Mondfrau

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Von Beginn an sagte mir mein Geliebter, ich sei schön wie der Vollmond. Wenn ich ihn küsste, stöhnte er aus tiefstem Herzen: „Ach, Al-Kamer, schön wie der Mond bist du.“

Er stammte aus Marokko aus einem kleinen Dorf am Wüstenrand. Er sah mich an und sagte: „Deine Haut hat die Farbe des Wüstensandes, ihre Wärme ist die Wärme der Wüste nach Sonnenuntergang. Meine Schöne, deine Haare sind wie das Wüstengras, wenn es frisch aus der Erde sprießt nach einem seltenen Regenguss. Du duftest wie die kleinen blauen Blumen in der Oase Al-Wadi. Aber das Schönste ist dein Gesicht, es leuchtet wie der Mond. Wenn du aus der Wüste stammst, lernst du die Kraft der Sonne zu fürchten. Nachts aber erscheinen Milliarden Sterne am Himmel und am Hellsten leuchtet der Vollmond. Man liegt auf dem Rücken, schaut in den Nachthimmel und nach einer Weile bleibt dir nichts anderes übrig, als in den Vollmond zu starren, weil seine Schönheit dir keine andere Wahl lässt. Genauso geht es mir mit dir, Habibi.“

„Ach, mein Geliebter“ seufzte ich, „ich hoffe, du wirst mich immer so in Erinnerung behalten, auch wenn ich alt und grau bin.“

„Ich bete zu Allah und bitte ihn nur um das Eine, lass meine Liebe zu dir nie erlöschen, genauso wenig wie meine Liebe zum Mond, denn für mich seid ihr ein und dasselbe.“

Diese Hingabe meines Geliebten erfüllte mich mit Wärme, mein kaltes, einsames, deutsches Herz wurde erfüllt von der Glut seiner Worte. Ich spürte die Verwandlung, die in mir vorging. Meine Haut bekam einen goldenen Schimmer, meine Hüften rundeten sich, meine Haare flossen in langen Wellen den Rücken hinunter. Meine Augen begannen zu strahlen und ich fühlte mich schön wie der Vollmond. Rund und weiß und strahlend und ruhig und mächtig und lauernd und geduldig wartend auf das Ende der Zeit.

Alle unsere Kinder wurden bei Vollmond geboren. Ich erlangte die Macht über das Wasser. Wenn ich unsere Kinder badete, flüsterten sie: „Mama, Mondfrau, bewege das Wasser“, und ich hielt meine Hände über die Wanne und bewegte das Wasser nur mit meinem Willen hin und her. Wenn ich sie zu Bett brachte, sagten sie: „ Mama, leuchte uns in der dunklen Nacht, so dass wir uns nicht fürchten müssen“ und ich setzte mich in den Schaukelstuhl an ihrem Bett und wiegte mich sacht im Strom der Gezeiten. Ich wachte über ihren Schlaf und leuchtete mit meinen Mondstrahlen in jede Ecke des Zimmers, um das Böse fern zu halten.

Als die Kinder groß waren und aus dem Haus, kam mein Geliebter zu mir und sagte: „Habibi, heute Nacht ist Vollmond, deine Schönheit wird alles überstrahlen!“

Mir liefen die Tränen aus den Augen: „Ach mein Geliebter, wie kannst du das sagen, sieh nur, unsere Kinder sind aus dem Haus, ich bin alt geworden. Meine Haare sind ergraut, wie kannst du mich noch schön finden?“

„Für mich bleibst du immer das Schönste, was Allah geschaffen hat. Du kannst zwar älter werden, aber dein Leuchten wird immer stärker. Ich habe dir vor 30 Jahren gesagt, du bist schön wie der Mond und genauso wie der Mond ist deine Schönheit für mich unvergänglich.“

Ich glaubte ihm und glaube ihm bis heute. Wenn wir nun, zwei greise Liebende, im Schneckentempo über die Wiesen wandern, zeigt mir mein Geliebter die Mondsichel am Himmel und sagt: „Ich kann es kaum erwarten bis wieder Vollmond ist.“
 



 
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