Nächtliche Überraschung

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HajoBe

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Grauer Februarabend. Nieselregen begleitet mich durch die Altstadt. Lichtreflexe spiegeln sich in ölschlierigen Pfützen. Leere Straßenbahnen poltern quietschend in die Depots. Von einer Laterne baumelt wie ein gekapptes Segel der Rest einer zerfetzten Fasnachtsfahne. Schneidender Wind zerrt an ihr, erzeugt schlabbernde Flattergeräusche. Habe meine Hände tief in die Taschen meines Annorak vergraben auf dem Weg zum Bahnhof. War keine besonderer Tag. Ein paar Gelegenheitseinkäufe, dann Asia-fast-food... im Stehen.
Der Tag muss noch eine Überraschung bereit halten. Schließlich kein Tag ohne Episode als Keim für unsere Träume...

Bemerke sie vor mir aus einer Seitenstraße kommend.Trägt Highheels. Ihr Gang ein wenig staksig auf dem buckeligen Pflaster, die schlanken Beine unsicher - in den Fußgelenken ballancierend. Der Rock der Kälte trotzend kurz, der Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen. Zigarettenrauch mischt sich mit herbem Parfümgeruch.
Beschleunige meine Schritte und folge in einigem Abstand. Ob sie größer ist als ich - kommt mir in den Sinn? Ohne die Absätze wohl nicht....Kleine Männer wunschdenken eben so.....
In der rechten Hand ihre beutelförmige Tasche, den Arm leicht abgespreizt, Gleichgewicht haltend. Wie alt mag sie sein? Müsste sie von vorne sehen...das Gesicht. Die Haare mittellang und blond. Ihr Gang wirkt erotisierend auf mich und in meiner Fantasie beginne ich sie auszuziehen. Ihre Pobacken tanzen aufreizend im Rhythmus ihrer Schritte. Ob sie einen mädchenhaften Busen hat oder doch silikongestylt? Sicher ist sie rasiert.....

Das geht mich doch garnichts an, verdammt noch mal! Männerfantasien...typisch! Denken immer das Eine....
<Jetzt nimm dich mal zusammen!> rufe ich mich zur Ordnung.

Sie hat ihre Schritte verlangsamt, bleibt schließlich vor einer Auslage stehen, tritt die Zigarettenkippe aus. Ich überlege ob ich an ihr vorbeigehen, sie überholen soll. Ein Schaufenster erregt meine Aufmerksamkeit und nimmt mir die Entscheidung ab.
Flüchtiger Blick zu ihr. Sie schaut kurz zurück, doch an mir vorbei wie mir scheint. Dann setzt sie ihren Weg fort.
Soll ich mich ihr weiter anschließen? Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte denken, dass ich sie verfolge. Was mache ich, wenn sie beginnt rascher zu laufen um den Abstand zu vergrößern? Vielleicht hat sie Furcht vor mir, fühlt sich bedrängt?
Im übrigen: Ich will doch nichts von ihr....

Es beginnt wieder heftiger zu regnen. Drücke mich eng an den Hauswänden entlang. Tropfen von Dachüberständen pladdern trotzdem in meinen Kragenausschnitt.
Sie scheint der Regen nicht zu stören. Zum Bahnhof ist es nicht mehr weit. In ihrer linken Hand trägt sie einen Schlüsselbund und schwenkt ihn...auffordernd...oder doch nur so? Will sie mir etwas mitteilen? Eine versteckte Einladung? Müsste sie ansprechen. Was sagt man da? Habe mal gehört, dass das mit den Schlüsseln ein Wink "bestimmter Damen" sei...

Es geht auf 23 Uhr zu. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Bis zum Eingang in den Hauptbahnhof noch ein Fußgängerüberweg. Die Ampel rot. Wir stehen jetzt nebeneinander. Sie schaut geradeaus, schwenkt den Schlüsselbund. Zur Seite schielend sehe ich ihre auffällig dunkle Brille. Von mir nimmt sie keine Notiz. Die Ampel schaltet auf grün. Sie läuft zügig über die Straße. Ich folge mit Abstand. Im Bahnhof steuert sie auf das Nachtcafe zu, lässt sich in einen Sessel fallen und schlägt die Beine übereinander, der Rocksaum verführerisch nach oben gerutscht.
Jetzt muss ich mich entscheiden:
Die Tische neben ihr sind frei. Könnte mich setzen...oder doch die unsinnige Frage stellen ob an ihrem Tisch noch ein Platz ist? Nein, wäre zu plump...jedoch weiter zögernd handeln könnte ihr meine Unentschlossenheit zeigen.
Ich muss etwas tun.....

"Möchten Sie sich zu mir setzen?" klingt es mir entgegen.
"Wir sind hier die Einzigen...Nachbummler" fügt sie hinzu und lächelt mich einladend an.
Ich spüre wie ich unsicher bin. Sie bemerkt meine Verlegenheit und überspielt sie.
"Müssen Sie noch wegfahren heute Nacht?" fragt sie mich.
Soll ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Gerade jetzt?
"Ist noch Zeit...." erwidere ich und gestehe, dass das im Grunde keine erschöpfende Antwort ist.
"Könnte auch einen späteren Zug nehmen...." füge ich daher
hinzu. Die Erklärungsnot ist erst einmal gebannt.
Der lustlos wirkende Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein kleines Pils, bitte!"
"Und die Dame...?" lässt er sich vernehmen.
Sie blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte ohne die Bedienung zu beachten.
"Ich komme nochmal wieder...." meint der Kellner schließlich und verschwindet.
"Ach, ich glaube ich nehme auch ein Pils..." wendet sie sich an mich.
Der mürrische Ober erscheint mit meinem Bier.
"Das Gleiche für die Dame, bitte!"
"Bitte sehr....!" und es klingt als wolle er bemerken: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

"Rauchen darf man ja auf Bahnhöfen nicht mehr...."
Bedauern klingt aus ihrer Stimme. Ich überlege zu sagen, dass das ohnehin gesünder sei....Hört sich abgedroschen an. Besser schweigen.
Sie holt einen Lippenstift und einen Spiegel aus dem Beutel und streicht über ihre Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines Herrn? Ist sie vielleicht doch eine von "diesen Damen"?>
Ich bemühe mich sie nicht abschätzend zu betrachten und meine voyeuristische Fantasie nicht erneut zu nähren.
Sie erhebt ihr Glas in meine Richtung: "Prost!"
Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auch auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht mehr weg..." meint sie.
Ein wenig ratlos frage ich:
"Dann warten Sie auf Jemand...?"
Ihr unmerkliches Kopfnicken scheint geeignet das Gespräch zu beenden. Hätte nicht so viel fragen sollen.
Sie wechselt den Beinüberschlag und zupft ein wenig an ihrem Rock. Meinen Blick muss sie bemerkt haben. Wenn sie mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben will, wird sie sich aufreizender hinsetzen. Unsere Fußspitzen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie könnte mich einfach anstoßen. Ob sie es tut? Wie auffordernd strecke ich meinen Fuß ein wenig nach vorne. Sie berührt mich kurz....
"Entschuldigung!" murmelt sie und wechselt ihre Beinstellung.
Mein Fantasiegebäude stürzt zusammen.

Sie fährt nicht weg, erwartet offenbar niemanden, scheint auch keine "bestimmten Absichten" Männern gegenüber zu verfolgen...Ich bin verunsichert, auch was die Fortsetzung unserer Unterhaltung angeht.

"Ich komme fast jeden Abend hierher..." greift sie das Gespräch wieder auf.
Ich denke: <Also doch eine von denen....>, verwerfe aber den Gedanken sogleich wieder als sie erklärt:
"Ich warte auf meinen Freund. Er kommt nicht jeden Abend, aber an den meisten. Leider nicht immer pünktlich..."
Also doch ein Freund...Wieder in der Realität angekommen haben sich meine Bedenken zerstreut...obwohl?
<Eine so hübsche Frau hat selbstverständlich einen Freund....> versuche ich mir zu erklären. Vielleicht hat er Spätschicht oder arbeitet hier bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder passt er etwa auf sie auf...kontrolliert sie...kassiert ab...und sie ist doch?
Ich nippe an meinem Bier. Muss langsam trinken.Sie ist es, die wartet, nicht ich. Werde mich ihrem Glas anpassen.
Sie lächelt mir zu, hat ihre Brille abgenommen. Ihre Augen dunkel und warm, umsäumt von Wimperntusche und Lidschatten.
Sie scheint deutlich jünger als ich.
"Wann geht denn nun Ihr Zug?...wendet sie sich wieder an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste...?Geh` mal auf den Fahrplan schauen..."
Eigentlich interessiert es mich nicht. Aber da ich das dringende Bedürfnis verspüre eine Toilette aufzusuchen, wäre es eine Möglichkeit mich zu entfernen. Doch wenn sie weg ist bei meiner Rückkehr?
"Bin sofort wieder da...!" Versteckte Bitte auf mich zu warten. Wenn sie jetzt nichts sagt - wie zum Beispiel: "Tschüss" oder "Gute Fahrt, falls wir uns nicht mehr sehen...." - dann bleibt sie.

Während meiner Abwesenheit empfinde ich, dass sich da eine angenehm prickelnde Beziehung zu entwickeln beginnt. Sie gründet auf meinen Beobachtungen und meiner Fantasie.
Die Frau wirkt anziehend auf mich, ihre angenehm tiefe Stimme und weibliche Ausstrahlung berühren mich und haben den Wunsch geweckt sie näher kennen zu lernen. Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, für die ich mich allerdings ein wenig schäme. Sie dient nicht dazu von mir gedanklich entblöst zu werden. Dass sie eine von "diesen Damen" ist, rede ich mir aus.
Doch selbst wenn...wären sie nicht gerechtfertigt diese machohaften Vorstellungen. Nein, will wohlmeinend für sie empfinden...

Bei meiner Rückkehr liest sie in einer Illustrierten und schaut nur flüchtig auf:
"Haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja"...lüge ich.
Wie lange haben denn die hier offen?" frage ich sie. Sie verbringt immerhin fast jeden Abend hier.
"Die ganze Nacht. Ist das einzige Cafe, dass durchgehend geöffnet ist."
Ich überlege ob ich mir auch eine Zeitung nehmen soll. Wenn sie schon zu keiner Unterhaltung aufgelegt ist.
<Kennen uns erst so kurz und haben uns schon nichts mehr zu sagen> fällt mir dazu ein. Wie ein altes Ehepaar beim Frühstück...
"Ich glaube er kommt..." Sie legt die Zeitschrift neben sich.
Jetzt wird es sich also entscheiden um welche Art von Person bzw. Freund es sich handelt. Ich versuche meine gespannte Erwartung zu verbergen, schaue mich rein beiläufig um.
Außer dem gelangweilten Ober ist niemand zu sehen. In mir macht sich Enttäuschung breit. Sehe mich als den Verlierer gleich welcher Provenience der Erwartete sein mag.
Sie wird sich verabschieden, mir eine "Gute Fahrt" wünschen und mit ihm verschwinden. Habe noch nicht einmal ihre Hand in der meinen gespürt....

"Na, da bist du ja endlich....!" Ihre Stimme klingt freudig aufmunternd.
In einiger Entfernung ist ein schwarz-weiß gefleckter Hund aufgetaucht - Marke Promenadenmischung - und wedelt mit einem viel zu kurzen Schwanz. Ein Ohr steht, das andere schlapp und der sprichwörtlich treue Hundeblick ist nicht zu übersehen.
"Das also ist Ihr Freund, auf den Sie gewartet haben?" quetsche ich verdattert heraus. Gleichzeitig versuche ich Ordnung in meine wirren Gedanken zu bringen. Alles bisher Gedachte und Vermutete ist hinfällig.
"Ja, das ist Nelly. Ich weiß nicht ob er so heißt. Habe ihn so genannt. Ist mir letztlich durch die ganze Stadt nachgelaufen...bis zum Bahnhof. Musste wegfahren und er blieb zurück. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"...und streicht über sein struppiges Fell.

Sie erscheint mir plötzlich in einem völlig neuen Licht. Fantasien, Gelüste, Zweifel, Verdächtigungen...alles verflogen.
Da sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die eines streunenden halb verhungerten Hundes wegen bei strömendem Regen und Winterkälte nachts zum Bahnhof läuft, um das Tier zu treffen, zu streicheln, ihm eine wenig Zuwendung zu geben und ein paar leckere Happen. In meine ihr bisher versteckt entgegen gebrachten Gefühle mischt sich Hochachtung.
"Das ist bewundernswert, was Sie tun"...fällt mir - etwas hilflos - als Einziges ein.
Nelly hat sich zu uns gesellt, liegt unter dem Tisch und nagt an einem "Knochen" aus Büffelleder.
"Ach, wissen Sie, das Tier tut mir leid. Würde es ja mitnehmen, aber wie Sie sich vorstellen können: die Vermieter usw."
Ich nicke verständnisvoll. Fühle mich auf einmal wie befreit, der Druck fällt von mir ab jetzt wo alles geklärt ist.
"Ich heiße übrigens Walter...!"
"Und ich Olga...!
< Walter - Olga - Nelly > spreche ich leise vor mich hin.
Es ist weit nach Mitternacht, mein letzter Zug längst weg.
Werde mir ein Taxi nehmen.
"Darf ich Sie in meinem Taxi ein Stück mitnehmen in die Stadt?" Ist für mich zwar ein Umweg, aber....
"Danke, gerne...!"
"Sehen wir uns wieder?" wage ich zu ergänzen.
"Warum nicht? Sie wissen ja wo Sie mich finden."
"Nun, ich meinte auch einmal ohne den Hund..."
Sie schaut mich mit einem warmen Lachen an:
"Ja, auch ohne Hund. Ich gebe Ihnen mal meine Nummer."

Dieses Mal dürfen mir einfach keine Zweifel mehr kommen, als sie mir ihre Telefonnummer anvertraut....
Nelly trottet zufrieden davon. Wir gehen zum Taxistand.
Ein paar Straßen weiter steigt sie aus. Ein flüchtiges Links-Rechts-Küsschen.
Lehne mich im Taxi zurück. Werde sie bald anrufen. Gemeinsam essen gehen, vielleicht Kino....?
Ach ja, die Visitenkarte. Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung lese ich:
"Die schöne Olga - immer für Dich bereit. Ruf mich an. Tel.: o76....."
Ein paar Tränen steigen in mir auf als ich der Karte nachschaue wie der Nachtwind sie davonträgt in die ölschlierigen Pfützen.....
 

HajoBe

Mitglied
Grauer Februarabend. Nieselregen. Lichtreflexe spiegelnd in ölschlierigen Pfützen. Leere Straßenbahnen poltern quietschend vorüber. Von einer Laterne baumelt wie gekapptes Segel der Rest einer zerfetzten Fasnachtsfahne, erzeugt schlabbernde Flattergeräusche. Bin - meine Hände tief in die Taschen meines Annorak vergraben - auf dem Weg zum Bahnhof. War keine besonderer Tag, müsste noch eine Überraschung bereit halten...

Bemerke sie aus einer Seitenstraße kommend. Highheels. Ihr Gang staksig auf dem buckeligen Pflaster, die schlanken Beine unsicher ballancierend. Der Rock kurz, der Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen. Zigarettenrauch mischt sich mit herbem Parfümgeruch.
Beschleunige meine Schritte, folge ihr mit Abstand.
In ihrer rechten Hand eine beutelförmige Tasche, den Arm leicht abgespreizt, Gleichgewicht suchend. Wie alt mag sie sein? Müsste sie von vorne sehen...das Gesicht. Die Haare mittellang, blond. Ihr Gang erotisierend. In meiner Fantasie beginne ich sie auszuziehen. Die Pobacken tanzen aufreizend im Rhythmus ihrer Schritte. Ob sie einen mädchenhaften Busen hat oder silikongestylt? Sicher ist sie rasiert.....

Das geht mich doch garnichts an, verdammt noch mal....!
<Jetzt nimm dich mal zusammen!> rufe ich mich zur Ordnung.

Sie hat ihre Schritte verlangsamt, bleibt schließlich vor einer Auslage stehen, tritt die Zigarettenkippe aus. Soll ich sie überholen? Ein Schaufenster erregt meine Aufmerksamkeit, nimmt mir die Entscheidung ab.
Flüchtiger Blick zu ihr. Sie schaut kurz zurück, an mir vorbei wie mir scheint. Setzt ihren Weg fort.
Soll ich mich ihr weiter anschließen? Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte denken, ich verfolge sie. Und wenn sie rascher läuft, um den Abstand zu vergrößern? Vielleicht fürchtet sie sich, fühlt sich bedrängt?
Aber: Ich will doch garnichts von ihr....

Es beginnt heftiger zu regnen. Drücke mich eng an den Hauswänden entlang. Tropfen von Dachüberständen pladdern in meinen Kragenausschnitt.
Sie scheint der Regen nicht zu stören. Zum Bahnhof ist es nicht mehr weit. In ihrer linken Hand trägt sie einen Schlüsselbund, schwenkt ihn...auffordernd...? Will sie mir etwas mitteilen? Versteckte Einladung? Sie ansprechen? Habe mal gehört, dass das mit den Schlüsseln ein Wink "bestimmter Damen" sei...

Es geht auf 23 Uhr zu. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Bis in den Hauptbahnhof noch ein Fußgängerüberweg. Die Ampel rot. Stehen jetzt nebeneinander. Sie schaut geradeaus, schwenkt den Schlüsselbund. Von mir nimmt sie keine Notiz. Die Ampel schaltet auf grün. Sie eilt zügig über die Straße. Ich folge mit Abstand. Im Bahnhof steuert sie auf das Nachtcafe zu, lässt sich in einen Sessel fallen, schlägt die Beine übereinander, der Rocksaum verführerisch nach oben gerutscht. Muss mich entscheiden:
Die Tische neben ihr frei. Könnte mich setzen...oder doch ungeschickt fragen ob an ihrem Tisch noch Platz ist? Nein, zu plump...jedoch weiter zögern, ihr meine Unentschlossenheit zeigen? Muss etwas tun.....

"Möchten Sie sich zu mir setzen?" klingt es mir entgegen.
"Sind Nachtbummler?" fügt sie hinzu und lächelt mich einladend an.
Ich spüre Unsicherheit, sie bemerkt meine Verlegenheit.
"Verreisen Sie noch?" fragt sie mich.
Soll ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Gerade jetzt?
"Ist noch Zeit...." erwidere ich ausweichend.
"Könnte einen späteren Zug nehmen...." füge ich daher
hinzu.
Der lustlos wirkende Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein kleines Pils, bitte!"
"Und die Dame...?"
Sie blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte...
"Ich komme nochmal wieder...." meint der Kellner schließlich und verschwindet.
"Ach, ich nehme auch ein Pils..." wendet sie sich mir zu.
Der mürrische Ober erscheint mit meinem Bier.
"Das Gleiche für die Dame, bitte!"
"Bitte sehr....!" es klingt als wolle er bemerken: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

"Rauchen darf man ja auf Bahnhöfen nicht mehr...."
Bedauern klingt aus ihrer Stimme. Schweigt. Holt einen Lippenstift und einen Spiegel aus dem Beutel. Streicht über die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines Herrn? Ist sie vielleicht doch eine von "diesen Damen"?>
Bemühe mich sie nicht abschätzend zu betrachten und so meine voyeuristische Fantasie erneut zu nähren.
Sie prostet mir zu.
Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auch auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht mehr weg..." meint sie.
Ein wenig ratlos frage ich:
"Dann warten Sie auf Jemand...?"
Ihr unmerkliches Kopfnicken lässt vermuten sie wolle das Gespräch zu beenden. Hätte nicht so viel fragen sollen.
Sie wechselt den Beinüberschlag, zupft ein wenig an ihrem Rock. Meinen Blick muss sie bemerkt haben. Wenn sie mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben will, wird sie sich aufreizender verhalten. Unsere Fußspitzen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie könnte mich anstoßen. Wie auffordernd strecke ich meinen Fuß vor. Sie berührt mich kurz....
"Entschuldigung!" murmelt sie, wechselt ihre Beinstellung.
Mein Fantasiegebäude stürzt zusammen.

Sie fährt nicht weg, erwartet offenbar niemanden, scheint auch keine "bestimmten Absichten" Männern gegenüber zu verfolgen...Ich bin verunsichert, auch hinsichtlich der Fortsetzung unserer Unterhaltung.

"Ich komme fast jeden Abend hierher..." greift sie das Gespräch wieder auf.
Ich denke: <Also doch eine von denen....>, verwerfe den Gedanken sogleich wieder als sie erklärt:
"Ich warte auf meinen Freund. Er kommt nicht jeden Abend, ist selten pünktlich..."
Also doch ein Freund...meine Verdächtigungen zerstreut...obwohl?
<Eine so hübsche Frau hat selbstverständlich einen Freund....> erkläre ich mir. Vielleicht hat er Spätschicht, arbeitet bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder passt er auf sie auf...kontrolliert sie...kassiert ab...und sie ist doch...?
Ich nippe an meinem Bier. Muss langsam trinken.Sie ist es, die wartet, nicht ich. Werde mich ihrem Glas anpassen.
Sie lächelt mir zu, hat ihre Brille abgenommen. Ihre Augen dunkel und warm, umsäumt von Wimperntusche und Lidschatten.
Scheint jünger als ich.
"Wann geht denn nun Ihr Zug?...wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste...? Geh` mal auf den Fahrplan schauen..."
Eigentlich interessiert mich nur sie. Aber da ich das dringende Bedürfnis verspüre eine Toilette aufzusuchen, wäre es eine Ausrede um mich zu entfernen. Doch wenn sie weg ist bei meiner Rückkehr?
"Bin sofort wieder da...!" Versteckte Bitte auf mich zu warten. Wenn sie jetzt nichts sagt - wie zum Beispiel: "Tschüss" oder "Gute Fahrt, falls wir uns nicht mehr sehen...." - dann bleibt sie.

Da beginnt sich eine Beziehung zu entwickeln?
Sie gründet auf Beobachtungen und Fantasie.
Die Frau wirkt anziehend, ihre angenehm tiefe Stimme und weibliche Ausstrahlung sprechen mich an. Habe den Wunsch sie näher kennen zu lernen. Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, für die ich mich allerdings schäme. Sie gedanklich zu entblößen? Nein! Bin kein Macho. Dass sie eine von "diesen Damen" ist, rede ich mir aus.

Bei meiner Rückkehr liest sie in einer Illustrierten, schaut nur flüchtig auf:
"Haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja"...lüge ich.
Wie lange hat das Cafe offen?" frage ich sie. Sie verbringt immerhin fast jeden Abend hier.
"Die ganze Nacht".
Ob ich mir auch eine Zeitung nehmen soll? Sie scheint zu keiner Unterhaltung aufgelegt.
"Ich glaube er kommt..." Sie legt die Zeitschrift zur Seite.
Jetzt wird sich entscheiden um welche Art von Person bzw. Freund es sich handelt. Ich versuche meine gespannte Erwartung zu verbergen, schaue mich beiläufig um.
Außer dem gelangweilten Ober ist niemand zu sehen. In mir Enttäuschung. Sehe mich als Verlierer gleich wer kommt.
Sie wird sich verabschieden, eine "Gute Fahrt" wünschen und mit ihm verschwinden. Habe noch nicht einmal ihre Hand in der meinen gespürt....

"Na, da bist du ja endlich....!" Ihre Stimme klingt freudig aufmunternd.
In einiger Entfernung ein schwarz-weiß gefleckter Hund - Marke Promenadenmischung -, wedelt mit viel zu kurzem Schwanz. Ein Ohr steht, das andere schlapp. Sprichwörtlich treuer Hundeblick.
"Das also ist Ihr Freund ?" quetsche ich verdattert heraus. Versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alles bisher Gedachte und Vermutete hinfällig.
"Ja, das ist Nelly. Ich weiß nicht ob er so heißt. Nenne ihn so. Ist mir letztlich durch die halbe Stadt nachgelaufen ...bis zum Bahnhof. Musste wegfahren und er blieb zurück. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"...und streicht über sein struppiges Fell.

Sie erscheint mir wie gewandelt. Fantasien, Gelüste, Zweifel, Verdächtigungen...alles verflogen. Eine junge Frau mir gegenüber, die eines streunenden halb verhungerten Hundes wegen bei strömendem Regen und Kälte nachts zum Bahnhof läuft, um das Tier zu treffen, zu streicheln, ihm ein wenig Zuwendung zu zeigen. In meine Gefühle für sie mischt sich Hochachtung.
"Das ist bewundernswert"...fällt mir - etwas hilflos - als Einziges ein.
Nelly hat sich zu uns gesellt, liegt unter dem Tisch und nagt an einem "Knochen" aus Büffelleder.
"Ach, wissen Sie, armes Tier... Würde es mitnehmen, aber wie Sie sich vorstellen können: die Vermieter usw."
Ich nicke verständnisvoll. Fühle mich befreit, der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter...!"
"Und ich Olga...!"

Es ist nach Mitternacht, mein letzter Zug weg.
Werde mir ein Taxi nehmen.
"Darf ich Sie ein Stück mitnehmen in die Stadt?" Ist für mich zwar ein Umweg, aber....
"Danke, gerne...!"
"Sehen wir uns wieder?" wage ich zu ergänzen.
"Warum nicht? Sie wissen ja wo Sie mich finden."
"Nun, ich meine auch einmal ohne Hund..."
"Ja, auch ohne Hund. Ich gebe Ihnen meine Nummer."

Dieses Mal dürfen mir keine Zweifel mehr kommen, sie vertraut mir ihre Telefonnummer an...!
Nelly trottet zufrieden davon. Wir gehen zum Taxistand.
Ein paar Straßen weiter steigt sie aus. Flüchtiges Links-Rechts-Küsschen.
Lehne mich im Taxi zurück. Werde sie anrufen. Gemeinsam essen gehen, vielleicht Kino....?
Ach ja, die Visitenkarte... Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung lese ich:
"Die schöne Olga - verführt Dich gerne. Ruf mich an! Tel.: o76....."
Ein bitterer Geschmack steigt in mir auf als ich der Karte nachschaue, die der Nachtwind davonträgt in die ölschlierigen Pfützen.....
 

HajoBe

Mitglied
Grauer Februarabend. Nieselregen. Lichtreflexe spiegelnd in ölschlierigen Pfützen. Leere Straßenbahnen poltern quietschend vorüber. Von einer Laterne baumelt wie gekapptes Segel der Rest einer zerfetzten Fasnachtsfahne, erzeugt schlabbernde Flattergeräusche. Bin - meine Hände tief in die Taschen meines Annorak vergraben - auf dem Weg zum Bahnhof. War keine besonderer Tag, müsste noch eine Überraschung bereit halten...

Bemerke sie aus einer Seitenstraße kommend. Highheels. Ihr Gang staksig auf dem buckeligen Pflaster, die schlanken Beine unsicher ballancierend. Der Rock kurz, der Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen. Zigarettenrauch mischt sich mit herbem Parfümgeruch.
Beschleunige meine Schritte, folge ihr mit Abstand.
In ihrer rechten Hand eine beutelförmige Tasche, den Arm leicht abgespreizt, Gleichgewicht suchend. Wie alt mag sie sein? Müsste sie von vorne sehen...das Gesicht. Die Haare mittellang, blond. Ihr Gang erotisierend. In meiner Fantasie beginne ich sie auszuziehen. Die Pobacken tanzen aufreizend im Rhythmus ihrer Schritte. Ob sie einen mädchenhaften Busen hat oder silikongestylt? Sicher ist sie rasiert.....

Das geht mich doch garnichts an, verdammt noch mal....!
<Jetzt nimm dich mal zusammen!> rufe ich mich zur Ordnung.

Sie hat ihre Schritte verlangsamt, bleibt schließlich vor einer Auslage stehen, tritt die Zigarettenkippe aus. Soll ich sie überholen? Ein Schaufenster erregt meine Aufmerksamkeit, nimmt mir die Entscheidung ab.
Flüchtiger Blick zu ihr. Sie schaut kurz zurück, an mir vorbei wie mir scheint. Setzt ihren Weg fort.
Soll ich mich ihr weiter anschließen? Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte denken, ich verfolge sie. Und wenn sie rascher läuft, um den Abstand zu vergrößern? Vielleicht fürchtet sie sich, fühlt sich bedrängt?
Aber: Ich will doch garnichts von ihr....

Es beginnt heftiger zu regnen. Drücke mich eng an den Hauswänden entlang. Tropfen von Dachüberständen pladdern in meinen Kragenausschnitt.
Sie scheint der Regen nicht zu stören. Zum Bahnhof ist es nicht mehr weit. In ihrer linken Hand trägt sie einen Schlüsselbund, schwenkt ihn...auffordernd...? Will sie mir etwas mitteilen? Versteckte Einladung? Sie ansprechen? Habe mal gehört, dass das mit den Schlüsseln ein Wink "bestimmter Damen" sei...

Es geht auf 23 Uhr zu. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Bis in den Hauptbahnhof noch ein Fußgängerüberweg. Die Ampel rot. Stehen jetzt nebeneinander. Sie schaut geradeaus, schwenkt den Schlüsselbund. Von mir nimmt sie keine Notiz. Die Ampel schaltet auf grün. Sie eilt zügig über die Straße. Ich folge mit Abstand. Im Bahnhof steuert sie auf das Nachtcafe zu, lässt sich in einen Sessel fallen, schlägt die Beine übereinander, der Rocksaum verführerisch nach oben gerutscht. Muss mich entscheiden:
Die Tische neben ihr frei. Könnte mich setzen...oder doch ungeschickt fragen ob an ihrem Tisch noch Platz ist? Nein, zu plump...jedoch weiter zögern, ihr meine Unentschlossenheit zeigen? Muss etwas tun.....

"Möchten Sie sich zu mir setzen?" klingt es mir entgegen.
"Sind Nachtbummler?" fügt sie hinzu und lächelt mich einladend an.
Ich spüre Unsicherheit, sie bemerkt meine Verlegenheit.
"Verreisen Sie noch?" fragt sie mich.
Soll ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Gerade jetzt?
"Ist noch Zeit...." erwidere ich ausweichend.
"Könnte einen späteren Zug nehmen...." füge ich daher
hinzu.
Der lustlos wirkende Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein kleines Pils, bitte!"
"Und die Dame...?"
Sie blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte...
"Ich komme nochmal wieder...." meint der Kellner schließlich und verschwindet.
"Ach, ich nehme auch ein Pils..." wendet sie sich mir zu.
Der mürrische Ober erscheint mit meinem Bier.
"Das Gleiche für die Dame, bitte!"
"Bitte sehr....!" es klingt als wolle er bemerken: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

"Rauchen darf man ja auf Bahnhöfen nicht mehr...."
Bedauern klingt aus ihrer Stimme. Schweigt. Holt einen Lippenstift und einen Spiegel aus dem Beutel. Streicht über die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines Herrn? Ist sie vielleicht doch eine von "diesen Damen"?>
Bemühe mich sie nicht abschätzend zu betrachten und so meine voyeuristische Fantasie erneut zu nähren.
Sie prostet mir zu.
Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auch auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht mehr weg..." meint sie.
Ein wenig ratlos frage ich:
"Dann warten Sie auf Jemand...?"
Ihr unmerkliches Kopfnicken lässt vermuten sie wolle das Gespräch beenden. Hätte nicht so viel fragen sollen.
Sie wechselt den Beinüberschlag, zupft ein wenig an ihrem Rock. Meinen Blick muss sie bemerkt haben. Wenn sie mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben will, wird sie sich aufreizender verhalten. Unsere Fußspitzen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie könnte mich anstoßen. Wie auffordernd strecke ich meinen Fuß vor. Sie berührt mich kurz....
"Entschuldigung!" murmelt sie, wechselt ihre Beinstellung.
Mein Fantasiegebäude stürzt zusammen.

Sie fährt nicht weg, erwartet offenbar niemanden, scheint auch keine "bestimmten Absichten" Männern gegenüber zu verfolgen...Ich bin verunsichert, auch hinsichtlich der Fortsetzung unserer Unterhaltung.

"Ich komme fast jeden Abend hierher..." greift sie das Gespräch wieder auf.
Ich denke: <Also doch eine von denen....>, verwerfe den Gedanken sogleich wieder als sie erklärt:
"Ich warte auf meinen Freund. Er kommt nicht jeden Abend, ist selten pünktlich..."
Also doch ein Freund...meine Verdächtigungen zerstreut...obwohl?
<Eine so hübsche Frau hat selbstverständlich einen Freund....> erkläre ich mir. Vielleicht hat er Spätschicht, arbeitet bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder passt er auf sie auf...kontrolliert sie...kassiert ab...und sie ist doch...?
Ich nippe an meinem Bier. Muss langsam trinken.Sie ist es, die wartet, nicht ich. Werde mich ihrem Glas anpassen.
Sie lächelt mir zu, hat ihre Brille abgenommen. Ihre Augen dunkel und warm, umsäumt von Wimperntusche und Lidschatten.
Scheint jünger als ich.
"Wann geht denn nun Ihr Zug?...wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste...? Geh` mal auf den Fahrplan schauen..."
Eigentlich interessiert mich nur sie. Aber da ich das dringende Bedürfnis verspüre eine Toilette aufzusuchen, wäre es eine Ausrede um mich zu entfernen. Doch wenn sie weg ist bei meiner Rückkehr?
"Bin sofort wieder da...!" Versteckte Bitte auf mich zu warten. Wenn sie jetzt nichts sagt - wie zum Beispiel: "Tschüss" oder "Gute Fahrt, falls wir uns nicht mehr sehen...." - dann bleibt sie.

Da beginnt sich eine Beziehung zu entwickeln?
Sie gründet auf Beobachtungen und Fantasie.
Die Frau wirkt anziehend, ihre angenehm tiefe Stimme und weibliche Ausstrahlung sprechen mich an. Habe den Wunsch sie näher kennen zu lernen. Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, für die ich mich allerdings schäme. Sie gedanklich zu entblößen? Nein! Bin kein Macho. Dass sie eine von "diesen Damen" ist, rede ich mir aus.

Bei meiner Rückkehr liest sie in einer Illustrierten, schaut nur flüchtig auf:
"Haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja"...lüge ich.
Wie lange hat das Cafe offen?" frage ich sie. Sie verbringt immerhin fast jeden Abend hier.
"Die ganze Nacht".
Ob ich mir auch eine Zeitung nehmen soll? Sie scheint zu keiner Unterhaltung aufgelegt.
"Ich glaube er kommt..." Sie legt die Zeitschrift zur Seite.
Jetzt wird sich entscheiden um welche Art von Person bzw. Freund es sich handelt. Ich versuche meine gespannte Erwartung zu verbergen, schaue mich beiläufig um.
Außer dem gelangweilten Ober ist niemand zu sehen. In mir Enttäuschung. Sehe mich als Verlierer gleich wer kommt.
Sie wird sich verabschieden, eine "Gute Fahrt" wünschen und mit ihm verschwinden. Habe noch nicht einmal ihre Hand in der meinen gespürt....

"Na, da bist du ja endlich....!" Ihre Stimme klingt freudig aufmunternd.
In einiger Entfernung ein schwarz-weiß gefleckter Hund - Marke Promenadenmischung -, wedelt mit viel zu kurzem Schwanz. Ein Ohr steht, das andere schlapp. Sprichwörtlich treuer Hundeblick.
"Das also ist Ihr Freund ?" quetsche ich verdattert heraus. Versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alles bisher Gedachte und Vermutete hinfällig.
"Ja, das ist Nelly. Ich weiß nicht ob er so heißt. Nenne ihn so. Ist mir letztlich durch die halbe Stadt nachgelaufen ...bis zum Bahnhof. Musste wegfahren und er blieb zurück. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"...und streicht über sein struppiges Fell.

Sie erscheint mir wie gewandelt. Fantasien, Gelüste, Zweifel, Verdächtigungen...alles verflogen. Eine junge Frau mir gegenüber, die eines streunenden halb verhungerten Hundes wegen bei strömendem Regen und Kälte nachts zum Bahnhof läuft, um das Tier zu treffen, zu streicheln, ihm ein wenig Zuwendung zu zeigen. In meine Gefühle für sie mischt sich Hochachtung.
"Das ist bewundernswert"...fällt mir - etwas hilflos - als Einziges ein.
Nelly hat sich zu uns gesellt, liegt unter dem Tisch und nagt an einem "Knochen" aus Büffelleder.
"Ach, wissen Sie, armes Tier... Würde es mitnehmen, aber wie Sie sich vorstellen können: die Vermieter usw."
Ich nicke verständnisvoll. Fühle mich befreit, der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter...!"
"Und ich Olga...!"

Es ist nach Mitternacht, mein letzter Zug weg.
Werde mir ein Taxi nehmen.
"Darf ich Sie ein Stück mitnehmen in die Stadt?" Ist für mich zwar ein Umweg, aber....
"Danke, gerne...!"
"Sehen wir uns wieder?" wage ich zu ergänzen.
"Warum nicht? Sie wissen ja wo Sie mich finden."
"Nun, ich meine auch einmal ohne Hund..."
"Ja, auch ohne Hund. Ich gebe Ihnen meine Nummer."

Dieses Mal dürfen mir keine Zweifel mehr kommen, sie vertraut mir ihre Telefonnummer an...!
Nelly trottet zufrieden davon. Wir gehen zum Taxistand.
Ein paar Straßen weiter steigt sie aus. Flüchtiges Links-Rechts-Küsschen.
Lehne mich im Taxi zurück. Werde sie anrufen. Gemeinsam essen gehen, vielleicht Kino....?
Ach ja, die Visitenkarte... Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung lese ich:
"Die schöne Olga - verführt Dich gerne. Ruf mich an! Tel.: o76....."
Ein bitterer Geschmack steigt in mir auf als ich der Karte nachschaue, die der Nachtwind davonträgt in die ölschlierigen Pfützen.....
 

HajoBe

Mitglied
Grauer Februarabend. Nieselregen. Lichtreflexe spiegelnd in ölschlierigen Pfützen. Leere Straßenbahnen poltern quietschend vorüber. Von einer Laterne baumelt wie gekapptes Segel der Rest einer zerfetzten Fasnachtsfahne, erzeugt schlabbernde Flattergeräusche. Bin - meine Hände tief in die Taschen meines Annorak vergraben - auf dem Weg zum Bahnhof. War keine besonderer Tag, müsste noch eine Überraschung bereit halten...

Bemerke sie aus einer Seitenstraße kommend. Highheels. Ihr Gang staksig auf dem buckeligen Pflaster, die schlanken Beine unsicher ballancierend. Der Rock kurz, der Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen. Zigarettenrauch mischt sich mit herbem Parfümgeruch.
Beschleunige meine Schritte, folge ihr mit Abstand.
In ihrer rechten Hand eine beutelförmige Tasche, den Arm leicht abgespreizt, Gleichgewicht suchend. Wie alt mag sie sein? Müsste sie von vorne sehen...das Gesicht. Die Haare mittellang, blond. Ihr Gang erotisierend. In meiner Fantasie beginne ich sie auszuziehen. Die Pobacken tanzen aufreizend im Rhythmus ihrer Schritte. Ob sie einen mädchenhaften Busen hat oder silikongestylt? Sicher ist sie rasiert.....

Das geht mich doch garnichts an, verdammt noch mal....!
<Jetzt nimm dich mal zusammen!> rufe ich mich zur Ordnung.

Sie hat ihre Schritte verlangsamt, bleibt schließlich vor einer Auslage stehen, tritt die Zigarettenkippe aus. Soll ich sie überholen? Ein Schaufenster erregt meine Aufmerksamkeit, nimmt mir die Entscheidung ab.
Flüchtiger Blick zu ihr. Sie schaut kurz zurück, an mir vorbei wie mir scheint. Setzt ihren Weg fort.
Soll ich mich ihr weiter anschließen? Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte denken, ich verfolge sie. Und wenn sie rascher läuft, um den Abstand zu vergrößern? Vielleicht fürchtet sie sich, fühlt sich bedrängt?
Aber: Ich will doch garnichts von ihr....

Es beginnt heftiger zu regnen. Drücke mich eng an den Hauswänden entlang. Tropfen von Dachüberständen pladdern in meinen Kragenausschnitt.
Sie scheint der Regen nicht zu stören. Zum Bahnhof ist es nicht mehr weit. In ihrer linken Hand trägt sie einen Schlüsselbund, schwenkt ihn...auffordernd...? Will sie mir etwas mitteilen? Versteckte Einladung? Sie ansprechen? Habe mal gehört, dass das mit den Schlüsseln ein Wink "bestimmter Damen" sei...

Es geht auf 23 Uhr zu. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Bis in den Hauptbahnhof noch ein Fußgängerüberweg. Die Ampel rot. Stehen jetzt nebeneinander. Sie schaut geradeaus, schwenkt den Schlüsselbund. Von mir nimmt sie keine Notiz. Die Ampel schaltet auf grün. Sie eilt zügig über die Straße. Ich folge mit Abstand. Im Bahnhof steuert sie auf das Nachtcafe zu, lässt sich in einen Sessel fallen, schlägt die Beine übereinander, der Rocksaum verführerisch nach oben gerutscht. Muss mich entscheiden:
Die Tische neben ihr frei. Könnte mich setzen...oder doch ungeschickt fragen ob an ihrem Tisch noch Platz ist? Nein, zu plump...jedoch weiter zögern, ihr meine Unentschlossenheit zeigen? Muss etwas tun.....

"Möchten Sie sich zu mir setzen?" klingt es mir entgegen.
"Sind Nachtbummler?" fügt sie hinzu und lächelt mich einladend an.
Ich spüre Unsicherheit, sie bemerkt meine Verlegenheit.
"Verreisen Sie noch?" fragt sie mich.
Soll ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Gerade jetzt?
"Ist noch Zeit...." erwidere ich ausweichend.
"Könnte einen späteren Zug nehmen...." füge ich daher
hinzu.
Der lustlos wirkende Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein kleines Pils, bitte!"
"Und die Dame...?"
Sie blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte...
"Ich komme nochmal wieder...." meint der Kellner schließlich und verschwindet.
"Ach, ich nehme auch ein Pils..." wendet sie sich mir zu.
Der mürrische Ober erscheint mit meinem Bier.
"Das Gleiche für die Dame, bitte!"
"Bitte sehr....!" es klingt als wolle er bemerken: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

"Rauchen darf man ja auf Bahnhöfen nicht mehr...."
Bedauern klingt aus ihrer Stimme. Schweigt. Holt einen Lippenstift und einen Spiegel aus dem Beutel. Streicht über die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines Herrn? Ist sie vielleicht doch eine von "diesen Damen"?>
Bemühe mich sie nicht abschätzend zu betrachten und so meine voyeuristische Fantasie erneut zu nähren.
Sie prostet mir zu.
Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auch auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht mehr weg..." meint sie.
Ein wenig ratlos frage ich:
"Dann warten Sie auf Jemand...?"
Ihr unmerkliches Kopfnicken lässt vermuten sie wolle das Gespräch beenden. Hätte nicht so viel fragen sollen.
Sie wechselt den Beinüberschlag, zupft ein wenig an ihrem Rock. Meinen Blick muss sie bemerkt haben. Wenn sie mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben will, wird sie sich aufreizender verhalten. Unsere Fußspitzen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie könnte mich anstoßen. Wie auffordernd strecke ich meinen Fuß vor. Sie berührt mich kurz....
"Entschuldigung!" murmelt sie, wechselt ihre Beinstellung.
Mein Fantasiegebäude stürzt zusammen.

Sie fährt nicht weg, erwartet offenbar niemanden, scheint auch keine "bestimmten Absichten" Männern gegenüber zu verfolgen...Ich bin verunsichert, auch hinsichtlich der Fortsetzung unserer Unterhaltung.

"Ich komme fast jeden Abend hierher..." greift sie das Gespräch wieder auf.
Ich denke: <Also doch eine von denen....>, verwerfe den Gedanken sogleich wieder als sie erklärt:
"Ich warte auf meinen Freund. Er kommt nicht jeden Abend, ist selten pünktlich..."
Also doch ein Freund...meine Verdächtigungen zerstreut...obwohl?
<Eine so hübsche Frau hat selbstverständlich einen Freund....> erkläre ich mir. Vielleicht hat er Spätschicht, arbeitet bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder passt er auf sie auf...kontrolliert sie...kassiert ab...und sie ist doch...?
Ich nippe an meinem Bier. Muss langsam trinken.Sie ist es, die wartet, nicht ich. Werde mich ihrem Glas anpassen.
Sie lächelt mir zu, hat ihre Brille abgenommen. Ihre Augen dunkel und warm, umsäumt von Wimperntusche und Lidschatten.
Scheint jünger als ich.
"Wann geht denn nun Ihr Zug?...wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste...? Geh` mal auf den Fahrplan schauen..."
Eigentlich interessiert mich nur sie. Aber da ich das dringende Bedürfnis verspüre eine Toilette aufzusuchen, wäre es eine Ausrede um mich zu entfernen. Doch wenn sie weg ist bei meiner Rückkehr?
"Bin sofort wieder da...!" Versteckte Bitte auf mich zu warten. Wenn sie jetzt nichts sagt - wie zum Beispiel: "Tschüss" oder "Gute Fahrt, falls wir uns nicht mehr sehen...." - dann bleibt sie.

Da beginnt sich eine Beziehung zu entwickeln?
Sie gründet auf Beobachtungen und Fantasie.
Die Frau wirkt anziehend, ihre angenehm tiefe Stimme und weibliche Ausstrahlung sprechen mich an. Habe den Wunsch sie näher kennen zu lernen. Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, für die ich mich allerdings schäme. Sie gedanklich zu entblößen? Nein! Bin kein Macho. Dass sie eine von "diesen Damen" ist, rede ich mir aus.

Bei meiner Rückkehr liest sie in einer Illustrierten, schaut nur flüchtig auf:
"Haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja"...lüge ich.
Wie lange hat das Cafe offen?" frage ich sie. Sie verbringt immerhin fast jeden Abend hier.
"Die ganze Nacht".
Ob ich mir auch eine Zeitung nehmen soll? Sie scheint zu keiner Unterhaltung aufgelegt.
"Ich glaube er kommt..." Sie legt die Zeitschrift zur Seite.
Jetzt wird sich entscheiden um welche Art von Person bzw. Freund es sich handelt. Ich versuche meine gespannte Erwartung zu verbergen, schaue mich beiläufig um.
Außer dem gelangweilten Ober ist niemand zu sehen. In mir Enttäuschung. Sehe mich als Verlierer gleich wer kommt.
Sie wird sich verabschieden, eine "Gute Fahrt" wünschen und mit ihm verschwinden. Habe noch nicht einmal ihre Hand in der meinen gespürt....

"Na, da bist du ja endlich....!" Ihre Stimme klingt freudig aufmunternd.
In einiger Entfernung ein schwarz-weiß gefleckter Hund - Marke Promenadenmischung -, wedelt mit viel zu kurzem Schwanz. Ein Ohr steht, das andere schlapp. Sprichwörtlich treuer Hundeblick.
"Das also ist Ihr Freund ?" quetsche ich verdattert heraus. Versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alles bisher Gedachte und Vermutete hinfällig.
"Ja, das ist Nelly. Ich weiß nicht ob er so heißt. Nenne ihn so. Ist mir letztlich durch die halbe Stadt nachgelaufen ...bis zum Bahnhof. Musste wegfahren und er blieb zurück. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"...und streicht über sein struppiges Fell.

Sie erscheint mir wie gewandelt. Fantasien, Gelüste, Zweifel, Verdächtigungen...alles verflogen. Eine junge Frau mir gegenüber, die eines streunenden halb verhungerten Hundes wegen bei strömendem Regen und Kälte nachts zum Bahnhof läuft, um das Tier zu treffen, zu streicheln, ihm ein wenig Zuwendung zu zeigen. In meine Gefühle für sie mischt sich Hochachtung.
"Das ist bewundernswert"...fällt mir - etwas hilflos - als Einziges ein.
Nelly hat sich zu uns gesellt, liegt unter dem Tisch und nagt an einem "Knochen" aus Büffelleder.
"Ach, wissen Sie, armes Tier... Würde es mitnehmen, aber wie Sie sich vorstellen können: die Vermieter usw."
Ich nicke verständnisvoll. Fühle mich befreit, der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter...!"
"Und ich Olga...!"

Es ist nach Mitternacht, mein letzter Zug weg.
Werde mir ein Taxi nehmen.
"Darf ich Sie ein Stück mitnehmen in die Stadt?" Ist für mich zwar ein Umweg, aber....
"Danke, gerne...!"
"Sehen wir uns wieder?" wage ich zu ergänzen.
"Warum nicht? Sie wissen ja wo Sie mich finden."
"Nun, ich meine auch einmal ohne Hund..."
"Ja, auch ohne Hund. Ich gebe Ihnen meine Nummer."

Dieses Mal werden mir keine Zweifel mehr kommen, sie vertraut mir ihre Telefonnummer an...!
Nelly trottet zufrieden davon. Wir gehen zum Taxistand.
Ein paar Straßen weiter steigt sie aus. Flüchtiges Links-Rechts-Küsschen.
Lehne mich im Taxi zurück. Werde sie anrufen. Gemeinsam essen gehen, vielleicht Kino....?
Ach ja, die Visitenkarte... Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung lese ich:
"Die schöne Olga - verführt Dich gerne. Ruf mich an! Tel.: o76....."
Ein bitterer Geschmack steigt in mir auf als ich der Karte nachschaue, die der Nachtwind davonträgt in die ölschlierigen Pfützen.....
 
U

USch

Gast
Hallo HaJoBe,

ich finde den Text auch viel zu langatmig und würde ihn auf die Hälfte reduzieren, straffen, denn die Grundidee ist o.K.

LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Grauer Februarabend. Nieselregen. Lichtreflexe spiegelnd in ölschlierigen Pfützen. Leere Straßenbahnen poltern quietschend vorüber. Von einer Laterne baumelt wie gekapptes Segel der Rest einer zerfetzten Fasnachtsfahne, erzeugt schlabbernde Flattergeräusche. Bin - meine Hände tief in die Taschen meines Annorak vergraben - auf dem Weg zum Bahnhof. War keine besonderer Tag, müsste noch eine Überraschung bereit halten...

Bemerke sie aus einer Seitenstraße kommend. Highheels. Ihr Gang staksig auf dem buckeligen Pflaster, die schlanken Beine unsicher ballancierend. Der Rock kurz, der Kragen der Lederjacke lässig hochgeschlagen. Zigarettenrauch mischt sich mit herbem Parfümgeruch.
Beschleunige meine Schritte, folge ihr mit Abstand.
In ihrer rechten Hand eine beutelförmige Tasche, den Arm leicht abgespreizt, Gleichgewicht suchend. Wie alt mag sie sein? Müsste sie von vorne sehen...das Gesicht. Die Haare mittellang, blond. Ihr Gang erotisierend. In meiner Fantasie beginne ich sie auszuziehen. Die Pobacken tanzen aufreizend im Rhythmus ihrer Schritte. Ob sie einen mädchenhaften Busen hat oder silikongestylt? Sicher ist sie rasiert.....

Das geht mich doch garnichts an, verdammt noch mal....!
<Jetzt nimm dich mal zusammen!> rufe ich mich zur Ordnung.

Sie hat ihre Schritte verlangsamt, bleibt schließlich vor einer Auslage stehen, tritt die Zigarettenkippe aus. Soll ich sie überholen? Ein Schaufenster erregt meine Aufmerksamkeit, nimmt mir die Entscheidung ab.
Flüchtiger Blick zu ihr. Sie schaut kurz zurück, an mir vorbei wie mir scheint. Setzt ihren Weg fort.
Soll ich mich ihr weiter anschließen? Weit und breit kein Mensch auf der nächtlichen Gasse. Sie könnte denken, ich verfolge sie. Und wenn sie rascher läuft, um den Abstand zu vergrößern? Vielleicht fürchtet sie sich, fühlt sich bedrängt?
Aber: Ich will doch garnichts von ihr....

Es beginnt heftiger zu regnen. Drücke mich eng an den Hauswänden entlang. Tropfen von Dachüberständen pladdern in meinen Kragenausschnitt.
Sie scheint der Regen nicht zu stören. Zum Bahnhof ist es nicht mehr weit. In ihrer linken Hand trägt sie einen Schlüsselbund, schwenkt ihn...auffordernd...? Will sie mir etwas mitteilen? Versteckte Einladung? Sie ansprechen? Habe mal gehört, dass das mit den Schlüsseln ein Wink "bestimmter Damen" sei...

Es geht auf 23 Uhr zu. Mein Zug fährt in 10 Minuten. Bis in den Hauptbahnhof noch ein Fußgängerüberweg. Die Ampel rot. Stehen jetzt nebeneinander. Sie schaut geradeaus, schwenkt den Schlüsselbund. Von mir nimmt sie keine Notiz. Die Ampel schaltet auf grün. Sie eilt zügig über die Straße. Ich folge mit Abstand. Im Bahnhof steuert sie auf das Nachtcafe zu, lässt sich in einen Sessel fallen, schlägt die Beine übereinander, der Rocksaum verführerisch nach oben gerutscht. Muss mich entscheiden:
Die Tische neben ihr frei. Könnte mich setzen...oder doch ungeschickt fragen ob an ihrem Tisch noch Platz ist? Nein, zu plump...jedoch weiter zögern, ihr meine Unentschlossenheit zeigen? Muss etwas tun.....

"Möchten Sie sich zu mir setzen?" klingt es mir entgegen.
"Sind Nachtbummler?" fügt sie hinzu und lächelt mich einladend an.
Ich spüre Unsicherheit, sie bemerkt meine Verlegenheit.
"Verreisen Sie noch?" fragt sie mich.
Soll ich ihr gestehen, dass mein Zug in wenigen Minuten abfährt? Gerade jetzt?
"Ist noch Zeit...." erwidere ich ausweichend.
"Könnte einen späteren Zug nehmen...." füge ich daher
hinzu.
Der lustlos wirkende Ober fragt mit gespielter Höflichkeit nach unseren Wünschen.
"Für mich ein kleines Pils, bitte!"
"Und die Dame...?"
Sie blättert unentschlossen in der abgegriffenen Getränkekarte...
"Ich komme nochmal wieder...." meint der Kellner schließlich und verschwindet.
"Ach, ich nehme auch ein Pils..." wendet sie sich mir zu.
Der mürrische Ober erscheint mit meinem Bier.
"Das Gleiche für die Dame, bitte!"
"Bitte sehr....!" es klingt als wolle er bemerken: <Das hätten Sie mir auch gleich sagen können.>

"Rauchen darf man ja auf Bahnhöfen nicht mehr...."
Bedauern klingt aus ihrer Stimme. Schweigt. Holt einen Lippenstift und einen Spiegel aus dem Beutel. Streicht über die Lippen.
<Macht man das in Anwesenheit eines Herrn? Ist sie vielleicht doch eine von "diesen Damen"?>
Bemühe mich sie nicht abschätzend zu betrachten und so meine voyeuristische Fantasie erneut zu nähren.
Sie prostet mir zu.
Ich erwidere mit einem Nicken.
"Warten Sie auch auf die Abfahrt Ihres Zuges?"
"Ich fahre nicht mehr weg..." meint sie.
Ein wenig ratlos frage ich:
"Dann warten Sie auf Jemand...?"
Ihr unmerkliches Kopfnicken lässt vermuten sie wolle das Gespräch beenden. Hätte nicht so viel fragen sollen.
Sie wechselt den Beinüberschlag, zupft ein wenig an ihrem Rock. Meinen Blick muss sie bemerkt haben. Wenn sie mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben will, wird sie sich aufreizender verhalten. Unsere Fußspitzen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie könnte mich anstoßen. Wie auffordernd strecke ich meinen Fuß vor. Sie berührt mich kurz....
"Entschuldigung!" murmelt sie, wechselt ihre Beinstellung.
Mein Fantasiegebäude stürzt zusammen.

Sie fährt nicht weg, erwartet offenbar niemanden, scheint auch keine "bestimmten Absichten" Männern gegenüber zu verfolgen...Ich bin verunsichert, auch hinsichtlich der Fortsetzung unserer Unterhaltung.

"Ich komme fast jeden Abend hierher..." greift sie das Gespräch wieder auf.
Ich denke: <Also doch eine von denen....>, verwerfe den Gedanken sogleich wieder als sie erklärt:
"Ich warte auf meinen Freund. Er kommt nicht jeden Abend, ist selten pünktlich..."
Also doch ein Freund...meine Verdächtigungen zerstreut...obwohl?
<Eine so hübsche Frau hat selbstverständlich einen Freund....> erkläre ich mir. Vielleicht hat er Spätschicht, arbeitet bei der Bahn und sie holt ihn ab. Oder passt er auf sie auf...kontrolliert sie...kassiert ab...und sie ist doch...?
Ich nippe an meinem Bier. Muss langsam trinken.Sie ist es, die wartet, nicht ich. Werde mich ihrem Glas anpassen.
Sie lächelt mir zu, hat ihre Brille abgenommen. Ihre Augen dunkel und warm, umsäumt von Wimperntusche und Lidschatten.
Scheint jünger als ich.
"Wann geht denn nun Ihr Zug?...wendet sie sich an mich.
"Der letzte ist weg und der nächste...? Geh` mal auf den Fahrplan schauen..."
Eigentlich interessiert mich nur sie. Aber da ich das dringende Bedürfnis verspüre eine Toilette aufzusuchen, wäre es eine Ausrede um mich zu entfernen. Doch wenn sie weg ist bei meiner Rückkehr?
"Bin sofort wieder da...!" Versteckte Bitte auf mich zu warten. Wenn sie jetzt nichts sagt - wie zum Beispiel: "Tschüss" oder "Gute Fahrt, falls wir uns nicht mehr sehen...." - dann bleibt sie.

Da beginnt sich eine Beziehung zu entwickeln?
Sie gründet auf Beobachtungen und Fantasie.
Die Frau wirkt anziehend, ihre angenehm tiefe Stimme und weibliche Ausstrahlung sprechen mich an. Habe den Wunsch sie näher kennen zu lernen. Meine Fantasie spiegelt mir Bilder vor, für die ich mich allerdings schäme. Sie gedanklich zu entblößen? Nein! Bin kein Macho. Dass sie eine von "diesen Damen" ist, rede ich mir aus.

Bei meiner Rückkehr liest sie in einer Illustrierten, schaut nur flüchtig auf:
"Haben Sie Ihren Zug gefunden?"
"Ja"...lüge ich.
"Wie lange hat das Cafe offen?" frage ich sie. Sie verbringt immerhin fast jeden Abend hier.
"Die ganze Nacht".
Ob ich mir auch eine Zeitung nehmen soll? Sie scheint zu keiner Unterhaltung aufgelegt.
"Ich glaube er kommt..." Sie legt die Zeitschrift zur Seite.
Jetzt wird sich entscheiden um welche Art von Person bzw. Freund es sich handelt. Ich versuche meine gespannte Erwartung zu verbergen, schaue mich beiläufig um.
Außer dem gelangweilten Ober ist niemand zu sehen. In mir Enttäuschung. Sehe mich als Verlierer gleich wer kommt.
Sie wird sich verabschieden, eine "Gute Fahrt" wünschen und mit ihm verschwinden. Habe noch nicht einmal ihre Hand in der meinen gespürt....

"Na, da bist du ja endlich....!" Ihre Stimme klingt freudig aufmunternd.
In einiger Entfernung ein schwarz-weiß gefleckter Hund - Marke Promenadenmischung -, wedelt mit viel zu kurzem Schwanz. Ein Ohr steht, das andere schlapp. Sprichwörtlich treuer Hundeblick.
"Das also ist Ihr Freund ?" quetsche ich verdattert heraus. Versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alles bisher Gedachte und Vermutete hinfällig.
"Ja, das ist Nelly. Ich weiß nicht ob er so heißt. Nenne ihn so. Ist mir letztlich durch die halbe Stadt nachgelaufen ...bis zum Bahnhof. Musste wegfahren und er blieb zurück. Seither wartet er jeden Abend hier auf mich. Ist das nicht rührend?"...und streicht über sein struppiges Fell.

Sie erscheint mir wie gewandelt. Fantasien, Gelüste, Zweifel, Verdächtigungen...alles verflogen. Eine junge Frau mir gegenüber, die eines streunenden halb verhungerten Hundes wegen bei strömendem Regen und Kälte nachts zum Bahnhof läuft, um das Tier zu treffen, zu streicheln, ihm ein wenig Zuwendung zu zeigen. In meine Gefühle für sie mischt sich Hochachtung.
"Das ist bewundernswert"...fällt mir - etwas hilflos - als Einziges ein.
Nelly hat sich zu uns gesellt, liegt unter dem Tisch und nagt an einem "Knochen" aus Büffelleder.
"Ach, wissen Sie, armes Tier... Würde es mitnehmen, aber wie Sie sich vorstellen können: die Vermieter usw."
Ich nicke verständnisvoll. Fühle mich befreit, der Druck fällt von mir ab. Alles scheint geklärt.
"Ich heiße übrigens Walter...!"
"Und ich Olga...!"

Es ist nach Mitternacht, mein letzter Zug weg.
Werde mir ein Taxi nehmen.
"Darf ich Sie ein Stück mitnehmen in die Stadt?" Ist für mich zwar ein Umweg, aber....
"Danke, gerne...!"
"Sehen wir uns wieder?" wage ich zu ergänzen.
"Warum nicht? Sie wissen ja wo Sie mich finden."
"Nun, ich meine auch einmal ohne Hund..."
"Ja, auch ohne Hund. Ich gebe Ihnen meine Nummer."

Dieses Mal werden mir keine Zweifel mehr kommen, sie vertraut mir ihre Telefonnummer an...!
Nelly trottet zufrieden davon. Wir gehen zum Taxistand.
Ein paar Straßen weiter steigt sie aus. Flüchtiges Links-Rechts-Küsschen.
Lehne mich im Taxi zurück. Werde sie anrufen. Gemeinsam essen gehen, vielleicht Kino....?
Ach ja, die Visitenkarte... Im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung lese ich:
"Die schöne Olga - verführt Dich gerne. Ruf mich an! Tel.: o76....."
Ein bitterer Geschmack steigt in mir auf als ich der Karte nachschaue, die der Nachtwind davonträgt in die ölschlierigen Pfützen.....
 



 
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