Nur Mut

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Olgeke

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Mario hatte ein Problem. Ein Problem mit sich selbst. Er war ein verschissener Angsthase. Er erwartete immer das Schlimmste. Egal was er versuchte, er kniff.
Das war schon als Kind so. Die anderen saßen oben im Baumhaus, und er spielte Unten den Wachtposten. Nur weil er Angst hatte vom Baum zu fallen und sich die Knochen zu brechen.
So zog es sich durch sein ganzes Leben. Mit seinen nun fünfundzwanzig Jahren hatte er aber vor einer Sache keine Angst. Er hatte keine Angst davor, zum Alkoholiker zu werden. Zu dieser Zeit trank er ziemlich viel und ziemlich oft. Immer wenn er mal wieder versagte. So ertrug er es besser ein Versager zu sein. Dieses mal war es besonders erniedrigend. Es war sein Geburtstagsgeschenk. Seine Freunde schenkten ihm zum Fünfundzwanzigsten eine Ballonfahrt, und alle waren sie da um zu sehen wie er abhob.
Dabei kannten sie ihn doch schon seit Jahren und hätten es besser wissen müssen.
Dabei sah es anfangs gar nicht mal schlecht aus. Mario stand im Korb, zwar lief ihm der Schweiß die Arschbacken runter, aber er stand im Korb. Und hob ab.
Als er knapp zwei Meter in der Luft war sprang er ab, und landete auf dem Rasen.
Dann doch lieber aus zwei Metern Höhe abspringen, als aus hundert Metern mit einem brennenden Ballon abzustürzen. Man konnte sich eben alles irgendwie schönreden.
So saß er nun alleine an der Theke ihrer Stammkneipe und ertränkte die Schmach in einer nicht geringen Menge Alkohol.
Nach einiger Zeit klemmte sich ein Typ, etwa in seinem Alter, neben ihn an die Theke.
Er hatte ihn hier noch nie gesehen, und er machte ihn irgendwie nervös.
So als drohe Unheil von dem fremden. Dabei sah er auf keine Art und Weise bedrohlich aus. Wie ein Schläger der auf Krawall aus war oder so.
Nein er sah aus wie ein ganznormaler netter mitzwanziger der wie er ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte.
Und wie der Alkohol es so wollte, kamen sie ins Gespräch, tranken zusammen munter weiter und wurden im Suff die dicksten Kumpel und schmiedeten die wildesten Pläne.
Mario vergaß seine Probleme und wankte irgendwann früh morgens nach Hause.
Zum Glück wohnte er nur zwei Türen weiter.

Am nächsten Tag wurde er mit mächtigen Kopfschmerzen wach. Es war mittlerweile schon später Nachmittag, und Mario musste erst einmal unter die kalte Dusche.
Die würde helfen, dann noch ein oder zwei Aspirin und die Welt wäre wieder in Ordnung.
Als er sich gerade sein Katerfrühstück machte, eigentlich eher ein Katerabendessen, klingelte es an der Tür.
Da war er wieder. Der Typ von letzter Nacht.
Er sagte sie seien verabredet, und da viel es Mario auch schon wieder ein. Sie hatten sich tatsächlich verabredet, nur da hörte seine Erinnerung auch schon auf.
Mario war das irgendwie peinlich, und bat sein Gegenüber herein und bat ihn ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
Sie tranken Kaffee zusammen und sein neuer Bekannter stellte sich ihm erneut vor und erzählte Mario worüber sie sich so unterhalte hatten und was sie alles geplant hatten.

Mario wusste nun, dass sein Trinkfreund Bobby hieß, und dass sie sich lange über Marios Ängste unterhalten hatten. Er konnte gar nicht fassen, dass er das alles irgendeinem Fremden erzählt hatte, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Suff eben.
Bobby wusste sogar die peinlichsten Sachen. Mario hatte sich nämlich nicht nur einmal im Leben vor Angst in die Hosen gepisst, und auch nicht nur im Kindesalter.
Bobby hatte Mario zwischen zwei Schnäpsen vorgeschlagen, ihm zu helfen und ihn von seinen Ängsten zu befreien. Er wäre von Natur aus sehr einfühlsam bei solchen Sachen und war sich sicher er könne es schaffen. Einzige Vorraussetzung war nur, dass Mario es auch wirklich wollte und mitarbeiten würde. Mario hatte eingewilligt und sie besiegelten ihr Projekt mit einigen weiteren Schnäpsen und Bobby schwor: „ Ich werde dich von deinen Ängsten befreien.“
Und an diesem Nachmittag sollte es schon losgehen. Bobby sagte sie hatten ausgemacht, dass sie mit seinem Wagen mal über die Autobahn jagen wollten, und wollten sehen wie weit Mario es aushält. Er sollte natürlich selber fahren und Bobby wollte ihn als Beifahrer unterstützen. Sein Porsche 911 würde schnell genug sein, und sie erwarteten auch gar nicht dass Mario es bis zum Limit bringen würde.
Sie versuchten es, doch es war kein Erfolg. Mario überholte nur einmal mit etwas über hundert km/h einen LKW, ansonsten war die rechte Spur sein zu Hause. Sie waren nicht sonderlich enttäuscht, denn immerhin traute er sich hinters Steuer eines solchen PS starken Gefährts. Also verabredeten sie sich Abends wieder in der Kneipe, tranken und überlegten sich neue Dinge mit denen Bobby ihm die Angst nehmen wollte.
So ging es nun schon den ganzen Sommer lang, und immer wieder zog Bobby den Kürzeren und Mario behielt seine Ängste. Jedes mal sagte Bobby bevor es losging „ Nur Mut, dieses mal packst du es“ , und jedes mal wenn es mal wieder nicht funktioniert hatte „ Nicht schlimm. Ich krieg´ dich schon noch und befreie dich von deinen Ängsten“.
Es waren eine Menge Sachen die sie versuchten. Auf Bäume klettern, im Schwimmbad vom Sprungturm springen, Nachts durch den Park spazieren, ja und sogar Frauen anzusprechen. Natürlich nüchtern. Auch so ein Problem, dass Mario seit langem zwang alleine zu leben.
Doch alles fruchtete nicht, und Mario begann an sich zu zweifeln. Bobby und er waren mittlerweile dicke Freunde geworden, und Mario war dankbar dafür, dass Bobby so geduldig mit ihm war und ihn so nahm wie er war.
Und als Dank wollte er sich revanchieren. Er wollte Bobby ein kleines Erfolgserlebnis bescheren. Nur er wusste genau, dass er das nicht einfach so hinbekommen würde.
Er nahm sich vor, sich beim nächstenmal vorher heimlich zwei oder drei Schnäpse zu genehmigen, um etwas lockerer zu werden. Dann würde es schon funktionieren.
So saßen sie eines Abends wieder an der Theke und um es noch erfolgreicher wirken zu lassen, schlug Mario von sich aus Bungeejumping vor.
Bobby war recht erstaunt über den Vorschlag, und vermutete, es würde schon daran scheitern auf den Sprungturm hochzukommen.
Doch sie wollten es versuchen. Am nächsten Tag zogen sie los, und bevor es losging verdrückte Mario sich noch einmal kurz auf die Toilette. Natürlich nur um sich seine Schnäpse in den Hals zu kippen. Nachdem das erledigt war setzte er sich vorsichtshalber doch auf´s Scheißhaus. Nur damit nicht doch etwas in die Hose ging. Dann war er soweit und es ging los. Es dauerte nicht lange und sie standen auf der Absprungplattform. Der Alkohol schien zu helfen. Bobby empfahl ihm, sich mit dem Rücken in Sprungrichtung zu stellen, und sich dann nach Hinten fallen zu lassen. Dann müsse er nicht in die Tiefe blicken, was ihn verunsichern könnte. Das klang gut, und Mario stellte sich in Position. Er merkte, dass Bobby voller Zuversicht war, dass es diesmal funktionieren könnte. Er wusste natürlich nichts von den Schnäpsen, und Mario hatte mit Absicht Vodka genommen. So konnte Bobby auch nichts riechen. Bobby ließ noch sein „ Nur Mut, dieses mal packst du es „ hören, und Mario war sich sicher, er würde sein „Nicht schlimm. Ich krieg dich schon noch, und befrei dich von deinen Ängsten „ würde er sich bei diesem mal nicht anhören müssen. Und dann ging es los.
Mario schloss die Augen, atmete tief durch und ließ sich nach Hinten fallen. Er blickte noch einmal schnell zu seinem Kumpel und wollte ihm noch ein triumphierendes Grinsen da lassen, doch was er in dem kurzen Augenblick bis er ihn aus dem Blick verlor sah ließ ihn innerlich gefrieren.
Er sah wie sein Bobby sich in schwarzen Rauch auflöste und neu zusammensetzte. Er wurde zu einer mindestens zwei Meter großen Gestalt in einem schwarzen Gewand. Er konnte das Gesicht nicht erkennen denn der Kopf wurde von einer weiten Kapuze umhüllt, und dort wo man eigentlich ein Gesicht hätte erkennen müssen, blickte er nur in endlose Schwärze.
In der rechten knochigen Hand hielt die Gestalt eine Sense und in der Linken erkannte Mario eine antikwirkende große Sanduhr. Sie war so gut wie abgelaufen.
Er hörte Bobbys Stimme weit entfernt und flüsternd in seinem Kopf.
„Hab´dich.“
 



 
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