Monster's Ball

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Nightingale

Mitglied
Erst gelöscht, jetzt doch wieder drin..

Monster's Ball

Die letzte Nacht der Erde steigt,
vom Lichtgeschrei ward alles taub,
die Menschen feiern tiefgeneigt,
alte Frauen sammeln Laub.

Durch Lichtventile prall gefüllt,
schwell'n wie blasse Luftballons:
Spieg'lungen. Wie Flug und Fall
steigt das alles ab und auf:
Ein Fingerzeig nur und es knallt.

In ihrem rosa Sarg: ‘ne Frau,
lauscht ihrem Mann, der wild jongliert
mit Macht, Besitz. Ihr Name fällt:
Sie hängt sich mit dem Hörerkabel
auf der Karte war noch Geld.

Im Zitterschein des nächt'lich Babels
weint ein Pantomime weiß.
Er tastet, als wär um ihn Glas,
bis das Blitzlicht ihn verzehrt,
weil er zu schrei‘n vergaß.

Die letzte Nacht der Erde steigt,
vom Lichtgeschrei ward alles taub,
die Menschen feiern tiefgeneigt,
alte Frauen sammeln Laub.

Phrasenglitter lang ermattet,
glitzert fahl durch ihr Gekicher.
Wie Luftschlangen hängen die Glieder,
von Flüsterküssen ausgehaucht,
um Gestalten, schlaff erwidert.

Alle Plätze sind verbraucht,
ein Kind taumelt zwischen den Gleisen.
Es spielt dort, wartend auf die Bahn,
,,Himmel, Hölle“. Es vergisst
die Zeit und wird dann überfahr’n.
 

Inu

Mitglied
Das ist der interessante Versuch eines expressionistischen Wort-Gemäldes

und hat mich sofort an diesen Vers erinnert:


Aus Weltende (1911) -

Jakob van Hoddis

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
----

Deinen Gedichtinhalt find ich gut bis auf die Zeile von den alten Frauen, die sanft und gemächlich Blätter aufsammeln. ( Heutzutage tun alte Frauen ganz andere Dinge :-D )
aber die Form scheint mir noch nicht richtig gelungen, tolle Ansätze sind jedenfalls schon da

LG
Inu
 

Nightingale

Mitglied
Dankeschön für eure Kommentare. Als ich das Gedicht schrieb war ich konkret von Lichtensteins ,,Die Dämmerung" und van Hoddis ,,Weltende" inspiriert, bzw. habe mich am Reihungsstil versucht. Schön, dass man das ein bisschen herausliest und noch schöner, dass es euch scheinbar gefällt, denn der Stil ist nicht jedermanns Geschmack. Ich selbst fand van Hoddis Gedicht grauenhaft, bevor ich mich näher damit befasste.
Was stimmt mit der letzten Strophe nicht?
 

Walther

Mitglied
Lb. Nightingale,

bei Hoddis stimmt aber wenigstens das Metrum. Und das ist eines der wesentlichen Probleme Deines Gedichts. Es will nicht fließen.

Gedichte sind mit den Liedern verwandt, und da muß man das verlangen dürfen, vor allem dann, wenn sonst versucht wird, "Form zu wahren".

Kurz: Es wäre nicht schlecht, wenn Du Deinen Text jetzt einmal bearbeiten könntest, damit wir sehen können, daß unsere Hinweise auf fruchtbaren Boden fallen.

Gruß W.
 

Nightingale

Mitglied
Ist halt so eine Grundsatzfrage, ob es nur zwei Extreme geben darf: Die metrisch durchgängige Form mit ebenfalls konstantem Reimschema oder die völlige Formlosigkeit. Ich kann diese Sichtweise durchaus nachvollziehen. Ich hab hier nur das Gefühl, dass keins von beidem sich dem Inhalt fügt. Einerseits möchte ich Chaos ausdrücken, was für ein Gedicht ohne Form spricht, andererseits will ich das Grauen herabwertend als eine logische Konsequenz darstellen. Ein durchgängiges Metrum würde auch so manches Bild zerstören und den Inhalt der Form unterordnen ist ja auch nicht Sinn der Sache.
Ich muss mir da erst mal eine klare Meinung zu bilden, ob ein Zwischending tatsächlich indiskutabel ist.
 

Walther

Mitglied
Lb. Nightingale,

hier geht es nicht darum, Dir mit dem Metronom Mores zu lehren. Das möchte ich hier nochmals richtig stellen. Ich selbst schreibe immer wieder gerne Vers libre (der nicht unbedingt gereimt und mit festem Metrum ist :D), und es gibt so manchen hier, der mir rät, ich solle doch lieber dabei bleiben, das könne ich besser als den Rest, den ich so schriebe. Dem will ich nicht widersprechen, denn man selbst ist sein schlechtester Kritiker.

Hier sind wir im Forum "Gereimtes", und da erwartet, auch wegen der sonstigen formalen Aspekte Deines Gedichts, der Leser genau das, nämlich "Gereimtes". Ich habe nicht umsonst darauf hingewiesen, daß Hoddis sein Handwerk in Sachen Metrum und Reim beherrscht hat - das hat ihn nicht daran gehindert, expressionistische Gedichte zu schreiben, wie wir wissen.

Du mußt Dich entscheiden, freie Form, dann "Ungereimtes" oder "Experimentelles", formstrengem vorzugsweise gereimte Werke, dann in "Gereimtes". So mittenmang, das geht nicht.

LG W.
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Nightingale,

gut das Du es noch mal eingestellt hast.
Ich finde es interessant und möchte zwei Anmerkungen machen:
1. das Gedicht gehört unbedingt ins Forum Experimentelles und das ist überhaupt nicht abwertend gemeint. Ich meine eher, dass es dort bei den Freunden diesbezüglicher Lyrik vermehrte Aufmerksamkeit hervorrufen wird und damit wertungstechnisch auch den ihm zustehenden Rang bekommt.
Formalitäten, wie Metrum und dgl. sind dort nebensächlich. Ich selber lese dort auch gerne.
2. Dem Gedicht fehlt m.E. das Ende. Das ist für mich sein größter Schwachpunkt. Ein Ausklang, wo sich entweder alles aufklart, oder alles ins totale Chaos stürzt gäbe der Handlung einen nachvollziehbaren Verlauf. Jetzt wird dem Leser nur aufgezählt. Die Aufzählung verfolgt aber in der Regel den Zweck, abstrakte Handlungsfäden einer finalen Auflösung zuzuführen. Erst diese erzeugt beim Leser die befriedigende Erkenntnis, einem Leseerlebnis beigewohnt zu haben. Diesen Eindruck zu vermitteln schafft Dein Gedicht bei mir jedenfalls nicht, weil es mich auf der Schlussgeraden im Regen stehen lässt.

Viele Grüße
Sta.tor
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

man muss in der letzten strophe dreimal um die ecke denken und findet die logik trotzdem nicht, das wollte ich bemängeln.
lg
 

Nightingale

Mitglied
Die letzte Strophe ist tatsächlich schwer zu verstehen.
Ich persönlich hatte dieses Bild als Metapher für die Perspektivlosigkeit des Kindes vor Augen, das keinen Raum mehr in der Stadt findet, um sich zu entfalten (Verschwinden der Straßenkindheit). Es ist unsicher und taumelt, wie beim ,,Himmel und Hölle"-Spiel meistens üblich, auf den Gleisen, was an sich sehr befremdlich erscheint. Der Gegensatz im Spielenamen könnte außerdem in diesem Kontext nochmal seine Zerrissenheit zeigen, was es von seinem Leben denken soll, obwohl es interpretatorisch vielleicht etwas zu weit gegriffen wäre, den Spielenamen Gott weiß wie zu analysieren. Darin liegt evtl. eine Schwierigkeit bei der Erschließung.
Der Bahnhof, dachte ich mir, steht für das Warten des Kindes darauf, endlich aus seinem Leben entfliehen zu können und Erwachsen zu werden. Doch es ist zu lange unsicher, findet keinen Platz im Leben und gerät quasi ,,unter die Räder". So ähnlich hatte ich es im Sinn.

@Flammarion: Denkst Du nicht, dass der dramatische Höhepunkt damit erreicht ist?

P.S. Ich arbeite an einer reimlosen Version dieses Gedichts, vllt. stell ich die noch in Ungereimtes.
 

Nightingale

Mitglied
Metrische verarbeitete Version:

Monster's Ball

Die letzte Nacht der Erde steigt,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Die Menschen feiern tiefgeneigt
Und Winde sammeln letztes Laub.

Wie fern aus dem Laternenschein:
Das Eissternirrlicht. Wie es fällt!
Ein Pärchen tanzt am Rand der Straß‘
Zum ewig selben Ritornell
In ewig selben leeren Spaß.

Der Phrasenglitter lang schon fahl
Der glitzert leicht durch ihr Gekreisch.
Von Flüsterküssen ausgehaucht,
Wie Luftschlang’n, welche längst verbleicht,
Häng‘n Arme um sie, längst verbraucht.

Durch Lichtventile prall gefüllt,
So schwell’n wie blasse Luftballons:
Vitrinenspiegel abends grau.
Die Bilder schweben ab und auf
Durch Straßen, mitgezogen, rau.

Im rosa Sarg steht eine Frau.
Sie lauscht ihr’m Mann der wild jongliert
Mit Macht, Besitz, ihr Name fällt.
Sie hängt sich mit dem Kabel hier
Auf ihrer Karte ist noch Geld.

Derweil im Zitterlicht der Nacht,
Verstirbt ein Pantomime weiß.
Er schwimmt mit der Gebärde matt
Noch während ihn das Licht verspeist
Weil er zu schrei‘n vergessen hat.

Ein Kind spielt wartend auf dem Gleis
Der Zeit. Es balanciert verträumt
Und ohne Netz, mit Ruß geschminkt,
Und passt nicht auf, die Zeit versäumt.
Es stirbt bevor der Sprung gelingt.

Schon lang ist dieser Traum jetzt her,
Nun lieg ich tief im Massengrab
Der Illusionen. Leiernhall
Des Menschenschwalls im Licht gelabt,
Im Angesicht zu nichts zerfall’n.

Wer war es, der mir Hoffnung gab?

Die letzte Nacht der Erde stieg,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Und während man vergessen schwieg
Verwehten Winde letztes Laub.
 

Nightingale

Mitglied
Metrische verarbeitete Version:

Monster's Ball

Die letzte Nacht der Erde steigt,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Die Menschen feiern tiefgeneigt
Und Winde sammeln letztes Laub.

Wie fern aus dem Laternenschein:
Das Eissternirrlicht. Wie es fällt!
Ein Pärchen tanzt am Rand der Straß‘
Zum ewig selben Ritornell,
In ewig selben, leeren Spaß.

Der Phrasenglitter lang schon fahl,
Der glitzert leicht durch ihr Gekreisch.
Von Flüsterküssen ausgehaucht,
Wie Luftschlang’n, welche längst verbleicht,
Häng‘n Arme um sie, längst verbraucht.

Durch Lichtventile prall gefüllt,
So schwell’n wie blasse Luftballons:
Vitrinenspiegel, abendgrau.
Die Bilder schweben ab und auf
Durch Straßen, mitgezogen, rau.

Im rosa Sarg steht eine Frau.
Sie lauscht ihr’m Mann der wild jongliert
Mit Macht, Besitz. Ihr Name fällt.
Sie hängt sich mit dem Kabel hier
Auf ihrer Karte ist noch Geld.

Derweil im Zitterlicht der Nacht,
Verstirbt ein Pantomime weiß.
Er schwimmt mit der Gebärde matt,
Noch während ihn das Licht verspeist
Weil er zu schrei‘n vergessen hat.

Ein Kind spielt wartend auf dem Gleis
Des Lebens, balanciert verträumt
Und ohne Netz, mit Ruß geschminkt
Und passt nicht auf, die Zeit versäumt
Und stirbt bevor der Sprung gelingt.

Schon lang ist dieser Traum jetzt her,
Nun lieg ich tief im Massengrab
Der Illusionen. Leiernhall
Des Menschenschwalls im Licht gelabt,
Im Angesicht zu nichts zerfall’n.

Wer war es, der mir Hoffnung gab?

Die letzte Nacht der Erde stieg,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Und während man vergessen schwieg
Verwehten Winde letztes Laub.
 

Nightingale

Mitglied
Metrische verarbeitete Version:

Monster's Ball

Die letzte Nacht der Erde steigt,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Die Menschen feiern tiefgeneigt
Und Winde sammeln letztes Laub.

Wie fern aus dem Laternenschein:
Das Eissternirrlicht. Wie es fällt!
Ein Pärchen tanzt am Rand der Straß‘
Zum ewig selben Ritornell,
In ewig selben, leeren Spaß.

Der Phrasenglitter lang schon fahl,
Der glitzert leicht durch ihr Gekreisch.
Von Flüsterküssen ausgehaucht,
Wie Luftschlang’n, welche längst verbleicht,
Häng‘n Arme um sie, längst verbraucht.

Durch Lichtventile prall gefüllt,
So schwell’n wie blasse Luftballons:
Vitrinenspiegel, abendgrau.
Die Bilder schweben ab und auf
Durch Straßen, mitgezogen, rau.

Im rosa Sarg steht eine Frau.
Sie lauscht ihr’m Mann der wild jongliert
Mit Macht, Besitz. Ihr Name fällt.
Sie hängt sich mit dem Kabel hier
Auf ihrer Karte ist noch Geld.

Derweil im Zitterlicht der Nacht,
Verstirbt ein Pantomime weiß.
Er schwimmt mit der Gebärde matt,
Noch während ihn das Licht verspeist
Weil er zu schrei‘n vergessen hat.

Ein Kind spielt wartend auf dem Gleis
Des Lebens, balanciert verträumt
Und ohne Netz, mit Ruß geschminkt
Und passt nicht auf, die Zeit versäumt
Und stirbt bevor der Sprung gelingt.

Schon lang ist dieser Traum jetzt her,
Nun lieg ich tief im Massengrab
Der Illusionen. Leiernhall
Des Menschenschwalls im Licht gelabt,
Im Angesicht würd' ich zerfall’n.

Wer war es, der mir Hoffnung gab?

Die letzte Nacht der Erde stieg,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Und während man vergessen schwieg
Verwehten Winde letztes Laub.
 

Nightingale

Mitglied
Metrische verarbeitete Version:

Monster's Ball

Die letzte Nacht der Erde steigt,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Die Menschen feiern tiefgeneigt
Und Winde sammeln letztes Laub.

Wie fern aus dem Laternenmond:
Das Eissternirrlicht. Wie es fällt!
Ein Pärchen tanzt am Rand der Straß‘
Zum ewig selben Ritornell,
In ewig selben, leeren Spaß.

Der Phrasenglitter lang schon fahl,
Der glitzert leicht durch ihr Gekreisch.
Von Flüsterküssen ausgehaucht,
Wie Luftschlang’n, welche längst verbleicht,
Häng‘n Arme um sie, längst verbraucht.

Durch Lichtventile prall gefüllt,
geschwoll’n wie blasse Luftballons:
Vitrinenspiegel, abendgrau.
Die Bilder schweben ab und auf
Durch Straßen, mitgezogen, rau.

Im rosa Sarg steht eine Frau.
Sie lauscht ihr’m Mann der wild jongliert
Mit Macht, Besitz. Ihr Name fällt.
Sie hängt sich mit dem Kabel hier
Auf ihrer Karte ist noch Geld.

Derweil im Zitterlicht der Nacht,
Verstirbt ein Pantomime weiß.
Er schwimmt mit der Gebärde matt,
Noch während ihn der Raum verspeist
Weil er zu schrei‘n vergessen hat.

Ein Kind spielt wartend auf dem Gleis
Des Lebens, balanciert verträumt
Und ohne Netz, mit Ruß geschminkt
Und passt nicht auf, die Zeit versäumt
Und stirbt bevor der Sprung gelingt.

Schon lang ist dieser Traum jetzt her,
Nun lieg ich tief im Massengrab
Der Illusionen. Leiernhall
Des Menschenschwalls im Licht gelabt,
Im Angesicht würd' ich zerfall’n.

Wer war es, der mir Hoffnung gab?

Die letzte Nacht der Erde stieg,
Vom Lichtgeschrei ward alles taub,
Und während man vergessen schwieg
Verwehten Winde letztes Laub.
 



 
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