Notwendige Medikamente

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Raniero

Textablader
Notwendige Medikamente

„Das ist doch wohl ein fauler Witz“, schimpfte Robert Ingerlob, als er den Brief seiner Krankenkasse in Händen hielt.

Soeben war ihm die letzte Abrechnung über die von ihm eingereichten Arzt- und Arzneirechnungen mit der Post ins Haus geflattert, die er sofort, wie stets, genauestens überprüfte.
Im Allgemeinen, so kannte Robert es aus Erfahrung, gab es bei diesen Abrechnungen nichts zu beanstanden, doch in diesem Fall musste er schwer schlucken.
Da hatte es doch die Krankenkasse bei einem Medikament, dessen Kosten er als Privatversicherter stets auch noch vorstrecken musste, doch nicht für nötig befunden, auch nur einen blanken Cent davon zurückzuerstatten.
Hierbei handelte es sich ausgerechnet auch noch, und das traf ihn am härtesten, nicht gerade um irgendwelche preiswerte Pillen, sondern um ein sehr teures Medikament, bei dem er mit einer Rückerstattung der Kosten von mindestens sechzig Prozent, wie sonst üblich, gerechnet hatte.

Verärgert legte Robert den Brief beiseite und griff zum Telefon, um sich bei seiner Krankenkasse zu beschweren, doch dann nahm er die Abrechnung noch einmal zur Hand, ein wenig verunsichert, um sie noch einmal sorgfältig zu überprüfen. Vielleicht hatte er doch irgendetwas, irgendeine Erklärung oder Aufschlüsselung, übersehen, und eine solche Blamage wollte er sich natürlich nicht erlauben.
Doch er fand nichts, so genau er auch hinsah, nichts, das darauf hindeutete, warum ihn seine altvertraute Kasse, bei der er sich stets wohlgefühlt hatte, so im Regen stehen ließ, bei diesem wichtigen Medikament.

Erneut griff Robert zum Telefon.
Auf Anhieb erreichte er den für seine Angelegenheit zuständigen Sachbearbeiter, mit dem er in der Vergangenheit schon ab und an ein Gespräch geführt hatte.
„Hier Rogenkötter, ich grüße Sie, Herr Ingerlob, was gibt’s, was kann ich für Sie tun?“
„Guten Tag, Herr Rogenkötter. Mein lieber Mann, ich habe gerade die letzte Abrechnung erhalten, ich muss schon sagen, was Sie sich da erlaubt haben, das ist, gelinde gesagt, ein Skandal.“
„Wie bitte? Was meinen Sie damit, ein Skandal, ich muss doch sehr bitten!“
„Nun gut, ein Skandal ist vielleicht zuviel gesagt, aber mit der letzten Abrechnung bin ich absolut nicht zufrieden.“
„Aber das ist das erste Mal, dass ich so etwas von Ihnen höre, Herr Ingerlob. Bis jetzt gab es doch bis auf kleinere Ausnahmefälle nichts zu beanstanden, bei uns, nicht wahr?“
„Das haben Sie schon Recht. Umso mehr erstaunt mich jetzt dieser unglaubliche Fehler in dieser Abrechnung.“
„Ein unglaublicher Fehler? Das kann ich gar nicht glauben. Einen Moment, mal, Herr Ingerlob, ich nehme mal die Akte zur Hand.“
Nach einer Pause. „So, hier habe ich die Unterlagen. Was ist denn Ihrer Meinung nach unkorrekt, an der Rechnung?“
„Na, das Medikament unter der Position fünf, Herr Rogenkötter. Für dieses teure Medikament wollen Sie nichts zurückerstatten, nicht einen Cent! Das kann ich nicht begreifen!“
„Einen Augenblick, Herr Ingerlob, ich schaue mal eben nach. Ach, hier habe ich es. Dieses Medikament fällt unter eine Sonderregelung, ich zitiere:
Dieses spezielle Mittel ist nach § 5 unserer allgemeinen Geschäftsbedingungen auch bei medizinisch nachgewiesener Notwendigkeit nicht zuschussfähig.
Ja, Herr Ingerlob, das steht da tatsächlich so. Die Geschäftsbedingungen müssten Sie auch vorliegen haben, die haben Sie seinerzeit bei Vertragsabschluss von uns erhalten und wir senden unseren Versicherten jede aktualisierte Fassung zu, damit sie auf dem Laufenden bleiben.“
„Da habe ich noch gar nicht reingeguckt“, gestand Robert kleinlaut, „das heißt also, dass ich diese erheblichen Kosten komplett selbst tragen muss?“
„So steht es hier, schwarz auf weiß, Herr Ingerlob, leider. Doch warten Sie mal, hier steht noch ein Zusatz: In besonders begründeten Ausnahmefällen kann eine anteilige Kostenübernahme in Aussicht gestellt werden. Na, wie ist es, liegt bei Ihnen dieser Tatbestand vor, Herr Ingerlob, können Sie eine schriftliche Bescheinigung vorlegen?“
„Nein, noch nicht, da muss ich meinen Arzt fragen, dass er mir eine solche ausstellt.“
„Dafür ist Ihr Arzt nicht zuständig, Herr Ingerlob, bei diesem Medikament.“
„Nicht mein Arzt? Wer denn dann, zum Teufel?“
„Na, immer die veranlassende Person, Herr Ingerlob; bei Viagra und allen anderen Mitteln zur Steigerung der sexuellen Potenz, immer die veranlassende Person. Fragen Sie doch mal Ihre Frau.“

Erleichtert legte Robert den Hörer nieder.
„Luise“, rief er in Richtung Nebenzimmer, „kommst du mal…“
 



 
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