Morgenstund'

junior

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Kling, Glöckchen, klingeling!

Nein, nein! Keine Angst, hier ist jetzt nicht zum hunderttausendsten Mal davon die Rede, wie sehr mir alljährlich die Verkommerzialisierung des Weihnachtsfestes die Laune verdirbt. Vielmehr ist von einem Ärgernis die Rede, das mir tagtäglich die Lebensfreude nimmt.
Ich meine das Aufstehen in der Früh, wo das Bett am wärmsten, der Polster am weichsten und der Schlaf im Allgemeinen, und mein Schlaf im Besonderen, am tiefsten ist.

Früher, als ich noch ein junger und dummer Taugenichts und Siebenschläfer war, da habe ich mir mein Leben und meinen Beruf süß und lecker vorgestellt. Wollte ich doch nichts Anderes als Zuckerbäcker, hochdeutsch Konditor, werden. Als leuchtendes Vorbild hatte ich meinen Onkel vor Augen.
Er ist seines Zeichens Bäcker- und Konditormeister. Als ich noch ein kleiner Pforzer war, erschien er mir so unglaublich groß und stark, und jedes Mal beteuerte er, seine vielen Muskeln kämen nur vom Pudding-Essen.

Nun, wie gesagt, ich war jung und dumm und glaubte ihm die Fabel unbesehen. Heutzutage ist mir natürlich bekannt, dass man von zu viel Pudding keine Mukis bekommt, aber jede Menge Karies und einen dicken Bauch. Seine Märchen habe ich meinem Onkel natürlich nicht übel genommen, wiewohl ich bis heute nicht schlüssig belegen kann, woher sein nicht unbeträchtlicher Bizeps wirklich kommt. Ich kenne alle Männer unseres Familienzweiges, und genetisch bedingt kann die Angelegenheit nicht sein.

Darüber hinaus ist mir auch unerklärlich, wie sich besagter Onkel schon im zarten Alter von 17 Jahren eines prächtigen Vollbartes rühmen konnte, wohingegen bei mir bis heute an Kinnlade und Wange eher babypopoähnliche Zustände herrschen.

Der Punkt, warum ich meinen frühkindlichen Berufstraum nicht zu meinem Traumberuf gemacht habe, lag in der wohlbekannten Tatsache begründet, dass die Torten und Brot backende Zunft gar so früh aufstehen muss, um ihr Tagwerk zu beginnen. Und dieses war mir schon von jeher ein Grauen.

Was ich damals allerdings nicht wissen konnte - in meinem späterhin gewählten Beruf sollte ich mich vom Regen in die Traufe begeben. In der Sparte, in der ich tätig bin, ist es keine Seltenheit, bis weit nach Mitternacht zu arbeiten, bzw. schon um vier Uhr in der Früh mit unserer hochinteressanten Profession zu beginnen. Unnötig hinzuzufügen, dass natürlich auch in der Zeit zwischen ein und drei Uhr morgens viel Arbeit anfällt, die leider mitunter auch von mir erledigt werden muss.
Hier möchte ich allerdings betonen, dass mich die Arbeit an sich nicht im Geringsten anficht, die Uhrzeit ist’s, denn schließlich heißt es nicht umsonst „zu nacht-schlafener Zeit“. Und in Morpheus Armen liege ich fast noch lieber als in denen meiner lieben Gattin.

Dieser Umstand ist es eben, der das morgendliche Munterwerden für mich so erschwert. Wenn die Nacht ohne berufliche Arbeitseinsätze vorrüber-gegangen ist, und mir das Unglück dräut, die Frühschicht in meiner Arbeitsstätte zu repräsentieren, dann fängt in aller Herrgottsfrühe der erste Wecker zu läuten an.

Der erste Wecker, denn ich benötige derer gar Viele, ertönt als Radioweckruf, in Form eines unerträglich gut gelaunten Sprechers, der unerträglich fröhliche Musikstücke in seinen CD-Player stopft und in unerträglicher Lautstärke unerträgliche Bonmots von sich gibt.
Man merkt schon, in der Früh bin ich oft meistens nicht wirklich gut aufgelegt.

Sei es drum, den ersten Weckruf höre ich ohnehin zu hundert Prozent nicht. Allerdings hat dieser Radiowecker die ungute Angewohnheit, sich nicht automatisch von selber wieder auszuschalten. Nun, da ich ohnehin fest weiterschlafe, bekomme ich davon Nichts mit. Lediglich meine Chefin hat diesbezüglich schon die eine oder andere gallige Bemerkung fallengelassen. Selber schuld. Was wird sie denn auch davon munter.

Das führt zur zweiten Stufe meiner morgendlichen Weck-Prozedur. Um den laut plärrenden Radiowecker wieder auszuschalten, muss mein geliebtes Eheweib über mich hinwegklettern, und eine raffinierte Kombination mikroskopisch kleiner Tasten drücken. Das dauert naturgemäß eine ganze Weile, während der die Knie meiner Chefin bequem auf meiner Milz bzw. Leber ruhen.

Viel merke ich davon allerdings nicht, da ich mich gerade in meiner zwölften REM-Phase befinde (mir träumt, ich werde gerade zwischen Mühlsteinen zermalmt, ersatzweise gerate ich unter eine Dampfwalze oder werde von einer Steinlawine verschüttet).

Aufröchelnd sinkt meine Dampfwalze in ihre Kissen zurück und Sekunden später schnarchen wir beide, ich weiter, sie wieder.
Doch kaum beginnt sich wieder der erste Sabbertropfen an meiner Chefin Kinn zu sammeln, ertönt mit lautem Geschrill der zweite Wecker, die dritte Stufe der morgendlichen Weckprozedur.

Der kleine rote Krachmacher aus japanischer Herkunft ist, was den von ihm verursachten Lärm anbelangt, ein ganz Großer seiner Gattung. Er schrillt monoton und ohne Unterlass ca. 20 Zentimeter neben meinem linken Ohr in einer Lautstärke, die dem Nebelhorn der Titanic zur Ehre gereicht hätte.
Dieser Wecker wird von mir selber zum Schweigen gebracht, allerdings befinde ich mich zu diesem Zeitpunkt zumeist immer noch im Halbschlaf. Ein tieferes Vordringen in Schlafes Wattewelt wird mir jetzt allerdings durch Stufe Vier verleidet.
Stufe Vier sind direkte Interventionen der nunmehr leider vollständig erwachten Chefin. Beginnend mit Vier A (ein zärtlicher Kuss und ein „Guten Morgen Schatzi, Aufwachen!“) ergreift sie nun selbst die Initiative, um mich in die grausame und harte Welt der Realität zu befördern.

Da ich aber erfahrungsgemäß auf Vier A selten bis gar nicht reagiere, geht sie anstandslos zu Vier B über. Nonverbal.
Mit einem kräftigen Stoß ihres spitzen Ellenbogens in meinen zarten, ungeschützten Rippenbogen.
Früher glaubte ich oft noch zu träumen, mittlerweile bin ich mir aber sicher, des Öfteren einen fernöstlichen Kung-Fu-Ruf vernommen zu haben, der mit dieser rüden Attacke einhergeht.

Die folgenden Handlungen verübe ich im Zustand einer milden Trance. Meine Brille aufsetzen (eigentlich unnötig, denn die ersten fünfzehn Minuten bin ich ohnehin fast blind), Morgenmantel überwerfen und unser neues Familienmitglied zur Tür hinauswerfen, damit es seine Notdurft verrichten kann.

Da die verehrten Leser zu Recht annehmen können, dass ich kein brutaler Rabenvater bin, zur Erklärung: es handelt sich hier um einen kleinen weißen Hund weiblichen Geschlechtes mit schwarzem Kopf und ebenso geringeltem Wedel. Cindy, so ihr origineller Name, verhilft mir dazu, wirklich aufzuwachen.
Kaum hat sie sich vom ersten Druck befreit, stürmt sie in gestrecktem Schweinsgalopp hügelab zum Hause unseres Nachbarn, um zu überprüfen, ob er nicht versehentlich den einen oder anderen Knochen in seinem Garten liegen lassen hat.

Dies tut sie nicht ohne triftigen Grund, denn wie der unglaubliche Zufall es will, kommt es tatsächlich öfters vor, dass er eine Lammrippe oder ein Hühnerbein neben seinem Wirtschaftsgebäude „vergisst“.
Sollte unser Nachbar einmal versehentlich keine Leckerei im Garten verlieren, bleibt immer noch das ältere Ehepaar im nächsten Haus, das einen Delikatessenladen neben seiner Thujenhecke kultiviert. Ignoranten sagen Komposthaufen dazu.

Bis ich meinen kleinen Kläffer eingeholt habe, liegt mein Ruhepuls bei 120 und der Wauzer hat bereits gefrühstückt. Es folgt die unendliche Geschichte der Rückkehr in den heimischen Haushalt, denn erstens geht es nun hügelan, und zweitens bewegt sich unser Vierbeiner nunmehr im Schneckentempo, jetzt, da die Stimulans der zu erwartenden Komposthaufen-überraschung fehlt.

Berstend vor Energie betrete ich nunmehr mein Badezimmer. Während ich mich rasiere und meine drei verbliebenen Haare wasche, bin ich dank zweier Wecker, den Kniescheiben und dem Ellenbogen meiner Chefin und Hund Cindy vollkommen munter.

Hoffentlich schlafe ich bei Zähneputzen nicht wieder ein!
 



 
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