Nach der Tat

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Kassandro

Mitglied
Nach der Tat​

Er hatte sie zerstückelt. Danach war er weggelaufen aus der Wohnung. Einfach hinaus. Als er zurückkam, sich in die Küche setzte, die mitgebrachte Cognacflasche mit zitternden Fingern aufschraubte, sie an den Mund setzte und in großen Schlucken trank, hätte er nicht sagen können, wo er seit der Tat gewesen war. Einfach weg, nur weg. Er musste umhergeirrt sein, hatte Schnaps geholt, obwohl er nie trank. Bei seiner Tat war er nüchtern und bei klarem Verstand gewesen. Wie hatte es zu seinem blindwütigen Gewaltausbruch kommen können? Er verstand es nicht. Drüben im Wohnzimmer lag sie oder besser das, was seine Raserei aus ihr gemacht hatte.

Er stierte auf die Maserung des Küchentisches und seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Er hatte sie geliebt. Ihre vornehme Herkunft hatte dabei keine Rolle gespielt. Um ihrer selbst willen hatte er sie geliebt. Ganz und gar hatte er sie geliebt, nicht nur in den jubelnden Höhen, die sie miteinander teilten, auch ihr Schluchzen hatte er geliebt. Zärtlich fuhren seine Finger am Hals der Cognacflasche entlang, so, wie sie ihren schlanken, glatten Hals mitunter gestreichelt hatten, und es war ihm, als spüre er an seiner linken Wange noch einmal ihre Berührung. Für einen Moment glaubte er gar, sie zu hören. Die umkippende Hennessyflasche holte ihn jäh aus seinen Erinnerungen. Es war totenstill. Er hatte sie zerstückelt.

Verzweifelt suchte sein Gedächtnis nach dem Mittelstück zwischen der Zeit ihrer großen Liebe und seiner Tat. Wann waren die ersten Misstöne in ihre harmonische Beziehung hineingekommen? Er konnte es nicht sagen. Umso deutlicher sah er jetzt die Bilder des frühen Abends vor sich. Wie er sie mit aller Kraft von sich geschleudert hatte. Wie sie an die Kante des Vertikos geprallt war. Er hörte noch einmal das grässliche Geräusch splitternder Wirbel und sah sich in den Keller hasten, nur noch von dem einen Gedanken besessen: Jetzt gebe ich ihr den Rest! Als er wieder heraufkam, die große Akkusäge in der Hand, fand er sie erbärmlich zugerichtet auf dem Bucharateppich liegen. Wie im Rausch hatte er losgesägt, gleichgültig, dass das kreischende Sägeblatt jedes Mal tief in den Seidenteppich unter ihr einschnitt. Er hatte sie zerstückelt.

Während er sich mühsam vom Küchentisch hochstemmte, flackerten die letzten Bruchstücke seiner Erinnerung auf: Wie er ihre Einzelteile zusammentrug an den Platz, wohin er sie so oft sanft gebettet hatte, als ihre Beziehung noch heil war. Nun war es ihr Sarg. Schwankend ging er durch den Flur und betrat das Wohnzimmer, den Ort seiner Tat. Er kniete auf dem Orientteppich nieder, wo zwei Schritte entfernt von der zerschnittenen Stelle der Geigenkasten lag, klappte ihn auf und blickte auf die Trümmer seiner Stradivari.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Kassandro,

Leider hab ich als erstes das letzte Wort dieser Geschichte gelesen...
(Sehr schön geschrieben (die Geschichte)
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Kassandro,
mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Erst war ich sehr entsetzt über die Grausamkeit, was jedoch schlagartig verschwand, als ich erfuhr, wer das Objekt der Zerstörungswut war. Es wäre interessant, den Hintergrund der Entfremdung zu erfahren, ist aber für die Geschichte nicht notwendig.
Folgende Stellen würde ich weglassen, ich glaube, dann klingt es runder.
Er hatte sie zerstückelt. Danach war er weggelaufen [red]aus der Wohnung[/red]. Einfach hinaus. Als er zurückkam, sich in die Küche setzte, die mitgebrachte Cognacflasche mit zitternden Fingern aufschraubte[red], sie an den Mund setzte [/red]und in großen Schlucken trank, hätte er nicht sagen können, wo er seit der Tat gewesen war. [red]Einfach weg, nur weg.[/red] Er musste umhergeirrt sein, hatte Schnaps geholt, obwohl er nie trank.
Er kniete auf dem Orientteppich nieder, [red]wo zwei Schritte entfernt von der zerschnittenen Stelle der Geigenkasten lag,[/red] klappte [red]ihn [/red][blue]den Geigenkasten[/blue] auf und blickte auf die Trümmer seiner Stradivari.
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Kassandro,

mein erster Gedanke: Eigentlich zerstückelt man keine Stradivari, sondern verkauft sie, wenn man sich "auseinandergelebt" hat.

So richtig zündet bei mir die Geschichte nicht, der Witz bleibt auf der Strecke.

Es wäre glaubhafter, wenn der Prot. sie aus Versehen "zerstückelt" hätte, z.B. durch ein Missgeschick Man könnte ja trotzdem den Leser lange Zeit hinhalten und erst zum Schluss mit "der Wahrheit" auf eine humorvolle Weise herausrücken.

Der Text als solcher liest sich jedoch gut.
LG
MG
 
A

aligaga

Gast
Dass ein Musiker sich von seinem Instrument trennt, kommt schon mal vor. Von den paar Stradivaris, die’s auf der Welt noch gibt und die spielbar sind, trennt er sich unter normalen Voraussetzungen aber nie.

Der Leser fragt sich, warum der Autor für die Erzielung einer billigen Pointe ein so teures Instrument bemühte, ohne uns verständlich zu machen, warum.

Wenn schon eine so exorbitant wertvolle Violine vorgestellt wird, dann sollte sie auch eine angemessene Rolle spielen. Eine Strad hat viel mehr als nur einen Hals, Körper und Wirbel zu bieten, die man nonchalant zertrümmern lässt, und sie kann unendlich viel mehr als bloß blöde schluchzen oder „in den Höhen jubeln“, wie wir immer wieder platt zu hören bekommen, wenn jemand krampfhaft etwas vom Geigen zu schreiben versucht.

Der Autor zeigt uns, dass er es nicht versteht, aus Worten oder Gegenständen herauszuholen, was wirklich in ihnen steckt. Er findet nicht zum geistreichen „Spiel“, das Mehrklänge zu bilden verstünde, sondern erschöpft sich recht banal im mechanischen Herunterkratzen einer dünn klingenden Tonleiter, die uns zu nichts führt: Ein Suffkopp zertrampelt seine Geige. Wow!

Luschtig?

@Ali findet das ungefähr so witzisch wie weiland die über alle Sender gegangenen Bilder von der Zerstörung der Tempelanlage in Palmyra. Haha! Wie die Gipsköpfe gestaubt haben, als sie unter den Hammerschlägen der ISIS zu Bruch gingen!

Kopfschüttelnd

aligaga
 

Tula

Mitglied
Hallo Kassandro

Das Problem ist, dass dieser "Trick" doch bekannt und leicht zu durchschauen ist. Mir war nach der ersten Zeile klar, dass hier kein Mensch zerstückelt worden war. Auch beim Weiterlesen hatte ich da wenig Zweifel.


Zärtlich fuhren seine Finger am Hals der Cognacflasche entlang, so, wie sie ihren schlanken, glatten Hals mitunter gestreichelt hatten, und es war ihm, als spüre er an seiner linken Wange noch einmal ihre Berührung.
Das ist mir etwas zu pathetisch, zumindest hier in dieser Geschichte.

LG
Tula
 
A

aligaga

Gast
Auch eine Strad wird nicht mit der Wange, sondern dem Kinn gehalten. Jedenfalls von denen, die Geige spielen können.

Heiter

aligaga
 



 
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