Normalitäten I - 2003

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aboreas

Mitglied
Normalitäten I - 2003

Der Bürgersmann

Er war ein junger Bürgersmann,
von seiner Mutter so geboren.
Der Vater hatte ihn sodann
zu noch weit Höherem erkoren.

Die Kleidung passte stets korrekt,
die Haare waren leicht getönt.
Sein Auto glänzte wie geleckt,
er schien mit seiner Welt versöhnt.

Er war beliebt bei den Kollegen,
war gleichsam Henne wie auch Hahn.
Er lebte nur der Firma wegen,
sogar sein Chef war angetan.

Er liebte Bücher und Kulturen
und Frau wie Kinder sowieso.
Wenn Freunde in die Südsee fuhren,
besuchte er den Kinderzoo.

Doch richtig kam er erst auf Touren
als Sklave bei der Domina.
Dann schwitzte er bei jungen Huren -
natürlich safer, ist doch klar.

aboreas / 2003
 
B

Bruno Bansen

Gast
Thema hervorragend aufbereitet

...da kann man nicht meckern. Satire vom Feinsten. Beleg dafür, dass abgegriffene Themen durchaus neuen Glanz bekommen, wenn sie in solcher Manier wiederbelebt werden.

Beispielhaft!

Grüße von Bruno
 

aboreas

Mitglied
Liebe Klopfstock,

danke für deine Zeilen.

Ja, es ist noch einer der harmlosesten Abgründe, in dem sich so manch freundlicher Zeitgenosse entspannt...

Aber die Welt ist voll davon.

Auch dir etwas Schönes und Gutes. Äh, natürlich nichts von der Sorte aus diesen Abgründen... :D

Gruß. aboreas
 

aboreas

Mitglied
Hallo Bruno Bansen.

Danke für deine Aufmerksamkeit.

Auch das Abgegriffene sollte immer wieder belebt werden. Es wäre ja nicht abgegriffen, wenn es nicht umfänglich behandelt worden wäre. Immerhin ein Indiz für den Grad des Interesses.

Da fällt mir eine Diskusion über KLischees ein, die ich heute kurz geführt habe. Auch klischeehaften Darstellungen haftet der Geruch des Abgegriffenen an. Oder: Sie definieren sich dadurch sogar. Die Frage, die ich mir seitdem stelle, ist, ob es mit der zunehmenden Zahl von Darstellungen desselben Gegenstandes nicht immer schwieriger wird, frei von Klischees bleiben.
Das wäre ein Stoff fürs Theoretische. Mal sehen, ob ich es in den nächsten Tagen reinstelle werde.

Gruß. aboreas
 

B.Wahr

Mitglied
Vortrefflich

Hallo Aboreas,

immer wieder muß ich Deine scharfsinnige Beobachtungs- und Typologisierungsgabe bewundern!

Dazu noch: Köstlich geschrieben!
Du machst mich zum Fan!

LG
B.Wahr
 
L

label

Gast
hallo aboreas

Brave Bürger wie wir wissen,
haben oft ein schlecht Gewissen,
weil ja menschliche Gliedmaßen
nicht in Norm-Schablonen passen
unangepasstes mit viel Leiden
beginnt der Bürger abzuschneiden
je korrekter - desto schneller
modert das als Leich´ im Keller.
denkt
label

liebe grüsse
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Abgründig..?

Hallo Aboreas,

ich sehe das "abgründige Verhalten" nicht so recht! - Gehen die Huren nicht einem mitterweile anerkannten Gewerbe nach bzw. nimmt der Beschriebene nicht solches in Anpruch? Etwas ratlos

Pen.
 

aboreas

Mitglied
Hallo B.Wahr.

Tausend Dank für deine Anerkennung, die mich sehr gefreut hat. Wir sind halt ein "verwandter" Jahrgang...

Grüße von aboreas
 

aboreas

Mitglied
Hallo label,

die Menschen sind vielschichtig, ja!!

Und die Zeiten und die Umstände lassen sie bisweilen moralisch angreifbare Wege beschreiten. Solange sie damit niemanden schaden, sollen sie doch...

Aber besser wäre Offenheit, Klarheit, Bekennermut. Dann wäre ganz schnell Schluss mit der "Leich im Keller", wie du so schön schreibst. Denn der Verwesungsgeruch muss doch fürchterlich sein...

Liebe Grüße zurück. aboreas
 

aboreas

Mitglied
Hallo Penelopeia.

Pssst vorweg: Deinen Namen find ich terroristisch. Immer muss ich auf "zurück" und "vorwärts" klicken, um sicherzugehen, dass ich ihn nicht falsch (peia oder paier usw.) schreibe.

Doch jetzt zu deinem Beitrag:

Ich denke, dass sich das „Abgründige“ weniger durch den schnöden Besuch bei einer Hure ergibt. Huren sind in der Tat heute für viele etwas Normales. Und es liegt mir fern, sie irgendwie zu diskriminieren. Habe ich auch nicht!! Ich zähle zwei ehemalige zu meinem Bekanntenkreis. Es heißt ja auch „Normalitäten“. Das „Abgründige“ ergibt sich eher aus dem Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ich denke, dass ich mit wenigen Zeilen einen ganz normalen gutbürgerlichen Menschen skizziert habe. Dazu gehört so etwas wie ein Wertesystem mit Begriffen wie Treue, Vertrauen, Zuverlässigkeit. Ein Wertesystem, dass von dieser Art von Menschen in der Regel vor sich her getragen wird wie eine Fahne. Sie sichert Zugehörigkeit und Ansehen, nicht zuletzt gesellschaftliches Fortkommen.
In der Regel sind es auch diese Eigenschaften, die ihn als Ehemann und Familienvater interessant machen.
Wie steht es mit dir? Wie würdest du empfinden, wenn dein Partner alle Wesenszüge eines berechenbaren, vertrauensvollen, offenen Menschen an den Tag legen würde. Wäre es dann für dich okay, wenn er heimlichen Gelüsten nachginge? Usw. usf.
Zugegeben: In den Zeilen steht nicht direkt etwas von Heimlichkeit. Aber ich denke, dass sie sich aus den Zeilen ergeben.
Noch einmal: Es ist der Widerspruch, die Zweideutigkeit - früher, in Zeiten von mehr Prüderie, hat man stets von Doppelmoral gesprochen. Das Gedicht soll auch nicht verurteilen. Es soll ein kleines Aha-Gefühl hinterlassen. Wenn es bei dir Ratlosigkeit erzeugt, dann hat es allerdings sein Ziel verfehlt. Aber – ehrlich!!! – es freut mich trotzdem ungemein, wenn es dich ein ganz kleines Büschen beschäftigt hat.

Einen vertrauensvollen Gruß. aboreas
 

aboreas

Mitglied
Hallo DeGie,

was soll ich dir antworten?
Hmm? Na ja, wenn dich die Zeilen nicht vom Hocker gerissen haben, dann muss ich mir immerhin keine Vorwürfe machen. Du hättest dir ja den Hals brechen können. ;D

Mit dem Ähneln ist das so eine Sache, wie mit den Klischees. Letztendlich haben wir alle einen ganz allgemeinen und viele in Gruppen und Organisationen einen spezifisch gleichen Verstand. Dass man da zu ähnlichen Überlegungen, Bildern und Begriffen gelangt, ist unausbleiblich. Im Vertrauen: Ich erfreue mich daran. Leider habe ich nicht die Zeit, alle wahrzunehmen. Leider...

Gruß. aboreas
 

LuMen

Mitglied
aus alt mach neu..

Hallo aboreas,

ich finde, Du hast einer alten Wahrheit eine gute neue Verpackung gegeben! Du kennst sicher den Ausspruch eines "Kollegen" - ich weiß ihn jetzt nicht mit Namen zu benennen -, der gesagt hat, es gibt nichts, was nicht schon geschrieben worden wäre. Mit anderen Worten: Es kommt in erster Linie auf das "Wie" an.
Zur moralischen "Bewertung" möchte ich Kästner zitieren:

Von mir aus schlaft euch selber bei!
Und schlaft mit Drossel, Fink und Star
und Brehms gesamter Vogelschar!
Mir ist es einerlei.

Ein schönes Wochenende wünscht
LuMen
 

aboreas

Mitglied
Hallo LuMen,

danke für deine positiven Zeilen.
Ich habe den Satz auch schon einmal gelesen. Er könnte sogar von Goethe sein. Ist aber auch egal, da er einleuchtend ist.

Ich finde, dass die Zeilen von Kästner einen schönen Abschluss bilden.

Gruß. aboreas
 



 
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