Ohne Worte

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Gerd Geiser

Mitglied
verreimter Auszug aus "Fünf Jahre meines Lebens" von Murat Kurnaz

Ich sage mal: Guantánamo. -
Muss ein Häftling dort aufs Klo,
hat er in der Freiluftzelle
eine kleine Notdurftstelle.
Diese ist ob der Gefahr
allerseits gut einsehbar.

Doch nach Jahren im Gefängnis
bringt das keinen in Bedrängnis.
Gut vertraut mit Käfighaltung
meidet man die Hausverwaltug.
Kurz die Beine angewinkelt
und ins Loch hinein gepinkelt.

Ärgernis jedoch bereitet,
wenn der Arrestant bestreitet,
dass ihm hier geholfen wird,
und er sich beharrlich ziert.
Besser ist es sich zu läutern,
als zu meckern und zu meutern.

Oftmals helfen Eisenschellen,
um sich einer Tat zu stellen.
Das Gewissen wird entlastet,
wenn der Sträfling eifrig fastet
oder auch mal tagelang
sich versenkt im Tiefkühlschrank.

Ist er hier zu lang alleine,
amputiert man ihm die Beine.
Doch, die sind ja eh verloren,
wenn sie erstmal abgefroren.
Schwer wird jetzt des Stuhles Gang
auf ´nem Stumpf mit Blutandrang.

Denn dann sucht auf seinen Schenkeln
der Proband nach Haltehenkeln.
Greift er in den Drahtverhau,
haut man ihm die Finger blau,
weil nun mal die Drahtberührug
nicht erlaubt ist, sagt die Führung.

----------

Kurnaz kommt nicht mehr zur Ruh.
Soll man´s glauben? - Jetzt kommst du.
 

Walther

Mitglied
Moin Gerd,
da bleibt das Lachen im Halse stecken, bis der Kopf rot anschwillt und platzt vor Wut.
Gruß W.
 
Hallo Gerd,
ich finde das Gedicht ein wenig eingezwängt in den Reimen, fast schon gefangen - der Funke will mir einfach nicht überspringen. Auch wenn das Thema fesselt - wirklich interessant finde ich nur das Schlusswort(das ist natürlich banal, aber ungemein ergreifend).

Das Wort banal gefällt mir jetzt nicht, aber ich habe das Gefühl, ich muss es auf das Gedicht anwenden. Liegt das daran, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Gewalt gegen andere das Vormittagsprogramm füllt und zur Banalität geworden ist?

Ich bin mir dessen sicher. Der Schrecken lebt nebenan - schön, dass du dieses Theam gewält hast, obwohl wir alle davon wissen und schweigen und uns mehr Gedanken darüber machen, wie heiß der Sommer denn nun wird.

Ob Ironie oder nicht - politische Texte weiß ich hier viel zu wenige.
Deshalb, und weil die Sonne einem den Arsch so wärmt, dass er träge wird, ist mir das Gedicht ein willkommenes Fragezeichen zwischen Liebes-, Blumen- und Ich-gedichten.

Gruss, Marcus
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Gerd,

endlich mal ein politisches Gedicht, das bitterböse anprangert, was stillschweigend hingenommen wird in unserer ach so humanen Welt.

lieber Gruß

maerchenhexe
 

Gerd Geiser

Mitglied
Ich sag mal so:
Gefoltert und gemordet wird überall auf der Welt. Damit es mich nicht krank macht, muss ich vieles ausblenden, und jeder hat sein eigenes Ausblendungsrepertoire.
Manchmal jedoch dringen Nachrichten ungefiltert durch, und die Bilder, die im Kopf entstehen, machen sich selbständig und geben keine Ruhe. Als Schreiberling will ich mich in Worten dazu ausdrücken. Doch wie gehe ich "angemessen" mit der Unmenschlichkeit um, zu der (wir) Menschen fähig sind. Mein Versuch scheint nicht völlig in die Hose gegangen zu sein. Zumindest hat er mir geholfen.

Danke für die Rückmeldungen

LG
GG
 

Aragorn

Mitglied
Lieber Gerd,
trotz meiner Kommentierunlust auf diesem Forum muß ich hier mal was dalassen ...
Das ist das geilste im Halse steckengebliebene Lachen seit den Apalachenwachen!

>>Ich sage mal ...<<

ist schon der UN-Einstieg überhaupt ...

Wunderschön:

>>Denn dann sucht auf seinen Schenkeln
der Proband nach Haltehenkeln.<<

Auch die Syntax bei:

>>weil nun mal die Drahtberührug
nicht erlaubt ist, sagt die Führung.<<

hat was.
Wobei ich hier den Gedankenstrich (statt Komma) bevorzugen würde.


Der Schluß:

>>Kurnaz kommt nicht mehr zur Ruh.
Soll man´s glauben? - Jetzt kommst du.<<

ist wieder so herrlich kindgerecht!
Das ist dieses "Jaja, so ist das!", das der tumbe Zeitgenosse für jedes noch so erschütterde Thema findet.

Übrinx:
Der Schlußsatz erinnert mich an "Bauermanns Bierkeller".
Ist das beabsichtigt?


Fazit:
Viel zu gut für die LL!

lg
Ara
 

Aragorn

Mitglied
nochmal ne Frage ...

Sind die Beine ganz abgefroren oder nur ab Knie?


>>Denn dann sucht auf seinen Schenkeln
der Proband nach Haltehenkeln.<<

oder

>>Denn dann sucht in Form von Schenkeln
der Proband nach Haltehenkeln.<<

???
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo Aragorn,
Murat Kurnaz spricht davon, dass in seinem Nachbarkäfig für kurze Zeit ein Mithäftling untergebracht war, dem man nach einer "Kältebehandlung" die Beine amputiert hatte. Die Stümpfe waren nur unzureichend versorgt worden, sie eiterten und der schmutzige Verband war blutdurchtränkt. Der junge Mann stöhnte vor Schmerzen, wollte sein Geschäft auf einem Eimer verrichten und sich dafür am Gitter hoch ziehen. Die Wache aber habe ihm immer wieder auf die Finger geschlagen. Auch an seinen Händen seien Frostbeulen gewesen.

So geht´s zu in Guantánamo.

Danke für deine Rückmeldungen.

LG
GG
 
H

HFleiss

Gast
Das ist Betroffenheitslyrik pur. Du hast immer wieder das Talent, genau danebenzugreifen. Fällt mir mit der Zeit auf.

Hanna
 



 
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