Mobbing

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Paulas Verwandlung

Paula hatte den dritten Arbeitstag hinter sich. Sie war völlig geschafft.
Ihr vorheriger Arbeitgeber, ein alter Metzgermeister, hatte seinen Laden dichtgemacht. Am liebsten hätte sie, inzwischen 58, auch aufgehört, aber die kleine Rente, die sie erwartete, war einfach zu niedrig, selbst wenn sie die Witwenrente hinzu rechnete. Sie musste notgedrungen weiterarbeiten.
Der plötzliche Tod ihres Mannes vor vier Monaten, mit dem sie ein sehr zurückgezogenes Leben führte, hatte sie in ein tiefes Loch fallen lassen.
Nun war sie in einem anderen Metzgergeschäft untergekommen – eine Arbeitsstelle, die sie der Frieda verdankte.

Drei Wochen später. Die Chefin hatte ihr frei gegeben, für einen Arztbesuch.
Heute war wenig Betrieb, also Zeit zum Schwätzen.
„Mit der Paula werden wir wohl nicht glücklich werden“, meinte Ria. Mit diesen Worten wollte sie mal bei den beiden anderen auf den Busch klopfen.
„Die ist schon recht komisch“, sagte Liesbeth, „sie redet ja kaum mit uns“.
Sigrid gab zu bedenken, dass Paula erst kürzlich ihren Mann verloren habe.
„Trotzdem, mir gefällt sie nicht. Außerdem ist sie furchtbar langsam“, stellte Ria fest; „wenn mal wirklich viel los ist, dreht die durch“.
Sigrid nahm Paula in Schutz. „Sie ist halt nicht mehr die Jüngste“.
„Aber nicht auf unsere Kosten“, erklärte Ria giftig. Liesbeth grinste und war sich mit Ria einig.
„Wenn sie sich nicht ändert, wird das nichts mit ihr“.

Ein Kunde betrat den Laden und bestellte Rindergehacktes. Ria bediente ihn – besser gesagt, sie wollte ihn bedienen, denn der Fleischwolf streikte.
„Also ich bin nicht dran schuld“, log Liesbeth ungefragt.
„Dann hat die Paula dran gedreht“, schimpfte Ria, „und die Theke hat sie auch nicht geputzt“.

Zwei Monate später. Liesbeth und Ria waren gerade gegangen. Auch Sigrid und Paula packten ihre Sachen. Sie hatten heute den gleichen Weg, eine Gelegenheit für ein ernstes Gespräch.
„Paula, ich glaube zu wissen, warum du nicht mit uns klarkommst. Wir merken, dass du uns auf Abstand halten willst. Als wir dir das Du angetragen haben, bist du darauf eingegangen, aber es kostet dich immer wieder Überwindung, das spüren wir ganz genau. Und am Rosenmontag hast du gekniffen und hast dich krank gemeldet, nur weil du dir keine rote Nase und ein Hütchen verpassen lassen wolltest.“
Paula schluckte.
„Sigrid, ich passe einfach nicht richtig in euern Klüngel, und mit Duzen allein ist Abneigung nicht zu überwinden. Dass ihr euch über meine norddeutsche Aussprache lustig macht, weiß ich längst. Das wäre nicht so schlimm, aber Ria und die falsche Liesbeth können mich absolut nicht leiden. Ich sehe einfach schwarz für mich, und die Chefin ist auch eine Einheimische. Ich bin ziemlich ratlos“.
„Paula, gib nicht auf“.

Paula versuchte es noch einmal, aber es führte zu nichts. Sie war dringend auf Arbeit angewiesen, doch das Klima war unerträglich geworden, und Sigrid war zu schwach, um ihr wirklich beizustehen. Seit zwei Wochen herrschte, abgesehen von unvermeidlichen jobbedingten Zurufen, eisiges Schweigen zwischen ihr und ihren beiden Feindinnen. Die mitleidigen Blicke eines Kunden, der sie wohl schon länger im Auge hatte, gab ihr den Rest. Morgen würde sie kündigen.
Vielleicht hatte sie sich auch nicht ganz richtig verhalten, aber die Sache war einfach zu verfahren. Es würde jetzt sicher sehr schwierig werden, Arbeit zu finden, doch sie hatte wenigstens Frieda, die beim Sozialamt tätig war. Sie würde sicher alles tun, um ihr noch einmal zu helfen.
Ja, sie hatte Friedas Geduld oft strapaziert. Sie erinnerte sich wieder an den Satz „Paula, wenn du nicht auf die Leute zugehst – von allein kommen die nicht“.
Die Zeit der vor ihr liegenden Arbeitslosigkeit würde sie nutzen, um sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen.

Ein Jahr später entdeckte der mitleidige Kunde von einst Paula auf einer Parkbank. Er setzte sich zu ihr, und sie unterhielten sich angeregt und fröhlich – eine völlig veränderte Paula.
Die Selbsthilfegruppe hatte ihr gut getan, und vor allem hatte sie dort einen etwas jüngeren Mann kennen gelernt, der ihr Lebensfreude und Selbstvertrauen zurückgab. So hatte sie auch wieder eine Arbeitsstelle gefunden, die ihr zusagte.

Als sie ihren Bericht beendete, gab sie ihrem Gesprächspartner noch etwas mit auf den Weg:
„Wenn Sie noch in dem Laden kaufen, bestellen Sie der Bagage einen schönen Gruß von mir“.
 



 
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