Ohne Worte

Ohne Worte

Und nun liegst du vor mir so still, blass und bleich, ganz ohne Worte und schweigsam, erfüllt von Stille und tiefer Ruhe mit jedem Atemzug. Aus den Bäumen rinnt langsam der feine Regen in Tropfen. Eine glänzende Perle tropft hinab, berührt deine bloße Haut und rinnt langsam hinab, sucht ihren Weg prickelnd und kalt über deinen nackten Körper.
Küssend würde ich ihm gern folgen über deinen herrlichen Leib, doch ich wage es nicht, wage nicht, dich zu wecken, die Stille zu brechen, die Ruhe zu stören, der Kälte wegen. Ich bin lieber wie du schweigsam und verbleibe ohne Worte, denn ich liebe die Stille, ich liebe die Ruhe oh, wie sehr liebe ich dich. So sehr liebe ich dich, kann meinen Blick kaum von dir wenden und stoße endlich hinein, spüre wie der Erdboden sich spaltet und beginne zu graben.
Wie liegst du da, so still und so schön, so wundervoll schön ohne den Makel der Worte und eine Strähne deines Haars weht im Wind. Es schimmert glänzend im Mondschein und wirkt so lebendig und nicht stumpf wie im Sonnenlicht. Ich strecke die Hand aus und möchte es streicheln, wie ich es tat, als du neben mir lagst. Nur sanft würde ich es berühren, du wirst es nicht einmal merken, meine Fingerspitzen werden sich davonstehlen so schnell, nur hinterlassend den flüchtigen Schein einer Berührung.
Ich strecke sie aus und der Wind weht und sie berühren dein Haar und es ist kalt, so kalt. Ich schrecke zurück und betrachte dich, schweigsam und ohne Worte. Meine Finger kribbeln vor Leben und ich würde es dich so gerne spüren lassen. Aber ich wage es nicht. Ich trete die Schaufel in den Boden und grabe. Es fällt mir schwer, das Erdreich ist fest und meine Schultern schmerzen. Doch ich gebe nicht auf und grabe weiter, durchbreche die Wurzeln und verscheuche die Würmer.
Wie sehr liebe ich dich, versinke im Anblick deines kleinen, schwachen, gekrümmten Leibes und biete dir meine Stärke, diese Stärke, die meine Muskeln antreibt und meinen Geist beherrscht. Ich blicke in dein Gesicht, in deine Augen, diese blauen, wunderbaren Augen voller ungetrübtem Glanz, ein Hauch von Grün ist auch darin und es ist dieses Grün das ich liebe, das ich wie keine Farbe mit dir verbinde, es ist deine Farbe und ich liebe sie dafür.
Ich sehe tief in deine Augen und erblicke die Scheu und die Angst und die Sehnsucht. Ich habe immer gesehen, wie du dich fürchtetest vor den Menschen, der Welt und den Fehlern, wie du geflohen bist vor den Menschen, wenn die Worte dich verließen, still und ohne Worte bist du geflohen; wie du die Fehler gemacht hast ohne es ändern zu können, wie du die Welt vergessen hast über deiner eigenen Welt, in der du keine Angst haben musstest, weil nur dir diese Welt gehört – und mir.
Ich habe dir meine Stärke geliehen und du konntest mir nur die Furcht geben. Doch ich werde dich nicht verlieren, du wirst stets bei mir sein, ich liebe dich und ich brauche dich, wir sind eins miteinander, zusammengefügt ohne Knöpfe und Naht, wir bleiben vereint in der Unendlichkeit. Du stimmst schweigsam zu, ohne jedes Wort, aber ich weiß es, du liebst mich und ich verstehe dich ohne dich zu hören.
Salzig wäscht der Regen meinen Schweiß von mir und er ist dicht jetzt, ein Schauer voll Nässe und Kälte. Der Boden wird schwerer, feucht klebt das Erdreich an meiner Schaufel und sie wiegt so schwer, so unendlich schwer, aber ich trage sie, ich habe die Stärke, ich hebe sie, ich grabe.
Ich grabe und kämpfe gegen die Schmerzen, doch mein ganzer Körper ist Schmerz. Einen Moment will ich ruhen, mein Blick gleitet über dich und diesmal wage ich es, beuge mich leicht zu dir hinab, studiere deine Lippen, die schmalen, blassen, roten Lippen und ich küsse sie sanft. Sie sind kalt und ich weiche zurück vor dir und grabe, doch nicht für lange, denn ich fürchte dich nicht.
Ich fürchte dich nicht, ich trachte nach deinem Leben, denn es gebührt mir, deine einzige Waffe ist deine Schwäche und die Angst in deinen Augen. Ich schlage sie mit meiner Stärke und hebe dich auf, deinen schlanken, makellosen Leib. Der Mond schimmert auf deiner Haut und das Wasser läuft an dir hinab und ich trage dich und lege dich nieder und ich bette dich in das Erdreich.


Ich bette mich in das Erdreich und sehe den Mond über mir, so fahl und blass, ich rieche die nasse, würzige Erde und blicke hinauf und du stehst da und blickst hinab auf mich, still, blass und bleich und ganz ohne Worte. Dein zierlicher Arm hebt die Schaufel und Erde fällt herab und sie ist feucht und kalt und ich fürchte sie. Doch du stehst dort oben und schaufelst Erde hinab, du warst niemals so schön wie in diesem Moment, voll deiner stillen Stärke und ohne Worte begräbst du mich – und ich liebe dich.
 
Hallo Ann-Kathrin Deininger,


eine sensible symbolische Geschichte, die ich unter Kurzprosa sehr gut platziert finde, denn das Atmosphärisch-Bildhafte tritt gegenüber der Handlung deutlich in den Vordergrund.

Wenn sich die Bilder der Begrabenden und der Begrabenen am Ende plötzlich drehen, ist das wie ein schockhaftes Erleben und das ist sicher der Höhepunkt und die Kunst deiner kurzen Prosa.

Nun lass mich sagen, dass ich hier und da ein wenig unter der Wortwahl litt. Im ersten Abschnitt ist alles klar, zwar ein gehobener Stil, aber doch für mich ganz überzeugend.
Die erste Wortkombination, die mich den Kopf leicht wiegen ließ, war „dein herrlicher Leib“. Es ist für mich nicht die Sprache der Gegenwart – obgleich deine Prosa ganz in der Moderne angesiedelt ist –, sondern ein Sprachrelikt aus der Lyrik oder aus der Romantik. Kann man Wendungen und Wörter dieser Art heute anders als ironisch oder zitierend gebrauchen? Ich frage nur. Vielleicht ist es ja wieder möglich. Vielleicht kann ich ja nur aus meiner „modernistischen“ Haut nicht heraus. Handke und Botho Strauß leisten sich ja seit Jahren eine geradezu weihevolle Sprache. Vielleicht werde ich also dem Text in diesem einem Punkt, der Wortwahl, mit meinem Blick nicht gerecht. Aber es geht hier schließlich um persönliche Eindrücke und nicht um allgemeingültige Werturteile.

Das, was du schilderst, die gesamte Szene ist sehr stimmig durchgehalten, wie ich meine. Trotz der Frage nach der Wortwahl (Stilebene) eine für mich gelungene, genau komponierte Prosa, die sogar am Ende in eine ganz neue Dimension vorstößt. Das ist das Wesentliche.

Beste Grüße
Monfou
 



 
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