Ostseite Altersheim

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Ostseite Altersheim

Die Schmalseite des Gebäudes ist weiß gestrichen. Durchlöchert von Fensterhöhlen, die wie ein langes Dreieck nach außen an der Wand kleben, holzfarben gerahmt. Nachts hintergründig erleuchtet von gelbleuchtendem Glühbirnenlicht. Draußen malen schwarze Schatten piccassohaft Zeichen auf die nackte Wand.
Im Anbau sind die Rollos der Einzelzimmer heruntergelassen. Oft herrscht Stille, Totenstille. Beklemmend, wenn man sich das Dahinter vor Augen hält. Die eigene Zukunft, wenn es nicht mehr anders geht.
Dann hallen wieder Schreie, sich immer wiederholend und auseinander dehnend. „S c h w e s t e r“
Brigitte hört sie gleichermaßen, wie sie die weiße Wand sieht, des Nachts die Lichter. Sie spürt in sich Einsamkeit und oft Angst davor, einmal dorthin ihren Weg nehmen zu müssen.

Alles was dieses Gebäude ausströmt ist Einsamkeit. Es vermittelt nach Außen hin nicht den Eindruck einer Zufluchtsstätte. Selbst das Licht bedeutet nichts anheimelndes. Die Fensterhöhlen bleiben leer. Keine Gesichter, keine Körper, nur Gänge.
Gänge, in denen sich zu wenig Personal tagsüber müde läuft. Türen, die Einsamkeit in Gefangenschaft halten und Menschen, die sich nicht mehr selbst leben können.
Nicht immer sind nachts Vorhänge vor diese Fenster gezogen. Der Blick aus ihrem Wohnzimmerfenster geht direkt hinein in diese Einsamkeit. Ist die Helle ausgeschaltet, wirkt die dunkle Fläche nicht so bedrückend. Es ist ein Ausschalten, das Fernhalten von ängstigender Zukunft. Zwiespältigkeiten in der Auseinandersetzung damit. Denn so hautnah zeigt sich, dass Altwerden nicht immer der Wunsch eines Menschen ist. Dass es Grenzen gibt zwischen der Erhaltbarkeit des Lebens und den Wundern der Medizin.
Es gibt das Verstummen in eine eigene Welt, die mit dem Draußen nichts mehr zu tun hat. Die Schweigsamkeit des nicht mehr Gebrauchtwerdens, der Überflüssigkeit, dem zur Last werden. Es gibt die Erkenntnis nicht mehr in der Lage zu sein, persönlich an diesem Zustand etwas zu ändern. Oder auch das ganz Beiseite treten, das Auslöschen der Seele, die Hohlheit des Körpers.
Doch, und Brigitte macht sich das immer wieder bewusst: Hinter diesen Wänden lebt auch guter Wille, Hilfsbereitschaft, Verständnis. Sie bieten Zuflucht, vor dem letzten Gang.
In ihnen lebt eine eigene Welt. Eine, die nur kurzfristig eine Zukunft hat. Erwartungen und Wünsche treffen sich auf einer anderen Basis als die der Jugend und des Mittelalters. Das Muss, wenn es nicht noch bevorzugt auf Einzelzimmer zurück greifen kann. Wo etwas mehr als nur der Inhalt eines Nachttischschrankes noch von Eigenständigkeit und eigenem Leben erzählt. Von Menschen die liebten, Kindern das Leben schenkten, arbeiteten, etwas für die „Gesellschaft“ taten, auch wenn ihr Name nicht zu den „Unvergesslichen“ und der Prominenz gehörten. Menschen wie du und ich ...
 



 
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