Namen

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Solgin

Mitglied
Fahlleder

Ich Kaufmann Fahlleder, betreibe ein kleines Geschäft in einer grossen Stadt, den An-und Verkauf von Occasionen.Ist der Käufer unentschlossen, lege ich oft noch einen Gleichrichter dazu, wer weiss, vielleicht kann's der Kunde bald einmal gebrauchen.
Die Geschäfte gehen schlecht weil ich Fahlleder heisse, und der An- und Verkauf von gebrauchter Ware nicht mehr gefragt ist. Motoren, Treibriemen, Dinge die zwar immer noch brauchbar sind, sich jedoch niemals im Bereich des Weltzuckerwertes bewegen, finden keinen Käufer mehr. Ich veringere die Oeffnungszeiten, weil mir weder An- noch Verkauf das Lebensnotwendige bringt. Die Zeiten sind wechselhaft. Mal ist die Wechselspannung gefragt, mal funktionier alles nur noch gleichgerichtet.

In der Stadtmitte betreibt man das grosse Geschäft, den An-und Vekauf von Zucker, Zuckerrohr aus Kuba, manchmal auch mit Zuckerrüben aus der Schweiz. Meine Transformatoren können zwar Spannung klein und gleichförmig machen, sind aber weit entfernt von grossen Ereignissen in der weiten Welt, und verweilen unerkannt hinter meinem Ladentisch. Ich lasse meine Tätigkeit bewusst im Dunkeln und spare Strom auch im Winter. Meine Geschäfte erscheinen in keiner Zeitung der Welt. Weder in den Vereinigten Staaten von Amerika, noch im Vereinigten Königreich von England, weiss man von mir. Fahlleder kennt man nicht einmal mehr in Wien. Man hat ihn längst vergessen. Ich richte mich ein und warte auf den Niedergang des Weltzuckerwertes und den Aufstieg von Motoren, Gleichrichter und Transformatoren.

Ich bin es gewohnt dem Kaffe keinen Zucker beizugeben. In der Nacht träume ich von Zuckerbergen in den Vereinigten Staaten -, vergesse mich und schnalze mit der Zunge. Niemand hört mich. Ich bin ein einsamer Mensch. Die meisten Menschen sind einsam, nicht verheiratet oder sonst wie gebunden. Besuche sind selten. Das Warten wird länger und länger. Ich möchte etwas verändern, mein Geschäft verkaufen, samt Inventar, Kundschaft und Hinterzimmer. Viele Gedanken gehen durch meinen Kopf. Die Zeiten sind schlecht. Vielleicht fahre ich bald in die Vereinigten Staaten und ändere meinen Namen.

Fahlleder hat mir nichts als Unglück gebracht. Prozesse habe ich führen müssen deswegen. Alle habe ich verloren. In die Revision bin ich gegangen, die höchste Instanz habe ich angerufen, angefleht. Man soll mir doch endlich einen anderen Namen geben, ein Einsehen haben mit mir und meinem Unglück.

Während ich mich bückte, dachte der Richter auf dem Podest über den Weltzuckerwert nach und zeichnete Rüben aufs Papier.

Stets musste ich das Rekursrecht in Anspruch nehmen. Dabei vergingen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Während meine Gegenpartei schwieg, war ich gehalten das ganze Prozessrecht in Erinnerung zu behalten, musste täglich, ja stündlich darauf bedacht sein, jede nur mögliche Heimtücke sogleich zu entlarven, nicht den Fehler zu begehen, einer freundlichen Stimme, ihrem scheinbaren Wohlwollen zu vertrauen, und mir das Blut in den Adern gerinnen lassen, nein sagen, auch wenn ich gerade aus dem Schlafe erwacht war.

Oben und Unten sind sie beschäftigt mit der christlichen Nächstenliebe, wenn auch meistens getrennt. Die Wahrheit kommt ohne Versöhnung aus. Ich kenne den schmalzigen Ton und den butterweichen Händedruck der Richter, ihre Vernunft bringt Häuser zum einstürzen.

Die Welt ist mir fremd geworden.Für das Lebendige halte ich mir heute nur noch Küken und wärme sie unter einer Lampe. Dazu benütze ich einen meiner zahlreichen Transformatoren und erzeuge eine niedrige und gleichgerichtete Spannung, ein Licht, das stetig ist, und nicht wechselhaft zwischen An- und Abwesenheit hin und her geht. Hätte ich einen anderen Namen , ein anderes Geschäft, würde ich statt der Küken Bienen züchten und ein Bienenhaus an den Waldrand stellen. Alles was sich bewegt braucht Wärme, ein Haus, eine Kiste. Zum bauen braucht es Land, das ich nicht habe.

Nennen sie mich nicht Bohnenblust, Fahlleder ist mir lieber. Ich züchte keine Bienen, streiche mir keinen Honig aufs Brot, denke nicht mal im Traum daran ein Haus zu bauen und einen Früchte- und Gemüsehandel zu betreiben. Ich halte es mit dem Brutkasten und den schon befruchteten Eiern. Was sich einmal aus einem Ei geschält hat, spaziert herum in der Kiste und wird jeden Tag grösser. Ich kann es riechen und hören, und den Weltzucker vergessen. Das Begreifen meiner Zuckerträume gelingt mir nie. Zwischen dem Kükengeruch und dem Zucker gibt es keinen Zusammenhang. Das eine ist das Leben und das andere ist Traum.

Ich heisse Fahlleder, träume von weissen Zuckerbergen und betreibe den An-und Verkauf von Transformatoren und warte auf eine andere Zeit. Der gelbliche Flaum wird sich einmal in ein zuckerweisses Gefieder verwandeln, die Kiste samt Wärmelampe im Keller stehn. Den An-und Verkauf von elektrischen Geräten habe ich eingestellt. Ein Geschäft, das nichts einbringt soll man einstellen. und einen Namen, der leicht zu Verwechslungen führt von der Türe entfernen. Eines Tages werden auch die Zuckerträume aufhören.

Von Süssigkeiten verstehe ich so gut wie nichts. Es ist lange her, da konnte man mir viel Freude machen mit Zuckersachen. Den türkischen Honig liebte ich über alles. Doch damals war ich noch klein und wohnte in Wien, hiess Sigmund, wurde hauptsächlich Sigi gerufen. Meine Mutter betrieb ein Geschäft für Spezereien und verkaufte allerhand: amerikanische Zigaretten, gezuckerte und ungezuckerte Kondensmilch, Fleisch in Büchsen, Reis und Bohnen, Milch und Eier.

Zu dieser Zeit weilte auch der Kaufmann Fahlleder in Wien. Bald kam er jeden Tag ins Geschäft meiner Mutter und kaufte dies und das: Kaffee (Wienermischung spezial), Buchstabensuppe im Briefchen, Schnürsenkel, Bodenwichse, Stahlspähne etc. etc. und besuchte unter anderem auch die freudschen Vorlesungen. Meistens ging er erst in die Vorlesung und kam danach in ins Geschäft.

Von Fahlleder lernte ich im laufe der Zeit dies und das:
Hüte dich vor den Gläubigen. Ueberlege gut, sagte er was
es bedeutet, wenn sie dich zur freien Rede auffordern. Zeige ihnen nichts, behalte deinen Rock an, sonst könntest du ihn womöglich noch vergessen. Denke daran, dass es mit deinem Vermögen nichts auf sich hat, deine Reden also kontrolliert sein wollen, du an einer Strasse stehst, von der du nicht einmal den Namen kennst. Wenn du immer noch Lust verspürst, ihr einen Namen zu geben, übequere die Strasse, geh auf die andere Seite und klebe einen Zettel an die Wand. Morgen schon wirst du eine Nachricht empfangen und deren Empfang bestätigen müssen. Es wird die Nachricht eines Gerichtes sein, das über einem nachrichtenlosen Vermögen gesessen hat, und es wird heissen, dass du
auf dieses Vermögen kein Anrecht hast, dass der von dir angegebene Ort nur beinahe richtig ist, sich jedoch im Namen als auch beim Ort selbst, ein Fehler eingeschlichen hätte: die falsche Buchstaben des Ortes sind in den Namen geraten und umgekehrt.

Dann denkst du ein Lebenlang über diese merwürdige Synchronizität nach und rekurierst gegen die Verschiebung von N und R. bei Gericht.Deine Meinung, ein Name sei ein Name, ein Ort sei ein Ort, unverwechselbar also, steht gegen die Aussage der Bank. Jahre werden vergehen. Es wird gekauft und verkauft. Das Prozessende steht noch immer aus. Ja, dein Prozess hat noch nicht einmal begonnen.

Ein gefällter Baum dreht sich nicht mehr, Oben und Unten ist im einerlei, hauptsache die Geschäfte gehen gut, dachte ich. Doch die Geschäfte gingen nicht gut.

Ein jahr darauf machte man mich zum Beleuchter der Stadt. Beleuchter Fahlleder, mit beinahe unbegrenzter Vollmacht, was die Pflegschaft und Fürsorge der Lampen und Transformatoren betraf. Beleibe kein Zuckerschlecken, doch immerhin in Amt und Würde. Auch die Dienstwohnung in der Altstadt durfte sich sehen lassen. Das Prozessieren musste ich nun bleiben lassen, was mir nur recht war. Ein Vergleich war immerhin etwas. Ich hatte den mir zustehenden Ort und sie behielten das Recht des Namens.
 

herb

Mitglied
hallo

hat Spaß gemacht, deine skurrile Gschichte zu lesen und über den Weltzuckerberg nachzudenken, während die Transformatoren den Gleichstrom abgeben, möchte man am liebsten eine freudsche Vorlesung besuchen

herb,

der jetzt einen Kaffee trinkt mit zwei Löffeln Zucker und dir einen schönen Sonntag wünscht
 



 
Oben Unten