Opa Kurt 4: Die Mutter der Nachbarin

Bursch

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Zu den Personen und zur Situation lies die kurze Einleitung zu "Opa Kurt 1". Monate nach dem Sturz des 84-jährigen Kurt vom Dach seiner Scheune berichtet Rolf der Bäcker Neues von seinem Ex-Schwiegervater. Wir lauschen dem Telefonat mit seiner Ex-Schwägerin:

Ehrenwort, Susanne. Nicht schlimm im Kern. Bis auf ...
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Naja, schon schlimm, was die seelischen Folgen betrifft. Für ihn. Ich will sagen, so am Boden zerstört habe ich ihn ja selten erlebt. Was zugleich ein Beleg dafür ist, dass er das Ganze nicht einfach erfunden hat. Oder erträumt.
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Naja, wirkt vielleicht auf dich so. Aber erstens hat er nie den Aufschneider gespielt auf dem Gebiet. Und zweitens leidet er seit fünf Tagen wie ein Tier.
Aber der Reihe nach. Du weißt, die neue Nachbarin seit letztem Jahr ...
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Genau. Die ihm eine scheuerte. Wegen Nacktparaden. Da passierte rein nichts mehr die ganzen Monate. Hinüber und herüber nicht. Sendepause.
Irgendwann letzte Woche steht er an Nachbars Zaun und ist zugange mit seinen geliebten Rosensträuchen. Da spricht wie aus dem Nichts eine Frauenstimme zu ihm: "Wun-der-schön! Eigene Zucht?"
Er dreht sich um und erblickt in Nachbarins Garten eine etwa 60-Jährige, ansprechende Erscheinung, etwas füllig, sagt er, aber da steht er ja darauf.
"Ich bin die Mutter der neuen Besitzerin. Hüte hier für zwei Wochen das Haus, meine Tochter ist mit der Kleinen an der Ostsee. Also, ihre Rosen sind mir ja gestern gleich ins Auge gestoßen."
Kurt stammelt irgendein Dankeschön, weiß nicht recht.
Sie verständig: "Habe gehört, was hier vorgefallen ist. Wissen Sie, meine Tochter war immer schon, wie soll ich sagen? So verbissen. Ich kann mir das gut vorstellen. Fast zwei Jahre stand das hier leer, da fühlt man sich als Nachbar doch mit der Zeit völlig frei. Andererseits ist noch keiner gestorben am Anblick eines nackten Mannes, oder? Gestern dieses herrliche Sommerwetter oben auf unserer Terrasse. Meinen Sie, das nutzte ich meinerseits nicht aus? Sieht doch eh keiner. Also, Gerda mein Name. Auf gute Nachbarschaft die nächsten zehn Tage."
Dein Vater wollte noch sagen, er heiße Kurt. Aber sie war so rasch verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
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Kannst du dir denken. Es wühlte in ihm. Mächtig. Die Jalousien zur Nachbarin blieben des Morgens ab sofort wieder oben. Auch das Kaffeegeschlürfe vor offenem Fenster mit wenig bis nichts an stand wieder auf der Tagesordnung. Und immer mal neugierige Blicke auf die andere Seite.
Fürs erste tat sich aber nichts. Er unternahm, was er konnte. Trieb sich unter allerlei Vorwänden im Garten herum Richtung Nachbarins Grundstück, reinigte auf der Seite seine Dachrinne, werkelte an einer der Dachgauben. Einen lang Tag lang passierte nichts. Mittags am zweiten hat er endlich Erfolg. Steht gerade auf seiner Klappleiter und hämmert, da hört er hinter sich Gerdas wohlklingende Stimme. Von der Hochterrasse herunter, bis zur Hüfte von der Randmauer verdeckt, ansonsten im Bikini-Oberteil lächelt sie ihn an: "Ist das nicht herrlich heute? Müssen Sie denn immer arbeiten? Haben Sie keinen Platz zum Sonnen rund ums große Haus?"
"Du", sagt er im Nachhinein zu mir, "diesmal war ich ja auf alles gefasst und habe ganz ruhig geantwortet: 'Wenn mich keiner einlädt, nicht, nein.' Sie guckt mich einen kurzen Moment sehr ernst an. Dann gibt sie sich einen Stoß. 'Und wenn ich Sie jetzt einlade?' Dann spring ich, habe ich gesagt. Sie darauf: 'Aber mit Badehose, klar?'
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Das kannst du dir doch wohl vorstellen.
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Das weiß ich nicht. Wie weit? Da schweigt der Sänger.
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Ja, was weiß ich? Vielleicht hat er auch nachgeholfen mit dem bekannten Mittel?
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Ich weiß, ich rede von deinem Vater.
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Drei Tage lang. Vielleicht vier. Hier und da ein Gläschen in Ehren. Tja, man müsste nochmal zwanzig sein.
Alles schön und gut, aber das Ende kam mit großer Brutalität. Die Ohrfeigen-Tochter stand unvermittelt in ihrem Hausflur, während Kurt sich dort bewegte, als sei er zuhause.
"Was machen Sie denn in meinem Haus? Wer hat Ihnen erlaubt ...? In der Badehose!?"
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Klar. Hat den durch ihren Garten gejagt und um den Zaun herum, egal, was der am Leibe trug. Danach Riesenlärm zwischen Mutter Gerda und ihrer intoleranten Tochter. Offenbar war die Jüngste im Urlaub erkrankt, deshalb musste der abgebrochen werden. Soviel hörte er heraus. Und registrierte eine Stunde später das Taxi, das Gerda abholte.
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Total depressiv, was sonst?
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Nein, nichts. Ist er nicht drin geübt. Keine Adresse, keine Handynummer, nichts. Fertig ist er mit der Welt: "Schnauze voll. Echt."
Versuche ihn aufzubauen seit fünf Tagen. Jeden Abend. Du weißt, ich habe wenig Zeit. Aber wer soll denn sonst ...?
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Schon gut, Susanne. Gut, dass mir jemand zuhört. Bis bald mal. Und grüß Hans.
 



 
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