Nachts V

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Svalin

Mitglied
nur keine Angriffsflächen
den umherirrenden Schatten
man sagt, sie setzen sich fest
auf allem was fahl und farblos ist

gegen die unergründliche Angst
und die Blaßheit unsere Tage
weiter anträumen in der Nacht
für die Farben von morgen

mit jedem Tropfen Blut
der gebraucht wird
in den Traumfabriken
die auf Hochtouren laufen
in einer Zeit wie dieser
wo uns allen die Vorräte
zu schwinden scheinen
und nachts die Farbe
aus unserer Haut

weiß eine Leinwand
und weiß von nichts

_______________
 

La Luna

Mitglied
Hallo Svalin, :eek:)

der Inhalt dieses Gedichts erschließt sich mir schwer, aber ich lese darin die Angst des lyrischen "Ich" den Anforderungen nicht gerecht werden zu können, denen es Tag für Tag ausgesetzt ist.
Es scheint mir, als würde es eine andere Art "Menschsein" anstreben wollen, und doch wissen, dass es mit dem Strom schwimmen muss, um nicht unterzugehen.
So schwierig dieser Text auch ist, oder vielleicht gerade deshalb(?), so interessant ist es auch, sich damit auseinanderzusetzen. Es steckt eine Menge an Gefühlen darin.


Liebe Grüße
Julia
 

Svalin

Mitglied
Hallo Julia

Ich glaube, irgendwie gelingt es mir hier nicht, kaum greifbare Ahnungen zu etwas wirklich Konsistentem zu verbinden. Dennoch habe ich versucht, ausgehend von deinem Feedback (Vielen Dank!), das Ganze etwas zu "konkretisieren":

(Farbenkind)

keine Zuflucht bieten
den umherirrenden Schatten
man sagt, sie suchen sich
was fahl und farblos ist
um es zu ängstigen

wegen der Angst
die unerklärlich
mich meine Farben
mit jedem Tropfen Blut
der noch verfügbar
mühsam träumen läßt

findet die Nacht
blutleere Haut
weiß von all dem
und weiß von nichts

__________________

Was hältst du von dieser Version?

Liebe Grüße
Martin
 

La Luna

Mitglied
Hallo Martin,

hm…die zweite Version deines Gedichtes erscheint mir eher noch nebulöser. Doch im Zusammenhang mit der ersten Fassung gesehen, erhärtet sich die Vermutung, dass sich das lyrische „Ich“ in einem Konflikt mit der Außenwelt befindet.
Im ersten Vers der zweiten Version lese ich die Angst, dass das „Anderssein“ von der Außenwelt erkannt und verurteilt wird.
Im zweiten Vers wird für mich die verlorene Kraft deutlich, die dieses „Theaterspiel“ erfordert. Nur mühsam gelingt es in dem Grau(en), die bunte Welt der Träume heraufzubeschwören. Dieses setze ich mit einer fast verlorenen Hoffnung gleich, welches sich im dritten Vers bestätigt, denn dort ist nur noch Resignation.
Besonders interessant finde ich hier das Spiel mit dem Weiß und dem Wissen.
Man könnte die dritte Zeile der Nacht zuordnen – eben, dass diese alles weiß, oder auch der „Haut“, da die blutleer ist und infolgedessen weiß.
Ja, ich bin mir sicher, dass das wahre „Ich“ Angst hat zu sterben um fortan nur noch ein Zombie der Außenwelt zu sein.


Liebe Grüße
Julia
 

Svalin

Mitglied
Hallo Julia

Danke für deine Mühen! Ich werde dich auch nicht weiter quälen ;-) weil ich mittlerweile glaube, dass der Text missglückt ist. Es liegen ihm wahrscheinlich zu viele unausgesprochene Annahmen meinerseits zugrunde:
Zum einem, dass wir uns unsere Wirklichkeit mit der "Farbe unserer Träume" stets wieder neu bunt malen müssen, weil uns in unserer Lebenswirklichkeit tatsächlich vieles grau und vielleicht auch verschlissen, inhaltlos oder leer erscheint. Zum anderen, dass Menschen spüren, dass diese >Leere< sich ihrer bemächtigen könnte (Schatten), weil es ihnen das Gefühl rauben würde, tatsächlich (und intensiv) zu leben. Menschen brauchen die Bestätigung, dass ihr Leben "sinnvoll" und selbstbestimmt ist, das es Inhalte (Erleben) hat, die es wert sind zu leben. Etwas treibt Menschen jeden Tage aufs Neue weiter an zu denken, zu fühlen, zu hoffen und zu wünschen ... eben weiter zu leben, den Schatten möglichst wenig Raum zu geben. Lebenswille - vielleicht aber auch diese unerklärliche Angst, von der wir nicht wissen, woher sie kommt. Warum diese so erfolgreich (und ohne dass wir es ergründen können) sich unserer bemächtigen kann, wenn wir tagtäglich bemüht sind, unser Leben möglichst "bunt" zu malen, sollte tatsächlich die blutleere Haut andeuten.
Huch ... fast ein kleines "Weltbild" ;-) Das hätte eigentlich alles irgendwie mit in den Text gehört. Fragt sich nur wie? Ich weiß es leider nicht. Ich fürchte, es ist zu komplex, all das zu vermitteln, was hierzu an Gedanken mit umherschwirrt ... nebulös eben. Schön gesagt ;-)

Liebe Grüße
Martin
 

La Luna

Mitglied
Ach Martin, trotzdem, oder gerade weil dieser Text so schwer zu erfassen ist, ist er so vielschichtig.
Er beeinhaltet viele Deutungsmöglichkeiten und jeder Leser wird sich etwas anderes daraus mitnehmen. Mir hat dieses Gedicht viel gegeben und das ist es doch, worauf es dem Leser ankommt, hm?
Ein ganzes Weltbild - fürwahr, das hat in einem Gedicht wenig Platz. Um dein Weltbild zu verdeutlichen, wäre vielleicht die Prosaform der passendere Rahmen. Dennoch bin ich der Meinung, dass dieses Gedicht durchaus seine Existenzberechtigung hat. :eek:)


Lieber Gruß
Julia
 

Svalin

Mitglied
Hallo Julia

> Mir hat dieses Gedicht viel gegeben und das ist es doch, worauf es dem Leser ankommt, hm?

Der Maler Edgar Degas sagte einmal: "Wer mir sagen kann, warum ein Bild schön ist, dem bezahle ich eine Flasche!" Ich glaube nicht, dass er darüber arm geworden ist ;-)
Es gibt tatsächlich keine wirklich zufriedenstellende Erklärung dafür, warum manche Texte inspirierend/ berührend auf uns wirken und andere nicht. Theoretisch besteht sogar die Möglichkeit, dass es gar keine von sich aus schönen Texte gibt, sondern nur "schöngelesene" ... jeder Leser wird sich etwas anderes daraus mitnehmen ;-) *philosophier*

Liebe Grüße
Martin

P.S.: Keine Sorge, dass ich den Text einstampfen könnte ;-) Er erhält seinen Platz bei den anderen Nachtgedichten.
 

La Luna

Mitglied
Hallo Martin,

auch ich bin der Meinung, dass ein Text erst Bedeutung bekommt, wenn er in irgendeinem Kontext zum Leser steht. Das können Erinnerungen sein, oder vielleicht eine Parallelität zum eigenen Denken oder Fühlen, die Texte für uns nachvollziehbar machen und somit in der Lage sind Emotionen heraufzubeschwören.
Ich glaube auch nicht, dass die Antwort schlussendlich im rationalen Bewusstsein steckt, ich denke eher, dass – gerade was die qualitative Bewertung von Kunst angeht – diese in der Subjektivität des Empfindens liegt, also auf der Ebene, auf der sie erschaffen wurde.
So, und nun werde ich mal ein bisserl auf deiner Seite rumschnüffeln. :eek:)


Liebe Grüße
Julia
 
Lieber Svalin,

also, die erste Version Deines Gedichtes war mir auch nicht ganz fassbar - aber die zweite ist wunderbar! Ich könnte zwar nicht sagen "ich habe verstanden" (aber das finde ich bei Lyrik generell problematisch), aber dieses Gedicht gibt mir etwas, das mir sehr gut gefällt.

Grüße,
Mara
 

Svalin

Mitglied
Hallo ihr

@Julia

Du hast meine vollste Zustimmung! Ich sehe das genauso. Oder um es mit Tucholsky zu sagen: "In der Kunst gibt es nur ein Kriterium: die Gänsehaut." ;-)
Genau das ist auch der Grund, warum ich mich für diese seltsam schönen Mikrofotografien interessiere ... ohne dass ich sagen könnte warum, haben sie eine bewegende Wirkung auf mich, die ich so noch nie bei Bildern erlebt habe.

@Mara

Vielen Dank für deine Rückmeldung. Vom Gefühl her sehe ich es ähnlich. Auch mir gefällt die zweite Version besser. Wahrscheinlich weil sie kürzer ist. Kürzer ist immer besser *übertreib* Na ja, irgendwas wahres wird schon dran sein ;-)

Grüße Martin
 



 
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