Nordwind

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Sno

Mitglied
Nordwind

Leise weht der eisige Nordwind durch die jungen Blätter, die sich vorlaut in den ersten warmen Momenten des Frühlings entfaltet haben. Voll von Energie und Lebenssaft, in ihrem pastellenen Grün, recken sie sich der Sonne entgegen.

Leise weht der eisige Nordwind durch die jungen Blätter, die zittern und sich schütteln, halb vor Kälte, halb vor Angst, dass er sie erfriert und ihr junges Leben auslöscht. Sie zittern und rascheln so laut sie können, wiegen sich hin und her, reiben die jungen Triebe aneinander, so heftig, dass die dünnen Ästchen zu brechen drohen.

Leise weht der eisige Nordwind durch die jungen Blätter, in dem der kleine Nachtmensch segelt und er hört das Rascheln und Zittern der jungen Blätter. Er hält ein und lauscht, was sie ihm erzählen: von der lockenden Sonne, deren Strahlen an den jungen Trieben kitzeln, so verführerisch wärmen und immer wieder rufen: „Komm heraus, recke und strecke dich, ich werde dich wärmen und du sollst sprudeln vor Lebensfreude, komm, trau dich!“
Sie trauten sich, reckten und streckten sich der lockenden Sonne entgegen, die langsam am Horizont verschwand.
Und leise kam der eisige Nordwind, brachte die dunkle Nacht mit sich und den kleinen Nachtmenschen, der aufmerksam gelauscht hatte. Aus seinem samtblauen Umhang zog er ein kleines Säckchen, öffnete es behutsam – husch, blies er leicht hinein und leuchtend wirbelte der Sonnenstaub, legte sich wärmend auf die zarten jungen Blätter.

Leise weht der eisige Nordwind durch die jungen Blätter, die jetzt nicht mehr zittern müssen.
 
H

HFleiss

Gast
Liebe Sno,

ein wunderschöner, zarter, poetischer Text.

Lieben Gruß
Hanna
 
X

xzar

Gast
hallo sno,

es gibt ja beinahe regelmäßig diese forderung nach streichung von adjektiven. und auch hier erscheint es mir notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass zuviele adjektive und auch adverben den lesefluss hindern. mut zur leerstelle.

nur als beispiel hier gleich im ersten satz.
Leise weht der eisige Nordwind durch die jungen Blätter, die sich vorlaut in den ersten warmen Momenten des Frühlings entfaltet haben.

anstatt den nordwind eisig zu nennen wäre es außerdem doch eine idee, seine "eiseskälte" in einer handlung oder einem vergleich zu zeigen.

das nur als überlegung für dich.

lg
co
 
H

HFleiss

Gast
Ja, ich bin auch eine Freundin von einsamen Substantiven, aber nur dann, wenn ein Adjektiv keine Funktion hätte. Man sollte aber einen Lehrsatz nicht unbedingt zum Dogma machen, denn genau dieses Beispiel, das du angeführst hast, zeigt, dass die Adjektive sinnvoll sind. Stell dir den Text so vor: Der Nordwind ... Schon nimmst du dem Text die Aussage, dem Nordwind seine Poesie, so beginnt eine Wettermeldung. Und das ist das Wunderschöne an diesem Text: er ist voller Poesie, auch dank der Adjektive, er ist im Grunde ein Gedicht. Man kann trefflicher darüber streiten, ob "eisig" unbedingt das einzig mögliche Adjektiv ist, ich z. B. würde "einsam" bevorzugen (aber ich habe den Text ja nicht geschrieben). Auch Adjektive, selbst wenn Mark Twain sie fressen wollte, haben manchmal erstaunlicherweise ihre Berechtigung, man kann eben nicht alles nur an einer Latte messen.

Lieben Gruß
Hanna
 
X

xzar

Gast
danke für die belehrung. was noch zu sagen wäre: die verbindung zu abgedroschenen bzw. leeren phrasen (einsam+nordwind) ist ebensowenig zu empfehlen.
 
H

HFleiss

Gast
Ja, jeder hat so seine eigene Meinung, und jeder kann sie auch äußern, er sollte sie sogar äußern, mir persönlich sogar egal, wie. Bin sehr dafür.

Lieben Gruß
Hanna

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Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)
 



 
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