Orbas der Große

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

HendrikS

Mitglied
Orbas der Große

Durch einen Riss im Fels schien die Sonne in die Höhle. An der Stelle, wo das Licht den Stein traf, wuchsen etwas schleimiges Moos und drei Pilze. Orbas schob sich einen der Pilze in den Mund, die zwei anderen legte er in seinen Beutel. Der Pilz schmeckte genauso muffig, wie die Luft roch, in der er wuchs. Trotzdem, die Pilze waren die einzige Ausbeute, die der Tag bis jetzt gebracht hatte. Orbas war stundenlang durch die Höhlen gestreift, die Hinterland durchzogen, wie Termitenstraßen einen Baumstamm. Es hieß ein altes Volk hätte die Dungeons auf der Suche nach Gold und Silber in die Erde gehauen. Was mit dem Volk geschehen war, darüber zerbrachen sich die Hexen, Priester, weißen Männer und sonstige Irren von Hinterland den Kopf. Orbas vermutete, dass sie einfach weitergezogen waren, als es nichts mehr zu holen gab. Hinterland war ein unfruchtbarer Landstrich. In der Erde wuchs kaum mehr als Rüben und matschige Kartoffeln. Deswegen suchten die meisten Bewohner, obwohl die unermesslichen Reichtümer, die die Höhlen einstmals anscheinend beherbergt hatten, längst weg waren oder nie existiert hatten, ihr Auskommen unter der Erde. Sie schürften nach Eisen und Silber, zogen Champignons, züchteten Grottenolme oder sammelten, so wie Orbas, alles was sich zu Geld machen ließ.
Orbas kratzte mit dem Fingernagel an einer glitzernden Stelle im Fels. Erst dachte er, er hätte eine Silberader entdeckt, aber es handelte sich nur um die Schleimspur einer Schnecke, die in den Höhlen zu tausenden lebten und die man in der Dunkelheit meist erst bemerkte, wenn man ihr Häuschen zertrat. Früher war dieser Teil der Dungeons ein gutes Revier gewesen. Spalten bohrten sich vom Hügel über Orbas Kopf bis hinunter zu den Höhlen. Das ließ mehr Licht in die Dungeons fallen, und ab und zu traf man auf einen Wanderer mit zerschlagenen Knochen. An der Oberfläche wuchsen Kuhgras und Ginsterbüsche über die Löcher im Boden, was einen falschen Schritt zuweilen tödlich enden ließ. Orbas Ohm hatte einmal einen Wegweißer der Königsstraße umgedreht und für eine kurze Zeit hatte es Wanderer geradezu geregnet. Damals hatte das Plündern der Leichname ihnen ein erkleckliches Einkommen verschafft. Aber das war vorbei, mittlerweile ließ sich kein Reisender mehr in die Irre führen. Der Pilz nahm in Orbas Mund die doppelte Größe an, als er ihn hinunterwürgte, fühlte er sich wie eine Ringelnatter, die eine Ratte am Stück verschluckt. Trotzdem hätte er die anderen zwei Pilze am Liebsten auch gleich gegessen. Stattessen ignorierte er seinen knurrenden Magen und wanderte weiter in den Berg hinein. Der Boden war glitschig, die Decke der Höhle verjüngerte sich und die Spitzen einiger Tropfsteine lagen zerbrochen auf dem Boden. Jeder andere hätte hier den Kopf einziehen müssen, aber Orbas war ein Gnom, gerade mal einen Meter lang und das auch nur wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Nach der Meinung seines Ohm war ihre Körpergröße genau die Richtige für das Sammeln in den Dungeons. Man stieß sich dort weniger schnell den Kopf an und noch wichtiger, bei Gefahr konnten man sich in eine Felsspalte drücken und war kaum mehr zu sehen. Wobei half, dass Gnome von Geburt an eine graue Gesichtsfarbe haben. Trotzdem konnte Orbas seiner Körpergröße wenig Gutes abgewinnen. Letztlich wurde man von niemandem mit Respekt behandelt, wenn man ihm nur bis zur Hüfte reichte. Die Helden von Hinterland, die in die Höhle hinabgestiegen und mit den Köpfen von Ungeheuern wieder herausgekommen waren, waren alle Größer gewesen. Barnabas der Große, der einzige Held, der einem Karhut den Kopf abgeschlagen hatte, hatte die Größe sogar im Namen getragen. Im Ratssaal von Königsstadt konnte man die Tat von Barnabas noch immer bewundern. Der blanke Schädel des Karhuts wurde dort zur Schau gestellt damit sich die Kinder vor ihm gruseln konnten. Und eine ganze Wand des Saals nahm ein Gemälde ein, das zeigte, wie Barnabas der Große dem Karhut das Schwert in die Kehle rammte.
Orbas besaß ebenfalls ein Schwert. Der Ohm hatte es ihm vor der ersten Sammeltour geschenkt und behauptet, es handle sich um ein karthasisches Kurzschwert. Doch wenn Orbas sein Schwert betrachtete, war er sich nicht sicher, ob es früher nicht eher in einer Küche von Königsstadt dazu benutzt worden war, Karpfen zu entschuppen. Helden sterben, sagte sein Ohm, Gnome leben und drücken sich in Felsspalten oder rennen davon. Und so hatte Orbas sein Schwert auch nur ein einziges Mal gegen ein Ungeheuer gezogen. Damals hatte ihn zwei Trolle überrascht. Orbas hatte sich auf dem Boden zusammengekauert und getan als sei er ein Felsbrocken. Das hatte so gut funktioniert, dass sich einer der Trolle auf ihn setzten wollte. Orbas hatte dem Troll mit dem Schwert in die Wade gestochen, und in dem folgenden Trubel hatte er es geschafft zu entkommen. Ansonsten zog er das Schwert nur um Spinnen zu töten. Die wuchsen in den Dungeons zu erstaunlicher Größe heran und die reichen Bewohner von Hinterland redeten sich ein, sie seien eine Delikatesse und aasen sie als eine Art Hummer Ersatz. Weil Hinterland von allen Meeren so weit entfernt lag, schaffte es kein Hummer hierher ohne zu stinken. Leider gab es in dem Teil der Dungeons, in dem sich Orbas gerade befand, noch nicht einmal Spinnen. Irgendetwas muss ich finden, dachte er. Die Beutezüge warfen seit längerer Zeit kaum mehr etwas ab. Sein Ohm und er hatten sich in den letzten Tage allein von Rüben ernährt. Von Rübenmus bis zu gebratenen Rüben an Löwenzahnsalad hatte der Ohm sie in allen Variationen zubereitet und wenn Orbas an eine weitere Woche Rüben dachte, hätte er sich am Liebsten in sein Schwert gestürzt. Die Höhle verbreiterte sich, es roch scharf nach Fledermauskot. Orbas suchte die Höhlenwände nach den Tieren ab. Die Kürschner von Königsstadt fertigten Handschuhe und Kappen aus ihrem Fell und zahlten einen guten Preis. Doch um Fledermäuse zu fangen brauchte man ein Netz oder einen Käscher und diese Höhle schienen sie auch schon längst verlassen zu haben.
„Ich höre dich“ sagte eine Stimme. Orbas schrak zusammen und presste sich reflexartig gegen die Höhlenwand. Panisch suchte er den Felsen hinter sich nach einer Spalte ab, in der er sich verstecken konnte.
„Ich sehe dich“ sagte die Stimme, was Orbas Plan mit der Felsspalte zunichte machte. Auf der anderen Seite der Höhle setzte sich etwas in Bewegung. Es schien als würde eine Vogelscheuche ihre Glieder entfalten. Nie hatte Orbas einen dünneren und größeren Mann gesehen. Der Mann richtete sich ächzend auf und als er stand, stieß er mit dem Kopf beinahe an die Höhlendecke. Er streckte sich und klopfte sich mit der Faust auf den Brustkorb. Er war ganz in Eisen gehüllt und ein Geräusch hallte durch die Höhle, das klang, wie wenn Orbas Ohm betrunken gegen den Geschirrschrank lief. Auf dem Kopf des Mannes saß ein Topfhelm, der Oberkörper war in ein Kettenhemd gehüllt, das ihm um den Körper schlotterte, an einem Seil, mit dem er das Kettenhemd um die Hüfte zusammengezurrt hatte, baumelte ein Schwert in der Scheide. Das Kettenhemd hing ihm bis zu den Oberschenkeln, Eisenschienen schützten die Schienbeine. Der Mann drehte den Kopf und als Orbas die winzigen Sehschlitze des Topfhelms sah, bezweifelte er, dass der Mann ihn wirklich gesehen hatte.
„Siehst du mich auch?“ sagte der Mann.
„Ja“ sagte Orbas.
„Das ist gut“ sagte der Mann „Ich warte schon seit drei Tagen hier, dass jemand vorbeikommt der Sehen und Sprechen kann. Ich brauche einen Augenzeugen.“
„Gut“ sagte Orbas und knetete seinen Sammelsack, damit der Mann sehen konnte, dass sich darin nichts lohnenswertes befand.
„Ich zahle gut“ sagte der Mann „und du musst nichts tun, nur zusehen. Wären 3000 Dukaten in Ordnung.“
Für 3000 Dukaten war Orbas bereit sich zwei Finger abzuhacken. „Kommt darauf an“ sagte er.
„Ich habe einen Karhut aufgespürt“ sagte der Mann „und du musst zusehen, wie ich ihn erschlage.“
Ein Verrückter, dachte Orbas und entspannte sich. Die Höhlen ließen eine Menge Menschen den Verstand verlieren, sie waren weniger robust gegen die Dunkelheit als Gnome. Glücklicherweise waren die meisten Verrückten harmlos.
„4000 Dukaten “ sagte Orbas.
Der Topfhelm nickte auf den Schultern des Mannes. „Geh mir einfach hinterher. Seine Höhle ist nicht weit weg.“
Der Mann drehte sich um und schritt kräftig aus. Trotz seiner Größe bewegte er sich mit einer tänzelnden Leichtigkeit und wich den Tropfsteinen an der Höhlendecke elegant aus. Allerdings schien er nicht mehr der jüngste zu sein. Orbas meinte in seinen Bewegung eine gewisse Anstrengung wahrzunehmen. Als ob Bewegungen, die ihm einmal leicht gefallen waren, jetzt Kraft kosteten.
„Du hast wirklich 4000 Dukaten?“ rief Orbas. Der Mann war bereits am Ende der Höhle angekommen, die dort in einen schmaleren Gang überging. Orbas rannte um dranzubleiben. Er bemerkte, dass sich der Mann mit der Seite mit der er nicht das Schwert führte, nahe an der Felswand hielt. Als ob er einem etwaigen Gegner weniger Angriffsfläche bieten wollte. Ein Krieger, dachte Orbas, und vielleicht weniger verrückt, als er vermutet hatte. Auch wenn der Krieger schon bessere Tage gesehen hatte. Als durch den Fels mehr Licht in die Höhle fiel, sah Orbas, dass das Kettenhemd des Mannes verrostet war, der Helm verbeult und was Orbas für einen Helmbusch gehalten hatte, waren Spinnenweben.
„Könnte ich eine Anzahlung haben?“ sagte Orbas.
Der Mann antwortete nicht, sie gingen jetzt über loses Geröll, das bei jedem Schritt unter ihnen wegrutschte. Orbas musste für jeden Schritt des Kriegers vier Schritte durchführen, er begann zu schwitzen und presste den Atem stoßweiße hervor. „Seid ihr sicher mit dem Karhut?“ In Hinterland gab es haufenweise Legenden und Lieder über Karhuts. Die Geschichten wurden davon genährt, dass Karhuts so gut wie ausgestorben waren und dass Jemand, der dennoch einem begegnete, davon meist nicht mehr berichten konnten. Eher konnte man froh sein, wenn man von ihm noch die Stiefel fand.
„Ja“ der Krieger wartete bis Orbas wieder näher herangekommen war „es hat Jahre gedauert bis ich ihn aufgespürt habe. Wisst Ihr wie sich ein Karhut fortpflanzt? Er erbricht ein Ei, wenn er stirbt. Darum gibt es so wenige von Ihnen. Ganz selten erbricht er mal zwei Eier.“ “
„ Niemand außer Barnabas der Große hat je einen besiegt.“ sagte Orbas.
„Ihr werdet es sehen. Achtet bloß darauf, dass ihr euch alles gut merkt. Und wenn ich fertig bin werdet ihr alles beim Rathaus bezeugen. Dann bekommt ihr eure Dukaten.“
Orbas dachte an den Karhutschädel im Ratssaal. Er war riesig und besaß eine Menge pechschwarzer Zähne von denen jeder einzelne so lang war, wie Orbas Unterarm. Wenn sie gerade tatsächlich dabei waren, einen Karhut aufzuspüren, dann wäre es die beste Entscheidung jetzt sofort wegzurennen. Aber 4000 Dukaten waren viel Geld und es war wahrscheinlich, dass sich der Karhut erst auf den Langen stürzen würde. Außerdem hätte Orbas wirklich gerne einmal einen lebendigen Karhut gesehen. Das Gemälde im Ratssaal hatte er an jedem Markttag angestarrt. Sein ganzes Leben hatte er davon geträumt ein Held wie Barnabas der Große zu werden. Zu einer Zeit in seiner Kindheit, als er die Körpergröße seines Vaters und seines Ohms bemerkte und ihm schwante, dass er selber wohl auch nie viel höher wachsen würde, hatte er seinen Vater gefragt, ob Barnabas wirklich so groß gewesen war. Sein Vater hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und einen Satz gesagt, den Orbas nie vergessen hatte. „Es gibt zwei Arten von Größe. Die Größe des Körpers und die Größe, die man durch Taten gewinnt. Und Barnabas der Große war kein langer Mann.“ Damals hatte Orbas gedacht, dass er auch einmal groß genannt werden wollte. Sein Vater hatte weder im Leben noch im Tod Größe erlangt. Einige Monate nach ihrer Unterhaltung im Ratsaal, war ihm in einer Grube ein Felsbrocken auf den Kopf gefallen. Die letzten Wochen, die ihm geblieben waren, hatte er gedacht er wäre ein tornischer Bulle und Orbas und der Ohm hatten ihn am Bett festbinden müssen, weil er ständig versucht hatte, sich der Milchkuh unzüchtig zu nähren.
In die Höhle fiel nun mehr Licht, weil die Risse im Stein über ihren Köpfen breiter wurden. Ein Felsen versperrte ihnen den Weg, der Krieger kroch auf allen vieren unter ihm hindurch, was ihn aussehen ließ wie eine riesige Heuschrecke. Orbas musste sich nicht einmal bücken.
„Ihr seid wirklich sehr schmächtig“ der Krieger richtete sich auf und wischte sich den Dreck von den Knien. “Was seid ihr? Zwerg, Kobold oder Liliputaner.“
„Gnom“ sagte Orbas.
Unter dem Helm schienen die Gesichtszüge des Kriegers zu verrutschen und ein Seufzer erklang dumpf. „Nun ja“ sagte er „haltet euch einfach an den Rand, dann wird es schon gehen.“ Unter den Füßen von Orbas knirschte es. Erst dachte er, er hätte einer Grubenschnecke das Haus zertreten, dann bemerkte er, dass der Boden von zerbrochenen Knochen bedeckt war.
„Wir sind jetzt bald da“ sagte der Krieger „der Karhut frisst was durch die Spalten fällt. Ich denke, er hat uns längst bemerkt.“ Er zog sein Schwert und rückte den Helm auf dem Kopf zurecht. Aus der Höhle vor Ihnen drang ein Geruch, der Orbas an den Tag, erinnerte als ihn Kinder in den Abfallkübel der Ratsküche gesteckt hatten.
Plötzlich tönte es aus der Höhle, als ob eine Hundemeute gleichzeitig zu knurren angefangen hätte. Orbas drückte sich gegen die Höhlenwand, seine Hände fuhren über den scharfkantigen Fels auf der Suche nach einer Spalte, einem Durchschlupf, oder wenigstens einer Ausbuchtung, in der er sich verbergen konnte. Er stockte, als er den Karhut sah. Das Untier stand unter einer breiten Felsspalte. Es besaß die doppelte Größe eines Bären. Die Schuppen, die den ganzen Körper bedeckten, schimmerten mattgrün. Sein Kopf war kleiner als der Karhutschädel aus dem Ratssaal, aber noch immer beeindruckend. An jeder der Tatzen saßen vier glänzende Krallen, lang wie Dolche. Der Schwanz pendelte langsam von rechts nach links und die Stacheln kratzten über den Fels. Das Knurren aus seinem Maul schwoll an. Orbas wollte vorschlagen sofort wegzurennen, aber der Krieger schritt ohne zu zögern auf das Ungeheuer zu. Auf dessen Rücken richteten sich in einer Linie vom Kopf bis zum Schwanz handtellergroße Schuppen auf. Orbas überfiel eine seltsame Lähmung und Faszination. Er hatte den Eindruck, dass er Teil von etwas großem war. Der Karhut legte er den Kopf schief und schien den Krieger neugierig zu betrachten. Meist kroch seine Beute wohl vor ihm weg statt auf ihn zu zulaufen. Der Krieger nährte sich ihm bis auf eine Schwertlänge und begann ihn dann langsam zu umkreisen. Er setzte seine Schritte sorgfältig, wie jemand, der ein Tablett mit Weingläsern balancierte. Der Karhut drehte sich mit dem Krieger auf der Stelle. Bald schien er seine Neugier gestillt zu haben, er hob eine Tatze und schlug nach dem Schwert des Kriegers, wie nach einer lästigen Fliege. Der Krieger wich geschickt aus und ließ sein Schwert über die Seite des Karhuts kratzen. Es klang, als würde man eine Messerklinge über Stein ziehen. Orbas wusste, wie jeder in Hinterland, dass die Haut eines Karhuts so gut wie nichts durchdringen konnte. Nur unter der Kehle, wo ihn keine Schuppen schützten, war er verwundbar. Der Karhut schlug erneut mit der Tatze, diesmal energischer, der Krieger wich aus und antwortete mit einem Schwertschlag zwischen die Nasenlöcher. Der Karhut schnappte mit dem Maul nach dem Krieger, der bog seinen Oberkörper zur Seite und die Kiefer bissen nur in Luft. Der Karhut drehte sich jetzt weniger schnell. Seine Flanke lag ungeschützt vor dem Krieger, welcher das Schwert mit beiden Händen fasste und mit, trotz der dünnen Arme, erstaunlicher Kraft zuschlug. Orbas bemerkte bestürzt, dass das Schwert die Haut noch nicht einmal ritzte. Der Krieger schien noch dem Ergebnis seines Schlages nachzusinnen, da traf ihn der Schwanz des Karhuts in den Bauch. Er wurde durch die Höhle geschleudert, knallte gegen einen Felsen und blieb regungslos liegen. Der Karhut stürzte sich knurrend auf ihn. Es ist vorbei, dachte Orbas. Er versuchte Signale an seine zittrigen Beine zu senden, damit die mit ihm zusammen fortliefen. Jeden Moment glaubte er den Schädel des Kriegers zwischen den Zähnen des Karhuts knacken zu hören, stattdessen entwich dem Karhut ein Stöhnen, das in ein Gurgeln überging. Er machte ein paar zittrige Schritte nach hinten, aus seiner Kehle ergoss sich ein Wasserfall aus Blut. Das Blut wund sich wie eine rote Schlange durch die Höhle und leckte an Orbas Stiefelspitzen. Die Beine des Karhuts knickten weg, er sank auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Der Krieger lag auf dem Rücken, er hielt sein Schwert in beiden Händen, die rotriefende Spitze zeigte in Richtung Höhlendecke, das Untier musste sich direkt darauf gestürzt haben. Orbas umrundete in großem Bogen den Leib des Karhuts und blieb vor dem Krieger stehen. Dem entglitt das Schwert aus den Händen, er schaute Orbas aus einem halbgeöffneten Augen an. „Hast du alles gesehen?“ sagte er. Jedes Wort schien er nur mit Mühe hervorpressen zu können. Orbas nickte. „Kannst du mir den Helm abnehmen?“
Orbas zog ihm den Topfhelm vom Kopf. Unter dem Helm quoll weißes Haar hervor, ein faltiges Gesicht erschien, das von einem weißen Bart eingerahmt wurde. Was Bart und Haar vom Gesicht übrigließen kam Orbas bekannt vor.
Der Alte stöhnte. „Könnt ihr gehen?“ fragte Orbas. Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich, als ob in meinem Körper alles zerschlagen ist. Aber das ist nicht wichtig.“
„Jetzt steht ihr auf einer Stufe mit Barnabas dem Großen.“ sagte Orbas.
„Barnabas hat nie einen Karhut erschlagen.“ sagte der Alte.
„Natürlich hat er das. Und ehrlich gesagt war er noch größer als eurer.“
„Nein“ sagte der Alte „Ich muss es wissen, denn ich bin Barnabas.“
Orbas kniff die Augen zusammen. Jetzt verstand er warum ihm das Gesicht des Alten bekannt vorkam. Auch wenn er auf dem Gemälde besser und vor allem jünger ausgesehen hatte. „Ja“ seufzte der Alter „den anderen Karhut habe tot ich in einer Grube gefunden. Ich habe ihm den Kopf abgeschnitten und behauptet ich hätte ihn erschlagen. Aber dann ist eines Tages dieser Karhut Forscher aus der Hauptstadt angereist. Wenn ein Karhut an Altersschwäche stirbt und sein Ei legt, färben sich seine Zähne wegen der Magensäure schwarz.“
Orbas dachte an den Karhutschädel mit den pechschwarzen Zähnen, der im Ratsaal lag, und er dachte, dass er Barnabas seine ganze Jugend umsonst angehimmelt hatte.
„Hört zu ich schaffe es nicht mehr weg von hier. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass alle erfahren, dass ich einen Karhut erschlagen habe. Damit ist meine Schande getilgt.“
„Macht euch keine Sorgen“ sagte Orbas. Der Alte stöhnte ein letztes Mal. Nachdem Orbas ein paar Minuten gewartet hatte, tippte er ihn mit der Stiefelspitze an. Barnabas der Große rührte sich nicht mehr. Orbas zog sein Schwert und begann den Kopf des Karhuts abzutrennen. Küchenmesser oder nicht, Orbas hielt sein Schwert immer scharf, trotzdem konnte man sein Hemd auswringen, als er endlich fertiggebracht hatte, durch Schuppen und Haut des Karhut zu dringen und den Kopf vom übrigen Körpers zu lösen. Er stopfte den Karhutkopf in seinen Beutel, der noch nie zuvor so gefüllt gewesen war. Danach knotete er das Ende eines Seils, welches er um die Hüfte gewickelt bei sich trug, um die Füße des Alten. Das andere Ende legte er sich über die Schulter und er begann den Leichnam aus der Höhle zu zerren. Der Körper verhakte sich immer wieder an den abgenagten Gerippen, die den Höhlenboden bedeckten. Alle zehn Meter musste Orbas eine Pause einlegen um nach Luft zu ringen. Glücklicherweise brauchte er nicht lange, bis er das Gesuchte gefunden hatte. Vor ihm klaffte ein meterlanger Riss im Fels. Er entzündete eine Fackel und ließ sie in das Loch fallen. Das Licht der Fackel schrumpfte zu einem winzigen Lichtfleck und war schnell ganz verschwunden, ohne dass man den Boden des Lochs hätte sehen können. Orbas durchsuchte den Leichnam, in der Geldbörse befanden sich ein paar Kupferstücke und etwas mehr als 4000 Dukaten. Er nahm alles an sich und schmiss die Börse in das Loch. Den Leichnam ließ er folgen. Einen winzigen Augenblick sah man ihn fallen, dann hatte die Dunkelheit Barnabas den Großen verschluckt. Orbas schulterte den Karhutkopf und machte sich auf den Weg zum Ausgang der Höhle. Obwohl der Schädel nicht viel weniger wog als Orbas selbst, schritt es sich jetzt viel leichter als am Morgen. Orbas der Große, er ließ sich den Namen ein paar mal still auf der Zunge zergehen. Als er beinahe den Ausgang erreicht hatte und keine Gefahr mehr von Grubenwölfen, Trollen oder Wegelagerern drohte, begann er zu pfeifen. Die Höhle besaß eine gute Akustik.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo HendrikS, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von flammarion

Redakteur in diesem Forum
 

HendrikS

Mitglied
Orbas der Große

Durch einen Riss im Fels schien die Sonne in die Höhle. An der Stelle, wo das Licht den Stein traf, wuchsen etwas schleimiges Moos und drei Pilze. Orbas schob sich einen der Pilze in den Mund, die zwei anderen legte er in seinen Beutel. Der Pilz schmeckte genauso muffig, wie die Luft roch, in der er wuchs. Trotzdem, die Pilze waren die einzige Ausbeute, die der Tag bis jetzt gebracht hatte. Orbas war stundenlang durch die Höhlen gestreift, die Hinterland durchzogen, wie Termitenstraßen einen Baumstamm. Es hieß ein altes Volk hätte die Dungeons auf der Suche nach Gold und Silber in die Erde gehauen. Was mit dem Volk geschehen war, darüber zerbrachen sich die Hexen, Priester, weißen Männer und sonstige Irren von Hinterland den Kopf. Orbas vermutete, dass sie einfach weitergezogen waren, als es nichts mehr zu holen gab. Hinterland war ein unfruchtbarer Landstrich. In der Erde wuchs kaum mehr als Rüben und matschige Kartoffeln. Deswegen suchten die meisten Bewohner, obwohl die unermesslichen Reichtümer, die die Höhlen einstmals anscheinend beherbergt hatten, längst weg waren oder nie existiert hatten, ihr Auskommen unter der Erde. Sie schürften nach Eisen und Silber, zogen Champignons, züchteten Grottenolme oder sammelten, so wie Orbas, alles was sich zu Geld machen ließ.
Orbas kratzte mit dem Fingernagel an einer glitzernden Stelle im Fels. Erst dachte er, er hätte eine Silberader entdeckt, aber es handelte sich nur um die Schleimspur einer Schnecke, die in den Höhlen zu tausenden lebten und die man in der Dunkelheit meist erst bemerkte, wenn man ihr Häuschen zertrat. Früher war dieser Teil der Dungeons ein gutes Revier gewesen. Spalten bohrten sich vom Hügel über Orbas Kopf bis hinunter zu den Höhlen. Das ließ mehr Licht in die Dungeons fallen, und ab und zu traf man auf einen Wanderer mit zerschlagenen Knochen. An der Oberfläche wuchsen Kuhgras und Ginsterbüsche über die Löcher im Boden, was einen falschen Schritt zuweilen tödlich enden ließ. Orbas Ohm hatte einmal einen Wegweißer der Königsstraße umgedreht und für eine kurze Zeit hatte es Wanderer geradezu geregnet. Damals hatte das Plündern der Leichname ihnen ein erkleckliches Einkommen verschafft. Aber das war vorbei, mittlerweile ließ sich kein Reisender mehr in die Irre führen. Der Pilz nahm in Orbas Mund die doppelte Größe an, als er ihn hinunterwürgte, fühlte er sich wie eine Ringelnatter, die eine Ratte am Stück verschluckt. Trotzdem hätte er die anderen zwei Pilze am Liebsten auch gleich gegessen. Stattessen ignorierte er seinen knurrenden Magen und wanderte weiter in den Berg hinein. Der Boden war glitschig, die Decke der Höhle verjüngerte sich und die Spitzen einiger Tropfsteine lagen zerbrochen auf dem Boden. Jeder andere hätte hier den Kopf einziehen müssen, aber Orbas war ein Gnom, gerade mal einen Meter lang und das auch nur wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Nach der Meinung seines Ohm war ihre Körpergröße genau die Richtige für das Sammeln in den Dungeons. Man stieß sich dort weniger schnell den Kopf an und noch wichtiger, bei Gefahr konnten man sich in eine Felsspalte drücken und war kaum mehr zu sehen. Wobei half, dass Gnome von Geburt an eine graue Gesichtsfarbe haben. Trotzdem konnte Orbas seiner Körpergröße wenig Gutes abgewinnen. Letztlich wurde man von niemandem mit Respekt behandelt, wenn man ihm nur bis zur Hüfte reichte. Die Helden von Hinterland, die in die Höhle hinabgestiegen und mit den Köpfen von Ungeheuern wieder herausgekommen waren, waren alle Größer gewesen. Barnabas der Große, der einzige Held, der einem Karhut den Kopf abgeschlagen hatte, hatte die Größe sogar im Namen getragen. Im Ratssaal von Königsstadt konnte man die Tat von Barnabas noch immer bewundern. Der blanke Schädel des Karhuts wurde dort zur Schau gestellt damit sich die Kinder vor ihm gruseln konnten. Und eine ganze Wand des Saals nahm ein Gemälde ein, das zeigte, wie Barnabas der Große dem Karhut das Schwert in die Kehle rammte.
Orbas besaß ebenfalls ein Schwert. Der Ohm hatte es ihm vor der ersten Sammeltour geschenkt und behauptet, es handle sich um ein karthasisches Kurzschwert. Doch wenn Orbas sein Schwert betrachtete, war er sich nicht sicher, ob es früher nicht eher in einer Küche von Königsstadt dazu benutzt worden war, Karpfen zu entschuppen. Helden sterben, sagte sein Ohm, Gnome leben und drücken sich in Felsspalten oder rennen davon. Und so hatte Orbas sein Schwert auch nur ein einziges Mal gegen ein Ungeheuer gezogen. Damals hatte ihn zwei Trolle überrascht. Orbas hatte sich auf dem Boden zusammengekauert und getan als sei er ein Felsbrocken. Das hatte so gut funktioniert, dass sich einer der Trolle auf ihn setzten wollte. Orbas hatte dem Troll mit dem Schwert in die Wade gestochen, und in dem folgenden Trubel hatte er es geschafft zu entkommen. Ansonsten zog er das Schwert nur um Spinnen zu töten. Die wuchsen in den Dungeons zu erstaunlicher Größe heran und die reichen Bewohner von Hinterland redeten sich ein, sie seien eine Delikatesse und aasen sie als eine Art Hummer Ersatz. Weil Hinterland von allen Meeren so weit entfernt lag, schaffte es kein Hummer hierher ohne zu stinken. Leider gab es in dem Teil der Dungeons, in dem sich Orbas gerade befand, noch nicht einmal Spinnen. Irgendetwas muss ich finden, dachte er. Die Beutezüge warfen seit längerer Zeit kaum mehr etwas ab. Sein Ohm und er hatten sich in den letzten Tage allein von Rüben ernährt. Von Rübenmus bis zu gebratenen Rüben an Löwenzahnsalad hatte der Ohm sie in allen Variationen zubereitet und wenn Orbas an eine weitere Woche Rüben dachte, hätte er sich am Liebsten in sein Schwert gestürzt. Die Höhle verbreiterte sich, es roch scharf nach Fledermauskot. Orbas suchte die Höhlenwände nach den Tieren ab. Die Kürschner von Königsstadt fertigten Handschuhe und Kappen aus ihrem Fell und zahlten einen guten Preis. Doch um Fledermäuse zu fangen brauchte man ein Netz oder einen Käscher und diese Höhle schienen sie auch schon längst verlassen zu haben.
„Ich höre dich“ sagte eine Stimme.
Orbas schrak zusammen und presste sich reflexartig gegen die Höhlenwand. Panisch suchte er den Felsen hinter sich nach einer Spalte ab, in der er sich verstecken konnte.
„Ich sehe dich“ sagte die Stimme, was Orbas Plan mit der Felsspalte zunichte machte. Auf der anderen Seite der Höhle setzte sich etwas in Bewegung. Es schien als würde eine Vogelscheuche ihre Glieder entfalten. Nie hatte Orbas einen dünneren und größeren Mann gesehen. Der Mann richtete sich ächzend auf und als er stand, stieß er mit dem Kopf beinahe an die Höhlendecke. Er streckte sich und klopfte sich mit der Faust auf den Brustkorb. Er war ganz in Eisen gehüllt und ein Geräusch hallte durch die Höhle, das klang, wie wenn Orbas Ohm betrunken gegen den Geschirrschrank lief. Auf dem Kopf des Mannes saß ein Topfhelm, der Oberkörper war in ein Kettenhemd gehüllt, das ihm um den Körper schlotterte, an einem Seil, mit dem er das Kettenhemd um die Hüfte zusammengezurrt hatte, baumelte ein Schwert in der Scheide. Das Kettenhemd hing ihm bis zu den Oberschenkeln, Eisenschienen schützten die Schienbeine. Der Mann drehte den Kopf und als Orbas die winzigen Sehschlitze des Topfhelms sah, bezweifelte er, dass der Mann ihn wirklich gesehen hatte.
„Siehst du mich auch?“ sagte der Mann.
„Ja“ sagte Orbas.
„Das ist gut“ sagte der Mann „Ich warte schon seit drei Tagen hier, dass jemand vorbeikommt der Sehen und Sprechen kann. Ich brauche einen Augenzeugen.“
„Gut“ sagte Orbas und knetete seinen Sammelsack, damit der Mann sehen konnte, dass sich darin nichts lohnenswertes befand.
„Ich zahle gut“ sagte der Mann „und du musst nichts tun, nur zusehen. Wären 3000 Dukaten in Ordnung.“
Für 3000 Dukaten war Orbas bereit sich zwei Finger abzuhacken. „Kommt darauf an“ sagte er.
„Ich habe einen Karhut aufgespürt“ sagte der Mann „und du musst zusehen, wie ich ihn erschlage.“
Ein Verrückter, dachte Orbas und entspannte sich. Die Höhlen ließen eine Menge Menschen den Verstand verlieren, sie waren weniger robust gegen die Dunkelheit als Gnome. Glücklicherweise waren die meisten Verrückten harmlos.
„4000 Dukaten “ sagte Orbas.
Der Topfhelm nickte auf den Schultern des Mannes. „Geh mir einfach hinterher. Seine Höhle ist nicht weit weg.“
Der Mann drehte sich um und schritt kräftig aus. Trotz seiner Größe bewegte er sich mit einer tänzelnden Leichtigkeit und wich den Tropfsteinen an der Höhlendecke elegant aus. Allerdings schien er nicht mehr der jüngste zu sein. Orbas meinte in seinen Bewegung eine gewisse Anstrengung wahrzunehmen. Als ob Bewegungen, die ihm einmal leicht gefallen waren, jetzt Kraft kosteten.
„Du hast wirklich 4000 Dukaten?“ rief Orbas. Der Mann war bereits am Ende der Höhle angekommen, die dort in einen schmaleren Gang überging. Orbas rannte um dranzubleiben. Er bemerkte, dass sich der Mann mit der Seite mit der er nicht das Schwert führte, nahe an der Felswand hielt. Als ob er einem etwaigen Gegner weniger Angriffsfläche bieten wollte. Ein Krieger, dachte Orbas, und vielleicht weniger verrückt, als er vermutet hatte. Auch wenn der Krieger schon bessere Tage gesehen hatte. Als durch den Fels mehr Licht in die Höhle fiel, sah Orbas, dass das Kettenhemd des Mannes verrostet war, der Helm verbeult und was Orbas für einen Helmbusch gehalten hatte, waren Spinnenweben.
„Könnte ich eine Anzahlung haben?“ sagte Orbas.
Der Mann antwortete nicht, sie gingen jetzt über loses Geröll, das bei jedem Schritt unter ihnen wegrutschte. Orbas musste für jeden Schritt des Kriegers vier Schritte durchführen, er begann zu schwitzen und presste den Atem stoßweiße hervor. „Seid ihr sicher mit dem Karhut?“ In Hinterland gab es haufenweise Legenden und Lieder über Karhuts. Die Geschichten wurden davon genährt, dass Karhuts so gut wie ausgestorben waren und dass Jemand, der dennoch einem begegnete, davon meist nicht mehr berichten konnten. Eher konnte man froh sein, wenn man von ihm noch die Stiefel fand.
„Ja“ der Krieger wartete bis Orbas wieder näher herangekommen war „es hat Jahre gedauert bis ich ihn aufgespürt habe. Wisst Ihr wie sich ein Karhut fortpflanzt? Er erbricht ein Ei, wenn er stirbt. Darum gibt es so wenige von Ihnen. Ganz selten erbricht er mal zwei Eier.“ “
„ Niemand außer Barnabas der Große hat je einen besiegt.“ sagte Orbas.
„Ihr werdet es sehen. Achtet bloß darauf, dass ihr euch alles gut merkt. Und wenn ich fertig bin werdet ihr alles beim Rathaus bezeugen. Dann bekommt ihr eure Dukaten.“
Orbas dachte an den Karhutschädel im Ratssaal. Er war riesig und besaß eine Menge pechschwarzer Zähne von denen jeder einzelne so lang war, wie Orbas Unterarm. Wenn sie gerade tatsächlich dabei waren, einen Karhut aufzuspüren, dann wäre es die beste Entscheidung jetzt sofort wegzurennen. Aber 4000 Dukaten waren viel Geld und es war wahrscheinlich, dass sich der Karhut erst auf den Langen stürzen würde. Außerdem hätte Orbas wirklich gerne einmal einen lebendigen Karhut gesehen. Das Gemälde im Ratssaal hatte er an jedem Markttag angestarrt. Sein ganzes Leben hatte er davon geträumt ein Held wie Barnabas der Große zu werden. Zu einer Zeit in seiner Kindheit, als er die Körpergröße seines Vaters und seines Ohms bemerkte und ihm schwante, dass er selber wohl auch nie viel höher wachsen würde, hatte er seinen Vater gefragt, ob Barnabas wirklich so groß gewesen war. Sein Vater hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und einen Satz gesagt, den Orbas nie vergessen hatte. „Es gibt zwei Arten von Größe. Die Größe des Körpers und die Größe, die man durch Taten gewinnt. Und Barnabas der Große war kein langer Mann.“ Damals hatte Orbas gedacht, dass er auch einmal groß genannt werden wollte. Sein Vater hatte weder im Leben noch im Tod Größe erlangt. Einige Monate nach ihrer Unterhaltung im Ratsaal, war ihm in einer Grube ein Felsbrocken auf den Kopf gefallen. Die letzten Wochen, die ihm geblieben waren, hatte er gedacht er wäre ein tornischer Bulle und Orbas und der Ohm hatten ihn am Bett festbinden müssen, weil er ständig versucht hatte, sich der Milchkuh unzüchtig zu nähren.
In die Höhle fiel nun mehr Licht, weil die Risse im Stein über ihren Köpfen breiter wurden. Ein Felsen versperrte ihnen den Weg, der Krieger kroch auf allen vieren unter ihm hindurch, was ihn aussehen ließ wie eine riesige Heuschrecke. Orbas musste sich nicht einmal bücken.
„Ihr seid wirklich sehr schmächtig“ der Krieger richtete sich auf und wischte sich den Dreck von den Knien. “Was seid ihr? Zwerg, Kobold oder Liliputaner.“
„Gnom“ sagte Orbas.
Unter dem Helm schienen die Gesichtszüge des Kriegers zu verrutschen und ein Seufzer erklang dumpf. „Nun ja“ sagte er „haltet euch einfach an den Rand, dann wird es schon gehen.“ Unter den Füßen von Orbas knirschte es. Erst dachte er, er hätte einer Grubenschnecke das Haus zertreten, dann bemerkte er, dass der Boden von zerbrochenen Knochen bedeckt war.
„Wir sind jetzt bald da“ sagte der Krieger „der Karhut frisst was durch die Spalten fällt. Ich denke, er hat uns längst bemerkt.“ Er zog sein Schwert und rückte den Helm auf dem Kopf zurecht. Aus der Höhle vor Ihnen drang ein Geruch, der Orbas an den Tag, erinnerte als ihn Kinder in den Abfallkübel der Ratsküche gesteckt hatten.
Plötzlich tönte es aus der Höhle, als ob eine Hundemeute gleichzeitig zu knurren angefangen hätte. Orbas drückte sich gegen die Höhlenwand, seine Hände fuhren über den scharfkantigen Fels auf der Suche nach einer Spalte, einem Durchschlupf, oder wenigstens einer Ausbuchtung, in der er sich verbergen konnte. Er stockte, als er den Karhut sah. Das Untier stand unter einer breiten Felsspalte. Es besaß die doppelte Größe eines Bären. Die Schuppen, die den ganzen Körper bedeckten, schimmerten mattgrün. Sein Kopf war kleiner als der Karhutschädel aus dem Ratssaal, aber noch immer beeindruckend. An jeder der Tatzen saßen vier glänzende Krallen, lang wie Dolche. Der Schwanz pendelte langsam von rechts nach links und die Stacheln kratzten über den Fels. Das Knurren aus seinem Maul schwoll an. Orbas wollte vorschlagen sofort wegzurennen, aber der Krieger schritt ohne zu zögern auf das Ungeheuer zu. Auf dessen Rücken richteten sich in einer Linie vom Kopf bis zum Schwanz handtellergroße Schuppen auf. Orbas überfiel eine seltsame Lähmung und Faszination. Er hatte den Eindruck, dass er Teil von etwas großem war. Der Karhut legte er den Kopf schief und schien den Krieger neugierig zu betrachten. Meist kroch seine Beute wohl vor ihm weg statt auf ihn zu zulaufen. Der Krieger nährte sich ihm bis auf eine Schwertlänge und begann ihn dann langsam zu umkreisen. Er setzte seine Schritte sorgfältig, wie jemand, der ein Tablett mit Weingläsern balancierte. Der Karhut drehte sich mit dem Krieger auf der Stelle. Bald schien er seine Neugier gestillt zu haben, er hob eine Tatze und schlug nach dem Schwert des Kriegers, wie nach einer lästigen Fliege. Der Krieger wich geschickt aus und ließ sein Schwert über die Seite des Karhuts kratzen. Es klang, als würde man eine Messerklinge über Stein ziehen. Orbas wusste, wie jeder in Hinterland, dass die Haut eines Karhuts so gut wie nichts durchdringen konnte. Nur unter der Kehle, wo ihn keine Schuppen schützten, war er verwundbar. Der Karhut schlug erneut mit der Tatze, diesmal energischer, der Krieger wich aus und antwortete mit einem Schwertschlag zwischen die Nasenlöcher. Der Karhut schnappte mit dem Maul nach dem Krieger, der bog seinen Oberkörper zur Seite und die Kiefer bissen nur in Luft. Der Karhut drehte sich jetzt weniger schnell. Seine Flanke lag ungeschützt vor dem Krieger, welcher das Schwert mit beiden Händen fasste und mit, trotz der dünnen Arme, erstaunlicher Kraft zuschlug. Orbas bemerkte bestürzt, dass das Schwert die Haut noch nicht einmal ritzte. Der Krieger schien noch dem Ergebnis seines Schlages nachzusinnen, da traf ihn der Schwanz des Karhuts in den Bauch. Er wurde durch die Höhle geschleudert, knallte gegen einen Felsen und blieb regungslos liegen. Der Karhut stürzte sich knurrend auf ihn. Es ist vorbei, dachte Orbas. Er versuchte Signale an seine zittrigen Beine zu senden, damit die mit ihm zusammen fortliefen. Jeden Moment glaubte er den Schädel des Kriegers zwischen den Zähnen des Karhuts knacken zu hören, stattdessen entwich dem Karhut ein Stöhnen, das in ein Gurgeln überging. Er machte ein paar zittrige Schritte nach hinten, aus seiner Kehle ergoss sich ein Wasserfall aus Blut. Das Blut wund sich wie eine rote Schlange durch die Höhle und leckte an Orbas Stiefelspitzen. Die Beine des Karhuts knickten weg, er sank auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Der Krieger lag auf dem Rücken, er hielt sein Schwert in beiden Händen, die rotriefende Spitze zeigte in Richtung Höhlendecke, das Untier musste sich direkt darauf gestürzt haben. Orbas umrundete in großem Bogen den Leib des Karhuts und blieb vor dem Krieger stehen. Dem entglitt das Schwert aus den Händen, er schaute Orbas aus einem halbgeöffneten Augen an. „Hast du alles gesehen?“ sagte er. Jedes Wort schien er nur mit Mühe hervorpressen zu können. Orbas nickte. „Kannst du mir den Helm abnehmen?“
Orbas zog ihm den Topfhelm vom Kopf. Unter dem Helm quoll weißes Haar hervor, ein faltiges Gesicht erschien, das von einem weißen Bart eingerahmt wurde. Was Bart und Haar vom Gesicht übrigließen kam Orbas bekannt vor.
Der Alte stöhnte. „Könnt ihr gehen?“ fragte Orbas. Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich, als ob in meinem Körper alles zerschlagen ist. Aber das ist nicht wichtig.“
„Jetzt steht ihr auf einer Stufe mit Barnabas dem Großen.“ sagte Orbas.
„Barnabas hat nie einen Karhut erschlagen.“ sagte der Alte.
„Natürlich hat er das. Und ehrlich gesagt war er noch größer als eurer.“
„Nein“ sagte der Alte „Ich muss es wissen, denn ich bin Barnabas.“
Orbas kniff die Augen zusammen. Jetzt verstand er warum ihm das Gesicht des Alten bekannt vorkam. Auch wenn er auf dem Gemälde besser und vor allem jünger ausgesehen hatte. „Ja“ seufzte der Alter „den anderen Karhut habe tot ich in einer Grube gefunden. Ich habe ihm den Kopf abgeschnitten und behauptet ich hätte ihn erschlagen. Aber dann ist eines Tages dieser Karhut Forscher aus der Hauptstadt angereist. Wenn ein Karhut an Altersschwäche stirbt und sein Ei legt, färben sich seine Zähne wegen der Magensäure schwarz.“
Orbas dachte an den Karhutschädel mit den pechschwarzen Zähnen, der im Ratsaal lag, und er dachte, dass er Barnabas seine ganze Jugend umsonst angehimmelt hatte.
„Hört zu ich schaffe es nicht mehr weg von hier. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass alle erfahren, dass ich einen Karhut erschlagen habe. Damit ist meine Schande getilgt.“
„Macht euch keine Sorgen“ sagte Orbas. Der Alte stöhnte ein letztes Mal. Nachdem Orbas ein paar Minuten gewartet hatte, tippte er ihn mit der Stiefelspitze an. Barnabas der Große rührte sich nicht mehr. Orbas zog sein Schwert und begann den Kopf des Karhuts abzutrennen. Küchenmesser oder nicht, Orbas hielt sein Schwert immer scharf, trotzdem konnte man sein Hemd auswringen, als er endlich fertiggebracht hatte, durch Schuppen und Haut des Karhut zu dringen und den Kopf vom übrigen Körpers zu lösen. Er stopfte den Karhutkopf in seinen Beutel, der noch nie zuvor so gefüllt gewesen war. Danach knotete er das Ende eines Seils, welches er um die Hüfte gewickelt bei sich trug, um die Füße des Alten. Das andere Ende legte er sich über die Schulter und er begann den Leichnam aus der Höhle zu zerren. Der Körper verhakte sich immer wieder an den abgenagten Gerippen, die den Höhlenboden bedeckten. Alle zehn Meter musste Orbas eine Pause einlegen um nach Luft zu ringen. Glücklicherweise brauchte er nicht lange, bis er das Gesuchte gefunden hatte. Vor ihm klaffte ein meterlanger Riss im Fels. Er entzündete eine Fackel und ließ sie in das Loch fallen. Das Licht der Fackel schrumpfte zu einem winzigen Lichtfleck und war schnell ganz verschwunden, ohne dass man den Boden des Lochs hätte sehen können. Orbas durchsuchte den Leichnam, in der Geldbörse befanden sich ein paar Kupferstücke und etwas mehr als 4000 Dukaten. Er nahm alles an sich und schmiss die Börse in das Loch. Den Leichnam ließ er folgen. Einen winzigen Augenblick sah man ihn fallen, dann hatte die Dunkelheit Barnabas den Großen verschluckt. Orbas schulterte den Karhutkopf und machte sich auf den Weg zum Ausgang der Höhle. Obwohl der Schädel nicht viel weniger wog als Orbas selbst, schritt es sich jetzt viel leichter als am Morgen. Orbas der Große, er ließ sich den Namen ein paar mal still auf der Zunge zergehen. Als er beinahe den Ausgang erreicht hatte und keine Gefahr mehr von Grubenwölfen, Trollen oder Wegelagerern drohte, begann er zu pfeifen. Die Höhle besaß eine gute Akustik.
 

Heinz

Mitglied
Nette Geschichte. Wie es dem Gnom wohl weiter ergeht?

Ein paar Fehler habe ich noch gefunden:


Orbas war stundenlang durch die Höhlen gestreift, die [red]das[/red] Hinterland durchzogen …

Es hieß [blue](hier hätte ich ein Komma gesetzt)[/blue] ein altes Volk

Orbas Ohm hatte einmal einen Wegweißer [blue](Ich nehme an, das soll Wegweiser heißen)[/blue]

Delikatesse und [red]aasen[/red] sie als eine Art Hummer ???
 

Moppel

Mitglied
Hallo HendrikS,

Gute Geschichte. Der Kleine wird zum "Großen" :). Immerhin gibt es die nächsten Tage keine Rüben mehr für ihn, denk ich mal. Viele witzige Kleinigkeiten im Text, die mir gut gefallen haben.

Grüßend Moppel
 



 
Oben Unten