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Fellmuthow

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Fellmuthow im Herbst 2000

Auf dem Weg aus der „Dresdner Altstadt“ hinüber zur anderen, ruhigeren Elbseite, verweile ich am Standbild des tanzenden Hofnarren Fröhlich, der 1725, aus der Steiermark stammend, an den Dresdner Hof gekommen war. Seinem Gesicht hat der Künstler etwas Spitzbübiges gegeben; doch die Augen, so scheint es mir, blicken starr und kalt in die Ferne...
Spielkarten und Münzen in seinen Händen symbolisieren den Taschenspieler, der das Glück herausfordert, mal gewinnt, mal verliert. Fröhlich hat gewonnen, aber er musste auch vieles erdulden. Ich betrachte die Figur näher...
Der Kammerherrenschlüssel soll wohl von der Vertrautheit zum König künden. Und das pressende Wildschwein? Es steht wahrscheinlich für die Wildsau, die Fröhlich während einer Hubertusjagd mutig gestochen hatte und die ihm den Spitznamen „Graf Saumagen“ eintrug. Aber warum entleert es sich hinter seinem Rücken? Da ist der Affe mit dem Würfelspiel - ein altes Symbol. Für die Zahlen finde ich keine Erklärung. Fünf, zwei und eins addieren sich zu acht Augen. Kein Pasch, überhaupt kein toller Wurf. Das Narrenzepter liegt am Boden. Es könnte ihm entglitten sein, als er seine Frau, nach einer unbedachten Maulschelle, händeringend um Vergebung bat. So stellt es eine alte Radierung dar. Oder hat er es gar weggeworfen, verachtet sein Narrentum? Die Eule darauf? Sie steht für Wahrheit - war sein Wappenzeichen. Narrentum und Klugheit gehören zusammen. Und klug war er, der Narr des Königs. Da ist noch der Schleier, der ihn umweht, auch die Sau bedeckt. Ein Hinweis auf die Vergänglichkeit allen Lebens. Fünfzehn Meter lang soll er gewesen sein, als Fröhlich mit ihm, im Gedenken an den verstorbenen preußischen Hofnarren Grundig, durch die Dresdner Altstadt zog. Bleibt noch die winzige Maus auf dem runden Käse. Sie erinnert an seinen Kompagnon und Mäusefreund Schmiedel. Kändler hat die Beiden in Porzellan verewigt. Zwei Mohrrüben liegen da. Warum? Kein Hase ist zu sehen...Leider hat der Künstler auf wichtige Symbole verzichtet. Schade! Sie gehören doch auch zu der Figur des Narren, die Zeichen willkürlicher Strafen seines Herrn. Der nagelbespickte Balken auf dem er reiten musste. Oder ein Büschel Barthaare, die ihm einzeln ausgerissen wurden, auch die Eier, mit denen ihn die Höflinge zum Spaß bewarfen. Man müsste den Künstler fragen. Nein, er wird uns die Interpretation überlassen. Was war eigentlich dieser Narr, damals? Nur ein Unterhalter der gelangweilten Potentaten? Ihr Spielzeug? Er war mehr! Auch Berater. Manchmal sogar vorsichtiger, aber immerhin - Kritiker des allmächtigen Königs. Ein mutiger und kluger Mann jedenfalls, und willensstark.
Da erwacht ganz nahebei ein Akkordeon - stört mich in meinen Sinnen, lenkt mich ab. Eine Melodie erklingt. Erst leise, schwillt an, macht mich neugierig. Woher? Zwei drei Schritte zur Seite und ich sehe ihn, den Bärtigen. Am zugig-kalten, graffitibeschmierten Tunneleingang sitz er auf seinem Koffer, eingehüllt in seinen verschlissenen Mantel. Mit behandschuhten, aber, da fingerfrei, bestimmt klammen Händen entlockt er dem Instrument eine unbekannte Melodie; die aufsteigt, in der Luft wirbelt, sich an den Wänden stößt, sich schließlich in der Tiefe des Tunnels verliert. Warum spielt er hier, an diesem nasskalten unfreundlichen Novembertag? Diese Frage schreckt mich auf aus meiner Beschaulichkeit, zwingt mich nachzudenken, genauer hinzusehen. Sie wird mich schon bald vor die Entscheidung stellen, entweder etwas von meinem Geld - eine Münze vielleicht - in seine vor ihm im Straßenstaub wartende Mütze zu werfen, oder mich so wie andere zu verhalten, die den anonymen Musiker, von seiner Anwesenheit unangenehm berührt - ihn blinden Auges ignorierend - das erbetene Almosen verweigern. Warum, noch ist diese Frage unbeantwortet, mag er hier spielen, in der Ungemütlichkeit des Tunneleinganges? Was kann Menschen dazu bringen, sich ständig der kalten Gleichgültigkeit herzloser Ignoranten auszusetzen? Vielleicht ein Obdachloser, dem Alkohol noch nicht erlegen? Oder einer, dem von der Wohlstandsgesellschaft nur noch die Sozialhilfe blieb? Ein Zugereister, der sich in dem einst erstrebten, nun, da er hier ist, fremden mitleidslosen Land damit durchschlagen muss? Ich habe Achtung vor ihnen allen, denn es gehört Mut dazu, Willenstärke, nicht aufzugeben. So sind sie sich in gewisser Weise ähnlich, die Beiden: Der Narr des Königs und der Anonyme Musiker als Narr derer, denen es besser geht. Ein rasches Aufblicken, ein paar unverständlich gemurmelte Worte sind Reaktionen auf das Klimpern des Geldstückes, als ich es zu den wenigen anderen in die Mütze fallen lasse. Mich drängt es zu erfahren, weshalb er hier sitzt und spielt. Was ist das für ein Mensch? Und ich möchte sehen, wie sich die anderen verhalten - was übrig blieb von der Solidarität vergangener Jahre. Wie groß die Hilfsbereitschaft noch ist, für die an den Rand der Gesellschaft gedrängten. Auch ohne Öffentlichkeit und Steuern sparende Spendenquittung. Ich werde ihn fragen müssen, wenn ich es wirklich wissen will - frage ihn ob er deutsch spricht. Er erschrickt, unterbricht sein Spiel, erhebt sich, blickt mich misstrauisch an. „Ukraine“, ist alles was er sagt. Also ein Zugereister! Leider spreche ich kein Russisch und er spricht kein Deutsch, so bleibt alles andere unverstanden.
Seitwärts von ihm stehe ich, warte, beobachte... Als erster kommt ein junger Mann, mit flatternden schwarzen Langbeinhosen, bis zu den Hüften reichenden grünen Strickpullover, bunt behelmt, Knie und Ellenbogen gepanzert, auf schnellen Rollen die Schräge herunter getobt. Den Blick verengt - blind für rechts und links - ist er allein an der für ihn wichtigen freien Fahrspur interessiert. Von dem ist nichts zu erwarten, der nimmt den Musiker nicht einmal wahr. Vorbei!
Absätze klackern. Zwei Frauen nähern sich dem Musiker. Die Reifere könnte Geschäftsfrau sein, Frisur und Kleidung durch ihre soziale Stellung bestimmt. Mit dem bunten Schal, der sich keck aus dem modisch wollenen Mantel herausgewagt hat, spielt der Wind. Ihr Gesicht zieht meinen Blick an. Gepflegt! Die Augen stark betont, von goldgefassten Brillengläsern unterstützt. Nicht übel aufbereitet das Ganze, doch wirkt sie durch die sich markant nach unten ziehenden Mundwinkel arrogant, kalt und abweisend. Ob die etwas gibt? Kaum. Die ist bestimmt keines Gefühls für den Musiker fähig. Die Jüngere, ihre Tochter vielleicht, trägt ganz andere Attribute. Haare rot gefärbt, mit bunten Strähnchen. Dünne Zöpfe zu beiden Seiten des schmalen Gesichts, die Stirn vom Pony verdeckt, Ohren und Nase golddurchbohrt. Den blauen Anorak lässig offen, seine Ärmellänge so bemessen, dass Handschuhe überflüssig sind. Jeanshosen, Plateauschuhe, das Handy am Ohr, kommt sie tänzelnd daher. Nein! Auch die wird bestimmt nichts für den Musiker übrig haben, denke ich mir und wende meine Aufmerksamkeit einer älteren Dame zu, die schwer auf ihren Stock gestützt, langsamen Schrittes aus der Tiefe des Tunnels auftaucht.
Ich habe mich geirrt - gründlich! Die junge Frau geht zu dem Bärtigen, beugt sich ein wenig zu ihm hinunter und legt mit freundlichen „bitte“ einen Schein in die Mütze, in der sich erst wenige Münzen langweilen. Die Ältere verhält unwillig ihren Schritt, zerrt die Mundwinkel noch weiter nach unten, ist ganz Verachtung - ihr Gesicht nur noch höhnische Fratze. Diesmal deutet der Musiker eine Verbeugung an, nicht unterwürfig, eher respektvoll, unterbricht sein Spiel, nimmt den Schein aus der Mütze, stellt die unerwartete Gabe sicher. Falsch eingeschätzt! Ich bitte die junge Frau in Gedanken um Verzeihung. Was mag sie zu der Gabe veranlasst haben? Mitleid, schlechtes Gewissen, oder das Gefühl, selbst Verantwortung dafür zu tragen, dass heute in dem Land, in dem Reichtum allgegenwärtig ist, Menschen in bitterer Armut leben müssen. Ich könnte sie fragen, doch das lasse ich bleiben, will mir das positive Bild von ihr bewahren. Wenn es sie noch gibt, diese Menschen mit Herz, auch unter den Jüngeren, dann gibt es auch Hoffnung, sage ich mir und bin der jungen Frau für diese Erfahrung dankbar.
Ich wende mich wieder der älteren Dame zu. Sie verweilt vor dem Bärtigen, stützt sich auf ihren Stock, lauscht seiner Musik, nickt, wippe im Rhythmus der Melodie ein wenig mit dem rechten Fuß - geht weiter, ohne die Zahl der Münzen in der Mütze zu mehren. Von ihr hätte ich schon erwartet, dass sie ein kleines Opfer bringt. Die weniger Begüterten sind es doch, die noch Mitleid kennen, weil sie selbst darauf angewiesen sind. Ich betrachte sie genauer. Der lange, abgetragene Mantel die Strickkappe, die hohen Schnürschuhe mit den schiefen Absätzen, all das lässt vermuten, dass sie selbst nicht viel besitzt - dann sei ihr verziehen.
Lärm hallt aus der Tunneltiefe. Eine Gruppe junger Leute nähert sich wie selbstverständlich die ganze Breite des Weges für sich beanspruchend. Jungs, durchweg aus rundsohligen, schweißtreibenden hellen Sportschuhen aufragend, die Haare kurz geschoren, schubsend, laut diskutierend. Mädchen, stelzend, hin und wieder aufkreischend. Ein unbeschwerter Haufen. Viel Geld haben die bestimmt nicht, brauchen es selbst für Zigaretten und die Disko. Auch von denen ist nichts zu erwarten. Werden sie ihn wenigstens akzeptieren, ungeschoren lassen, wenn er denen links außen im Wege ist? Die breite Front näher sich dem Hindernis, wird auf der linken Seite komprimiert, hängt dort zurück, drängelt fluchend und schubsend vorbei, entspannt sich danach wieder, zieht unbekümmert schwadronierend weiter. Ich glaube die haben den Musiker nur als unbequemes Hindernis wahrgenommen, keinen Gedanken an ihn verschwendet. Immerhin, sie haben ihn ungeschoren gelassen. Kann man von ihnen mehr erwarten?
So stehe ich lange Zeit, beobachte die Gehetzten, die von der Zeit getrieben an dem Musiker vorüber hasten. Nur selten wirft einer von ihnen eine Münze in die wartende Mütze. Viel kommt dabei nicht zusammen. Vielleicht reicht das Wenige um zu überleben. Dass es ihm hier besser geht als in seiner Heimat bezweifle ich. Es ist doch tragisch in die Fremde zu entfliehen und dann da irgendwo stehen und betteln zu müssen.
 

Rainer

Mitglied
Hallo Fellmuthow,

deine Skizze gefällt mir sehr gut; du verstehst es, deine Beobachtungen (von mir aus auch fiktionale) in Lesefreude erzeugender und vor allem nachvollziehbarer Schriftsprache an den Konsumenten zu bringen.

Auf Grund deines Lebensalters habe ich zwar etwas Bauchschmerzen Dir Empfehlungen bzw. Hinweise geben zu wollen, aber ich traue mich trotzdem mal:
mehr fabulieren, mehr fabulieren, mehr mehr mehr :).
Klar hat es vielleicht nur Joyce geschaffft einen Tag auf tausend Seiten zu beschreiben - aber bei Deiner Schreibe könnte ich mir gut zehn oder mehr Seiten für diese Begegnung vorstellen :).

Viele Grüße

Rainer
 

Montgelas

Mitglied
lieber fellmuthow,

die geschichte hat mich sehr berührt,
aber warum schließt du den kreis
nicht wieder mit dem hofnarren ?

fragt

montgelas
 

Fellmuthow

Mitglied
ziemlich spät geantwortet

Hallo Rainer, danke für die Wertschätzung. Auf jeden Fall macht mir deine Einschätzung meines Textes Mut weiteres zu veröffentlichen.
Rainer, mehr habe ich nicht geschrieben um die Schilderung nicht langweilig werden zu lassen. Ach so, anfangs wär sie schon um 1/3 länger, doch bei den Überarbeitungen streiche ich meist gut 1/3 wieder weg.

Wenn dich die Geschichte berührt hat Monteglas, dann ist genau das erreicht, was ich damit wollte. So oft sieht man - heute - in Dresden diese Straßenmusiker. Auch das sind Menschen und für die wollte ich Sympathie erwecken. Der Hofnarr war gewissermaßen der Aufhänger. Na klar, ich hätte zu ihm zurückkehren können, doch damit wäre der Schlusssatz untergegangen, meist du nicht auch?
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

zu erst einmal möchte ich betonen, dass mir diese geschichte sehr gut gefällt. ich finde es recht beeindruckend, wie du diese szenerie beschrieben hast.

Menschen

Auf dem Weg aus der „Dresdner Altstadt“ hinüber zur anderen, ruhigeren Elbseite, verweile ich am Standbild des tanzenden Hofnarren Fröhlich, der 1725, aus der Steiermark stammend, an den Dresdner Hof gekommen war. Seinem Gesicht hat der Künstler etwas [red] Spitzbübiges [/red] (Spitzbübisches) gegeben; doch die Augen, so scheint es mir, blicken starr und kalt in die Ferne...
Spielkarten und Münzen in seinen Händen symbolisieren den Taschenspieler, der das Glück herausfordert, mal gewinnt, mal verliert. Fröhlich hat gewonnen, aber er musste auch vieles erdulden. Ich betrachte die Figur näher...
Der Kammerherrenschlüssel soll wohl von der Vertrautheit zum König künden. Und das pressende Wildschwein? Es steht wahrscheinlich für die Wildsau, die Fröhlich während einer Hubertusjagd mutig gestochen hatte und die ihm den Spitznamen „Graf Saumagen“ eintrug. Aber warum entleert es sich hinter seinem Rücken? (Absatz) Da ist der Affe mit dem Würfelspiel - ein altes Symbol. Für die Zahlen finde ich keine Erklärung. Fünf, zwei und eins addieren sich zu acht Augen. Kein Pasch, überhaupt kein toller Wurf. Das Narrenzepter liegt am Boden. Es könnte ihm entglitten sein, als er seine Frau, nach einer unbedachten Maulschelle, händeringend um Vergebung bat. So stellt es eine alte Radierung dar. (Absatz) Oder hat er es gar weggeworfen, verachtet sein Narrentum? Die Eule darauf? Sie steht für Wahrheit - war sein Wappenzeichen. Narrentum und Klugheit gehören zusammen. Und klug war er, der Narr des Königs. (Absatz) Da ist noch der Schleier, der ihn umweht, auch die Sau bedeckt. Ein Hinweis auf die Vergänglichkeit allen Lebens. Fünfzehn Meter lang soll er gewesen sein, als Fröhlich mit ihm, im Gedenken an den verstorbenen preußischen Hofnarren Grundig, durch die Dresdner Altstadt zog. (Absatz) Bleibt noch die winzige Maus auf dem runden Käse. Sie erinnert an seinen Kompagnon und Mäusefreund Schmiedel. Kändler hat die [red] Beiden [/red] (beiden) in Porzellan verewigt. Zwei Mohrrüben liegen da. Warum? Kein Hase ist zu sehen...Leider hat der Künstler auf wichtige Symbole verzichtet. Schade! Sie gehören doch auch zu der Figur des Narren, die Zeichen willkürlicher Strafen seines Herrn. Der nagelbespickte Balken(Komma) auf dem er reiten musste. (Absatz) Oder ein Büschel Barthaare, die ihm einzeln ausgerissen wurden, auch die Eier, mit denen ihn die Höflinge zum Spaß bewarfen. Man müsste den Künstler fragen. Nein, er wird uns die Interpretation überlassen. Was war eigentlich dieser Narr, damals? Nur ein Unterhalter der gelangweilten Potentaten? Ihr Spielzeug? Er war mehr! Auch Berater. Manchmal sogar vorsichtiger, aber immerhin - Kritiker des allmächtigen Königs. Ein mutiger und kluger Mann jedenfalls, und willensstark.
Da erwacht ganz nahebei ein Akkordeon - stört mich in meinen Sinnen, lenkt mich ab. Eine Melodie erklingt. Erst leise, schwillt an, macht mich neugierig. Woher? Zwei drei Schritte zur Seite und ich sehe ihn, den Bärtigen. Am zugig-kalten, graffitibeschmierten Tunneleingang sitz er auf seinem Koffer, eingehüllt in seinen verschlissenen Mantel. Mit behandschuhten, aber, da fingerfrei, bestimmt klammen Händen entlockt er dem Instrument eine unbekannte Melodie; die aufsteigt, in der Luft wirbelt, sich an den Wänden stößt, sich schließlich in der Tiefe des Tunnels verliert. (Absatz) Warum spielt er hier, an diesem nasskalten unfreundlichen Novembertag? Diese Frage schreckt mich auf aus meiner Beschaulichkeit, zwingt mich nachzudenken, genauer hinzusehen. Sie wird mich schon bald vor die Entscheidung stellen, entweder etwas von meinem Geld - eine Münze vielleicht - in seine vor ihm im Straßenstaub wartende Mütze zu werfen, oder mich so wie andere zu verhalten, die den anonymen Musiker, von seiner Anwesenheit unangenehm berührt - ihn blinden Auges ignorierend - das erbetene Almosen verweigern. (Absatz) Warum, noch ist diese Frage unbeantwortet, mag er hier spielen, in der Ungemütlichkeit des Tunneleinganges? Was kann Menschen dazu bringen, sich ständig der kalten Gleichgültigkeit herzloser Ignoranten auszusetzen? Vielleicht ein Obdachloser, dem Alkohol noch nicht erlegen? Oder einer, dem von der Wohlstandsgesellschaft nur noch die Sozialhilfe blieb? Ein Zugereister, der sich in dem einst erstrebten, nun, da er hier ist, fremden mitleidslosen Land damit durchschlagen muss? (Absatz) Ich habe Achtung vor ihnen allen, denn es gehört Mut dazu, Willenstärke, nicht aufzugeben. So sind sie sich in gewisser Weise ähnlich, die[red] Beiden[/red] : Der Narr des Königs und der [red] Anonyme [/red] (anonyme) Musiker als Narr derer, denen es besser geht. Ein rasches Aufblicken, ein paar unverständlich gemurmelte Worte sind Reaktionen auf das Klimpern des Geldstückes, als ich es zu den wenigen anderen in die Mütze fallen lasse. (Absatz) Mich drängt es zu erfahren, weshalb er hier sitzt und spielt. Was ist das für ein Mensch? Und ich möchte sehen, wie sich die anderen verhalten - was übrig blieb von der Solidarität vergangener Jahre. Wie groß die Hilfsbereitschaft noch ist, für die an den Rand der Gesellschaft gedrängten. Auch ohne Öffentlichkeit und Steuern sparende Spendenquittung. Ich werde ihn fragen müssen, wenn ich es wirklich wissen will - frage ihn(Komma) ob er deutsch spricht. Er erschrickt, unterbricht sein Spiel, erhebt sich, blickt mich misstrauisch an. „Ukraine“, ist alles(Komma) was er sagt. Also ein Zugereister! Leider spreche ich kein Russisch und er spricht kein Deutsch, so bleibt alles andere unverstanden.
Seitwärts von ihm stehe ich, warte, beobachte... Als erster kommt ein junger Mann, mit flatternden schwarzen Langbeinhosen, bis zu den Hüften [red] reichenden [/red] (reichendem) grünen Strickpullover, bunt behelmt, Knie und Ellenbogen gepanzert, auf schnellen Rollen die Schräge herunter getobt. Den Blick verengt - blind für rechts und links - ist er allein an der für ihn wichtigen freien Fahrspur interessiert. Von dem ist nichts zu erwarten, der nimmt den Musiker nicht einmal wahr. Vorbei!
Absätze klackern. Zwei Frauen nähern sich dem Musiker. Die Reifere könnte Geschäftsfrau sein, Frisur und Kleidung durch ihre soziale Stellung bestimmt. Mit dem bunten Schal, der sich keck aus dem modisch wollenen Mantel herausgewagt hat, spielt der Wind. Ihr Gesicht zieht meinen Blick an. Gepflegt! Die Augen stark betont, von goldgefassten Brillengläsern unterstützt. Nicht übel aufbereitet das Ganze, doch wirkt sie durch die sich markant nach unten ziehenden Mundwinkel arrogant, kalt und abweisend. Ob die etwas gibt? Kaum. Die ist bestimmt keines Gefühls für den Musiker fähig. Die Jüngere, ihre Tochter vielleicht, trägt ganz andere Attribute. Haare rot gefärbt, mit bunten Strähnchen. Dünne Zöpfe zu beiden Seiten des schmalen Gesichts, die Stirn vom Pony verdeckt, Ohren und Nase golddurchbohrt. Den blauen Anorak lässig offen, seine Ärmellänge so bemessen, dass Handschuhe überflüssig sind. Jeanshosen, Plateauschuhe, das Handy am Ohr, kommt sie tänzelnd daher. Nein! Auch die wird bestimmt nichts für den Musiker übrig haben, denke ich mir und wende meine Aufmerksamkeit einer älteren Dame zu, die schwer auf ihren Stock gestützt, langsamen Schrittes aus der Tiefe des Tunnels auftaucht.
Ich habe mich geirrt - gründlich! Die junge Frau geht zu dem Bärtigen, beugt sich ein wenig zu ihm hinunter und legt mit [red] freundlichen [/red] (freundlichem) „bitte“ einen Schein in die Mütze, in der sich erst wenige Münzen langweilen. Die Ältere verhält unwillig ihren Schritt, zerrt die Mundwinkel noch weiter nach unten, ist ganz Verachtung - ihr Gesicht nur noch höhnische Fratze. Diesmal deutet der Musiker eine Verbeugung an, nicht unterwürfig, eher respektvoll, unterbricht sein Spiel, nimmt den Schein aus der Mütze, stellt die unerwartete Gabe sicher. Falsch eingeschätzt! Ich bitte die junge Frau in Gedanken um Verzeihung. Was mag sie zu der Gabe veranlasst haben? Mitleid, schlechtes Gewissen, oder das Gefühl, selbst Verantwortung dafür zu tragen, dass heute in dem Land, in dem Reichtum allgegenwärtig ist, Menschen in bitterer Armut leben müssen. Ich könnte sie fragen, doch das lasse ich bleiben, will mir das positive Bild von ihr bewahren. Wenn es sie noch gibt, diese Menschen mit Herz, auch unter den Jüngeren, dann gibt es auch Hoffnung, sage ich mir und bin der jungen Frau für diese Erfahrung dankbar.
Ich wende mich wieder der älteren Dame zu. Sie verweilt vor dem Bärtigen, stützt sich auf ihren Stock, lauscht seiner Musik, nickt, [red] wippe [/red] (wippt) im Rhythmus der Melodie ein wenig mit dem rechten Fuß - geht weiter, ohne die Zahl der Münzen in der Mütze zu mehren. Von ihr hätte ich schon erwartet, dass sie ein kleines Opfer bringt. Die weniger Begüterten sind es doch, die noch Mitleid kennen, weil sie selbst darauf angewiesen sind. Ich betrachte sie genauer. Der lange, abgetragene Mantel(Komma) die Strickkappe, die hohen Schnürschuhe mit den schiefen Absätzen, all das lässt vermuten, dass sie selbst nicht viel besitzt - dann sei ihr verziehen.
Lärm hallt aus der Tunneltiefe. Eine Gruppe junger Leute nähert sich(Komma) wie selbstverständlich die ganze Breite des Weges für sich beanspruchend. Jungs, durchweg aus rundsohligen, schweißtreibenden hellen Sportschuhen aufragend, die Haare kurz geschoren, schubsend, laut diskutierend. Mädchen, stelzend, hin und wieder aufkreischend. Ein unbeschwerter Haufen. Viel Geld haben die bestimmt nicht, brauchen es selbst für Zigaretten und die Disko. Auch von denen ist nichts zu erwarten. Werden sie ihn wenigstens akzeptieren, ungeschoren lassen, wenn er denen links außen im Wege ist? Die breite Front näher sich dem Hindernis, wird auf der linken Seite komprimiert, hängt dort zurück, drängelt fluchend und schubsend vorbei, entspannt sich danach wieder, zieht unbekümmert schwadronierend weiter. Ich glaube(Komma) die haben den Musiker nur als unbequemes Hindernis wahrgenommen, keinen Gedanken an ihn verschwendet. Immerhin, sie haben ihn ungeschoren gelassen. Kann man von ihnen mehr erwarten?
So stehe ich lange Zeit, beobachte die Gehetzten, die von der Zeit getrieben an dem Musiker vorüber hasten. Nur selten wirft einer von ihnen eine Münze in die wartende Mütze. Viel kommt dabei nicht zusammen. Vielleicht reicht das Wenige(Komma) um zu überleben. Dass es ihm hier besser geht als in seiner Heimat(Komma) bezweifle ich. Es ist doch tragisch(Komma) in die Fremde zu entfliehen und dann da irgendwo stehen und betteln zu müssen, wie ein armer Narr.
 

Fellmuthow

Mitglied
ein Bild fehlt leider

Hallo flammarion,

leider kann ich das Bild, welches eigentlich an den Anfang der Geschichte gehört, nicht einstellen. Es gibt nämlich in Dresden an der Elbe eine kleine Skulptur, die den Hoffnarren zeigt.

lg Fellmuthow
 



 
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