Ich suche dich. Du wolltest kein Grab mit einem Stein, wolltest, dass wir keine Arbeit haben mit dir. Verzweifelt sehe ich mich um. Mein Blick fällt auf eine Eiche. Knorrig und stark thront sie am Rande der Wiese. Ich bin mir sicher - dort liegst du. Ein anderer Platz käme für dich nicht in Frage.
Es ist fast dunkel. Ich bin an der Eiche angelangt. Ein Kloß hängt mir im Hals. Mit beiden Fäusten hämmere ich gegen den Baumstamm. Ich bin so wütend auf dich, weil du Mutter allein lässt. Du hast ihr doch tagtäglich den Weg vorgegeben. Und nun?
Ich weine. Von irgendwoher dröhnt eine Stimme in meinem Kopf.
Als ich wach wurde, war mein Kissen tränenfeucht. Ich klappte das Fenster an und ging in die Küche und drehte den Wasserhahn auf. Ich ließ das Wasser laufen, bis es kalt genug war, trank gierig und füllte mir ein zweites Glas.
Im nachtschwarzen Hof leuchteten nur wenige Fenster. Es war halb Zwei. Ich lehnte den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe. Nacheinander erloschen die Lichter.
Bilder blitzten vor mir auf wie die Scheinwerfer entgegenkommender Autos: Ein Sonntag, Vater mit der Küchenchef-Schürze am Herd. Oder abends von der Arbeit heimkommend.
Du hattest mir Hasenbrot mitgebracht, eine von deinen Frühstücksstullen, die ein bisschen nach Aktentasche schmeckten und die ich dir jedes Mal glücklich aus der Hand nahm.
Ich rieb mir die Stirn am Fenster. Die Scheinwerferkolonne kroch weiter durch meinen Kopf.
Deine Hände. So sauber. Immer. Nie auch nur ein schwarzer Punkt unter dem Nagel. Und nie ein lautes Wort. Ich aber suchte das Laute und den Schmutz und hätte mich manchmal doch so gern gestritten.
Meine Gefühle waren gegen deine Kontrolle gestoßen.
„Wie ähnlich ihr euch seid“, sagte Mutter.
Meine Füße werden kalt, ich sollte wieder ins Bett gehen.
Ja, wir sind uns ähnlich und je älter ich werde, umso mehr spüre ich das und manchmal macht es mich wütend. Irgendwie hatte ich gehofft, dass wir mehr zueinander finden würden, jetzt, wo du berentet bist. Einfach mal reden, bummeln gehen, nur wir beide, aber kann das wirklich funktionieren, dass man sich näher kommt, wenn es nie eine Nähe gab? Zwei, drei klägliche Versuche gab es von meiner Seite, die jedes Mal abbrachen, als wieder so ein Satz fiel, so eine Bemerkung von dir, die mich wie ein eisiger Atem traf und nicht zu dem passte, wie ich mich fühlte.
Vor ein paar Tagen ging es dir nicht gut. Mutter rief mich an.
Du hast in eine Decke gehüllt auf der Terrasse gesessen.
„Wie fühlst du dich, Papa?“
„Schön, dass du gekommen bist!“
Ich habe meine Hand auf deine gelegt, die du unter der Decke hervorgeschoben hast. Unausgesprochenes schwirrte in der Stille zwischen uns. Plötzlich musste ich an ein Gedicht denken, das ich einmal geschrieben hatte: „Komm Vater, wir fliegen!“ Du hast es nie gelesen.
War jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu fliegen?
Irgendwann stand ich auf: „Hat Mutti wieder schön gemacht“, sagte ich und zeigte auf die blühenden Pflanzen in den Kästen, als wären sie im Moment das Wichtigste. Ich beobachtete ich dich aus den Augenwinkeln. Du hast dagesessen, als wärest du tot.
"Ich muss hier weg", habe ich nur gedacht;drückte dir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, nahm hastig meine Tasche und verschwand.
Mit eiskalten Füßen schlüpfte ich nun doch wieder ins Bett, zog mir die Decke bis unter die Nase, um mich warm zu hauchen und glitt hinüber in einen unruhigen Schlaf.
Wieder stehe ich an der alten Eiche. Langsam rutsche ich ins Gras. Es hat angefangen zu regnen, ein Gewitter rückt näher. Der Kloß scheint meinen Hals aufzureißen. Der Schmerz zieht bis in den Kopf. Ich knie mich vor den Baum, will ihn mit meinen Händen umfassen.
Wir konnten uns nie in den Arm nehmen. So richtig.
Meine Hände reichen nicht um den Stamm herum: Ich mache die Arme lang, es muss mir doch gelingen. Rinde schiebt sich unter meine Fingernägel. Ich greife in meine Jackentasche, ziehe ein Messer heraus und beginne, auf das Eichenholz einzustechen. Kleine unbedeutende Stiche, die mich noch hilfloser machen, aber ich kann nicht aufhören. Ich rutsche ab und verletze mich am linken Arm. Ich sehe meinem Blut zu, wie es sich den Weg zu dir bahnt.
Der Wecker erlöste mich. Mein linker Arm schmerzte, aber es war kein Blut zu sehen. Quälend langsam erhob ich mich. Ein Nebel hing schwer vor dem Fenster. Als ich im Bad war, klingelte das Telefon. Der Anrufbeantworter sprang an. „Sicher Karin, die spricht ohnehin nie aufs Band.“
Ich war spät dran. Ich biss in ein trockenes Brötchen, steckte es in die Tasche und griff nach dem Wohnungsschlüssel. An der Tür fiel mir der Anrufbeantworter ein.
Wenn es nun doch nicht Karin war?
Es ist fast dunkel. Ich bin an der Eiche angelangt. Ein Kloß hängt mir im Hals. Mit beiden Fäusten hämmere ich gegen den Baumstamm. Ich bin so wütend auf dich, weil du Mutter allein lässt. Du hast ihr doch tagtäglich den Weg vorgegeben. Und nun?
Ich weine. Von irgendwoher dröhnt eine Stimme in meinem Kopf.
Als ich wach wurde, war mein Kissen tränenfeucht. Ich klappte das Fenster an und ging in die Küche und drehte den Wasserhahn auf. Ich ließ das Wasser laufen, bis es kalt genug war, trank gierig und füllte mir ein zweites Glas.
Im nachtschwarzen Hof leuchteten nur wenige Fenster. Es war halb Zwei. Ich lehnte den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe. Nacheinander erloschen die Lichter.
Bilder blitzten vor mir auf wie die Scheinwerfer entgegenkommender Autos: Ein Sonntag, Vater mit der Küchenchef-Schürze am Herd. Oder abends von der Arbeit heimkommend.
Du hattest mir Hasenbrot mitgebracht, eine von deinen Frühstücksstullen, die ein bisschen nach Aktentasche schmeckten und die ich dir jedes Mal glücklich aus der Hand nahm.
Ich rieb mir die Stirn am Fenster. Die Scheinwerferkolonne kroch weiter durch meinen Kopf.
Deine Hände. So sauber. Immer. Nie auch nur ein schwarzer Punkt unter dem Nagel. Und nie ein lautes Wort. Ich aber suchte das Laute und den Schmutz und hätte mich manchmal doch so gern gestritten.
Meine Gefühle waren gegen deine Kontrolle gestoßen.
„Wie ähnlich ihr euch seid“, sagte Mutter.
Meine Füße werden kalt, ich sollte wieder ins Bett gehen.
Ja, wir sind uns ähnlich und je älter ich werde, umso mehr spüre ich das und manchmal macht es mich wütend. Irgendwie hatte ich gehofft, dass wir mehr zueinander finden würden, jetzt, wo du berentet bist. Einfach mal reden, bummeln gehen, nur wir beide, aber kann das wirklich funktionieren, dass man sich näher kommt, wenn es nie eine Nähe gab? Zwei, drei klägliche Versuche gab es von meiner Seite, die jedes Mal abbrachen, als wieder so ein Satz fiel, so eine Bemerkung von dir, die mich wie ein eisiger Atem traf und nicht zu dem passte, wie ich mich fühlte.
Vor ein paar Tagen ging es dir nicht gut. Mutter rief mich an.
Du hast in eine Decke gehüllt auf der Terrasse gesessen.
„Wie fühlst du dich, Papa?“
„Schön, dass du gekommen bist!“
Ich habe meine Hand auf deine gelegt, die du unter der Decke hervorgeschoben hast. Unausgesprochenes schwirrte in der Stille zwischen uns. Plötzlich musste ich an ein Gedicht denken, das ich einmal geschrieben hatte: „Komm Vater, wir fliegen!“ Du hast es nie gelesen.
War jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu fliegen?
Irgendwann stand ich auf: „Hat Mutti wieder schön gemacht“, sagte ich und zeigte auf die blühenden Pflanzen in den Kästen, als wären sie im Moment das Wichtigste. Ich beobachtete ich dich aus den Augenwinkeln. Du hast dagesessen, als wärest du tot.
"Ich muss hier weg", habe ich nur gedacht;drückte dir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, nahm hastig meine Tasche und verschwand.
Mit eiskalten Füßen schlüpfte ich nun doch wieder ins Bett, zog mir die Decke bis unter die Nase, um mich warm zu hauchen und glitt hinüber in einen unruhigen Schlaf.
Wieder stehe ich an der alten Eiche. Langsam rutsche ich ins Gras. Es hat angefangen zu regnen, ein Gewitter rückt näher. Der Kloß scheint meinen Hals aufzureißen. Der Schmerz zieht bis in den Kopf. Ich knie mich vor den Baum, will ihn mit meinen Händen umfassen.
Wir konnten uns nie in den Arm nehmen. So richtig.
Meine Hände reichen nicht um den Stamm herum: Ich mache die Arme lang, es muss mir doch gelingen. Rinde schiebt sich unter meine Fingernägel. Ich greife in meine Jackentasche, ziehe ein Messer heraus und beginne, auf das Eichenholz einzustechen. Kleine unbedeutende Stiche, die mich noch hilfloser machen, aber ich kann nicht aufhören. Ich rutsche ab und verletze mich am linken Arm. Ich sehe meinem Blut zu, wie es sich den Weg zu dir bahnt.
Der Wecker erlöste mich. Mein linker Arm schmerzte, aber es war kein Blut zu sehen. Quälend langsam erhob ich mich. Ein Nebel hing schwer vor dem Fenster. Als ich im Bad war, klingelte das Telefon. Der Anrufbeantworter sprang an. „Sicher Karin, die spricht ohnehin nie aufs Band.“
Ich war spät dran. Ich biss in ein trockenes Brötchen, steckte es in die Tasche und griff nach dem Wohnungsschlüssel. An der Tür fiel mir der Anrufbeantworter ein.
Wenn es nun doch nicht Karin war?