Neue Wege

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Neue Wege
von Lutz Sehmisch

Der Geschäftstermin ist eher beendet, als geplant. Frank hat bis zur Abfahrt seines Zuges noch viel Zeit. Während er mit gesenktem Kopf durch den nasskalten Tag schlendert, gehen ihm wieder die freien Stellen in seiner Firma durch den Kopf. Er könnte viel mehr Aufträge annehmen, wenn er nur die passenden Leute finden würde. Die bisherigen Bewerber haben ihn enttäuscht. Sie hatten weder Kreativität noch künstlerische Ausdrucksstärke gezeigt. Doch das sind Grundvoraussetzungen für eine Mitarbeit bei ihm.
In Gedanken stolpert er über einen Werbeaufsteller. Große Buchstaben springen ihm entge-gen „Zwischen den Spiegeln – unsere Welt mit meinen Augen“. Er denkt: `Davon hast du doch erst neulich gehört. So ein Zufall`. Der Verein „Ein Schutzengel für Kinder e.V.“ soll in einer sehenswerten Kunstausstellung Arbeiten autistischer Kinder und Jugendlicher zeigen. Er ist neugierig und betritt das Gebäude.
Mit Autisten hatte er noch nie etwas zu tun und kann sich nicht vorstellen, dass sie künstle-risch tätig sein können. Er weiß nur, dass der Umgang mit solchen Menschen sehr schwierig sein soll. Er hat gehört, dass sie sich in ihre Welt zurückziehen und kaum in der Lage sind, zu kommunizieren.

Frank betritt den ersten Ausstellungsraum und ist irritiert. Er sieht Skulpturen, die ihn daran zweifeln lassen, dass sie von Behinderten gefertigt wurden.
Besonders fesselt ihn eine angemalte Büste. Die Gesichtszüge des braungebrannten jungen Mannes sind ungewöhnlich deutlich herausgearbeitet. Schmale Lippen, eine breite Nase und die schlitzförmigen, leicht zusammengekniffenen Augen erwecken einen fremdländischen Eindruck. Die kurzen dichten Haare formvollendet gegeelt. Die Augen schauen ihn freundlich und offen an. Sein Gegenüber scheint keine Angst zu haben. Frank wird es unheimlich. Als ob die Büste sprechen könnte. Viele neue und erfrischende Ideen scheinen im Kopf des jun-gen Mannes nur darauf zu warten, auch verwirklicht zu werden. Er ist überrascht und erstaunt zugleich, dass die Skulptur ihn so klar ermuntert, jungen Leuten zuzuhören und auf sie zuzu-gehen.
In der Nähe steht jemand, der kein Besucher zu sein scheint. Frank fragt ihn, ob er zum Aus-stellungspersonal gehört. Ein Lächeln huscht über das Gesicht „Könnte man fast so sagen.“. Es ist einer der beiden Künstler, der die Heranwachsenden viele Wochen angeleitet und be-gleitet hat.
Frank hört, dass sie oft besondere und außergewöhnliche Fähigkeiten besitzen. Dass es seit je her ein gemeinsames Bild-Erleben aller Menschen gibt, egal welcher Herkunft oder An-schauung sie sind, war ihm nicht bewusst. Der Künstler erzählt ihm, dass autistische Men-schen besonders gut Barrieren überwinden und aufeinander zugehen können, wenn sie in größeren Gruppen arbeiten. „Sie sehen sicher, wie stark sie ihre eigenen Gefühlen, Gedan-ken und Ideen anstelle mit Worten bildlich ausdrücken können.“ Da kann Frank dem Künstler nur zustimmen.
Er setzt den Rundgang fort. Auch die Bilder üben eine große Anziehungskraft auf ihn aus. Plötzlich sieht er in einer unglaublichen Schärfe und Detailtreue das Schaffen von Hundert-wasser vor sich. Er ist von den intensiven, leuchtenden Farben gefesselt. Sie folgen keiner Regel und wurden vermutlich instinktiv eingesetzt. Das Bild spricht Frank Mut zu, sich gegen starre Regeln aufzulehnen, etwas Neues, etwas völlig Anderes zu machen. Er spürt die Stär-ke und Willenskraft des Malers. Er ist beeindruckt. Ihm wird klar, dass jeder Mensch Stärken hat, egal ob gesund oder krank. Man muss sie nur erkennen und fördern.
Der Maler hat ihn gefangen genommen. Frank weiß aber auch, dass Menschen oft wegen ihrer Erkrankungen ausgegrenzt werden. Er möchte den jungen Künstler kennenlernen und sich mit ihm austauschen. Er kann sich jetzt sogar vorstellen, ihm eine Mitarbeit in seinem Team anzubieten. Sein Bauchgefühl sagt ihm, dass er bei ihm bestimmt noch eine Menge ungenutztes künstlerisches und kreatives Potential entdecken könnte, welches er in seiner Firma sicher gut umsetzen kann.
Da schießt ihm wie aus heiterem Himmel das Ausstellungsplakat in den Kopf. Er findet es komisch, sich gerade jetzt daran zu erinnern, dass Corinna von Anhalt die Schirmherrin der Aktion ist. Er schmunzelt und denkt, sie und Kunst? Er kennt sie bislang nur von ihren Bemü-hungen um die wirtschaftliche Entwicklung der Region Anhalt. Ihre Aktion hat ihm gezeigt, dass er bei allem unternehmerischem Denken nicht die Menschlichkeit vergessen darf. Ihm ist bewusst geworden, dass behinderte Menschen auch Fähigkeiten und Stärken haben, die er unternehmerisch nutzen kann. Er muss ihnen nur die Chance geben, sie zu zeigen.
 

wirena

Mitglied
Hallo Lutz Sehmisch

ich bin erstaunt, ob so viel Kreativität in Prosa - dadurch kommt der Au-tis-mis sehr gut zur geltung für mein Empfinden. Allerdings frage ich mich, ob das wirklich der "neue Stil/die neue Rechtschreibung" werden soll.Dies sei absolut nicht, als irgendwelche "Meckerei" einfach so hergedacht als Feedback, sondern ehrliche Bewunderung. Doch ich denke, sollte ich je Prosa schreiben können, würde ich für mich Wege suchen, um mit der sogenannten üblichen schriftlichen Ausdrucksweise zurechtzukommen, wie es so in den gedruckten Medien/s.z.B. Zeitungen üblich ist....

....kein leichtes Unterfangen, ich weiss, allerdings.... bin gespannt was sonst noch so für Reaktionen kommen -
LG wirena

PS: vielleicht sollte es auch ein ProsaExperimentielles geben :)
 
K

KaGeb

Gast
Gut geschriebener Text, der hinsichtlich der Bindestriche überarbeitet zu werden verdient. Sicher ein Formatierungsfehler, denn gewollt kommen sie mir nicht vor, da sie den Text nicht voran bringen. Oder irre ich? Gibt es eine tiefere Bedeutung? Kann ich mir allerdings nicht vorstellen :)

Gern gelesen
 
Neue Wege
von Lutz Sehmisch

Der Geschäftstermin ist eher beendet, als geplant. Frank hat bis zur Abfahrt seines Zuges noch viel Zeit. Während er mit gesenktem Kopf durch den nasskalten Tag schlendert, gehen ihm wieder die freien Stellen in seiner Firma durch den Kopf. Er könnte viel mehr Aufträge annehmen, wenn er nur die passenden Leute finden würde. Die bisherigen Bewerber haben ihn enttäuscht. Sie hatten weder Kreativität noch künstlerische Ausdrucksstärke gezeigt. Doch das sind Grundvoraussetzungen für eine Mitarbeit bei ihm.
In Gedanken stolpert er über einen Werbeaufsteller. Große Buchstaben springen ihm entgegen „Zwischen den Spiegeln – unsere Welt mit meinen Augen“. Er denkt: `Davon hast du doch erst neulich gehört. So ein Zufall`. Der Verein „Ein Schutzengel für Kinder e.V.“ soll in einer sehenswerten Kunstausstellung Arbeiten autistischer Kinder und Jugendlicher zeigen. Er ist neugierig und betritt das Gebäude.
Mit Autisten hatte er noch nie etwas zu tun und kann sich nicht vorstellen, dass sie künstlerisch tätig sein können. Er weiß nur, dass der Umgang mit solchen Menschen sehr schwierig sein soll. Er hat gehört, dass sie sich in ihre Welt zurückziehen und kaum in der Lage sind, zu kommunizieren.

Frank betritt den ersten Ausstellungsraum und ist irritiert. Er sieht Skulpturen, die ihn daran zweifeln lassen, dass sie von Behinderten gefertigt wurden.
Besonders fesselt ihn eine angemalte Büste. Die Gesichtszüge des braungebrannten jungen Mannes sind ungewöhnlich deutlich herausgearbeitet. Schmale Lippen, eine breite Nase und die schlitzförmigen, leicht zusammengekniffenen Augen erwecken einen fremdländischen Eindruck. Die kurzen dichten Haare formvollendet gegeelt. Die Augen schauen ihn freundlich und offen an. Sein Gegenüber scheint keine Angst zu haben. Frank wird es unheimlich. Als ob die Büste sprechen könnte. Viele neue und erfrischende Ideen scheinen im Kopf des jungen Mannes nur darauf zu warten, auch verwirklicht zu werden. Er ist überrascht und erstaunt zugleich, dass die Skulptur ihn so klar ermuntert, jungen Leuten zuzuhören und auf sie zuzu-gehen.
In der Nähe steht jemand, der kein Besucher zu sein scheint. Frank fragt ihn, ob er zum Aus-stellungspersonal gehört. Ein Lächeln huscht über das Gesicht „Könnte man fast so sagen.“. Es ist einer der beiden Künstler, der die Heranwachsenden viele Wochen angeleitet und begleitet hat.
Frank hört, dass sie oft besondere und außergewöhnliche Fähigkeiten besitzen. Dass es seit je her ein gemeinsames Bild-Erleben aller Menschen gibt, egal welcher Herkunft oder Anschauung sie sind, war ihm nicht bewusst. Der Künstler erzählt ihm, dass autistische Men-schen besonders gut Barrieren überwinden und aufeinander zugehen können, wenn sie in größeren Gruppen arbeiten. „Sie sehen sicher, wie stark sie ihre eigenen Gefühlen, Gedanken und Ideen anstelle mit Worten bildlich ausdrücken können.“ Da kann Frank dem Künstler nur zustimmen.
Er setzt den Rundgang fort. Auch die Bilder üben eine große Anziehungskraft auf ihn aus. Plötzlich sieht er in einer unglaublichen Schärfe und Detailtreue das Schaffen von Hundertwasser vor sich. Er ist von den intensiven, leuchtenden Farben gefesselt. Sie folgen keiner Regel und wurden vermutlich instinktiv eingesetzt. Das Bild spricht Frank Mut zu, sich gegen starre Regeln aufzulehnen, etwas Neues, etwas völlig Anderes zu machen. Er spürt die Stärke und Willenskraft des Malers. Er ist beeindruckt. Ihm wird klar, dass jeder Mensch Stärken hat, egal ob gesund oder krank. Man muss sie nur erkennen und fördern.
Der Maler hat ihn gefangen genommen. Frank weiß aber auch, dass Menschen oft wegen ihrer Erkrankungen ausgegrenzt werden. Er möchte den jungen Künstler kennenlernen und sich mit ihm austauschen. Er kann sich jetzt sogar vorstellen, ihm eine Mitarbeit in seinem Team anzubieten. Sein Bauchgefühl sagt ihm, dass er bei ihm bestimmt noch eine Menge ungenutztes künstlerisches und kreatives Potential entdecken könnte, welches er in seiner Firma sicher gut umsetzen kann.
Da schießt ihm wie aus heiterem Himmel das Ausstellungsplakat in den Kopf. Er findet es komisch, sich gerade jetzt daran zu erinnern, dass Corinna von Anhalt die Schirmherrin der Aktion ist. Er schmunzelt und denkt, sie und Kunst? Er kennt sie bislang nur von ihren Bemühungen um die wirtschaftliche Entwicklung der Region Anhalt. Ihre Aktion hat ihm gezeigt, dass er bei allem unternehmerischem Denken nicht die Menschlichkeit vergessen darf. Ihm ist bewusst geworden, dass behinderte Menschen auch Fähigkeiten und Stärken haben, die er unternehmerisch nutzen kann. Er muss ihnen nur die Chance geben, sie zu zeigen.
 



 
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