Novembertag (gelöscht)

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Zerrissenes flattert am Stacheldraht.
Erstes Eis umschließt gefallene Blätter.
Schöner Einstieg mit dem ersten Vers. Klingt zunächst beschreibend, entsprechend dem Titel wie ein Herbstlied eben.
Ein Reh verblutet am Waldesrand.
Erinnert ein wenig an Trakl. Y not.
Hirten verlassen ihre sterbenden Herden.
Hier kippt es ins Surreale, ins überwiegend Symbolische, da das bei Hirten gewiß nicht die übliche Auffassung von Hüten ist.
Schwarzes baut sich ein Nest hinter der Stirn.
Und nun sind wir ganz im surrealistischen Symbolismus gelandet; ohne Deutung des "schwarzen", das eine Stirn hat und sich da etwas bauen kann, nämlich ein Nest, wird das Bild unverständlich.
Ratten fordern auf zum Tanz,von Applaus begleitet.
Ja, die symbolische Kryptik setzt sich fort, denn nun muß man sich den Kandidaten für die "Ratten"-Bewertung aussuchen, wehe dem Armen, dens trifft! Und dann die Kandidaten für die "Applaus"-Zuschreibung. Soll bestimmt als blödes Volk durchschaut werden, das arme Publikum der gemeinen Nager - die immerhin zum Tanz auffordern, also die lobe ich mir doch, diese tanzenden Labyrinthknacker.
Ein Schrei ertönt.
Niemand hört ihn.
Ja, das ist natürlich doppelt tragisch: Erst hört der Autor einen Schrei, und dann tut er so, als habe er nichts vernommen. Aber da ist ja noch das blöde Applauspublikum, denen kann man doch gewiß noch ihre Taubheit vorwerfen, diesen symbolischen Gestalten, die im Lied und seiner Wertung eingeschlossen mit den gleichfalls bloß symbolischen Ratten tanzen müssen.
Es wird Zeit, daß Columbo kommt und, bevor er wieder geht, sich noch einmal umdreht: "Ach, was ich da noch fragen wollte ...". Der weiß immer schon gleich zu Beginn, wer der Täter ist. Und findet bald denjenigen, der den Schrei gehört hat. (Vielleicht doch der Autor?)
 

anbas

Mitglied
Hallo Winfried,

die ersten beiden Zeilen gefallen mir richtig gut. Auch mit der dritten kann ich mich noch gut anfreunden.

Dem, was dann folgt, stehe ich ein wenig schwankend gegenüber. Die Bilder jeder Zeile für sich, sind für mein Empfinden ausdrucksstark. Ich tue mich aber schwer damit, dass sie in einer Art Aufzählung ohne weitere Verbindung regelrecht aufgelistet werden. Es sind mir insgesamt zu viele "Aufzählung". Sprachlich gefällt mir jede Zeile, als Gesamtwerk gefällt es mir nicht so.

Außerdem verstehe ich nicht ganz, worauf Du hinaus willst.

Liebe Grüße

Andreas
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Mondnein,
danke für die Kritik! Mit den Ratten habe ich nicht das "blöde Volk" gemeint, den Applaus habe ich dann auch gestrichen. Ich wollte nur Bilder aufzählen, die mir bei einem Novembertag in den Sinn kommen, vielleicht ein wenig von Trakl beeinflusst.

L.G.
Winfried
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo anbas,
mag sein, dass das Aufzählen der Bilder etwas sperrig herüberkommt. Es sind Bilder und Assoziationen, die mir bei einem Novembertag in den Sinn kamen
Danke für deine Rückmeldung!

L.G.
Winfried
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Winfried!
Ja, jetzt sehe ich auch die Trakl-Anklänge in den Versen nach dem blutenden Tier, "Stirn" und "schwarz" usw. Und daher auch die Assoziationen-Collage Vers für Vers. Die Hauptliebhaberin expressionistischer Lyrik hier ist Orlando.

So ein lockeres Aneinanderfügen assoziierter Bilder ist an sich nicht schlecht; das fehlt hier in der Lupa ein wenig: Das Ideal der besten hier ist ein staubtrockener Minimalismus, unterkühlt bis zum Zerspringen; dagegen stoßen musikalische Empfindungs-Zeilen der expressionistischen oder (um Neueres zu nennen) der Beat-Generation (Ginsberg), auch kluge Meditationen wie die Meisterwerke von Durs Grünbein (der hier völlig unbekannt zu sein scheint !!) vor allem aber rauschhaft einander überwogende Ekstasen jeder Art bei fast allen Lesern und Mitautoren hier auf Unverständnis, Spott und Haß. Die Antworten auf solche seltenen Experimente sind dann in letzter Zeit politpropagandistische Phrasengesänge in sauberer Sonettform - wobei offensichtlich keiner dieser Spießer das berühmte Sonett von Robert Gernhardt zu kennen scheint; ich schreibe übrigens selbst jede Menge davon, aber nicht in dem hier gesuchten Sozialistischen Realismus.
Mir fällt dazu immer Tannäusers Pointe im Sängerkrieg auf der Wartburg ein: "Armselge, die ihr Liebe nie genossen, zieht hin! Zieht in den Berg der Venus ein!" (Und schon zücken alle die Schwerter und wollen den Sänger töten.)
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Mondnein,
ich bin noch nicht so lange bei der Leselupe, um da mitreden zu können. Erschreckt hat mich allerdings manche vernichtende Kritik an offenbar ganz jungen Autoren, die möglicherweise etwas unbeholfen schreiben, die aber, meiner Ansicht nach, ihre ganze Seele in den Text gepackt haben und mit diesem Text vielleicht sogar traumatische Erfahrungen verarbeiten. Solchen Menschen derart radikal die Lust am Schreiben zu nehmen finde ich unverantwortlich.

L.G.
Winfried
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
recht hast Du!

Ja, wenn es Dich erschreckt hat, dann hast Du richtig gesehen, richtig gelesen. Wer hier neu auftaucht, wird von einigen Besserwissern auf eine Weise runtergeputzt, daß einem Hören und Sehen vergeht. Ich liebe diese Arten von Feuertaufen nicht, und ich habe sie auch nicht hinter mir. Folgende Dinge sind mir absolut egal, und ich empfehle auch jedem anderen Leser oder Autor, sie nicht ernst zu nehmen: Die "Titel" unter den Autorennamen (so wie "Festzeitungsschreiber"), die Bewertung im 10-Punkte-System (wie bei jener "Dinner"-Sendung im TV), und last but not least das willkürliche Ausblenden von Beiträgen durch zwei Forenredakteure, deren Inkompetenz zum Himmel schreit.
Ich selbst bin gewiß ironischer, als all den Narzissen unter den Dichtern lieb sein mag, aber ich liebe Wortspiele und -späße. Und welcher "Dicht" denn nicht?!
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Mondnein,
wie gesagt, ich hüte mich hier noch vor einem Urteil über die LL.
Aber mir ist schon der Gedanke gekommen, dass selbst Kafka vielleicht in der Textklinik gelandet wäre. Schließlich kann sich kein Mensch in einen Käfer verwandeln. Kafka in der Textklinik wäre übrigens ein schönes kafkaeskes Bild.

L.G.
Winfried
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Winfried Hau,

hm, trakl hin oder her, hirten verlassen ihre sterbenden herden? denk ich an schafe, im november sind die saisonalen trächtig, sie werden im zeitigen frühjahr lammen ...

ich les da einen hoffnungslos düsteren gesang auf eine untergehende erde. final. das versprechen der im herbst angelegten knospen auf einen kommenden frühling, ich kann es nicht finden ...
willst du das so haben? ich gebe zu bedenken: gedichte sind immer auch beschwörungen.

however, dein gezeichnetes bild ist in sich stimmig, formal gut umgesetzt, find ich.
lg
die dohle
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Dohle,
danke für deine Antwort. Ich weiß nicht, ob Gedichte immer Beschwörungen sein müssen. Meiner Meinung nach kann das eine Funktion des Dichtens sein, muss es aber nicht. Auch muss meiner Meinung nach nicht immer eine Hoffnung aufleuchten. Mir ging es nur um Bilder, die den tristen Monat November umkreisen.

L.G.
Winfried
 

Ralf Langer

Mitglied
Novembertag

Zerrissenes flattert am Stacheldraht.
Erstes Eis umschließt gefallene Blätter.

Ein Reh verblutet am Waldesrand.
Hirten verlassen ihre sterbenden Herden.
Schwarzes baut sich ein Nest hinter der Stirn.
Ratten fordern auf zum Tanz.

Ein Schrei ertönt.
Niemand hört ihn.


für mich ein sehr sperriger text, mit durchaus überzeugenden klängen. wenn ich das richtig verstehe handelt es sich hier um gezielte einblenundgen von lyrich, vielleicht bei einem spaziergang. In diesem sinne magst du als autor vielleicht ein stilleben vor augen gehabt haben.

der form nach sehe ich aber durchaus verbesserungsmöglichkeiten.

der text erscheint als eine gewollte aneinanderreihung von „augenblicken“. lyrich bewegt sich, sieht und spricht, hier würde ich dir vorschlagen wollen vielleicht einmal über eine konsequente umstellung der worte in den zeilen nachzudenken, so das am ende vielleicht etwas entsteht wie in der ersten zeile von strophe zwei, und in der ersten zeile von strophe drei:



ein stacheldraht hält längst zerrissenes -
das erste eis umschließt gefallenes
und auch die blätter.

Ein reh verblutet leis am Waldesrand,
das nest hinter der stirn ist leer -
und etwas schwarzes zieht hinein.

Ein schrei ertönt und stirbt ganz
ungehört



mal aus der hüfte geschossen. natürlich ein anderer text. aber vielleicht vertstehst du was ich meine.

auf diese weise würde ich als leser den weg in deinen text leichter finden.

lg
ralf
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Ralf,
ich habe versucht, in diese Zeilen einen expressionistischen Ton hineinzubringen. Aber dein Vorschlag klingt vielleicht besser.

L.G.
Winfried
 

Ralf Langer

Mitglied
ist nur ne idee,
ich mag den expressionismus,

aber ich glaube der die zeilen sind irgendwie zu weit auseinander.

frohes schaffen
ralf
 

Winfried Hau

Mitglied
Hallo Ralf,
zum November und der Einleitung mit dem Stacheldraht gehört für mich das Sperrige. Eine "glatte" Verbindung zwischen den Zeilen gefällt mir da irgendwie nicht, auch wenn dies für den Leser einfacher wäre und auch schöner zu lesen.

L. G.
Winfried
 

Ralf Langer

Mitglied
das bild mit dem stacheldraht ist gut. das seh ich genauso.

aber liber winfried, es sit nicht schlimm oder tragisch verschiedene empfindungsweisen zu haben.

lg
ralf
 
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