Ohne Dich

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cara

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Ohne dich leben - was bedeutet das für mich? Dich nicht mehr
sehen. Dich nicht hören. Dich nicht lesen. Dich nicht denken.
Dich nicht spüren. Dich verbannen, was tut mir das an? Was tu
ich mir selbst an damit? Dich verleugnen ist mir nicht möglich,
dich auszulöschen vermag ich nicht, dich verdrängen will ich
nicht.
Wenn ich dich nicht mehr erfassen kann, kann ich auch nicht
mehr mit dir umgehen. Wenn du erst fort bist, weit weg von mir,
ist jede Begegnung ein Schock. Dein Name, achtlos hingeworfen,
ist dann Erschrecken. Dein Gesicht in meinen Träumen
Gefangennahme, dein Andenken in meinen Räumen ein Schlag.
Deine Zeilen vor meinen Augen Tränen; ungeweint. Dir zu
schreiben Herzinfarkt, dir zu lauschen Zusammenbruch. Eine
einzige Qual, auf dich zu treffen - zufällig, ungeplant. Wo ich
doch ohne dich lebe.
Gleichwohl ist deine Abwesenheit stets gegenwärtig. Dünne
Gaze trennt uns nur. Materialisierst du dich wie aus dem Nichts,
stockt mir der Atem, rast mein Herz, überfällt mich Schmerz - es
ist wie Sterben. Denn der Vorhang zwischen uns hat nicht die
Macht, dich zu halten. Er verschleiert nicht das Fehlen deiner
Präsenz.
Deine absolute Nichtanwesenheit, die gänzliche Trennung von
dir macht jedes Guckloch in der selbst aufgerichteten Mauer zu
Russisch Roulette. Und in meiner schmiegt sich Öffnung an
Öffnung. Ich habe das Mauern verlernt, dein Vermächtnis an
mich. Weit offen stehe ich - Herz, Seele, Geist sehnen sich nach
Licht. Wie könnte ich mich da verschließen?
Wenn ich dann Sehnsucht habe, muss ich dich sehn. Wenn dein
Klang in mir vibriert, muss ich dich auch von außen hören; sonst
macht mich die Schwingung brüchig. Es ist besser, deine Nähe
begleitet mich, als dass mich ihre Verbannung zerreißt.
Ich muss einen Pfad finden, meinen Weg zwischen Qual und
Vergessen - beides ist dasselbe. Nicht die Erinnerung ist es, die
uns quält, wir sind es, wir quälen uns zu oft mit ihr. Machen ein
Martyrium aus ihr. Erinnerung selbst ist Heilung. Und so
erkenne ich mit einem Mal:
Ohne dich leben kann ich, sogar, wenn ich es nicht will. Doch darf
ich nicht ohne dich leben, sonst sterbe ich langsamen Todes.
 



 
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