Müll

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monti

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Müll

Paul Schulze ist beim Arzt. Er hat einen leidenden Ausdruck im Gesicht.
Paul: Doktor, Augen und Nase sind bei mir im Eimer, meine Geschmacksnerven die reinste Katastrophe. Ich rieche nur noch Müll, sehe nur noch Müll, alles schmeckt nach Müll.
Doktor: Nicht schlimm, Herr Schulze. Eine Irritation der Nervenzellen. Dagegen gibt es Mittel.
Paul: Eben. Und dieses Mittel will ich schlucken. Her damit.
Doktor: Immer langsam mit den jungen Pferden. Der Fall interessiert mich. Erzählen Sie. Bin ich für Sie auch Müll?
Paul: Na klar. Sie sind eine verrostete Dose und riechen nach vergammelten Fleischresten.
Doktor: Interessant. Und meine Praxis?
Paul: Ein kleiner Schrottplatz, stinkt nach verbranntem Gummi.
Doktor: Hm, sehr witzig. (Über Sprechanlage ruft er seine Arzthelferin Frau Knoll. Als sie herein kommt, deutet er auf sie.) Und was sehen Sie in ihr?
Paul: Eine verwelkte Narzisse, die bald stinken wird, Doktor.
Frau Knoll (eine Frau an der Schwelle zum Alter): Unverschämtheit. (Sie holt aus und will Paul eine runterhauen. Doch Paul duckt sich rechtzeitig.)
Doktor: Gute Reflexe, alles was recht ist. Sie können wieder gehen, Frau Knoll. (Sie geht mit erhobenem Kopf aus dem Raum.) Wie lange schon empfinden Sie die Welt als Müll?
Paul: Seit zwei Wochen. Es begann damit, dass ich mit einer starken Grippe im Bett lag. Als ich wieder aufstand, merkte ich es. Ich hatte nur noch den Geruch von Stinkkäse in der Nase, und die Welt um mich herum faulte vor sich hin. Selbst das Essen roch wie Harzer Roller.
Doktor: Ich liebe Harzer Roller, ein vorzüglicher Käse.
Paul: Bitte geben Sie mir ein Medikament. Ich will die Welt nicht als Müllberg wahrnehemen. Meine Frau meint zwar, ich würde vielleicht als einziger die Wahrheit der Welt erkennen, das Ding an sich, Sie wissen schon, aber das ist mir wurscht. Ich möchte genauso getäuscht werden wie alle anderen.
Doktor: Die Welt als Täuschung, als Maya, richtig. (Holt aus seinem Wandschrank ein braunes Fläschchen mit winzigen weißen Kügelchen.) Das nehmen Sie, zehn weiße Kügelchen pro Tag. Zuerst werden Sie wieder krank, so mit vierzig Grad Fieber, unter Umständen sterben Sie auch. Aber zu neunzig Prozent werden Sie‘s überleben. Wenn Sie so nach vier Wochen wieder auf den Beinen sind, wird zunächst alles nach Orangen schmecken, die Woche darauf alles nach Kreuzkümmel, dann werden Sie gar nichts mehr riechen, aber dafür schaffen Sie mühelos dreißig Liegestütz. Müll werden Sie keinen sehen, keinen riechen.
Paul (brüllt): Ich will keine Liegestütz schaffen, ich will ganz normal sehen und riechen können.
Doktor: Alles kann man nicht haben.
Paul: Sie meinen, ich werde dann nie wieder normal riechen?
Doktor: Immer langsam mit den jungen Pferden. Sie haben mich falsch verstanden. Ich arbeite mit Homöopathie. Es wird eine Weile dauern, bis Sie gesund sind, auch der Geruchssinn wird sich normalisieren. Nur geht das langsam. Dafür gibt es keine Nebenwirkungen.
Paul: Liegestütz sind keine Nebenwirkung?
Doktor: Keine schädlichen.
Paul: Wie lange wird der Heilungsprozess dauern, ich meine bis ich wieder normal wahrnehme.
Doktor: (zuckt die Schultern) Vielleicht drei Monate.
Paul: Ach Gott, warum können Sie mir keine schneller wirkende Medizin verabreichen?
Doktor: Die gibt es auch, aber dann mit Nebenwirkungen. Magendrücken, Röcheln, Schnarchen, Blähungen, Farbenblindheit, Schwindel, Schreianfälle. Wollen Sie das? Da schlägt die Medizin mit dem Hammer zu, und da gehen Dinge zu Bruch, die eigentlich in Ordnung sind. Homöopathie wirkt sanfter, gründlicher. Mit Hilfe reinen Geistes. (Er hält das braune Fläschchen hoch.) In dieser Flasche ist reiner Geist. Diesem Geist habe ich eingeflüstert, was er zu tun hat.
Paul: Ein Geist? Und der schafft es, mich zu normalisieren? Und wenn ich nicht an Geister glaube?
Doktor: Sollten Sie aber. Ich werde Ihnen vormachen, wie der reine Geist arbeitet. Der Geist der Medizin geht zum Geist der Krankheit und haut ihm auf die Schulter. ,He Alter, sagt er, so geht das aber nicht. Mach Schluss, brich deine Zelte ab. Müll ist nicht gefragt, wollen wir hier nicht haben.‘ Aber der Geist der Krankheit wehrt sich natürlich, will so weitermachen, weil es ihm gut geht. Der Geist der kleinen Kügelchen droht ihm: ,Wenn du so weitermachst, nehme ich dich in den Schwitzkasten.‘ Der Geist der Krankheit lacht nur und sagt: ‚Probiers doch. Da puste ich einmal kräftig und weg bist du.‘ Aber das Lachen vergeht ihm, wenn er dann vom Geist der homöopathischen Medizin in die Mangel genommen wird. Dann bekommen Sie nämlich Fieber, Herr Schulze. Und während beide noch miteinander rangeln, und das kann lange dauern, weil es ein alternatives Rangeln ist, verändert sich Ihre Wahrnehmung nach und nach. Und zuletzt gibt der Geist der Krankheit nach. ,Ich gebe auf, werde woanders mein Heil suchen‘, sagt er, packt seine Koffer und haut mit seiner Müllanschauung ab. Und Sie sind wieder gesund.
Paul: Das ist ja der größte Unsinn, den ich gehört habe, Herr Doktor. Ich glaube nicht an Geister.
Doktor: Dann kann ich Ihnen nicht helfen.
Paul: Geben Sie mir normale Tabletten.
Doktor: Sie meinen die Neandertaler-Tabletten. Ich habe Ihnen die Nebenwirkungen doch beschrieben. Die wirken wie ein betrunkener Cowboy, der mit Schrotflinte in den Saloon kommt und auf alles schießt, was sich regt.
Paul (hebt die Arme und lässt sie wieder fallen): Dann nehme ich halt die Geister-Medizin. (Reißt dem Doktor das Fläschchen aus der Hand.) Ich nehme auf der Stelle zehn Kügelchen.
Doktor: (Schaut zu, wie Paul die Kügelchen schluckt und dann mit einem Gruß den Raum verlässt. Er verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich an den Schreibtisch.) So ist das mit den Menschen. Sie glauben nicht an Geister. Ich aber kenne das Reich der Geister und Schatten. Im Grunde ist alles Geist.
Frau Knoll (schaut zur Tür herein): Was ist? Soll ich den nächsten Patienten reinschicken?
Doktor (setzt sich wieder an den Tisch): Jaja, machen Sie nur. (Er wartet, bis sie weg ist.) Alles ist Geist und deswegen ist alles Einbildung. Aber dass ich heute wieder bis acht arbeiten muss, ist leider keine Einbildung.
 

Rosentraum

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Des Geistes Geist ...

mit lachhaften Nebenwirkungen beim Leser ...
Die Idee ist wohl sicher nicht neu aber illuster gestaltet.
Moege der Spass an der Freude erhalten bleiben.
mit einem leisen servus - der Rosentraum
 



 
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