Mittwochs Richtung Donnerstag

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kio

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„Betreten verboten“. Grell sprangen mir die roten Buchstaben auf weißem Hintergrund entgegen. Ihre Farbe passte exakt zu der Schranke, auf der das Schild angebracht war. Weiß, rot, weiß, rot, weiß.
Ganz unspektakulär und geradezu alltäglich hatte der Tag angefangen: Tee, Zeitung, Müdigkeit. Wieder einmal zuviel Aufmerksamkeit an Unbekannte, die fast jede Zeitungsseite füllten, verschenkt. Ihren Bildern, Diskussionen, Machtgeilheiten konnte man nicht entkommen. Überflüssige Kommentare über überflüssige Themen. Schon am nächsten Tag würde sich niemand daran erinnern. Ein leichter Hauch von Zynismus strömte nach der letzten Seite durch den kahlen Raum, dessen weißgekalkte Wände keinerlei Schwarz zuließen. Niemals, nicht an diesem Mittwoch und schon gar nicht am Donnerstag. Es roch nach frischer Farbe. Weiß und ätzend machten sie meiner Nasenschleimhaut schwer zu schaffen. Nur noch ein Spaziergang konnte hier Abhilfe schaffen. Die Tür schloß ich ohne jegliches Bedauern hinter mir zu.
Ich musste lächeln, als mir der weißgekalkte Raum, den ich nun mit Ignoranz und Einsamkeit bestrafte, in den Sinn kam. Warum musste er auch soviel Weißheit verströmen, die nur noch blankes Entsetzen verursachte? Warum ließ er kein Schwarz, kein Gelb, kein Grün zu? Keine Pastellfarben, die jeden Raum mit Wärme füllen würden? Doch schon kurz danach wämte mich die Sonne mit ihren spätherbstlichen Strahlen. Waldgeruch, der Duft von eben gefallenen Blättern, befreites Durchatmen. Herbstlaub, das unter den Stiefeln raschelte, Lichtstrahlen, die sich zwischen den Baumwipfeln brachen, in den herrlichen Geruch eindrangen und Befreiung verhießen. Eine Lichtung, in der sich sanfter Nebel mit Sonnenstrahlen vermischte führte zu einem verborgenen See. Die Nebelschwaden wurden dichter. Dort lag es. Ein Boot, einsam, verlassen und es schien mich einzuladen.Dankend nahm ich an, bestieg es, fuhr den Anker ein und fing an zu rudern. Langsam, bedächtig. In der Mitte des Sees wurden die Nebelschwaden undurchsichtig und wenn ich heute daran denke, packt mich die nackte Angst und schreit Umkehr. Doch an diesem Nachmittag im November war es anders. Ich wurde immer ruhiger, wusste ich doch, dass, wenn die Mitte des Sees überschritten war, der Weg zum Ufer unter 50 % betrug. Und genau so war es dann auch. Langsam legte ich die Ruder nieder, genoss einen kurzen Augenblick den Anblick des Ufers. Die Sonne stand schon tief, doch an jenem Tag gab es keinen Rückweg mehr.
An der anderen Seite angekommen, blickte ich hungrig in meinen Rucksack. Er barg noch ein Stück bitterer Schokolade, das ich langsam auf der Zunge zergehen ließ. Rascheln. Erschrocken blickte ich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Nochmals, diesmal leiser. Mutig, fast tapfer drängten meine Hände die Grashalme am Schilfgürtel des Sees auseinander. Ein schwarz-weiß gestreiftes, wolliges Ding blickte mich aus dunklen Augen an. Mit einer Mischung aus Neugier und Angst stammelte ich nur noch „You are a gremlin?“......“Ah noi, mir sind doch hier im Schwarzwald, da gibt’s koine Gremlins.“ Erleichterung. Logisch, wie soll’s hier auch phantasieerschaffene Hollywoodpuschel geben? Sanft und zärtlich streiften meine Hände über das weiche, schwarz-weiße Fell. Der Himmel verdunkelte sich, ein grell-gelber Blitz fuhr durch das plötzliche Schwarz und ein wunderschöner, junger Mann stand vor mir. Er schüttelte die restlichen Grashalme aus seinem dunkelblonden Schopf. Seine Stiefel reichten bis kurz unter die Knie, mühelos watete er durch den morastigen Schilfgürtel und kam an das trockene Ufer. Etwas verlegen blickten wir uns an. Mir war heiß, die Wangen tiefrot über das eben Geschehene. Schweigend nahm er meine Hand und wir gingen weiter. Das Rascheln des Laubs hörte sich unter 2 Stiefelpaaren noch magischer an, als zuvor. Die Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont.
Doch der Waldweg nahm ein abruptes Ende durch besagte Schranke.
Zu zweit standen wir davor. Spätnachmittag im November. Die Dämmerung war hereingebrochen. Vielleicht wäre mit dem Wissen, dass diese Schranke plötzlich und unvermutet auftauchen würde, der Tag vollkommen anders verlaufen.
Ein dicker Kloß machte sich in meinem Hals immer breiter. Mutierte zu einem böhmischen Knödel, der sich quer zu legen schien. „Betreten verboten“. Eine kleine Laterne erhellte inzwischen die Buchstaben. Rechts und links, sogar drunter könnte man vielleicht vorbeikommen. Doch wieviel Überwindung würde es wohl kosten?
Eine etruskisch anmutende Festung lag vor uns. Die Auffahrt mit dunklen Pinien und Akazien bepflanzt. Ich schloß die Augen und sah die Hinterseite des Gebäudes direkt vor mir. Rosengesäumte Kaskaden. Eine weiß-marmorierte Bank unter wucherndem Efeu.
Unschlüssig, fröstelnd standen wir immer noch vor der Schranke. Die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen und nur noch die Sichel des abnehmenden Mondes tauchte die Festung in gespenstisches Licht. Ein Käuzchen sang sein trauriges Lied.
„Ob es wohl Wölfe im Schwarzwald gibt? Nun ja, nachdem es keine Gremlins gab, würde es wohl auch keine Wölfe geben." Beruhigt suchte ich Blickkontakt zu dem Unbekannten, mit dem ich trotz unserer Wanderung noch kein Wort gewechselt hatte und sah, dass er rechts an der Schranke vorbeiging und in der Dunkelheit verschwand „Aber das Schild....“ wollte ich schreien, doch der Knödel ließ keinen Laut über meine Lippen kommen.
Allen, noch vorhandenen Mut sammelnd, ging ich geradewegs
links an der Schranke vorbei, tauchte in das Nachtlicht ein. Der Weg war überraschend gerade. Fast mühelos fand ich mich in der Dunkelheit zurecht, ging an der Festung auch links vorbei und sah ihn schon von Weitem unter dem Efeu sitzen. Der Mondschein tauchte sein Gesicht in ein sanftes Licht und er blickte in den sternenklaren Nachthimmel.
Schweigend setzte ich mich zu ihm. Als die letzte Sternschnuppe in dieser Nacht verglühte war es Donnerstag.
 



 
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