Nie mehr dieses Theater

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Frieda

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Nie mehr dieses Theater!

Weiß der Teufel warum ausgerechnet mir immer solche verrückten Dinge zustoßen. Im Grunde bin ich in keiner Weise außergewöhnlich, Mitte dreißig, alleinstehend, von mittelmäßiger Statur und gerade mal wieder arbeitslos. Bis vor drei Tagen war ich als Mädchen für alles in einem winzigen Provinztheater angestellt. Der Job war recht interessant und vielseitig, kaum ein Tätigkeitsfeld war mir fremd, vom Eintrittskartenverkäufer über den Kulissenschieber bis zum Seelentröster für lampenfiebernde Schauspieler. Endlich habe ich einen Platz gefunden, an dem ich länger als vier Wochen bleiben kann, dachte ich. Ja, es gefiel mir beim Theater, auch wenn die Schauspieler manchmal etwas schwierig waren. Nehmen wir zum Beispiel Hermann, unsern "jugendlichen Helden", dem ich jeden Morgen zur Begrüßung die letzten beiden Strophen von Schillers "Bürgschaft" aufsagen mußte. Oder Sophie, die vor jedem Auftritt unweigerlich in heftige Krämpfe verfiel und nur mit meiner speziellen Herzmassage wieder ins Leben zurückgeholt werden konnte.

Trotz allem, ich liebte meinen Beruf, jedenfalls bis zu dem Tag, an dem unsere "Grande Dame", die Frau des Chefs, auf mich aufmerksam wurde. Es war während der Generalprobe zu "Hört, wie das Weib im Walde schallt". Unsere Requisite war spät dran mit der Vervollständigung des Bühnenbildes, und so mußte ich als Platzhalter für einen noch nicht fertiggestellten Tannenbaum herhalten. "Nein ist der niiiiedlich!", kreischte die "Grande" als sie mich sah, wie ich eifrig meine Zweige möglichst tannenmäßig abzuspreizen versuchte. Ich wußte nicht, wen oder was sie meinte und blickte unsicher an mir herunter. "Ei, so ein herziges Gesichtchen und so ein strammes Knackärschlein!" Fachmännisch betastete sie mein - durchaus ansehnliches - Hinterteil. Mir wurde ganz anders, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ich gewarnt sein müssen. Aber naiv wie ich war, dachte ich mir nichts dabei, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Der Spielplan war natürlich so gestaltet, daß die "Grande Dame" alle Hauptrollen für sich reklamieren konnte. Das gab zwar ab und zu böses Blut unter den Schauspielern, aber ich hatte in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen, und so berührte es mich kaum. Schlimmer war schon, daß die Chefin nicht auftreten konnte, ohne daß vorher ein ganz bestimmtes Ritual ablief. Als Hauptperson in ihrer "kleinen Belustigung", wie sie es nannte, hatte sie mich, das "Knackärschlein", auserkoren. Eine weitere Hauptrolle spielte ein großes Aquarium, das protzig in ihrer Garderobe stand, und in dem sich eine Reihe bunter Zierfische tummelte. Vor jeder Vorstellung mußte ich in ein albernes Vogelgewand mit überdimensionalem Schnabel schlüpfen. Kurz bevor die "Grande" zu ihrem Auftritt gerufen wurde, stieg ich gemäß ihrer Anweisung auf den Tisch mit dem Aquarium, tauchte den Kopf tief ins Wasser und versuchte, mit meinem mächtigen Schnabel die Fische zu fangen. Igitt, die glitschigen Biester kannten natürlich die Zeremonie. Wie verabredet schwammen sie alle auf mich zu, wobei sie mit ihren ekligen Schnappmäulern hämisch zu grinsen schienen. Dann, wenn ich schon dachte, ich hätte ein paar erwischt, drehten sie im letzten Moment ab. Sie machten sich ganz offensichtlich einen Spaß daraus, und auch die "Grande" hatte ihren Spaß, indem sie mich mit herzhaften Schlägen auf mein während der Jagd steil nach oben ragendes "Knackärschlein" anzufeuern pflegte. Gewöhnlich gelang es mir, bis zum endgültigen Aufruf der Chefin unter Wasser zu bleiben. Das war reine Selbsterhaltung, denn sobald ich hochzukommen wagte, stürzte sie sich mit dem Schrei: "Oooch was hat er denn? Ist er vielleicht ertrunken?" auf mich und versuchte, mich zu beatmen. Erst wenn sie zu ihrem Auftritt aus der Garderobe gerauscht war konnte ich gefahrlos auftauchen, wenn ich dann noch die Kraft dazu hatte. Mimi, die Maskenbildnerin, mußte mir mehr als einmal das Leben retten, denn lieber wäre ich elendig ersoffen, als daß ich mich von der "Grande" hätte wiederbeleben lassen.

Man kann sich vorstellen, daß diese Art von Belustigung meiner Gesundheit nicht besonders zuträglich war. Ich befand mich in einer Zwickmühle: Einerseits wollte ich gern am Theater bleiben, andererseits war ich sicher, daß es mich früher oder später das Leben kosten würde. Doch dann geschah eines Tages etwas unvorhergesehenes, das mir die Entscheidung abnahm: Ich fing einen Fisch.
"Ich hab' einen!", wollte ich rufen, dabei vergaß ich ganz, daß ich noch unter Wasser war und schluckte erst einmal eine gehörige Portion des algendurchsetzten Aquariuminhaltes. Panisch warf ich mich zurück, kollerte unter den Tisch, einen breiten Wasserschwall und den besagten Fisch mit mir reißend. "Oooch, was hat er denn? Ist er vielleicht ... Aaaaaah!"

Was dann geschah kann ich nur noch unvollständig rekonstruieren. Fast besinnungslos lag ich am Boden und sah die weiteren Ereignisse wie einen Film vor mir ablaufen. Die "Grande" hatte offenbar, kaum daß ich aufgetaucht war, die Gelegenheit ergriffen und war auf mich zugestürzt, um mich endlich einmal wieder zu beatmen. Dabei muß ihr der unglückliche Fisch entgegengesprungen sein, so daß sie vor Schreck rückwärts getaumelt, gegen das Aquarium gestoßen und mit der ganzen Bescherung zu Boden gegangen war. Dunkel erinnere ich mich an schnappende Münder, an zuckende Leiber. Wie schön sie sich hin- und herwanden und um ihr armseliges Leben kämpften. Einer von ihnen war besonders dick und groß und bunt, aber er zuckte und schnappte nicht anders als die übrigen. Kleine glucksende Lacher stiegen wie Sektperlen in mir auf, zerplatzten, sobald sie an die Oberfläche kamen und hinterließen eine angenehme Mattigkeit. Ich fühlte mich unendlich wohl, indem ich einfach nur dalag und den zappelnden Dingern zusah. "Fischlein, Fischlein", kicherte ich vor mich hin. Und ehe noch jemand von der Truppe eingreifen konnte hatten sie alle, auch der dickste Fisch, ausgezuckt.

Nun, ich selbst war auch diesmal ohne Schaden davongekommen. Der Spielplan mußte natürlich geändert werden, leider wurde auch die Besetzung meiner Stelle geändert. Aber vom Theater hatte ich inzwischen sowieso die Nase voll. Und nun kommen Sie und bieten mir diesen Job beim Fernsehen an. Ich soll mich in ein Elchkostüm stecken, bis an den Hals verschnüren und auf der Ladefläche eines Pritschenwagens durch Lappland kutschieren lassen? Es wir auch gut bezahlt, sagen Sie? Nein, mein Lieber, auf so etwas lasse ich mich nicht ein. Nie mehr, das habe ich mir geschworen!
 



 
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