Nun hat ins süßbefaulte Laub

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nun hat ins süßbefaulte Laub der Frost
Ins rosigbraune Erdenfleisch der Hund
Die Silberzähne hart hineingeschlagen

Daß all mein selbstgenießerischer Trost
Das dunkle Lied der stillverstöhnte Mund
Entblößt weit aufgerissen und entsetzt

Davon kein Sterbenswörtchen weiß zu sagen
Und all mein Sichgefühl erstarrt zuletzt
Im Schrei der Stille tödlich weiß zerfetzt
 

Rudolph

Mitglied
Süßbefaultes und stillverstöhntes Erdenfleisch.
Mich fasziniert deine seltensonstgefundene Ausnahmebegabung, neue Begriffe zu generieren.

LG Rudolph
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, Rudolph!
Bei den Neologismen ging es mir besonders um die jeweilige sinnliche Färbung, die Farbmischung aus den gekoppelten Begriffen.
 
O

orlando

Gast
Hallo Mondnein,
Frost taucht mittlerweile ja nur noch klammheimlich in der Nacht oder im Hochgebirge auf, gleichwohl möchte ich zu diesem Gedicht gern etwas schreiben, weil es mir so typisch für dich scheint.

Zunächst fallen - Rudolph hat es bereits angemerkt - deine fantasievollen Metaphern und dein selten eleganter Umgang mit der Sprache auf. Dafür schätzte ich schätze ich dich, ganz unabhängig von den Meinungen anderer.

Nun hat ins süßbefaulte Laub der Frost
Ins rosigbraune Erdenfleisch der Hund
Die Silberzähne hart hineingeschlagen
Hier gefällt es mir vortrefflich, dass du die Silberzähne gleichermaßen einem Hund und dem Frost zugestehst, der Frost also selber in seiner ganzen (empfundenen) Hundsfötterei beleuchtet wird.

Daß all mein selbstgenießerischer Trost
Das dunkle Lied der stillverstöhnte Mund
Entblößt weit aufgerissen und entsetzt
Jetzt schlägst du gar eine Brücke zum Lyr-Ich-Mund, dem in der Kälte die Worte versiegen:

Davon kein Sterbenswörtchen weiß zu sagen
Und all mein Sichgefühl erstarrt zuletzt
Im Schrei der Stille tödlich weiß zerfetzt
Hach, und dann der letzte Vers: Der geht noch mal so richtig in die Vollen und schließt das Bild des reißenden Hundes.

Zu mäkeln habe ich diesmal rein gar nicht - selbst die nicht eben wenigen Adjektive stören mich hier nicht -. Aber diesen Disput haben wir bereits mehfach geführt, und du hast mir deine Sicht dazu erläutert.

Herzliche Grüße
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Reflexionen

Ein ganz besonders herzliches Dankeschön Dir, Orlando! Daß Du ins Einzelne der Formulierungen hinabsteigst, ist mehr als erfreulich für mich.

Ich überlege (aufgrund Deiner gründlichen Beobachtung, die mich die Einzelheiten reflektieren läßt, nun über Deine Anmerkungen hinaus:), welche grammatische Funktion (bzw. Rechtfertigung) die nachklappende Hundemetapher in dem Lied hat. Das Subjekt ("der Frost") wird variierend wiederholt, das wäre am ehesten eine Apposition; "der Hund" ist zugleich Parallelismus membrorum zu "der Frost" im entsprechenden Versende. Die nachgeschobene Metapher ist zugleich peiorativ, ein kleiner Zwischenfluch, wie ein durch die Zähne gezischeltes "so'n Dreckskerl!" oder ähnlich. Aber bloß als Apposition nachgeschoben ist "der Hund" nicht, weil die Metapher gleichnishaft ausgeführt wird.

Hin- und herüberlegt habe ich beim "Sichgefühl", ob es nicht eher "Michgefühl" heißen muß. Mit dem Reflexivpronomen der dritten Person ("sich") ist es verallgemeinert, scheint eher begrifflich objektiviert. "Selbstgefühl" hätte mir zu schwerfällig geklungen (Häufung von 5 Konsonanten ...), "mich" und "sich" als Objekt zum Fühlen sind direkter, verständlicher (so schien es mir zumindest beim Schreiben, vor einiger Zeit).

Das nur als impressionistisches Reflexions-bei-Spiel, von Deinem Kommentar angeregt.
 
O

orlando

Gast
Das "Sichgefühl" finde ich gerade apart und eigenwillig. :)
Ich lese es als ein Sich-Hinein-Fühlen oder besser noch, ein Sich-Hinein-Fühlen-Müssen.

Passtschoo
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ichgefühl - Michgefühl - Sichgefühl

Nun, ich stabreime zwar gerne, aber das Sause-Es ist ein anderer Laut als der Sch-Zischlaut am Anfang von Sterben, Schrei und Stille. Und das wäre auch nicht entscheidend; vielmehr ist das Opfer der "hündischen" Attacke der "selbstgenießerische Trost" des Lyri, und das ist eher ein selbstmitleidiger Narzißmus denn ein waches Ich: "Ich-Gefühl" wäre ein geradliniges Selbstbewußtsein - das könnte natürlich ein verletzter Stolz sein; "Sich-Gefühl" dagegen ist zurückgewendet (durch das "Reflexiv"-Pronomen) auf den Fühlenden, Selbstberührung, auch Selbsttäuschung und Befriedigung durch Selbstgefälligkeit, immer noch "süßbefault" ... und dieses Passionslämmchen wird nun gerissen. Statt der warmen Farben bleibt nur das kalte Weiß des Papiers, und das Gleichnis selbst wird zerfetzt zum Oxymoron.
 
E

Einsprengsel

Gast
Hallo Mondnein,

ich weiß nicht, ob du in deinen Gedichten das Lebensgefühl des 18. Jahrhunderts noch einmal nachleben willst, denke aber, dass sich das Verständnis von zeitgemäßer Lyrik heutzutage annähernd im 21. Jahrhundert bewegt. Nun will ich nicht behaupten, dass gute Gegenwartslyrik "schön" ist, nein, sie ist bewusst nicht "schön", sondern hart, realistisch und frei von jeder Schminke, vermeidet jede Bombastik und stellt sich den Anforderungen der Gegenwart, mehr oder weniger, eben wie diese Gegenwart ist.

Bei diesem Gedicht habe ich das Gefühl, dass es mit jeder Zeile den Rückzug des Verfassers aus der Gegenwart beschwört,
sowohl sprachlich als auch vom Sujet her. Vielleicht aber auch willst du bloß dem allgemeinen Trend folgen, der sich hierorts so weit von der Wirklichkeit wegbewegt wie der Mond von der Kassiopeia. Da ich das alles nicht weiß, eben nur vermuten kann, wirst du es mir billigerweise auch nicht übelnehmen, sondern vielleicht mal eine stille Stunde einlegen, in der du darüber nachdenkst, ob es nicht angebracht wäre, wenn schon ein Gedicht, dann eines, das auch einen gewissen lyrischen Nährwert hat. Wer Gedichte des 18./19. Jahrhunderts lesen will, bevorzugt sicher die gekonnteren Originale.

Einsprengsel
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Bombastik und andere Atavismen

Ich habe das Lied - mal nachschauen im Register, da, ich habs: - im 18. Jahrhundert geschrieben und bis zur Romantik im Komposthaufen fermentieren lassen, dann hervorgeholt und im Athenäum unter dem Pseudonym Novalis veröffentlicht. Warum soll man nicht seine alten Jugendarbeiten hervorholen?
Es ist halt schlechte Lyrik.
 
O

orlando

Gast
Das wird schon, lieber Mondnein. :):D

Da ich selber ja stets auf der Höhe der Zeit balanciere (du weißt ja sicherlich um Orlandos kleines Geheimnis), habe ich mir erlaubt, deinem Gedicht aus dem vorvorigen Jahrhundert ein zeitgemäßes, ein "modernes" Gepräge zu geben *stolzmalguck)

Was hältst du von:

Nun hat ins abgefallne Laub der Frost
Ins Chappidosenfleisch der Hund
Sein Amalgam ganz dreist hineingeschlagen

Daß all mein grauer Plattenbautentrost
Des Erdenschicksals fauler Laffenmund
Entblößt weit aufgerissen und entsetzt

Davon kein Sterbenswörtchen weiß zu sagen
Und all mein Hochgefühl erstarrt zuletzt
Im Schrei der Stille tödlich weiß zerfetzt
Ob nun wohl alle Leser zufrieden wären?

Bange Grüße
Madame/Monsieur O.
:)
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
das kriegt einen schönen erigierten like-daumen, Orlando! und der hund mit dem blei im mund ist schon fast mein ironischer avatar im lied, mein immanentes ebenbild.
was hältst Du von "im schrei der [blue]lämmer [/blue]tödlich usw."? dann ist zwar das oxymoron kaputt, aber der wolf im schafspelz fräße sich besser durch die materie, wuddnt hi?
 
O

orlando

Gast
Ja,
fände ich sogar einen Tic besser; das käme noch schräger, noch surrealer rüber ...
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ach shit, das heißt ja "schweigen der lämmer", aber das paßt nicht ins metrum, es sei denn ich kürze "schweigen" zu "schwein", also "im schwein der lämmer tödlich usw."
nun ja, der film ist ja auch schon ziemlich antique.
 



 
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