November in Afrika

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Marc Hecht

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November in Afrika

Ihr Gegenüber ist ein Bantu. Er trägt eine verwaschene
Uniform und schwarze Stiefel. Ein Sukuma von der Küste wäre er - aber es hätte ihn vor vielen Jahren schon in die Hauptstadt gezogen, erzählt er sogleich.
Es riecht nach Fisch vom Markt und die Sonne brennt. Hühner laufen auf der Straße umher, Autos hupen, Frauen in langen Kleidern gehen an ihnen vorüber, einige tragen Krüge auf dem Kopf.
Sie stehen an der Hauptstraße. Ein Karren biegt ein, beladen mit Säcken und Sand, ein Holzkarren. Der Kutscher ist in graues Leinen gehüllt, er hält eine Gerte in der Hand und schnalzt mit der Zunge. Die beiden schwarzen Rinder vor seinem Karren traben an und ein magerer Hund springt zur Seite.
Der Sukuma preist sich an - sich und seinen Jeep. Es kommen andere Geschäftsleute, Konkurrenten, die ihm ins Wort fallen und ebenfalls Jeeps, Hotels, Fahrten durchs Land anbieten. Der Sukuma beginnt zu schreien, ganz außer sich ist er: Das Geschäft wäre bereits gemacht - und die Konkurrenten sollten verschwinden.
Die Konkurrenten verschwinden keinesfalls. In Sarongs gehüllt oder in ähnliche Uniformen, wie der Sukuma sie trägt, bleiben sie stehen und umringen die drei. „Look, ... come,... want..., look...", rufen die Konkurrenten - und wollen das Geschäft, am Blick des Sukuma vorbei, doch noch abwickeln. Einige zupfen am Ärmel, andere rütteln an den Schultern, der Sukuma zieht die beiden deshalb entschlossen weg von der Konkurrenz. Dann schiebt er sie vor sich her - hastig - und mit einer Hand schlägt er dabei wütend, wie man Insekten nachschlägt, zurück auf die Rufe der Konkurrenten. Eine Weile marschieren sie so voran, bis in eine Seitenstraße - und dann biegen sie noch einmal ab - in eine Gasse. Endlich bleibt Alex stehen: „Was ist das für ein Jeep?"
Der Sukuma blickt zuerst misstrauisch zurück. Dann jedoch legt er die Finger der linken auf den Daumen der rechten Hand, nacheinander, ultimativ und weit von sich gestreckt. Ochsenkarren quietschen hinter ihm vorbei, Ziegen laufen umher und meckern, Mopeds knattern. Und mitten im Lärm und Staub der Hauptstadt erklärt der Sukuma erstens: Er könne mühelos übersetzen. Suaheli, Sukuma, Makonde - in englisch oder französisch, kein Problem. Zweitens: Der Jeep sei mit allem ausgerüstet, sogar mit einer Seilwinde und mit guten Stoßdämpfern. Drittens kenne niemand das Land besser als er, viertens koste dies alles nur 70 Dollar am Tag - und das Benzin - und fünftens - abschließend mit dem kleinen Finger - könnten sie es also unter keinen Umständen besser treffen. Der Sukuma zieht die Hände zurück, verschränkt sie vor dem Bauch und blickt zufrieden auf.
„70 Dollar am Tag!...." Alex, der Fotograf, sieht hilflos herüber.
Auch Hans zuckt die Schultern: „...tja..."
Wahrscheinlich ist es zuviel - sie wissen es nicht. Aber noch einmal so ein Gewirr? Neue Konkurrenten, die am Ärmel zupfen, durcheinander und laut? Nein! Sie sind müde. Die Sonne brennt.
Es klingelt, dicht hinter ihnen, sie treten erschrocken zurück. Auf dem Fahrrad sitzen drei Jungen, der jüngste auf der Lenkstange, sie lachen, ihre weißen Zähne blitzen.
„Come!", der Sukuma winkt, die beiden sollen ihm folgen. Er biegt noch einmal ab, und jetzt gehen sie in einen Hinterhof, vorbei an leeren Jute-Säcken und alten Matratzen, an zerbrochenen Schüsseln und Lumpen. Ein Kätzchen spielt mit einer verrosteten Konserve und huscht davon. Aus den Häusern ringsherum blicken neugierige Kinder. Es riecht fremd, süßlich.
Der Sukuma schiebt mit dem Stiefel ein paar Sackfetzen beiseite und öffnet das Tor einer Wellblech-Garage. Quietschend gibt es den Blick frei auf den Jeep.
„Na fabelhaft. Den nehmen wir. 50 Dollar am Tag." Alex will die Sache schnell erledigen.
„O no, 70 Dollar. Und das Benzin."
„Nein! 50 Dollar."
Der Sukuma ringt mit sich, windet sich, verdreht die Augen und sagt schließlich: „Ok! 65 Dollar. Und das Benzin."
„50 Dollar", Alex bleibt hart.
„O no!" Es klingt überrascht und wehleidig zugleich, als hätte man den Sukuma gerade gebeten, in eine tiefe Schlucht zu springen, oder in einen eiskalten Fluss. Abwehrend und erschrocken hebt er die Hände. Er sei schließlich Fahrer und Dolmetscher zugleich, alle Sprachen: Sukuma, Makonde, Njamwesi, auch arabisch, in englisch oder französisch. Und der Jeep hätte eine Seilwinde und sehr gute Stoßdämpfer...
Sie einigen sich auf 60 Dollar am Tag und das Benzin. Ab morgen früh, um sieben Uhr, vor dem Hotel.
Der Sukuma hätte gern eine Anzahlung. Alex gibt ihm 20 Dollar.
*
Hans lässt sich in den Sessel fallen. Er sieht sich um im Zimmer, blickt auf den geflügelten Spiegel - aus Mahagoniholz - auf den braunen Steinfußboden, auf die Couch aus rotem Leder...er ist in Afrika.
Gleich wird der Kellner anklopfen und den Whisky bringen. Und bezahlen wird Le Soir. Alles zahlt Le Soir.
Er lehnt sich zurück. Zuhause beim Sukuma wird auch helle Freude sein, denkt er dann, ... die Kinder sind glücklich und die Frau des Sukuma....
Es klopft, der Kellner bringt den Whisky. Der Kellner trägt eine blütendweiße Uniformjacke, ähnlich der eines Admirals - und er ist sehr freundlich. Sein breiter Mund lacht unentwegt und seine Augen strahlen. Hans gibt ihm fünf Dollar Trinkgeld.
Der Whisky schmeckt fabelhaft, es ist Scotch. Eine glänzende Arbeit wird er abliefern, ... hoho,... die werden sich wundern... bei Le Soir...!
Deutsch-Ostafrika - 100 Jahre danach. Gerade jetzt... ganz plötzlich... für eine Zeitung in Belgien – verrückt genug.
Hans kippt den Whisky, lehnt sich zurück, ein bisschen kokett jetzt, zufrieden, erfüllt von seiner Ankunft. Er schlägt die Beine übereinander, hält das Whiskyglas zwischen den Händen und seine Gedanken springen hierhin und dorthin – er stellt sich vor, dass in Brüssel wohl ein Hochhaus stehen muss, zwanzig Etagen hoch - und auf dem Dach leuchtet weithin: Le Soir. Und in dem Haus wird ein Büro sein, ein kleines Büro vielleicht, in dem nur ein Mann sitzt... oder eine Frau... jedenfalls... man rückt dort die Brille zurecht, blickt auf ein Blatt Papier, zeichnet es ab - und das ist dann sein Honorar!
Hans nimmt das Glas, „...hier gibt’s schottischen Whisky", denkt er, und stellt das Glas ab, „Scotch – und amerikanische Zigaretten...!"
Umständlich sucht er nach einer Zigarette, zieht endlich ein Päckchen hervor, sieht umher. Die Streichhölzer liegen auf dem Tisch, Hans steht auf, geht durch das Zimmer, zündet sich die Zigarette an und blickt dem Rauch nach: „...im Grunde ist das hier noch gar nicht Afrika!", denkt er dann: „...schottischer Whisky!... zum Frühstück gibt´s wahrscheinlich Eier auf Toast!" Nein, er kann erst über Afrika schreiben, wenn es zum Essen eine Schüssel Kleie gibt, ... in die man Maisbrot tunkt... und dann mit Ziegenmilch runterspült...
Er trinkt den letzten Whisky: „Ziegenmilch! ...Draußen... im Busch ...bei einer Häuptlings-Hochzeit vielleicht, um Mitternacht." Er drückt die Zigarette aus, seufzt, legt sich aufs Bett und schläft schnell ein.
*
Am nächsten Morgen sind sie früh schon reisebereit.
Ein Hotelboy bringt die Koffer hinaus, und auch der Sukuma wartet bereits vor der Tür.
Hans steigt die Treppe hinab und sieht, wie der Hotelboy mit den Koffern auf den Jeep zugeht. Der Sukuma springt jedoch zur Stelle, nimmt dem Boy die Koffer aus der Hand, entreißt sie ihm fast, eifersüchtig, und lädt das Gepäck eigenhändig ein.
Dann geht es also los. Nach Norden fahren sie, immer nordwärts, durch die Savanne. Durch grünes weites Land. Nur manchmal ragen, weit entfernt, ein paar Bäume in den Himmel. Vögel umkreisen ihre Kronen.
Dahinter liegen die Berge, ganz im Norden. Sie sehen den Kilimandscharo, die weiße Kuppe, umringt von kleinen Wolken. Und sie sehen Gazellen und Antilopen, Herden, die durch die Savanne ziehen oder im gemeinsamen Galopp davonjagen, Wasserbüffel, Zebras und Giraffen. Und der Fahrtwind schlägt ihnen warm ins Gesicht und die Sonne brennt nieder auf Afrika.
Der Sukuma zeigt mal hierhin und mal dorthin: „Look, antelopes!", ruft er, stolz, als gehörten allein ihm alle Tiere und das ganze Land.
Alex macht viele Fotos. Einmal fahren sie vom Wege ab, auf einen mächtigen, toten Baum zu, dessen Äste sich einsam empor strecken.
In den Dörfern laufen die Menschen zusammen. Alex verteilt Schokolade an die Kinder.
„Tänkju, tänkju" rufen die Kinder, durcheinander und laut. Alex jedoch antwortet stets vollendet: „oh, the pleasure is on my side." Der Fotograf hält es für seine Pflicht, die Kinder nur in bestem Oxford-Englisch anzusprechen. Damit auch sie es so lernten.
Und Alex macht viele Fotos. Alex ist ein guter Fotograf, wirklich gut, er kann den Menschen durch die Kamera in die Seele blicken.
*
Hans redet mit den alten Männern. Der Sukuma übersetzt lebhaft.
Nein, es liefe nicht so gut. Die Preise verfielen, alles werde immer nur schlechter... es sei zwar geplant, eine Verladerampe der Eisenbahn einzurichten..., aber dies ginge halt nicht so schnell voran. Und der Weg nach Arusha wäre zu weit. Die Preise für Maniok und Süßkartoffeln fielen immer weiter - und ein Mann könne seine Familie hier nicht mehr ernähren, so gingen eben viele weg. Ja, sehr viele.
Die gelben Augen der Alten blicken Hans wissend und traurig an: Ein Mann müsse seine Familie schließlich ernähren können.
Hans fragt nach der alten Zeit.
Germany? Oh, das wäre lange her, - allgemeines verlegenes Kopfschütteln.
Doch, zwei Männer schieben einen Älteren vor sich her. Er winkt jedoch verlegen ab und versucht das Tempo zu drosseln. Er trägt einen weißen Sarong und unter den Gürtel hat er sich, aus welchen Gründen immer, eine Gerte gesteckt.
Ja, sein Großvater hätte als junger Mann die Deutschen erlebt, dies erzählte man jedenfalls, in seiner Familie...., der Großvater wäre damals in die Hauptstadt gebracht worden, in ein Kontor, um dort bei der Verladung von Tee oder Gewürznelken zu helfen. Ein kluger Mann wäre der Großvater gewesen - und die Familie hätte immer gelacht, wenn der Großvater die Deutschen nachgemacht hatte: „Ste still swarzes swein", hätte der Großvater gesagt - oder so ähnlich - und die Erwachsenen hätten noch lange gelacht - über diese merkwürdige Sprache.
Der Sukuma übersetzt lebhaft, feixend und lachend mit dem Enkel im weißen Sarong.
*
Am vierten Tag sitzen sie im Motel. Abends, an der Landstraße, auf der Veranda, alles ist still. Die Straße führt hinauf zu einer Anhöhe und verschwindet zwischen Bäumen, die im Nachthimmel verschwimmen.
Sie trinken Lager-Bier. Hans trägt historische Daten zusammen. Manchmal blickt er auf. An der Wand beißen sich zwei Gekkos. Beide kämpfen um den Platz im Lichtschein der Lampe. Einer wird übel zerstümmelt, ein milchiger Schleim bleibt zurück, als er über den weißen Putz flieht.
1890, Sansibar wird britisch, schreibt Hans, ... 1919 britisches UNO-Mandat über Tanganjika.... 1964 Revolution auf Sansibar, Sultan abgesetzt...
Da stürmt ein Junge heran, ein barfüßiger Junge aus dem Dorf. Ganz außer Atem ist er.
„Spiek inglisch?"
„I certainly do so, Sir", Alex stopft vornehm seine Pfeife.
Dann beugen sich beide vor:
„In Germany, ...the wall....tear down..."
 



 
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