Mord an meinem Chef

Andreas

Mitglied
Die Größe des Geldes

Nur selten war ich so gut gelaunt wie an diesem verregneten Freitag.
Die Wassertropfen liefen mir über das Gesicht und drangen unerbittlich durch meinen dünnen Pullover und rannen an meiner Haut herunter.
Überall liefen die Menschen wie aufgeschreckte Ameisen umher und suchten Schutz unter den Vordächern der kleinen Straßenläden ; ich hatte nur ein Lächeln für sie übrig.
Endlich war diese Sklaverei vorbei. Nie wieder mußte ich in das aufgeschwemmte Gesicht dieses Möchtegern Chefs blicken und seine vor Freude glänzenden Augen sehen, wenn er wieder eines dieser armen Schweine vor der ganzen Belegschaft heruntergeputzt hatte.
Aber nicht mit mir; nicht mit Thomas Korn.
Er hatte es versucht und er hatte dafür die Quittung bekommen.
Ob er mich jetzt wohl sieht?
Wohl kaum. Dieses Schwein ist bestimmt mit Pauken und Trompeten in die unterste Etage gefahren.
„Herr Korn, Ihre Abrechnung weicht um 5,98 DM ab. Können Sie mir das erklären?
Sie sollten mit meinem Geld etwas sorgfältiger umgehen. Haben wir uns verstanden. Prüfen Sie das sofort nochmals nach“.
Seine Worte klangen wie eine schallende Ohrfeige in meinem Gehirn. Für einen kurzen Moment wurde mein Lächeln zu einer Grimasse.
5,98 DM und deswegen regte sich dieser Typ so auf.
Jeden Tag landeten in unseren Kassen Beträge, von denen manche Firma nur träumen konnte.
5,98 DM; nun hat er sie.
Mein Lächeln kehrt wieder zurück.
Wie er gefleht hat. Ja, als wir alleine waren, da hatte er keine so große Klappe mehr gehabt.
„Tun Sie das nicht Herr Korn. Denken Sie doch an Ihre Zukunft.“
Meine Zukunft. Die konnte jetzt eigentlich nur noch besser werden.
Wie er geschluckt hat. Die Zehnpfennig Stücke gingen gerade noch so, bei den Markstücken wurde es bereits schwieriger und mein kleines Sahnebonbon, der stattliche Fünfer, gab ihm den Rest.
Was solls? Ich habe meine Schulden bezahlt.
Mein Lächeln tut schon fast weh. Lange ging es mir nicht mehr so gut.
Habe ich auch wirklich an alles gedacht?
Ich trug Handschuhe, das Geld hatte ich vorher nochmals mit einer Zahnbürste gründlich gereinigt, meine Schuhe habe ich weggeworfen und mein Alibi...
Hier mußte ich mir noch etwas einfallen lassen.
Frau Müller aus dem Sekretariat haßte diesen Penner. Kann ich ihr vielleicht mein kleines Geheimnis anvertrauen? Nein, zu gefährlich, keine Mitwisser.
Ein Alibi ...
Ich lag im Bett ... nein, das ist nicht gut genug.
Was verdammt macht man, wenn es regnet?
Ein Alibi ...
Ich schicke ein Fax an die Firma. Die Systemzeit am Computer setze ich zurück.
„ Habe den Fehler gefunden ...“ verdammt das funktioniert nicht. Das Faxjournal würde die tatsächliche Uhrzeit anzeigen.
Ich müßte die Uhrzeit am Fax zurückstellen ...
Unsinn, da müßte ich wieder zurück in die Firma.
Ob man ihn schon gefunden hat. Blöder Mist.
Mein Lächeln ist nicht mehr ganz so wie es sein sollte.
Ein Alibi... ich brauche ein beschissenes Alibi...
„Entschuldigen Sie, könnten Sie mir etwas Kleingeld für die Parkuhr wechseln“
„Was...“
Dieser blöde Penner, soll sich zum Teufel scheren. Moment, vielleicht ...
„Aber sicher, junger Mann. Wieviel brauchen Sie den?“
„Könnten Sie mir ein Fünfmarkstück wechseln? Das paßt leider nicht in die Parkuhr“
Der Blondschopf lächelt mich freundlich an.
„Ja, so ein Fünfmarkstück ist schon verdammt groß“.
Mein breites Grinsen kehrt kurz zurück.
„Haben Sie einen Großeinkauf gemacht?“.
Vielleicht kann ich mir ein Alibi verschaffen ...


Der junge präsentiert mir stolz einen neuen Nintendo 64. Albernes Spielzeug, aber es könnte meinen Hals aus der Schlinge ziehen.
Die Tüte verrät mir, das es ein großes Kaufhaus in der Nähe ist.
Freitag Nachmittag, die Leute gehen zu Tausenden ein und aus. Niemand könnte sich an mich erinnern, da muß nur noch eines stimmen ...
„Hey, das Ding suche ich schon überall. Was hast du dafür bezahlt?“
Der Blondschopft nennt mir den Preis.
„Ich gebe dir einen Hunderter mehr, als du bezahlt hast, wenn du es mir verkaufst.
Mein Sohn hat Geburtstag und ich brauche dringend ein Geschenk. Aber ich habe keine Zeit, bin im Terminstreß“.
Kurze Pause.
„Hundert Mark mehr, als ich bezahlt habe?“
„Ja, Bar auf die Hand“.
Der Blondschopf schaut mich mißtrauisch an.
„OK“.
Ich gebe ihm das Geld und nehme das Spielzeug entgegen, das in meinem Schrank ungeöffnet verschwinden wird.
„Ich brauche noch deinen Kassenzettel wegen der Garantie“, und natürlich wegen meinem Alibi.
Treffer. Da steht es schwarz auf weiß. 14.30 Uhr in einem Ort der etwa dreißig Kilometer von hier entfernt liegt. Niemand wird mir etwas nachweisen können.
Ein Alibi für fast Vierhundert Mark.
In meiner Hosentasche fühle ich das Fünfmarkstück, welches ich dem Jungen gewechselt hatte.
Es ist in der Tat verdammt groß.
 

Andrea

Mitglied
7 von 10 Punkten

Insgesamt eine schöne Geschichte, flüssig geschrieben (auch wenn ich die große Lücke nicht verstehe - Layoutfehler oder Absicht?), dabei nicht zu "lehrerhaft". Man versteht zwar sofort, worum es geht, hat aber zumindest im Ansazt noch das Gefühl, ganz von selbst draufgekommen zu sein.

Aber eine Sache müßtest du mir dann doch noch erklären: Herr Korn läßt (so habe ich es verstanden und so fände ich es am stimmungsvollsten) seinen depotischen Chef an genau dem Betrag ersticken, der ihm vorher angekreidet wurde. Wie aber setzt man 5,98 DM aus Groschen, Markstücken UND einem Fünfer zusammen?!? Oder muß der arme Mann solange Geld schlucken, bis er tot ist?

Bliebe die Frage, ob man an Geldmünzen tatsächlich ersticken kann - aber das ist eher eine lästige Frage im Nachhinein, denn für die Geschichte kann man es, und das ist das Wichtige.

Gruß
 

Andreas

Mitglied
Hallo Andrea,

danke für dein Lob.

Ja, ich muß zugeben, daß du richtig gut aufgepasst hast.
Ich habe tatsächlich den falschen Betrag eingegeben.
Eigentlich sollten es 7,95 DM sein, dann würde es auch mit den Markstücken stimmen.
Die Lücke im Text ist ein Layoutfehler.

Nochmals danke für die Antwort.
Andreas
 



 
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