Namen, Schall und Rauch

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Kinghorst

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Rainers Vater hieß Willi mit Vornamen und seine Mutter Marianne. Letztere hatte ursprünglich vorgehabt, ihr erstes Kind auf den Namen Reinhart zu taufen. Sie fand die Kombination von Rein und hart so reizvoll. Nomen est Omen behauptete sie, und: Der Name präge den Charakter. (Eine Meinung, die sie im Laufe der folgenden Jahre allerdings immer mehr zu revidieren bereit war.) Gegen diese Namensgebung sträubte sich von Anfang an ihr Ehemann, der den Namen Reinhart in einer Reihe mit, seiner Meinung nach, so unsäglichen Namen wie Dankwart, Burghart und Meinhart sah.
„Du wirst es bald erleben, wie sich die anderen Kinder über unseren Sohn hermachen und seinen Namen verunstalten werden zu Tankwart, Hauswart, Platzwart oder Sportwart. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Solche Namen hat man im Mittelalter seinen Kindern gegeben. Ritter und Knappen haben so geheißen. Wir aber leben in modernen Zeiten...“
„Moderne Zeiten!“, höhnte Marianne, „Moderne Zeiten! Was sind denn das für moderne Zeiten, in denen der Mann immer noch alles bestimmen kann und die Frau nicht einmal Einfluss auf die Namensgebung der Frucht ihres Leibes nehmen darf?“
„Hier geht es nicht um Einfluss nehmen, hier geht es um die Zukunft unseres Kindes“, erwiderte Willi deutlich ungehalten.
„Also willst du schon wieder bestimmen?“, fragte Marianne mit sehr viel Biss in der Stimme.
„Nein, ich will nur auch noch etwas zu sagen haben.“
„Wir haben wegen dir doch schon diesen Campingurlaub in Mecklenburg-Vorpommern absolviert, in dem ich mindestens fünf Mal Nudeln in Wasser gekocht habe, dass sich im Laufe der verregneten Nächte und Vormittage im Kochtopf angesammelt hatte. Du siehst doch, was dabei herauskommt, wenn immer nur du die Richtung vorgibst.“
Willi fing an, wild mit den Armen fuchteln. „Was zum Teufel hat dieser Campingurlaub mit dem Vornamen meines Sohnes zu tun?“, rief er aus, wobei sich Schaum vor seinem Mund bildete, seine Augen auf unnatürliche Weise hervortraten und sein Kopf rot anlief.
In Mariannes Stimme schlich sich das Sirenengeheul einer Alarmanlage ein, als sie Willis Frage mit der Gegenfrage abschmetterte: „Wieso dein Sohn? Wieso glaubst du, dass alles, womit du in Berührung kommst, dir gehört? Diesem Kind biete ich jetzt seit mehr als neun Monaten meinen Körper als Unterschlupf und damit sind es nicht nur meine Schwangerschaftsstreifen, meine Krampfadern und mein aufgeblähter Bauch, sondern auch mein Kind.“
„Jetzt komme mir nicht schon wieder damit. Ich kann schließlich wirklich nichts dafür, dass ich nicht schwanger werden kann. Du kannst mir doch nicht daraus auch noch einen Vorwurf machen.“
Mariannes Augen wurden feucht.„Das will ich doch auch gar nicht. Du hörst mir überhaupt nicht richtig zu.“
„Ach ja? Das musst du gerade sagen. Aber das ist wieder typisch für dich: Wenn es nicht mit Gewalt geht, dann setzt du dich eben mit deiner Heulerei durch...“
So gab noch eine ermüdende halbe Stund ein Wort das andere. Beide sahen es auf einmal als größten Fehler ihres Lebens an, den jeweils anderen geheiratet zu haben, wobei sich Willi sogar noch zu der Äußerung hinreißen ließ, dass er von Frauen dermaßen genug habe, dass er nie wieder eine heiraten würde. Marianne drohte daraufhin mit sofortiger Scheidung, als, wohl auf Grund der Kombination verschiedener Faktoren, wie Lautstärke, hektische Bewegungen, erhöhter Adrenalinspiegel und Blutdruck etc., die Wehen unvermutet heftig einsetzten und die Fruchtblase platzte. Es kündigte sich damit die Niederkunft des ersten Sprösslings der gerade im Auseinanderfallen begriffenen Kleinfamilie an.
Marianne hielt sich den Bauch, sackte in die Knie und stöhnte auf. Willi, zu Tode erschrocken und überwältigt sowohl von heftig über ihn hereinfallenden Schuld- als auch Vatergefühlen, tat es ihr gleich, bat seine Gattin unter Tränen um Entschuldigung für sein verantwortungs- und rücksichtsloses Verhalten, wimmerte um Gnade und Vergebung und versicherte ihr seine aufrichtige, nie versiegende bedingungslose Liebe, überschüttete sie anschließend mit Koseworten, wie: Stern meines Lebens, roteste Rose im Garten meiner Gefühle und ähnlich poetischen Umschreibungen, welche i.R. nur auf eine bedingte Zurechnungsfähigkeit des sich so Äußernden schließen lassen.
Die auf diese Art Betörte, fühlte sich gerührt und gleichzeitig bedrängt von all dem, was da so unerwartet schnell auf sie zukam, verzieh deshalb ihrem Gatten auf der Stelle selbst die Unflätigkeiten, die ihm herausgerutscht waren und zeigte sich anschließend sogar dermaßen kompromissbereit, dass man sich auf den damals durchaus modernen Vornamen Reiner einigte, noch bevor der Kopf des Neugeborenen nach draußen drängte.
Dass sie ihrem Sohn damit nicht unbedingt einen Gefallen getan hatten, dämmerte dem Ehepaar Zufall wohl auf Grund der aufregenden Tage nach der Geburt erst während der Taufe, als ein anwesender Fotograf sie fragte, wie sie auf diesen Namen gekommen seien und beide wie aus einem Mund „Reiner Zufall“ antworteten.
Es gelang ihnen noch, dem verantwortlichen Priester dazu zu überreden, die schriftliche Darstellung des Namens dahingehend zu ändern, dass aus dem ersten e ein a wurde. Die Sprechweise des Namens musste aber beibehalten werden.
Weil aber die Eltern auch nach diesem Streit einander zugetan blieben und ihrem Kind die gleiche Zuneigung und Aufmerksamkeit entgegenbrachten, wie sich selber, wuchs Rainer Zufall zu einem selbstbewussten jungen Mann heran, an dem Spott und Witzeleien über seinen Namen abprallten. Er trug ihn mit Stolz, Würde und Humor, bis er Erika Treffer kennen und lieben lernte. Diese wollte ihren Nachnamen unbedingt behalten, weshalb er, als Befürworter der Gleichberechtigung und jeglicher Art von Frauenbewegung, sich, ohne zu murren, dazu bereit erklärte, den für diesen Fall in damaligen Zeiten vorgeschriebenen Doppelnamen anzunehmen.
 
Diese Geschichte erscheint mir als Leser zu bemüht und konstruiert. Die Auswahl der Namen, die relativ langen Sätze, das ist alles streng konstruiert. Natürlich ist jeder text konstruiert, aber der Leser darf das nicht merken.

Hier ein Beispiel, wo das viel besser, weil unerwartet rüber kommt. Es gibt die österreichische Fernsehmoderatorin Chris Lohner (bekannt als die Ansagerin in den Kottan-Filmen). Der Witz geht folgendermassen:

Was würde passieren, wenn Chris Lohner den tschechischen Schlagersänger Karel Gott heiraten würde?
Sie hiesse dann Chris Gott.

Das ist überraschend und klingt wenig konstruiert. In Deinem Fall wäre es vielleicht besser, anstelle von fiktiven Charakteren Namen von Prominenten zu nehmen und die Geschichte damit auszugestalten.

Marius
 



 
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