Naiv-Sonett

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Rhea_Gift

Mitglied
Naiv

Naiv - das Gute so spontan zu denken
von Menschen, die ich überhaupt nicht kenne
Ich merk' zu spät, wie ich ins Messer renne
und schaue staunend auf sein leichtes Senken

- ui, tief hinein - seh helles Blut verrinnen
grell blitzt der Stich mir brennend ins Bewusste
steh außen blass und stumm vor dem Verluste
von Sicherheit auf einen Schlag - doch innen

da fall ich, schrei - und eisig dunkle Schlunde
verschlingen mich, dahin - was Ich mal war
zerspringt, versinkt im sandig grauen Grunde

ein heulend schriller Ton wischt weg, was klar
gezeichnet schien, mir tropft - bin nur noch Wunde -
vom Lippenmunde Salz - ich weine? - offenbar.
 

kakadu

Mitglied
Hallo Rhea!

Klasse geschrieben! Gerade die im zweite Quartett nicht komplett
durchgeschlegelten Anbetonungen geben Deinem Sonett den besonderen
Pfiff. Dramaturgisch wie stilistisch hast Du ganze Arbeit geleistet.
Die Schlusszeile ist die absolute Krönung.

ein heulend schriller Ton wischt weg, was klar
gezeichnet schien, mir tropft - bin nur noch Wunde -
vom Lippenmunde Salz - ich weine? - offenbar
.
Kompliment!

Im ersten Terzett Z.2 hat sich nach "war" ein Komma verkrümelt.

Auf der Gefühlsebene hast Du mich voll erwischt und das Lesen war ein Genuss.:)

Liebe Grüße
Claudia
 

JackoF

Mitglied
Hallo Rhea,

ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll - aber wirklich so gelungen, Dein Sonett !!! :)

Vor allem diese fließende Kausal-Kette, die emotional derartig gut stimmt, und sprachlich den Inhalt total mitnimmt.
Also - werde richtig gut ins Geschehen, Schritt für Schritt, guckend reingezogen.

Auch diese Leseweise(ich mache es so) zu S2Z1 Anfang :
„ – ui, tief hinein......“ als Spondeus / wie es auch Claudia erwähnte – einfach toll dieser Rhythmus-Wechsel :)))

Zu 2 Stellen kam mir eine andere Leseweise.
Möchte sie Dir mal vorstellen :

Zu S1Z4 :

und schaue staunend auf sein leichtes Senken
und schaue staunend auf [blue]ein Klinge [/blue]Senken / oder.....

Dieses „sein leichtes“ gefällt mir inhaltlich und tonal nicht so.
Wieso „leichtes“ ??/ ist doch eigentlich hier egal, oder ? :)) / und dieses „sein“/Bezug zum Messer - gefällt mir hier akustisch nicht so :))

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Zu S4Z3 :

vom Lippenmunde Salz - ich weine([blue]?[/blue]) - offenbar.

Meine Frage :
Braucht es hier wirklich dieses Fragezeichen ? / eben, wegen des folgenden „offenbar“

Und noch dieses Kleine - ist es Absicht, dass mit den Vers-Enden so manche Satzzeichen nicht gesetzt sind ? / zumindest, wie ich sie sähe :))))

--------------------------------------------

Rhea - ungeachtet meiner Krittelei,

also wirklich, ein tolles, so fein erzählendes Sonett – zu diesem höchst sensiblen Erkenntnis/Moment-Thema – echt Spitze :))))

Und für mich ist das letzte Terzett einfach...........:) :)
ein heulend schriller Ton wischt weg, was klar
gezeichnet schien, mir tropft - bin nur noch Wunde -
vom Lippenmunde Salz - ich weine? - offenbar.

und wieder ein Tschüss, Jacko

--
 
H

Heidrun D.

Gast
Sprachlich wirklich sehr schön (*lächel.

Liebe Grüße
Heidrun
 
R

Rose

Gast
Hallo Rhea,

ein wundervoll, aussagekräftiges Sonett hast du geschrieben. Die Zeilen haben mich richtig mitgenommen.

Blumige Grüße
Rose
 

Rhea_Gift

Mitglied
Wow, vielen Dank für das tolle Feedback an alle! :)

Zu deinen Fragen Jacko -

ich setze in fast keinem meiner Gedichte am Zeilenende Kommata, gefällt mir graphisch besser - die Pausen lassen sich durchs Zeielnende auch so merken - schließlich habt ihr ja alle bemerkt, dass sie fehelen... zudem macht es manchmal andere Lesarten möglich... hier zwar nicht, aber grundsätzlich lass ich sie eben gern und meist am Zeilenende weg - kommt aufs Gedicht an. NOrmalerweise hab ich mir auch angewöhnt, Sonette nur in Kleinschrift zu schreiben - fand ich hier aber nicht passend.

Nun einzelne Punkte - zum Komma siehe oben, da fehlen eben alle am Zeilenende ;)

Zum "sein leichtes" - ich wollt keine Überdramatik mit auch noch Klinge erwähnen, zudem ist mir "leicht" wichtig - denn genau das ist ein weiterer, das Erstaunen fördernder Faktor - wie leicht einen Menschen sehr tief treffen können, wenn es unverhofft kommt, weil man eben keine Mauer hat von Mißtrauen, die einen Stich schwerer macht eben... das ist das Fatale an Naivität - und den Hang zu derselben wie den Hang zum Glaube an Gutes kanns LyrI trotz aller Erfahrungen nicht ablegen... drum dringt leicht und tief ein...

Und zum Fragezeichen - ja, das muss sein - denn das LyrI ist im Schock, merkt sein Weinen erst am Salz, fragt sich also selbst und antwortet sich selbst - denn durchs Salz wirds offenbar - den heulenden Ton wirds sich dadurch danach auch erklären können ;) Das LyrI steht eben etwas neben sich... kriegt erst nach und nach Außen und Innen wieder zusammen und daraus ein ganzes Bild und Realisation der Situation... darum gehts hier ja gerade...

Vielen Dank dir fürs Reindenken und sich dadurch eben auch Fragen stellen, hoffe, nun klarer... :)

lg, Rhea
 

Rhea_Gift

Mitglied
einen Punkt vergessen:

Lesart soll sein

...auf sein leichtes Senken ;)

Macht aber auch Sinn, wie du es liest, Jacko - interessant... aber war so nicht gedacht ;) Da fehlt also auch kein Komma...
Daher vielleicht auch das Mißverständnis - hier ist ein Hineinsenken (Senken - ui, tief hinein - ) gemeint... und bevor die Frage kommt - nein, nicht sinken, das ist etwas anderes, zu passiv - der Täter soll durchs Senken noch klar sein, doch wie leicht die Tat vollbracht - eben eher ein Senken als Stechen (da klingt für mich immer Widerstand mit, der durchstochen werden muss, hineinsenken ist eher widerstandslos), butterweich... so halt gedacht... ähja.

LG, Rhea
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Rhea,

das "offenbar" hat es mir angetan bei Deinem Text. Manchmal wuseln die Gefühle im Innersten dermaßen durcheiander, dass man nichts mehr für sich sortieren kann und selbst die eigenen Tränen gar nicht mitbekommt.

Ein sehr treffsicherer Text zum Thema Naivität, mir gefällt er.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Rhea_Gift

Mitglied
Oh, fein, dass dies noch wer entdeckt immer noch :)
Grad aktueller denn je - heut war Krisengespräch mit Chef - auch beruflich kann man mal zuuu naiv sein... ;)

Lieben Dank euch fürs Vorbeischauen :)

LG, Rhea
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hi HH,

das hebt das "ich weine? - offenbar" hervor(inneres Zwiegespräch, das nach außen dringt, sichtbar wird - die Frage könnte in Klammern stehen - die Antwort ist für alle sichtbar)... Es wird über die Zeilen hinaus nach außen sichtbar - offenbar, und klingt auch nach - naja, weißt, was ich meine... auffälliger Bruch halt, Aufbruch... ;)

LG, Rhea
 



 
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