Natürlich ziehe ich um!

Und zwar nach Mallorca.

Immer will ich umziehen, und immer dahin, wo ich gerade Urlaub mache. Aber jetzt ist es endgültig: Ich will nur nach Mallorca. Am liebsten nach Randa.

In diesen kleinen, verwunschenen, verwinkelten Ort, mit seinen mittagsheißen Gassen und dem von Lamellen gebrochenen Stubenlicht zwischen kühlen, grob verputzten Mauern. Hier höre ich schon meine Schreibmaschine klappern, obwohl ich seit Jahren keine mehr benutze. Aber ein PC findet in meinem Traum von mallorquinischer Schlichtheit keinen Platz.

Ich sehe mich sitzen, gebeugt, mit steiler Falte zur Nasenwurzel, weil Arbeitswut mich zornig macht.Ich suche nicht nach Worten, die mir in der unwirtlichen Umgebung deutscher Grenzfelder ständig abhanden kommen. Nein, hier fliegen sie mir einfach zu. Sie stehlen sich durch die Fensterläden, lümmeln auf meinem wackligen, schmalen Tisch, der meine Schreibmaschine trägt, schleichen sich unter meine Finger und schmiegen sich sanft ans Papier. Ich muss sie nicht auffordern. Sie kommen ungefragt, wissen, sie sind gern gesehene Gäste, erzählen von sich, plaudern durch die Stunden, malen Bilder, schließen Lücken, erhellen meinen bescheidenen Platz und wiegen mich in süße Träume.

Und am Ende einer tiefdurchschlafenen Nacht sind sie immer noch da; verlässlich, wie treue Freunde, hielten sie an meinem Lager Wacht. Wie ich sie im Schein der Kerze empfing, so leuchten sie im Licht des Tages fort.

Das nenn ich wahr.

--- Willst du ein Land entdecken, dann suche nach den Alten. Die Jungen sind überall gleich: übermütig, laut und unberechenbar. Berückend, wie das Spiel junger Katzen. ----

Und dann, in Soller, da kamen mir wirklich die Tränen. Nicht des Bedauerns wegen oder vor Überwältigung. Sondern vor Rührung.

Ich war gerührt von den sauber gescheitelten Innenhöfen, von der Palme im MIttelpunkt von 3 Quadratmetern. Ich war gerüht von den liebevoll arrangierten Pflanztöpfen auf Treppenstufen und Mauernischen, sah zwei einsame, winzige Kakteen auf einem ausgebrochenen Fenstersims, rechts und links von altersschwachen Läden flankiert, die schief in den Angeln hingen und sich mit einem letzten Lebensfaden an den rosaverblichenen Putz zu klammern schienen und spürte dieses Kribbeln um die Nase herum, dicht bei den Augen, und das Drücken in den Höhlen, wenn die Augäpfel überquellen, und gleich sollte ich weinen.

Vor Rührung, so, auch aus Trotz!

Es war der Trotz eines kleinen Kindes. Mit dem Fuß aufstampfend verlangt es nach dem funkelnden, unbekannten, verheißungsvollen Spielzeug.

Ich wollte auch all das haben. Diesen fingerhut großen Ziehbrunnen vor der Haustür, diese ausgetretenen, lebensatmenden Steine im Weg, die schiefen Treppenstufen, die malancholisch gebrochenen Flügelreste alter Wassermühlen, die hurtig über Tisch und Brot flitzenden Ameisen, die verrotteten Stallungen am Wegesrand, dieses langsame, bedächtige Leben, das sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Schon gar nicht durch die in Fenster und Türspalten lugenden Touristen, die heute kommen, morgen gehen und zwischendurch, für einen flüchtigen Augenblick, in jenes Leben gucken, zu dem sie zu leben gar nicht geboren sind. Denn sie sind ja nicht so gemacht, aus Zeitlosigkeit und Wärme. Sie wünschen es sich wohl und können doch nicht aus ihrer Haut, leben eine andere Tradition.

Ich war neidisch. Auf die heiße Sonne, auf die Zypresen, Orangen, Palmen, auf die trockene Erde, auf den steinigen Boden, auf den roten Lehm, auf die mageren Ziegen; darauf, dass man hier keinen richtigen Kaffee kennt und keine Eier zum Frühstück, und dass der Schinken luftgetrocknet wird und nicht geräuchert, auf die Stockflecken im Bad, auf das spanische Fernsehen, auf alle windschiefen Zäune am Wegesrand, auf die Ratten und magersüchtigen Hühner, auch auf die gespachtelten Wände, ohne Tapeten, ohne Schmuck, ohne Teppichleisten. - kurz, ich war auf alles neidisch, was nicht an Deutschland erinnerte.


--- Ruhmlos richten wir uns beizeiten aufs Altenteil ein und setzen Jahr für Jahr Steine der Mauer, die uns einst unter sich begraben wird. ---

Egal, wo wir hingehen, egal, welches Leben, welches Klima, welche Städte und Länder und für den Augenblick ergötzen, blenden und vielleicht sogar auf lange Zeit begeistern: nirgendwo wird unser Leben von heut auf morgen ein anderes sein. Schon gar nicht leichter. Denn, egal, wohin es uns verschlägt, wir kommen von uns nicht los. Wir nehmen uns selbst immer mit: unsere Geschichte, unsere Traditionen, unsere Ängste und Sehnsüchte, die sich nicht durch einen räumlichen Umzug aus der Welt schaffen lassen.

Jeder ist überall nur er selbst.
 



 
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