Neulich bei Gericht

Steewee

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„Ruhe im Saal!“ knurrte der Richter und bearbeitete das Pult mit dem Hammer, als wolle er es zu Kleinholz verarbeiten. Das stimmte die anwesende Familie nicht unbedingt optimistisch. Zumal sie die einzigen Anwesenden waren und keinen Mucks von sich gegeben hatten.
„Sie werden sich nun dem Plagiatsvorwurf stellen, den die Klägerin, die hier und heute anonym bleiben möchte, gegen sie vorbringt. Äußern sie sich!“
„Äh?“ stammelte der Vater.
„Nicht schuldig, natürlich.“ brüstete sich die Mutter.
„Das, Teuerste,“ der Richter beugte sich süffisant lächelnd über das Pult „entscheide immer noch ich. Also gut, kommen wir zum Abgleichen der vorgebrachten und somit überführenden Gemeinsamkeiten. Der Familienname : identisch.“ stellte der Richer fest.
Der Vater hob die Hand wie im Schulunterricht „Ein durchaus verbreiteter Nachname und keineswegs …“
„Sie reden nur, wenn ich sie etwas frage oder ich ihnen die Erlaubnis dazu erteile.“ donnerte der Richter „Haben sie das verstanden?!“
„Ja-jawohl, Herr Richter.“ meinte der Vater betreten.
„Vorname : identisch.“
„Das ist nun aber wirklich; wir sind Bewunderer der englischen Königsfamilie und daher…“ versuchte die Mutter einzuwerfen. Ein krachender Hammerschlag gefolgt von einem schneidendem Blick liessen sie sofort verstummen.
„Vielleicht sollte ich nur dem jungen Mann das Wort erteilen?“ deutete der Richter auf den schlaksigen Sohn der Familie, der teilnahmslos vor sich hinträumte „Immerhin geht es hier um ihn.“
Ein weiterer Hieb auf das Eichenholz zerstob alle Tagträume. „Nun, mein Lieber, wenn du die Güte hättest, mir dies hier zu zeigen.“ bat der Richter den Sohn und deutete auf das Cover eines Buches in seiner Hand. Der Junge zuckte mit den Schultern, nahm die Nickelbrille ab und schob einige Strähnen seiner dunklen Wuschelfrisur von der Stirn.
„HA!“ triumphierte der Richter lautstark.
Die Mutter bemühte sich um einen flehenden Ton. „Die hatte er sich bereits im Waisenhaus zugezogen, bevor wir ihn… „
„Es reicht! Redeverbot! Beide!“ schrie der Richter wutentbrannt.
„Ich bin adoptiert?!“ Der Junge sah perplex zwischen seinen Eltern hin und her. Der Vater zog die Brauen nach oben und biss sich auf die Lippe, da er es sich nicht noch weiter mit dem Richter verscherzen wollte. Die Mutter wühlte derweil nach einem Taschentuch.
„Also gut. Ziehen wir das nicht weiter in die Länge, ich habe noch eine Verbabredung zum Golfen.“ der Richter sah wieder zu dem Jungen. „Welcher Beschäftigung gehst du im Moment nach?“
„Ich stehe in einem Gerichtssaal.“
„Wir können das hier auch auf die harte Tour regeln!“
„Ich studiere.“
„Wo?“
„School of Arts.“
„In?“
„England.“
„Was?“
„Diplomillusionist.“
„Also sowas wie ein Zauberer?“
„Naja, Illusionisten sind eher…“
„Sowas wie Zauberer?!!“
„Ja…Zauberer.“
„Du hast ein Haustier?“
„Ja.“
„Was ist es?“
„Ein etwas ungewöhliches…“
„WAS?!!“
„Eine Eule.“
„Das genügt.“ Der Richter schlug dreimal ins Furnier.
“Im Namen des Volkes erachte ich sie des leibhaftigen Plagiates der Bücher der Klägerin als schuldig. Sie haben innerhalb von dreißig Tagen Vor- und Zunamen ihres Sohnes zu ändern. Zudem ist er mit sofortiger Wirkung von seinem Studium suspendiert. Die körperlichen Duplikationen werden gegen Zahlung von zwanzigtausend Euro dem Beklagten zugestanden. Die Sitzung ist hiermit geschlossen.“
„Zwanzigtau…?!!“ Jetzt brauchte der Vater ein Taschentuch.
„Die! Sitzung! Ist! Geschlossen!“ machte der Richter unmissverständlich klar. „Und jetzt raus aus meinem Saal, sonst lass ich sie wegen Missachtung abführen, Potter.“
 



 
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