One Night Stand

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Anna Osowski

Mitglied
Svenja liebt die Freitage. Schon beim Aufstehen lächelt sie froh in sich hinein und lässt genüsslich im Verlaufe des Tages die Spannung wachsen. Sie weiß vorher nie, wie es sein wird. Ihr Ritual: Wenn sie gegen halb sieben nach Hause kommt, nimmt sie ein langes, heißes Wannenbad. Hört dazu Wagner, manchmal auch Brahms. Laut. Während andere Frauen in ihrem Alter sich gerade auf den Weg zu einer Tupperparty oder ins Fitness-Studio machen, steht sie lange vor ihrem Kleiderschrank, nimmt mindestens drei verschiedene Dessous in die Hand, bevor sie sich für eines entscheidet, gleitet immer wieder mit ihrer sorgfältig manikürten Hand über die Stoffe, um das passende Outfit zu wählen, verbringt lange Viertelstunden vorm Spiegel, um jeden Make-Up-Strich perfekt zu inszenieren. Mit einem sehr guten Gefühl verlässt sie jeden Freitag abend um 21.30 Uhr das Haus.

An diesem Freitag fällt ihr die Entscheidung leicht. Gleich als sie die Bar betritt, zieht er ihren Blick magnetisch an. Er hat breite Schultern, die sich in einen erlesenen Zwirn schmiegen, und seine Gesten verraten Sinnlichkeit. Seine Hände sind fein, wie die eines Pianisten, seine Schläfen leicht ergraut. Mit seinen klaren blauen Augen richtet er auch schon bald seinen unwiderstehlichen Blick auf sie. Ein leichter Schauder, sie bietet ihm ihr kirschrotes Lächeln an. Eine charmante Plauderei zur Einstimmung, ein paar leichte Berührungen hier und da, sachte und jede gekonnt platziert, schließlich ein tiefer Augenblick... Svenja wartet einen winzigen Moment, genießt das Flackern in der Luft, genießt seine innere Bewegung und den Ausblick auf das, was gleich kommen wird. Dann beugt sie sich langsam zu seinem Ohr und flüstert die magischen Worte, wobei sie sein Ohrläppchen mit einem leisen kirschroten Fleck markiert. Er hat keine Chance mehr. Ihr Gesicht ein leuchtender Stern, als sie mit gemessenen Schritten gemeinsam die Bar verlassen.

Seine Wohnung empfängt sie mit genau der Großzügigkeit und Behaglichkeit, die sie erwartet hat. Einen Wein schlägt sie nicht aus, galant stellt er alles bereit. Ein Chateaux Coulon, 96er Jahrgang. Zwei Gläser, so kristallklar wie ein unschuldiger Gedanke. Die Musik: Jazz. Das hatte sie schon lang nicht mehr. Die meisten versuchen sie mit Beethoven zu beeindrucken oder mit Fado zu verführen. Sie lächelt über die Ahnungslosigkeit der Auserwählten. Er zieht sein Jacket aus und die Präsenz seines Körpers, die Sicherheit in den kleinsten Bewegungen verschlägt ihr den Atem.

Nun kommt der Tanz. Diesen Teil liebt sie am meisten. Lauter unsichtbare Fäden, in die sie ihn einspinnt. Dinge, die sie ihn fühlen lässt, indem sie Andeutungen oder Blicke benutzt. Während sie zärtlich über ihr Bein streicht, schaut sie zu Boden in einem Winkel, der unübertrefflich ist. Sein Blut wird zunehmend unruhiger, erhitzter. Dann kühlt sie ihn wieder ab; er ist feinsinnig, heute reichen ein paar distanzierte Blicke. Wie sie diesen Tanz liebt und darin aufgeht und es dauert nur noch ein paar dieser Runden und dann ist es soweit und schon geht ihr stumm juchzend das Herz auf und schon schließt sie in Vorfreude die Augen.

Heute geht alles so glatt. Sie braucht keinen Kniff, muss keinen Wein verschütten oder um ein Glas Wasser bitten. Er geht im genau richtigen Moment ins Bad. Ein vielsagendes und auf amüsante Art siegessicheres Schmunzeln auf seinem köstlichen Mund. Es ist ein unvergleichliches Glücksgefühl, als sie mit geübten Bewegungen das Döschen aufschnappen lässt und das Pulver in seinem Wein auflöst. Schon längst hat sie sich zurück in die behaglichen, kupferroten Samtkissen geworfen, als die Badezimmertür klappert und er mit einem noch zuversichtlicheren Ausdruck zurück kehrt.

Was für eine Genugtuung sie heute empfindet. Obwohl doch der Sieg fast selbsttätig herbeigeschlendert ist, alles ging so glatt. Sie schenkt ihm noch ein letztes Lächeln, eines mit besonders viel Wärme und hebt ihr Glas. Auf die einzigartigen Nächte. Und nimmt einen aufmunternden Schluck. Statt sein Glas zu nehmen, beugt er sich langsam genussvoll zu ihr, legt einen zärtlichen Geruch seines Eau de Toilette über sie, streicht ihr sanft mit der linken Hand eine Locke aus der Stirn. Na bitte, denkt sie sich, eine kleine Hürde haben wir da doch gefunden... Ich werde ihn zunächst mit einem langen, feuchten Kuss aus der Fassung bringen, mich kurz frisch machen wollen, was für einen weichen Blick er hat, fast ist es schade um ihn, so einen kultivierten Mann traf ich selten, ich sollte nicht hadern, und diese wunderschönen Hände...

Der lange feuchte Kuss wühlt ihr tief die Eingeweide auf. Sie fühlt sich in ungekannter Weise begehrt und fährt leidenschaftlich mit ihren hell-lackierten Fingern durch sein Haar. Die Zwiespältigkeit dieser Leidenschaft treibt ihre Freude in irrwitizge Höhen und bereitet ihr so etwas wie ein hysterisches inneres Kichern. Wie in einem Taumel löst sie sachte den Mund von seinem, heißer Atem vermischt sich, sein Lächeln streichelt sie betörend. Sie rutscht leicht nach hinten, um sich aus der Umarmung zu stehlen, da sieht sie das Metall blitzen in seiner rechten Hand, es wird ein Messer sein, was da unaufhaltbar auf sie zurast und unfassbar muss sie erkennen, dass es heute anders enden wird. Anders als sonst am Freitagabend ...
 

Rainer

Mitglied
Hallo Anna Osowska,

dein Text hat mir sehr gut gefallen; atmosphärisch dicht und sicher in der Wortwahl.

einzige Anmerkung bzw. Stolperstelle:
Die Szene des Nachhausekommens in seine Wohnung. Das Weinglas passt mir nicht: wozu die Beschreibung dient ist mir schon klar, aber ich finde sie unglücklich, da die Klarheit eines Weinglases nichts über seine Güte bzw. seinen Preis verrät. Ich würde mir an deiner Stelle etwas Anderes suchen um den Leser auf die falsche Fährte zu locken.

Viele Grüße

Rainer
 



 
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