Mensch Morgen

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Teleportation

Zeit: 04.05.2207

Mein Liebes,

schade, dass du noch immer krank bist und nicht die Kraft hast zu portieren. Sonst hättest du kommen und dir die alten Dateien hier bei mir angucken können. Und wie du weißt, muss ich gerade selber Medizineinheiten nehmen. Das macht mich so müde, dass ich mich auf einen Port, noch dazu mit Gepäck, nicht richtig konzentrieren kann.
Aber was soll's. Ich hab noch jede Menge Kommunikationseinheiten - und die müssen ja auch nicht verfallen. Kriegst du halt eine Datei, die kannst du ja ohne Umstände für deinen History-Report kopieren. Ich hoffe, das Material ist zu gebrauchen und du bekommst eine gute Bewertung.
Gib deinen Eltern einen Kuss von mir und sag ihnen, dass ich voraussichtlich nächste Woche wieder fit genug bin zum Portieren.

Deine Oma Marlene

*****

Es ist jetzt an die hundert Jahre her, da begann die ganze, leidige, unendliche Misere. Zu nennen sind da der Zusammenbruch der sozialen und sicherheitsrelevaten Systeme, ökologische und ökonomische Probleme, die alle einander bedingten und zum völligen Zusammenbruch der bestehenden nachindustriellen Ordnung führten. Innerhalb weniger Jahre wurde die gesamte Weltbevölkerung vom einundzwanzigsten praktisch zurück ins neunzehnte Jahrhundert katapultiert. Großrechner und Pferdewagen, Hochtechnologie und die Unfähigkeit eine Kiste Waren in erträglicher Zeit von einem Ort zum anderen zu transportieren.

Nun kommen die Urgroßeltern ins Spiel.
Beide waren, wie du ja weißt, reinrassige Teleporter, so wie alle in unserer Familie es heute sind. Sie waren natürliche Mutanten, nicht genmanipuliert. Zudem hatten sie sich per Zufall kennen und lieben gelernt. Die heute übliche Partnerauswahl nach genetischen Eigenschaften gab es noch nicht. Aus diesem Grunde gehörten sie zu den wenigen Glücklichen, an denen die immer schlimmer werdenden Verhältnisse spurlos vorbei gingen.

Es war mit Händen zu greifen, dass die besondere genetische Ausstattung es den Urgroßeltern erlaubte, Dinge zu tun und damit Möglichkeiten auszuschöpfen - und sich damit Vorteile zu verschaffen, die den meisten ihrer Zeitgenossen verschlossen waren.
Ohne Rücksicht auf Zeitverlust und Mobilitätskosten (der Kauf eines Wintermantels z. B. war mit mehreren Stunden Zeitaufwand und umgerechnet 50 Verrechnungseinheiten nur für Fahrtkosten, nicht etwa für die Ware selbst, verbunden) konnten sie Waren und Dienstleistungen einzig nach Preis und Qualität erwerben.
Es war ihnen möglich, hoch bezahlte Posten anzunehmen, obwohl sie fernab von jeder größeren Stadt wohnten. Auch konnten sie ihre Arbeitstellen entsprechend schnell wechseln, wenn es nötig oder sinnvoll erschien. Sie brauchten als Teleporter nicht umzuziehen, was seinerzeit umgerechnet 10.000 Verrechnungseinheiten kostete und dem Quartalsverdienst eines Ausbilders (damals nannte man sie Lehrer) entsprach.
Kurz: Teleportieren sparte Zeit und Geld und damit Ressourcen, die man gut anderweitig einsetzen konnte. Durch die Vorteile, die deine Urgroßeltern durch ihre Mutation hatten, war es ihnen möglich, viel mehr Kinder zu bekommen und zu erziehen als andere.
Du ahnst wohl schon, worauf ich hinaus möchte! Wirklich freie Schul- und Universitätswahl für alle, keine erhöhten Ausgaben für Zusatzwohnungen oder Mobilität usw. Je mehr Personen mit ganz bestimmten, für die Familie nützlichen Eigenschaften, brachten materiellen Wohlstand, soziale Sicherheit und Privilegien für alle.
Umgekehrt wirbelt ein einziger Immobiler eine Familie von Teleportern ganz schön durcheinander. Stell dir vor, du hättest ein Kind, dass du x-mal am Tag irgndwohin bringen und wieder abholen müsstest. Du könntest nicht mehr arbeiten, hättest kein eigenes Einkommen mehr und die Familie müsste gleich zwei Personen auf immens lange Zeit durchfüttern! Da wäre schnell Schluss mit dem angenehmen Leben, und zwar für alle!
Über die traurigen Zustände der Immobilen brauchst du einfach nur den Umkehrschluss zu ziehen. Ortsgebundenheit, schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Verdienstmöglichkeiten, zu wenig Ressourcen für eine ausreichend große Familie, mangelhafte soziale Sicherheit.

Die Datei mit den Statistiken über die rückläufigen Geburtenraten Immobiler und die steigenden Geburtenraten der Teleporter schicke ich dir als Anhang mit. Sie sind nagelneu und noch nicht im öffentlichen Datennetz. Als Leckerli für deinen Ausbilder schicke ich noch die Grafik über die Vererbungslehre mit. Ich habe auf Teleportation umgeschrieben, dann muss dein Ausbilder nicht auch noch für Kopien euren Unterrichtsetat anknabbern.
 
E

Edgar Güttge

Gast
auf Teleportation umschreiben?

Hallo Marlene,

nette Idee, dieser Kontrast: Der Mensch lernt einerseits innerhalb von 200 Jahren das Teleportieren und hat es andererseits immer noch nicht geschafft, das Unterrichtswesen in den Griff zu kriegen. Immer noch das Problem mit dem Haushaltsdefizit!

Ich gehe davon aus, dass das hier eine Art E-Mail mit drei Anhängen sein soll, von denen einer dieser History-Report ist. (Oder ist das ein Brief mit einer Diskette?) Die Art der Übertragung wird nicht ganz deutlich.
Leider verstehe ich den letzten Satz nicht ganz. Was ist mit 'auf Teleportation umgeschrieben' gemeint. Habe ich da vielleicht irgend einen Hinweis übersehen?

Ansonsten ist mir die Rahmenhandlung rund um die Texte etwas zu schwach. Das Kind ist krank, also ist das mit der Datei doch nicht so dringend, oder steht da doch noch irgend ein Abgabetermin bevor?

(Ein Tippfehler ist mir aufgefallen: irg(e)ndwohin).

Insgesamt hat es mir gefallen.

Gruß
Edgar
 
Mendel und die Erbsen

Hallo Edgar,

danke für deine prompte Antwort.

Gemeint ist das Ganze als eine Art Email mit Anhängen, so wie wir das heute auch kennen.
Du wunderst dich, dass trotz kranker Oma und krankem Kind so viel Betriebsamkeit herrscht! Auch im hier und jetzt des zwanzigsten Jahrhunderts müssen Kinder alles an Unterrichtsstoff nachholen, egal wie lange sie krank sind. Und in einer Leistungsgesellschaft macht es immer miese, wenn die Noten nicht stimmen, man eventuell Schuljahre/Kurse wiederholen muss. Wer in künftigen Zeiten seinen Platz in der Elite erkämpfen bzw. behaupten muss, wird sich da auch nicht viel leisten können!
Du möchtest wissen, was ich mit "auf Teleportation umgeschrieben" meine: Ich spiele auf das Beispiel von Mendel mit den grünen und gelben Erbsen an; kennt jeder aus dem Biologiebuch. Dieses Beispiel habe ich meine Oma eben umschreiben lassen. Das Enkelkind soll ja eine gute Bewertung kriegen und der Lehrer eine gute Meinung von dem ganzen Clan.

So, ich hoffe, ich habe die ganzen Unklarheiten beseitigt.

Grüße aus dem hier und jetzt
Marlene
 
E

Edgar Güttge

Gast
hatte Biologie abgewählt

Hallo Marlene,

vielen Dank für deine Erläuterung.
Das mit den Kindern kenne ich. Meine Töchter haben auch ständig Stress wegen der Punkte. (Ich habe noch immer die Hoffnung, dass sich daran künftig etwas ändert, dass die Kinder leben lernen, nicht leben um zu lernen, obwohl ich nichts dagegen habe, ein Leben lang zu lernen.)
Du schreibst, jeder kennt es aus dem Biologiebuch? Ich hatte damals Biologie abwählen müssen (es lebe die Allgemeinbildung!), hatte statt dessen Chemie und Physik. Also ich hatte hier eine Bildungslücke.
Trotzdem meine ich, dass aus dem Text immanent nicht deutlich hervorgeht, wie du von den Mendelschen Gesetzen und Kreuzungsversuchen mit Erbsenrassen und Chromosomen auf Umschreiben auf Teleportation kommst und wieso der Lehrer dadurch Kopien spart. Mir fehlt hier ein Gedankenschritt im Text, und damit geht m.E. die Schlusspointe unter.
Gruß
Edgar
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Der Zusammenhang zwischen dem Umschreiben auf Teleportation (den ich übrigens gleich beim ersten Mal so las, wie Marlene dann erklärte) und den ersparten Kopien versteh ich auch nicht…
Aber ansonsten finde ich die Arbiet ganz gelungen (und verkneife mir deshalb Betrachtungen darüber, ob Teleportation als biologische Fähigkeit machbar und damit SF ist…)
 
selber kopieren

Hallo Jon,

danke für deine prompte Antwort.

Die Geschichte mit dem Teleportieren habe ich von diversen anderen SF-Geschichten übernommen. Fände es privat ganz witzig, statt stundenlang mit dem Auto unterwegs zu sein, in Sekundenschnelle jeden beliebigen Ort der Welt erreichen zu können.

Dass mit dem Kopien ziehen scheint wirklich schlecht rübergekommen zu sein. Das Enkelchen sollte von Omas Datei daheim selber kopien ziehen und im Unterricht verteilen. Wird heutzutage öfters schon im Unterricht gemacht, besonders bei Referaten, Übungsaufgaben usw. Jeder aus der Klasse liefert was und alle profitieren. Ist bei uns schon so normal, dass ich es anderen gewissermaßen "unterschiebe".

Grüße
Marlene
 



 
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