Otto Würmling

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HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Schmunzeln erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg im Frühsommerlicht für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch seit langem nicht mehr einander zugelächelt. Mit einer ungeschickten Handbewegung hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Solches und ähnlich pedantisches Gehabe hatte Oberstudienrat Otto Würmlings fazettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner kläglichen, verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud stereotyp allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und den speckigen Filzhut drüber stülpte.
Danach überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen ihrer Langeweile. Eine preisgünstige, fernöstliche Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus öder, alltäglicher Belanglosigkeit ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine Pedanterie hatte offensichtlich Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem schnöden Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von spießigem Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich gehört - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagstrotts machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem bemerkenswerten Herbstmorgen hatte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der vertrauten Bank bequem gemacht und seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zugesprochen, was sich in letzter Zeit gehäuft und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur hörte, sondern auch roch.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein Leben nachzudenken, sondern auch über die hübsche Kollegin Merlitzki, zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein Schattendasein führten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und Ehe ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine Trösterin bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Geldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich verschimmelte Geldscheine und die Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine eindimensionale Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme bedeutete ihm andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufbessern zu können. Seine Blicke schweiften umher, um eventuelle Zeugen angedachten Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss nach Schulschluss zum Polizeirevier zu gehen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er dem jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte auch noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln, obwohl angefressen vom Zahn der Zeit, es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten jetzt auch aus, ging ihm blitzartig durch den Kopf. Über die eigenen Gesichtszüge verlor er allerdings völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern verkündete: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war übrigens dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Lächelns, bevor sie den Sarg verriegelten. Die hatte doch tatsächlich noch etwas vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel aus einer Papiertüte.
 

Jo Phantasie

Mitglied
Eine böse Geschichte!

Zum Nachdenken, über Beziehungen und über das Leben und was sonst noch da ist ...
Vom Stil her sehr aufgeräumt, passend zum Protagonisten, aber altmodisch. Erinnert etwas an Gerhart Hauptmann, Bahnwärter Thiel, Pflichtlektüre, damals jedenfalls:

[blue]Die stillen, hingebenden Gedanken an sein verstorbenes Weib wurden von denen an die Lebende durchkreuzt. [/blue]

Alles zusammen hast du eine bedrückende Atmosphäre geschaffen, ein Mann, der sehr viel falsch gemacht hat. So möchte man tatsächlich niemals sein und freut sich nach Wilhelm Busch:

[blue]Ei, ja! - Da bin ich wirklich froh!
Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!!«
[/blue]
 

HajoBe

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Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu Riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten.. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Ehe ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er dem jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls… es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu Riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Ehe ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls… es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Ehe ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls… es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

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Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Ehe ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls…, es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm in einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Beziehung ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls…, es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm zu einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Beziehung ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls…, es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern bemerkte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 

HajoBe

Mitglied
Ihre verblichenen Gesichtszüge schienen ihm zu einem rätselhaften Grienen erstarrt, als sie den schmucklosen Fichtensarg zur Frühsommerzeit für immer schlossen. Das irritierte ihn, hatten sie sich doch ewig nicht mehr einander zugelächelt. Akkurat, wie er sich stets gab, hatte er rasch noch die Fliege von ihrer ihm letztmals dargebotenen Stirn vertrieben und so dem Tier die Teilhabe an ewiger Ruhe erspart. Seine pedantische Wesensart hatte Oberstudienrat Otto Würmlings facettenlose Ehe in eine Art vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ausschließlich er habe - nach Aussagen seiner Gattin - mit seiner verbeamteten Gemütsbeschaffenheit hierzu beigetragen, was er wiederum stets heftig bestritt.
"Hast du mein Jackett ausgebürstet?", pflegte er Edeltraud allmorgendlich zu fragen, wenn er die Frühstückskrümel einzeln vom Kragen schnippte, mit dem Stielkamm zum wiederholten Mal sein Grauhaar vor dem Spiegel scheitelte und die Baskenmütze drüber stülpte.
Sodann überließ er sie nach zwei flüchtig hingeschmatzten Wangenküsschen der Ereignislosigkeit. Eine preisgünstige, türkische Hausangestellte versagte Edeltraud zudem die seltenen Erfolgserlebnisse eigenbestimmter Tätigkeit.
Es lag nahe, dass ihr das die pure Lebensfreude vergällt haben könnte.

Seit dem Tag der Bestattung hatte er sie nicht mehr zu Gesicht und sich selbst nicht mehr so recht in den Griff bekommen. Herausgerissen aus bisherigem Alltagstrott ging er nun verkrümelt und ungescheitelt seiner Bestimmung nach. Seine penible Seele hatte offenkundig Schaden gelitten. Zu Lebzeiten kaum wahrgenommen, fehlte Edeltraud ihm plötzlich. Dennoch gab er ihr die Schuld an ihrem unpässlichen Ableben. Dieser Umstand hatte seiner Vorstellung von Ordnungsfanatismus einen gehörigen Dämpfer verpasst. Wäre sie - wie es sich für ihn gehörte - krank gewesen, hätte er ihr wenigstens Vorwürfe wegen Beeinträchtigung seines Alltagslebens machen können. Aber so hatte sie einfach die Tür hinter sich zugeschlagen.

An einem Frühherbstmorgen machte er es sich auf dem Weg durch den Stadtpark zum Gymnasium auf der angestammten Bank bequem und sprach seiner Trostspenderin "Jagdbitter" mit kräftigem Schluck zu, was sich in letzter Zeit häufte und ihm Rügen des Direktors eingebracht hatte, wenn dieser seinen Morgengruß nicht nur akustisch wahrnahm, sondern auch zu riechen bekam.
Frühe Wegstunden waren vormals geeignet, nicht nur über sein monotones Leben nachzudenken, sondern gleichwohl über die hübsche Kollegin Merlitzki; zumal sie einmal ihr Pausenbrot mit ihm getauscht und bemerkt hatte: <Da hat Ihnen Ihre Frau aber was Leckeres eingepackt!> Dieser Hinweis hatte leider genügt, allfällige Illusionen zu zerstören, welche in seiner Fantasie ohnehin ein eher kümmerliches Schattendasein geführt hatten. Nun bezog er in seine Betrachtungen auf der Bank erneut Edeltraud ein und gelegentlich die Fliege, der Gattin letzte Weggefährtin, bevor seinerzeit Sargdeckel und ehedem die Beziehung ein für alle Mal zugeklappt worden waren.

Er hatte seine "Trösterin" bereits wieder in eine ausgebeulte Aktentasche verstaut, als sein Blick auf eine vom Wetter ramponierte Herrengeldbörse fiel, die unter faulendem Laub hervorlugte. Als er sie öffnete, fanden sich modernde Geldscheine und deren Summe war beträchtlich: 320 DM. Seine respektable Denkweise gebot ihm sogleich, sie zur Polizei zu bringen. Eine innere Stimme verführte ihn andererseits, sein ihm bescheiden erscheinendes Salär ein wenig aufzubessern. Seine Blicke schweiften umher, um Zeugen solchen eventuellen Handelns auszumachen, doch es siegte sein amtsverpflichtendes Gewissen. Er gönnte sich noch einen Schluck Bitterlikör und beschloss - natürlich nach Schulschluss - das Polizeirevier aufzusuchen.

Die Fragen nach Personalien, Zeit und Ort der Fundsache waren rasch protokolliert. "Schreiben Sie Witwer!", hatte er den jungen Polizeimeister noch beordert, bevor dieser das Portemonnaie einer eindringlichen Inspektion unterzog.
Es fand sich kein Hinweis auf die Identität des Besitzers und die Geldsumme stimmte noch. Doch aus einer mit Reißverschluss gesicherten, kleinen Seitentasche förderte der Beamte ein Foto zutage und legte es auf den Tisch. "Kennen Sie diese Person?", wandte er sich an Würmling. Der fingerte nach seiner Brille, dann wurde er bleich wie ein Leichentuch. Dieses sibyllinische Lächeln mit unleugbaren Spuren witterungsbedingten Verfalls…, es war zweifelsfrei Edeltraud. So schaut sie dort unten wahrscheinlich jetzt auch aus, drängte sich ihm auf. Allerdings verlor er über die eigenen Gesichtszüge völlig die Kontrolle, als der Polizist mit einem Augenzwinkern erklärte: "Da steht auf der Rückseite: Dein Herzblatt!"
Nach Fassung ringend stieß Würmlig stockend hervor: "Die kenne ich nicht!", bevor er kopf- und grußlos aus dem Revier stürzte.

Stunden später auf der Bank mit Flasche: Ich Idiot! Ich hätte das Geld behalten sollen. Wer war überhaupt dieser Kerl? Mit meiner Edeltraud! Und er erinnerte sich ihres rätselhaften Gesichtsausdruckes, bevor sie den Sarg verriegelten. Das hat die doch tatsächlich noch vorgehabt mit mir, das Luder! Und die Fliege hätte ich krabbeln lassen sollen, sie mochte die Biester nicht!

Man fand ihn am Abend volltrunken neben der Parkbank liegend, <jagdverbittert>, ungekämmt und voller Krümel auf seinem Jackett.
 
U

USch

Gast
Hallo HajoBe,
habe köstlich gelacht über diese witzig-todtraurige Geschichte, wie sie so altmodisch daherkommt. Der Oberstudienrat, der trotz dicken Gehaltes lüstern auf läppische 320 DM ist, aber rechtschaffen das Geld bei der Polizei abgibt. Hat was.
Meine Wertung hat der Computer leider gleich wieder eliminiert.
LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Usch, danke für deine zustimmende Äußerung und sicher keine Herabsetzung des Lehrerberufes! LG HajoBe
 

Maribu

Mitglied
Hallo Hojo Be,

Lächeln oder Grienen ist ein erheblicher Unterschied!
Ich hätte sie rätselhaft Lächeln lassen.

Würmling ist eine Karikatur eines Beamten. Wenn es so gewollt ist, wäre der Text in "Humor und Satire" besser aufgehoben!

Obwohl die Pointe mit dem Geliebten ganz nett ist, erscheint mir das im Zusammenhang mit dem gefundenen Portemonnaie etwas zu konstruiert.

Aber die Schreibweise hat mir gefallen!

L.G. Maribu
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Maribu,
ich sehe im Protagonisten weniger eine satirische Karikatur als eine tragische Figur, welche schließlich genarrt von eigener Pedanterie und selbst durch die Ehefrau schließlich im Suff endet…
Danke für deine Einschätzung!
LG HajoBe
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Habe mir den „Würmling“ jetzt auch mal vorgenommen und bin vom Stil, dem Witz und deiner Beobachtungsgabe begeistert. Hätte gut in Humor und Satire gepasst.

Zugegeben, es liest sich streckenweise etwas altbacken. Da ich aber davon ausgehe, dass du dieses Element hier bewusst eingesetzt hast um den genauso altbackenen Oberstudienrat zu karikieren, passt diese Erzählweise richtig gut in das Gesamtbild.

Alles in allem also ein kleines Bonbon: Gut und rund.

Grüße vom Ironbiber
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Ironbiber,
fein, dass dir die Geschichte gefällt. Dennoch sehe ich, wie schon an Marabu geschrieben, in Otto Würmling den tragischen Helden, der sicher als altbackener Beamter rüberkommt, aber letztlich scheitern muss, weil seine Pedanterie in der Tatsache, dass seine Frau fremd geht, den tiefsten Dämpfer bekommt, der ihn in den Alkohol treibt.
Danke für deine gute Einschätzung!
LG HajoBe
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ist schon ok. Passt ja auch gut in Kurzgeschichten. Die Geschichte ist einerseits sehr tragisch, besitzt andererseits aber auch Spuren von schwarzem Humor und ich vermisse in "Humor und Satire" Autoren, die mal einen auf Monty Python machen.
Aber das kann auch, genauso wie politische oder gesellschaftskritische Satire, böse ins Auge gehen, wenn das Gespür für die Dosis fehlt.

Also alles gut ... Grüße vom Ironbiber
 



 
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