Orkenminne

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kaipi

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Die Hühner reckten gierig ihre Hälse, als sie das Futter in Golgrunts ausgestreckter Hand entdeckten.
„Genug da sein für alle, nix Sorgen machen.“ Mit einer raschen Handbewegung verteilte der Ork die Körner auf der feuchten Erde hinter dem Gatter. Sofort fielen die Vögel darüber her und hackten mit ihren spitzen Schnäbeln nach allem, was ihnen in die Quere kam.
Golgrunt seufzte: „Ihr nicht verstehen, genug da für alle.“
Als laute, stampfende Schritte die Erde erbeben ließen, flatterten Golgrunts Hühner erschrocken auf und ab und kümmerten sich nicht mehr um das Futter. Wütend drehte der Ork sich um.
„Wer uns stören. Ich dir hauen auf Kopf!“
Golgrunt erstarrte. Das Orkmädchen, dass in jeder Hand einen Wassereimer trug, war ohne Zweifel das reizendste Geschöpf, dass er je zu Gesicht bekommen hatte. Grimdas struppiges Haar stand wild in alle Richtungen ab, ganz so, wie die aufgerichteten Stacheln eines Igels und aus ihrem Mund ragten winzige Stoßzähne, welche Golgrunts Herz augenblicklich höher schlagen ließen. Sie hatte die Augen zornig zusammengekniffen und hielt den Blick stur geradeaus gerichtet. Das Orkmädchen stampfte geradewegs an Golgrunt vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken. Der Ork merkte nicht, wie Wasser aus den Eimern schwappte und sich auf seine Hose ergoss.
„Ich dich nicht hauen auf Kopf“, murmelte er. Doch Grimda hörte ihn nicht mehr.

Golgrunt gelang es nicht, Grimda zu vergessen. Er lag des Nachts lange wach und wenn er doch endlich in den Schlaf sank, verfolgte ihr entzückendes und zugleich wutentbranntes Gesicht ihn bis in seine Träume. Jeden Morgen hoffte er darauf sie wiederzusehen, doch Grimda kam nicht. Der Ork hatte vorsorglich einen Korb mit Eiern gefüllt und sogar eine rote Schleife daran befestigt, obwohl ihm dies mit seinen dicken Fingern erhebliche Mühe bereitet hatte. Er hatte den Vorsatz gefasst, sich für sein grobes Verhalten zu entschuldigen.

Es vergingen mehrere Wochen, bis Golgrunt das Grimda wiedersah. Sie stapfte ihm auf dem Weg vor seinem Haus entgegen und wie schon bei ihrer ersten Begegnung schleppte sie zwei hölzerne Wassereimer. Golgrunts Herz machte einen Sprung und er lief eilig in seine Hütte um den Korb mit den Eiern zu holen.
„Du warten“, rief er als er zurückkam. Doch sie beachtete ihn nicht.
„Eimer schwer, ich für dich tragen.“
Das Orkmädchen warf ihm einen grimmigen Blick zu und beschleunigte den Schritt, was zur Folge hatte, dass Grimda vor Anstrengung zu keuchen begann.
„Nicht weg gehen. Ich dir etwas geben.“
„Du verschwinden“, zischte sie. „Oder ich dir kippen Wasser über Kopf.“
„Das dumm. Dann du musst holen neues Wasser.“
Als Grimda die schweren Eimer vor der Tür einer Hütte abstellte, holte Golgrunt sie endlich ein, noch bevor sie Gelegenheit hatte, einzutreten. Er hielt ihr den Korb mit der roten Schleife vors Gesicht.
„Hier du nehmen. Mir tun leid, dir auf Kopf hau’n wollen, ok?“
Das Orkmädchen schlug ihm zornig den Korb aus der Hand. Die Eier zerplatzten auf der Erde und ihr flüssiger Inhalt breitete sich rasch zu einer Lache aus. Traurig betrachtete Golgrunt die Überreste seines Geschenkes.
„Warum du machen?“, fragte er mit heiserer Stimme.
„Ich nicht mag dummer Ork. Du nur ein Stoßzahn. Was für ein Ork du sein?“
Das Orkmädchen verschwand in der Hütte und schlug die Tür hinter sich zu. Bekümmert trottete Golgrunt heim. Er fühlte sich, als hätte das begehrenswerte Geschöpf sein Herz mit einer scharfen Klinge durchbohrt.

Golgrunt hockte auf einem Baumstumpf vor seinem Haus und starrte trübsinnig auf den Boden zu seinen Füßen.
„Warum nur sie mich hassen?“
Ein Huhn war nah an das Gatter herangekommen und wühlte mit seinen Krallen in der feuchten Erde.
„Nur weil Golgrunt verloren ein Hauer bei Kampf mit Wildschwein?“
Er schnaubte aufgebracht.
„Das kein Grund sein. Golgrunt zeigen, dass guter Ork!“
Das Huhn fing an zu gackern.
„Du halten Schnabel. Wenn du willst Wurm, du musst graben, bis du findest.“
Aber der Vogel starrte ihn nur verständnislos an.
„Sei nicht dumm!“, schimpfte Golgrunt und das Huhn suchte eilig das Weite.

Die Sonne war bereits untergegangen, als Golgrunt der Ork vor der Hütte des Orkmädchens seine Kriegstrommeln aufstellte. Kurz darauf lies er das selbe dumpfe Hämmern erklingen, dass seit Generationen zu den unterschiedlichsten Anlässen gespielt wurde. Doch anstatt einem verfeindeten Clan den Krieg zu erklären, hatte er es darauf abgesehen Grimdas Gunst zu gewinnen. Es dauerte nicht lange, bis das Fenster geöffnet wurde. Doch anstelle von Grimda erschien bloß das Gesicht eines alten Orks mit einem kahlen Kopf und einem grauen Ziegenbärtchen in der Fensteröffnung. Slargs Wangen glühten rot vor Zorn.
„Was hier los? Nix Verstand blöder Ork. Ich gleich den Hammer holen und schlagen Trommeln kaputt.“
„Nix Hammer“, Golgrunt machte eine abwehrende Handbewegung. „Wo Grimda. Sie denken ich lausiger Ork , weil bei Keilerjagd ein Stoßzahn abgebrochen. Golgrunt beweisen, ist ganzer Ork!“
„Du nix beweisen“, brüllte Slarg. „Ich nix schlafen bei Lärm. Du jetzt verschwindibus oder ich dir hau’n mit Hammer auf Kopf“, dann fügte er hinzu: „Meine Tochter niemals einlassen mit dummer Ork.“
„Ich jetzt gehen. Aber Morgen wieder da!“ Golgrunt raffte seine Trommeln zusammen und suchte eilig das Weite bevor der alte Ork seine Drohung wahr machen konnte. Slargs unflätige Beschimpfungen durchbrachen die Stille der Nacht. Aber Golgrunt hatte sich bereits zu weit von der Hütte entfernt, um zu verstehen, was der zornige Ork ihm hinterher brüllte.

Am nächsten Abend bezog Golgrunt erneut Position vor Grimdas Hütte und und spielte mit dumpfen Schlägen auf dem über die Trommeln gespannten Wildschweinleder sein trauriges Lied und er heulte dabei wie ein liebeskranker Wolf. Kurz darauf öffnete sich die Tür der Hütte.
Slarg hielt einen gewaltigen Hammer über seinem Kopf, den er nur mit beiden Händen stemmen konnte.
Hastig packte Golgrunt seinen Kram zusammen und zog sich in den Schutz der Dunkelheit zurück.
„Ich wieder kommen“, schnaufte er.
„Du verfluchter Sohn einer Hirschkuh. Du kommen zurück und ich dir hauen Kopf zu Mus!“

Golgrunt schenkte der Drohung keine Beachtung und kam in der Nacht darauf wieder. Und in den folgenden Nächten. Er trieb den alten Ork schier in den Wahnsinn, aber es gelang ihm jedes Mal rechtzeitig zu flüchten, bevor Slarg ihm mit dem wuchtigen Hammer zu Leibe rücken konnte. Doch Grimda hatte sich nicht ein einziges Mal blicken lassen und Golgrunt stand kurz davor sein Werben aufzugeben. Ein letztes Mal baute er seine Trommeln vor der Hütte auf und begann zu spielen. Wie gewohnt hörte er Schritte und bereits im nächsten Moment riss Slarg die Tür auf und griff nach seinem Hammer. Golgrunt beeilte sich, seine Trommeln zu greifen und rannte in Richtung einiger Büsche vor dem Haus. Er blickte sich noch einmal um und sein Herz begann augenblicklich höher zu schlagen. Grimda spähte hinter dem Türrahmen hervor. Sie hatte die Augen um eine Winzigkeit weniger zornig zusammengekniffen als bei ihren bisherigen Begegnungen.

Am nächsten Morgen traute Golgrunt seinen Augen kaum. Grimda schlenderte ihm auf dem Weg vor seiner Hütte entgegen. Diesmal hatte sie keine Wassereimer dabei. Der Ork strahlte über das ganze Gesicht, offenbar hatten sich seine Bemühungen doch noch ausgezahlt.
„Mir tun leid dein Geschenk kaputt“, Grimda senkte verlegen den Kopf.
„Du kommen heute zum Essen. Wildschwein, mjam, mjam.“
„Mjam, mjam“, wiederholte Golgrunt ganz perplex. Dann fügte er rasch hinzu:
„Ja Golgrunt kommen. Du dich nur verlassen auf den Ork.“

Als Golgrunt in die Hütte eintrat duftete es nach würzigem Fleisch.
„Keine Sorge. Nix Hammer heute.“ Slarg grinste, obwohl er in den letzten Wochen nur wenig Schlaf gefunden hatte, war er sichtlich guter Dinge.
„Gleich fertig“, er deutete auf die beeindruckend große Keule die über dem offenen Feuer brutzelte und bereits von einer knusprigen Kruste ummantelt war.
„Sehr lecker, mjam mjam“, bemerkte Golgrunt vorsichtig. Er hatte den schweren Hammer noch nicht vergessen und wollte den alten Ork auf keinen Fall reizen.
„Grimda gleich kommen. Sie dich sehr mögen.“
Bisher ihr gut gelingen, nicht zu zeigen, überlegte Golgrunt. Aber er dachte zugleich an den Hammer und nickte freundlich.
Slarg kam näher an seinen Gast heran und knuffte ihn freundschaftlich in die Rippen. Das genügte jedoch, um Golgrunt nach Luft schnappen zu lassen.
„Grimda dich mögen. Du Grimda mögen. Ich dir machen guten Preis für Braut.“ Um seine Worte zu bekräftigen, wackelte der alte Ork heftig mit dem Kopf und sein Sabber spritzte durch den ganzen Raum. Golgrunt spürte, wie ein feuchter Sprühregen seine Gesicht benetzte.
Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, blieben die Worte aus. Er mochte Grimda sehr, aber das alles ging ihm nun doch etwas zu schnell.
„Zwei Hühner, was du sagen?“
Verwirrt kratzte Golgrunt sich am Hinterkopf. Nur zwei Hühner? Üblich waren eine ausgewachsene Kuh oder mehrere Schweine als Preis für die Braut.
„Golgrunt nicht weiß, was sagen soll...“
„Ein Huhn.“ Der flehende Ausdruck in Slargs Blick hätte Golgrunt alarmieren müssen, aber dieses neuerliche Angebot verwirrte ihn nur um so mehr.
„Gut ich machen. Golgrunt sofort holen Huhn.“
„Aber beeilen, sonst Keule kalt“, Slarg massierte sich zufrieden sein graues Bärtchen.

Golgrunt war ganz außer Atem, als er über den Zaun vor seiner Hütte kletterte. Die Hühner stoben nach allen Seiten davon.
„Du bleiben hier. Nicht vergessen, wer dich beschützen vor dem Wolf. Golgrunt immer Wache halten, sonst längst gefressen.“
Dem Ork gelang es eines der Hühner zu packen. Der Vogel hackte mit seinem Schnabel panisch um sich und Golgrunt hielt ihn so weit wie möglich von seinem Gesicht fern, damit er ihm nicht die Augen auspicken konnte.
„Undankbar du sein. Dich schämen!“

Als Golgrunt bei Slargs Hütte angekommen war, spürte er kaum die hundert kleinen Wunden, die das Huhn ihm an Händen und Unterarmen zugefügt hatte. Denn Grimda erwartete ihn bereits auf dem Weg und winkte ihm zu. Der alte Ork nahm hastig das Huhn entgegen. Mittlerweile war das Tier zu erschöpft um noch nennenswerten Widerstand zu leisten, was Golgrunt insgeheim bedauerte. Slarg führte seine Tochter und ihren neuen Gemahl in die Hütte und gemeinsam machten sie sich daran das köstliche, gebratene Fleisch zu verzehren.

„Jetzt wir schauen deine Hütte an“, Grimda spuckte die Knochenreste einfach auf den strohbedeckten Boden. Slarg hob missbilligend eine Augenbraue, aber nichts konnte seine Laune heute trüben: „Ihr das machen. Ich räumen auf Saustall.“
Golgrunt wusste gar nicht, wie ihm geschah. Im nächsten Moment packte Grimda ihn kurzerhand am Nacken und schleifte ihn aus der Hütte. Er blickte sich hilfesuchend um. Niemals würde er Slargs selbstzufriedenes Grinsen vergessen. In diesem Moment kamen dem Ork erste Zweifel daran, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, um Grimdas Hand anzuhalten.
 

kaipi

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Hallo Flammarion,

danke, dass du meine Geschichte gelesen hast.

Ja, sie werden sich bestimmt gut verstehen ;)

freundliche Grüße kaipi
 



 
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