Nachts ist es Dunkel (1)

Wendla

Mitglied
Nachts ist es dunkel

Vorwort

Es war kalt draußen und regnete. Noch am morgen hatte es geschneit, doch nun war alles zu Matsch geworden. Es war grau am Himmel, nichts Besonderes. Die Straßen waren kalt und die wenigen Menschen hektisch. Sie alle wollten nach Hause, zu ihren Familien oder zu ihren Freunden. Es wurde langsam dunkel, der Marktplatz leerte sich und immer mehr Menschen verschwanden. Die alten Damen gingen nach Hause, die gestressten Mütter mit ihren schreienden Kindern kochten zu Hause das Abendessen.
Mit der Dunkelheit kamen andere Leute um den Marktplatz zu bevölkern, jüngere, unglücklichere Leute. Oder waren sie glücklicher?
Fast jeden Abend waren einige von ihnen dort anzutreffen, oder auch hinter dem alten Kirchplatz oder auf den Feldern, fast überall konnte man sie sehen, wenn man sie kannte. Wenige Außenstehende kamen hinzu, nur wenige Leute wussten von der Verbindung die bestand.
Tagsüber waren sie alleine, nachtsüber gehörten sie zusammen.

Erstes Kapitel

Eine alte Dame ging, wacklig auf ihren Krücken, durch die Stadt. Vorsichtig schaute sie sich um, sie schien nervös zu sein. Normalerweise ging sie nie abends raus, doch ihrem Mann ging es schlecht und sie musste dringend zur Nachtapotheke. Noch nie war sie nach Sonnenuntergang draußen gewesen, es war ihr einfach zu gefährlich, doch nun musste es sein. Sie überquerte langsam und klappernd den Marktplatz von dem sie gedacht hatte, dass dort niemand mehr sein würde. Anstatt dessen erblickte sie eine dunkle Gruppe Jugendlicher. Hektisch ging sie weiter, bis sie plötzlich eine bekannte Stimme vernahm. Sie blieb stehen und drehte sich zu der Gruppe um, die sie gar nicht wahrnahm. Sie wartete einige Zeit und hörte zu, was die Jugendlichen besprachen. Sie verstand nicht, worum es ging, doch meinte, eine der Stimmen zu kennen. Vorsichtig rief sie mit ihrer etwas zittrigen, leisen Stimme den Namen ihres Enkels und einer der Jungen drehte sich mehr oder weniger erschrocken um. Er stand auf, ging ein paar Schritte auf die alte Dame zu um dann zu seinen Freunden zurück zu kehren. „Was sollte ’n dat jetzt, Ärmel?“ hörte sie einen anderen Jungen fragen. „Weiß nich, dachte vielleicht, ich würde sie kennen….“ war die Antwort. Die alte Dame war empört. „Aber wie sprichst du mit deiner Großmutter?“ fragte sie, sichtlich entrüstet.
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„Wo ist Michael denn heute?“ fragte der Lehrer und blickte in die unwissenden Gesichter seiner Schüler. Schließlich erhob sich ein sehr stiller und unbeliebter Junge mit einer dicken Brille und einem Pullunder über dem Hemd. „Ich glaube seine Großmutter ist gestorben und er ist jetzt bei seiner Familie.“ der Junge setzte sich wieder und starrte wieder auf den Bleistift den er in der Hand hielt. „Danke, Daniel.“ Der Lehrer trug etwas ins Kursbuch ein um dann mit dem Unterricht fort zu fahren. Noch bevor er damit fertig war, erhob sich ein Mädchen aus der mittleren Reihe, ging nach vorne, sprach kurz mit ihm und verließ den Raum. Nach der Stunde wurde er von der besten Freundin des Mädchens gefragt, wo Luisa denn hingegangen sei. „Ist sie krank?“ . „Nein. Luisa ist zu Michael gegangen, sie sagt, sie seien gut befreundet und sie würde ihm gerne beistehen.“ war die Antwort. Das Mädchen war verdattert. Luisa und Michael hatten rein gar nichts mit einander zu tun. Sie redeten nie und hatten auch nicht dieselben Freunde… Seltsam, denn Luisa war auch nicht der Typ Mädchen, der so einen Anlass zum Schule schwänzen nutzen würde. Sie beschloss Luisa später danach zu fragen.
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Draußen rieselte sanft der Schnee, alle Dächer waren inzwischen dick gepudert, denn über Nacht hatte es wieder geschneit. Es schneite viele, kleine Schneeflocken, die trocken zu Boden fielen. Luisa hatte die Schule durch das große, eichene Tor verlassen und die hastig zusammengekramten Schulsachen unter ihren Arm geklemmt. Kaum dass sie das Gebäude verlassen hatte ließ sie alle Sachen fallen. Sie nahm ihren Mantel und zog ihn an, fuhr sich mit der Hand über das streng zurückgebundene Haar und rückte die Brille mit dem feinen, silbernen Rahmen zurecht, die sie entgegen jeder Mode trug, zurecht. Sie hob ihren Rucksack auf und nahm ein Buch heraus, während sie das Schulgelände im Eilschritt verließ. An der Busstation stand sie und wartete unruhig auf den nächsten Bus. Sie starrte auf ihre Schuhe, sah sich nervös um , blätterte in dem abgewetzten Buch mit dem ledernen Einband und den gelblichen Seiten, um nach Minuten in den nächsten Bus der kam zu steigen. Fünf Stationen später stieg sie wieder aus und ging eine lange Straße entlang. Vor einem der Neubauten blieb sie stehen und klingelte an der Glastür. Die Tür öffnete sich und sie betrat den versifften Flur. Ein älterer Mann im dreckigen, ehemals weißen Feinrippunterhemd stand in der Tür zu Michaels Wohnung und sah Luisa an. „Was willst du hier?“ fragte er müde und traurig, jedoch nicht feindselig oder wütend. „Ich bin eine Schulfreundin von Michael und wollte ihn besuchen, jetzt wo…“ Luisa wollte nicht weiter sprechen. Sie hatte versucht so lieb zu klingen, wie sie es nur selten tat, dabei den Kopf schief gelegt und Michaels Vater dabei so nett und mitleidig wie möglich angesehen. „Komm herein, mein Kind, aber sei vorsichtig, er ist sehr durcheinander…“ erwiderte Herr Seyfert und geleitete Luisa in die enge, zugekramte Wohnung. Er klopfte vorsichtig an Michaels Tür, doch keine Reaktion erfolgte. „Michael, mach auf, Luisa ist hier, sie will dich trösten.“ rief der Vater vorsichtig und ein deutliches Klicken ließ sich vernehmen, eine Antwort blieb jedoch aus. „Geh’ ruhig hinein Kind!“ sagte Herr Seyfert und so betrat Luisa das Zimmer. Michael saß zusammengesunken auf seinem Bett und starrte vor sich auf den Boden. Selbst als Luisa die Tür hinter sich schloss sah er nicht auf. „Was willst du hier, lässt du mich eigentlich überhaupt noch mal in Ruhe?“ fragte er während sie ihre Haare öffnete und sich die Brille von der Nase riss. Michael schien erschöpft und traurig. „Wie ist das passiert mit deiner Großmutter?“ wollte Luisa ohne jegliche Regung in ihrer Stimme wissen.„Sie war gestern Nacht in der Stadt unterwegs und irgendwo da muss sie einen Herzinfarkt bekommen haben oder so, man hat sie heute morgen tot und halb erfroren auf der Straße gefunden, aber der Arzt sagt, dass es nicht daran gelegen hat. Wer weiß, was passiert ist…“, er schwieg betreten und wiegte leicht hin und her, ohne es zu merken, „mir tut nur mein Opa so leid, ich glaube er kann nicht ohne meine Großmutter leben. Weißt du, sie haben schon als Kleinkinder miteinander gespielt… und mein Opa sagt, er hätte den Krieg nie überlebt, wenn er nicht gewusst hätte, dass meine Oma auf ihn wartet und ihn liebt, er sagt, er hätte ohne sie wahrscheinlich nicht diese ganzen Angriffe überlebt…“ Michael schluchzte auf und verbarg sein Gesicht hinter den Händen. Luisa sah ihn an. „Wenn du jemanden zum reden brauchst, ruf’ mich einfach an okay? Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn jemand stirbt, den man liebt.“ Damit verabschiedete sich Luisa und ließ Michael wieder alleine. Dieser stand auf, als wollte er sie aufhalten, trat jedoch nur zum Fenster und schob die dunklen Vorhänge einen spaltbreit zur Seite. Luisa drückte den Eltern noch kurz ihr Mitgefühl aus, um dann wieder zu verschwinden. Sie ging die Straße entlang, als ihr Michael etwas hinterher rief: „Heute Abend wie immer?“ Sie nickte ihm zu und wandte sich wieder dem Weg zu, den sie eben gekommen war und hielt ihr Gesicht in den noch immer leicht fallenden Schnee. Sie schluckte heftig und wischte sich über die Augen. Sie bestieg den nächsten Bus und fuhr noch eine Station weiter und stieg im Villenviertel der Stadt aus und ging eine lange, begrünte Straße entlang. Hinter all den prächtigen Zäunen, die die Straße säumten, lagen große, herrschaftliche Prachtbauten, die durch den Schnee viel kleiner wirkten als sie eigentlich waren. Sie stieß ein großes, eisernes Gartentor zu ihrer rechten auf und ging den weißen Weg, der zum Haus führte entlang. Sie klingelte an der dunkelgrün lackierten Tür. Sie kannte dieses Haus so gut, sie liebte es. So viel hatte sie hier erlebt, ihr Leben hatte sich hier verändert. Als niemand öffnete, sah sie auf die Uhr und setzte sich etwas genervt vor die Tür auf eine kleine Bank. Es hatte zwar aufgehört zu schneien, doch schien es Luisa immer kälter zu werden. Trotzdem entschied sie sich zu warten bis jemand käme ihr die Tür zu öffnen.
 



 
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