Morgendämmerung

Ein weißer Schleier liegt auf deinem Gesicht
Deine Lippen sind trotzdem blutrot
Ich habe sie mit Lippenstift nachgezogen
Deine halb geschlossenen Augen werden von deinem schwarzen Kajal betont
Sie glänzen immer noch, weil ich sie mit Salzlösung feucht halte
Du duftest nach deinem Lieblingsparfum
Du trägst dein dunkles Nachtkleid
Ich habe es dir wieder angezogen nachdem ich dich und es gewaschen habe
Es hebt sich schön ab von der schneeweißen Bettdecke
In unserem metallenen Himmelbett siehst du aus wie eine Prinzessin die schläft
Auf deinem Nachttisch steht noch dein halbleeres Rotweinglas neben meinem geleerten
Ich habe dir immer wieder ein paar Tropfen gegeben, um mit dir gemeinsam zu Trinken
Auf der Kommode steht noch eine rote Rose in der Vase, sie hat sich bereits ganz geöffnet
Den Raum erhellen ein paar Kerzen, die deine Schönheit fahl ausleuchten
Aus den versteckten Lautsprechern erklingen leise gregorianische Gesänge
Mir ist kalt obwohl ich schon den schwarzen Mantel trage
Aber es ist besser zu frieren, um deine Schönheit so lange wie möglich zu erhalten
Seit du vorgestern im Halbdunkel des Abends aufhörtest zu atmen, wache ich jede Minute an deiner formvollendeten Lagerstätte
In der Morgendämmerung habe ich die Fenster verdunkelt, um unsere letzte Nacht noch zu verlängern
Ich habe dir ein wenig von meinem Kaffee gegeben
Lange werden wir nicht mehr alleine sein können
Der Arzt hat schon angerufen, er wird mir bald nicht mehr glauben
Ich habe schon für eine angemessene Versorgung unserer Leichname gesorgt
Keine Kränze nur dreitausend rote Rosen überall um und in unser Grab verstreut
Nur je eine weiße Rose in unseren Händen
Ich habe mich jetzt neben dich gelegt
Nun werde ich dir in deine Postexistenz folgen
Deine Schmerzmittel reichen noch für mich, um mein Leben zu überwinden
In ein Paar Stunden werden wir uns wieder sehen
Nun wird auch mein Leib für immer schlafen nach dieser letzten langen Nacht
Ich werde müde
Bald bin ich wieder bei dir
 



 
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