Ode an den Vogel: Das Brathähnchen

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Janosch

Mitglied
Erst schäl ich meinen Vogel aus der Tüte
und zieh ihm das Gekröse aus der Senke,
wozu ich leicht die Schenkel schon verrenke:
Mein Huhn, es suppt aus unterster Kajüte.

Und da noch steinern, steif die Flügel stehen,
als läg der Frost wie Blei in jeder Zelle,
so kommt es gleich in meine Mikrowelle
und lässt sich auf dem Teller lustig drehen.

“Kawing!“ Nach zehn Minuten reicht es schon.
Ab in den großen Ofen, dessen Hitze
vergräbt sich schwelgend harsch und monoton

in Steiß und Brust, die knackend bräunlich reifen.
Bald ists geschafft: Dann schweige ich und sitze
und reiße weißes Fleisch in schöne Streifen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Thematisch erinnert es mich an die Ode an die Seeaalsuppe oder an die Ode an die Zwiebel von Neruda, nur dass es dort hohe Gaumenfreuden verspricht, während hier die Mühen der Ebenen, das tierische Wesen des Menschen im Vordergrund stehen.
Die Essenbereitung hat hier etwas Brutales; wird hier aber in erhabener Form dargestellt, die äußere Form eines deutschen Sonetts, als Mimikry der klassischen Ode, Ode noch als "Gesang", ein Gedicht, dass sich durch Feierlichkeit und Erhabenheit auszeichnet.
Durch den Inhalt wird es konterkariert und wirkt hierdurch grotesk, grottenhaft (nicht verwechseln mit der Redewendung "grottenhaft schlecht", sondern mit der ursprünglichen Bedeutung.

Nun frage ich mich: warum wirkt es profan, warum nicht erhaben?
Warum wirkt es zugleich erhaben?

Es ist die Widersprüchlichkeit in dieser Form.
 

Janosch

Mitglied
hallo bernd,
ich habe lange über deinen kommentar nachgedacht und meine verzögerte antwort beruht wohl auch darauf, dass mir keine passende antwort einfiel. ich finde es einfach witzig, wenn banale dinge, wie das backen eines hühnchens, solcherlei ausschweifungen in der sprache erfahren. es zeigt auch wieder, dass in jedem noch so autmatisierten und eben banalen vorgang, mit ein wenig wille zur interpretation, doch so einiges mehr drinne stecken kann - womöglich klappt das aber nur, wenn man die welt und vor allem sich selber nicht allzu ernst nimmt.

ganz kurz zum hergang der entstehung des sonetts: ein freund hatte geburtstag und trug mir auf ein x-beliebiges bochrezept in gedichtform umzusetzen. da eben jener freund den nachnamen "vogel" trägt, war für mich schnell klar, in welche richtung das gehen soll. zu meinem glück ist herr vogel kein vegetarier und hat es (hoffentlich) nicht allzu missverständlich aufgenommen. ;-)

ich danke dir für deinen kommentar, der mich zum nachdenken angeregt hat.

viele grüße
janosch
 

Janosch

Mitglied
nerudas oden kannte ich noch nicht, es geht ja tatsächlich in eine ähnliche richtung, zumindest von idee und ansatz her. auch dies: köstlichkeiten. gewürzt mit feinem humor. ;-)
gruß janosch
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist ein ganzes Buch, er beschreibt auch viele andere Sachen, alles sehr elementar, eines meiner Lieblingsbücher neben den Galgenliedern, den Sterntagebüchern und Nimmerklug.

Ich hatte Deinen Text im Hinterkopf sofort mit Nerudas Oden verglichen.
 



 
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