschichte zu Ende zu schreiben.
Nun lese ich darin, wenn ich mich nach ihm sehne, und spüre ihn ganz nah bei mir.
Als wolle er mir sagen : „Ich bin immer(getrennt)noch da.“

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Wenn man sich einbildete, glücklich zu sein, wäre man es!

Einfach zum Heulen schön! Das Beste, was ich bis jetzt von dir gelesen habe.
Bitte mehr davon!
lg
 

Sweetrebell

Mitglied
hallo flammarion,
dein lob freut mich sehr, danke!
du hast mich mit deiner erzählung über den ausflug mit senioren zu diesen text inspiriert, nochmals danke.
und einen ganz besonderen dank für deine korrekturvorschläge, werde diese gleich umsetzen.
lg
sweetrebell
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Sweetrebell,

eindeutig der beste Text, den ich bisher von dir gelesen habe. Du nimmst den Leser mit auf die Tagebuchreise. Ein bisschen mehr Abstand in der sprachlichen Ausformulierung könnte den Text noch runder machen.

lieber Gruß
maerchenhexe
 

Sweetrebell

Mitglied
danke maerchenhexe, freut mich sehr.
was meinst du mit sprachlicher ausformulierung?
kannst du mir da ein beispiel geben?
wäre nett.
lg
sweetrebell
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Sweetrebell,

Hallo Sweetrebell,

habe mir einen kleinen Textteil heraus genommen. So kann ich dir am besten zeigen, was ich meine. Dadurch ziehst du den Leser noch direkter in deine Geschichte und vermeidest möglicherweise ein paar Wiederholungen. Upps, ich hoffe, das klingt jetzt nicht besserwisserisch, meine es nur nett. Ist ja auch nur ein Beispiel.

Lieber Gruß
maerchenhexe

Du schreibst:
Alles fing damit an, dass ich merkte, wie er immer öfter nach etwas suchte. Meistens nach seinen Schlüsseln, aber daraus machten wir uns eher einen Spaß. Wer hat denn noch nicht nach seinen Schlüsseln gesucht? Aber die Suche wiederholte sich irgendwann fast täglich. Dann verschwanden immer mehr Gegenstände, wie z. B. seine Zahnbürste oder die Zeitung, die morgens noch auf dem Tisch gelegen hatte, seine Socken, die Lieblings-CD usw.
Holger fing an, Gesagtes zu wiederholen und erinnerte sich nicht mehr an Dinge, die ich ihm erzählt hatte.
Ich machte mir immer mehr Sorgen, doch er reagierte abwehrend, wenn ich darüber reden wollte. So war er früher nicht. Nie gab es ein böses Wort zwischen uns, aber in letzter Zeit stritten wir immer öfter.
Vor drei Wochen kam er schon mittags von der Arbeit nach Hause und schmiss seine Aktentasche in den Flur. Sein Kopf war purpurrot vor Zorn.
„Die haben mich beurlaubt und gesagt, ich müsse zum Arzt,“ schrie er und seine Hände zitterten wie Espenlaub, „nur weil ich einen Kundenauftrag verlegt habe.“

Mein Vorschlag:

Es begann damit, dass er immer öfter nach etwas suchte. Meistens nach seinen Schlüsseln, aber das verbuchten wir eher unter ‚Schusseligkeit’. Wer hat denn noch nicht seine Schlüssel verlegt? Doch irgendwann suchten wir täglich. Dann verschwanden immer mehr Gegenstände. Seine Zahnbürste, die Zeitung, die morgens noch auf dem Tisch gelegen hatte, seine Socken, die Lieblings-CD.
Holger begann, Gesagtes zu wiederholen und erinnerte sich nicht mehr an die Dinge, die ich ihm erzählt hatte.
Meine Sorge wuchs. Wenn ich darüber reden wollte, war er pure Abwehr. Sein Wesen veränderte sich. In all den Jahren hatte es kaum ein böses Wort zwischen uns gegeben, aber in der letzten Zeit stritten wir häufig und heftig.
Vor drei Wochen kam er schon mittags von der Arbeit nach Hause und schmiss seine Aktentasche in den Flur. Sein Kopf war puterrot vor Zorn.
„Die haben mich beurlaubt und gesagt, ich müsse zum Arzt,“ schrie er und seine Hände zitterten wie Espenlaub, „nur weil ich einen Kundenauftrag verlegt habe.“
 



 
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