Neugierde II

Wir hingen ein bißchen am Bahnhof rum, denn das war die einzige Gemeinsamkeit, die wir wirklich hatten: Leute beobachten, das konnten wir stundenlang tun. Ich mußte dann mal aufs Klo, und als ich wiederkam, war er nicht mehr da. Ich suchte überall, konnte ihn aber nicht finden. Ich setzte mich auf eine Bank, und schaute in die Gegend. Dann kam er mit einem Mann aus Mc-Donalds raus. Der Typ gab ihm was in die Hand, und zum Schluß einen Klaps auf den Arsch. Ich wußte ja zuerst nicht, was ich davon halten sollte. Es hätte ja ein Bekannter oder Verwandter sein können. Ich stellte ihn zur Rede. Was ich dann zu hören bekam, gab mir die letzte Bestätigung, daß Sven nie ein normales Leben führen könnte.
„War das eben ein Bekannter von dir“, fragte ich ihn.
„Kann man so sagen“, antwortete Sven.
„Wie meinst du das“, bohrte ich weiter.
„So wie ich es gesagt habe. Du hast dich doch bestimmt schon gefragt, wo das Geld für meine Reisen herkommt. Willst du es wissen? Na gut. Ich blase anderen Männern einen, hole ihnen einen runter, laß mich in den Arsch Vögeln, bumse sie, und lasse mich dafür bezahlen.“
Ich hatte einen Einwand: „Dann bist du also ein Stricher.“
Sven sah das jedoch anders: „Bei mir ist es anders, denn mir macht es Spaß. Ich bekomme für etwas was ich sowieso gern mache Kohle. Warum auch nicht. Da mache ich mir keine Gedanken. Ich kenne genügend Stricher, die es nur des Geldes wegen machen, weil sie ihre Drogen bezahlen müssen. Man-che brauchen eine Menge Kies, das kann ich dir sagen. Die haben so einen Ekel vor den Typen, aber sie sind in einem Kreislauf gefangen, der sie nicht mehr frei läßt. Ein paar Freunde von mir sind schon daran gestorben. Ich habe auch verschiedene Drogen ausprobiert, von LSD über Speed bis zum Hero-in, aber ich bin nie hängen geblieben, weil ich wußte wie gefährlich es ist. Ich habe mir auch jedes Mal gesagt, denk daran, daß es dich umbringen kann. Ich hatte auch meistens sehr guten Stoff, nicht so eine gestreckte Straßenscheiße was die anderen nehmen. Ein paar Freier von mir hatten sehr gute Kontakte, und so war es gutes Zeug. Ich machte ja auch immer wieder Pause. Andere sind seit 10 Jah-ren drauf. Auf jeden Fall kann ich mir die Männer aussuchen, und du kannst mir glauben, ich nehme bestimmt nicht jeden. Gefallen muß er mir schon. Der Mann von vorhin ist ein Bekannter von mir, denn ich ungefähr vor drei Monaten kennengelernt habe. Ein bis zwei Mal im Monat sehen wir uns, und dann bekomme ich jedes mal 300 Mark von ihm. Hast du ihn gesehen? Er sieht ja wohl super aus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er verdient eine Menge mit Immobilien. Wenn das rauskommt, sein kleines Hobby, dann wäre seine Karriere vorbei. Die Frau würde sich dann auch scheiden lassen. Deswegen müssen wir uns immer heimlich treffen. Meistens in einem Hotel. Vorhin trafen wir uns zufällig, und wir schoben eine Nummer. War zwar eng auf dem Restaurantklo, aber es ging. Das wäre nicht schlecht, wenn wir das öfter machen könnten, denn er ist mit Abstand der netteste und großzü-gigste von allen. Ich hatte auch schon vorher Sex mit Männern, auch ohne Bezahlung. Weißt du wer der erste war? Ein Lehrer von meiner alten Schule. Ich habe ihn verführt, weil ich neugierig war, und gemerkt habe, daß er auf mich steht. Wir trieben es in seinem Büro. Es war Schulschluß, und wir fie-len wie Tiere übereinander her. Er war schon lange scharf auf mich, hat sich aber nicht getraut. Da war ich 13. Wenn du mich wegen meines Lebensstil verurteilst, dann kann ich damit leben. Halte mir bitte aber keine Moralpredigten. Ich lebe mein Leben, so wie ich es will. Ich mache ja auch anderen Leuten keine Vorschriften.“
Ich war ein bißchen schockiert. Das hätte ich nicht gedacht, daß er schwul ist, Drogen genommen hat. Ich fragte ihn dann, ob er keine Angst vor Geschlechtskrankheiten hat, und daß er daran draufgehen könnte. Seine Antwort ließ mich wie einen kleinen Jungen dastehen, und obwohl wir beide gleich alt waren, wußte ich, daß er mir Lichtjahre voraus war. Seine Antwort war: „Was bist du doch für ein Dummerchen. Hast du schon mal was von Kondomen gehört. Der einzige bei dem ich es ohne mache, war der Kerl von vorhin, weil ich genau weiß, daß er sauber ist. Seine Frau würde ihn nie betrügen, und er hat in seinem ganzen Leben seine Frau nur einmal betrogen, und das mit mir. Außerdem mache ich alle zwei Monate einen Aids-Test. Auch als ich mir mal Heroin gespritzt habe, habe ich es stets mit Einwegnadeln gemacht. Ich bin doch nicht wahnsinnig. In unserer Gesellschaft haben die Leute eh viel zu viel Angst vor dem Tod. Ich frage mich warum. Er gehört doch genau wie die Geburt dazu. Wir kommen aus dem Nichts, und wir gehen in das Nichts. Ich habe keine Angst davor. Die einzige Angst, die ich überhaupt kenne, ist lebendig begraben zu werden, deshalb lasse ich mich verbrennen. Steht schon alles in meinem Testament. An ein Leben nach dem Tod glaub ich nicht. Wir werden zu Staub, und das wars.“
 



 
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