Papa Som

Sriver

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Papa Som

Ich hätte ihn damals lieber woanders getroffen, als in einem dieser Wohnsilos vor den Toren von Paris. „Pyjama City“, so nannten wir die Türme, deren Fassaden der Länge nach fünf farbige Streifen auf tristem, grauen Klinker trugen. Schmutzige, abgetragene Pyjamas für Menschen die verwahrlost sind oder die man gedenkt, in dieses Vorstadium der menschlichen Hölle zu befördern. Verkommene Flure, defekte Lichtanlagen und verschlossene Notausgänge. Beste Chancen für einen, irgendwann in der Dunkelheit Opfer eines Verbrechens zu werden, aber daran dachte ich damals nicht. Wenn ich spät abends von meinen Pariser Entdeckungsreisen heimfuhr, war ich so beeindruckt, daß ich nicht das Gefühl hatte, mir könnte etwas passieren. Diverse Warnungen meiner Freunde hörte ich zwar, aber die Szenerie der Stadt, verquickt mit einer blühenden Phantasie, ließ es erst gar nicht zu, von Angst überwältigt zu werden.

Daß ich überhaupt in „Pyjama City“ übernachten durfte, war ein Privileg und zugleich ein Geschenk. Warum mir das zuteil wurde, kann ich heute nur vermuten. Damals hinterfragte ich es nicht, sondern war dankbar und glücklich darüber Aufnahme gefunden zu haben, die zu einem guten Teil auch Annahme war. So empfand ich es jedenfalls. Wie gesagt, selbstverständlich war es nicht. Als ich beim ersten Mal mit seiner Tochter spät nachts „Pyjama City“ betrat, warnte sie mich vor ihrem Vater und wies mich an, mich ausgesprochen leise zu verhalten. Dabei dachte ich mir nichts, weil es sowieso nicht meine Art ist, nachts und auch nicht tagsüber irgendwo herumzupoltern. Als sie mir aber dann mitteilte, daß ihr Vater im Besitz eines Säbels sei und auf unangemeldete Besucher unmißverständlich deutlich reagieren könne, stockte mir der Atem für einen Augenblick. Ich fragte sie, ob es wirklich in Ordnung sei, bei ihnen zu übernachten, da ich ja nicht einmal wußte, wieviel Zimmer sie hatten. Sie nickte ruhig und vielsagend. Und genau diese Mehrdeutigkeit in ihrem Blick hatte zur Folge, daß ich mich verstärkt auf meine Zehenspitzen konzentrierte.
Wir stiegen in den ramponierten Fahrstuhl und sie drückte auf den Knopf des siebten Stocks.
War ich eben noch totmüde gewesen, so begann nun, je länger die Fahrt dauerte und ich wußte ja, daß sie bald zu Ende sein würde, mein Adrenalin verstärkt im Körper zu zirkulieren.
Schweißtropfen bildeten sich in meinen Händen und ich spürte ein zunehmendes Pochen in meiner Herzgegend.

Meine Blicke wanderten umher, um irgendwo Halt zu finden. Angelehnt an die Fahrstuhlwand, die Stirn runzelnd, betrachtete ich das Gesicht meiner neuen Freundin. Sie war schön. Ich mochte ihre braune Haut und ihr tiefschwarzes Haar. Alles Exotische übte damals eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus, in der Realität und Phantasie in völlig freiem Lauf ineinanderfließen konnten. Ihre goldenen Kettchen und das Amulett, welches ihren Ausschnitt zierte, ließ mich an eine Tempeltänzerin denken, die geschmeidig in fließenden Bewegungen eine Liebesgeschichte erzählt. Fast hätte ich die Situation vergessen in der ich mich befand, aber dann ertönte der Klingelton des Fahrstuhls und signalisierte uns das Erreichen des siebten Stocks.

Scheppernd öffnete sich die metallene Fahrstuhltür, die ich gerne in Watte gepackt hätte. Wir gingen den Flur entlang. Flackernde Beleuchtung, wie in Filmen, bei denen man schon weiß, daß sich gleich eine Katastrophe abspielen wird.
Meine Freundin wirkte überraschend gelassen, schob den Schlüssel ins Schloß und bevor sie die Türe öffnete, hielt sie senkrecht ihren Zeigefinger vor ihre Lippen. Ich hingegen spitzte meine Ohren und erinnerte mich an eine Katze, die auf samtnen Pfoten und mit geschärfter Aufmerksamkeit, die Begegnung mit einem gefährlichen Hund vermeiden will.

Drinnen war es dunkel und ich schaute aufgeregt nach allen Seiten. Gleich mußte er kommen und mir seinen Säbel an die Kehle halten. Asiaten sind listige Strategen, das war mir bekannt, und ich hielt mich allmählich für einen Idioten, der sich freiwillig in die Höhle des Löwen begeben hatte. Alles, was nun geschehen würde, ich hatte keinen Grund mich zu beschweren.
Die Gefahr gesucht, Verstand und Vorsicht vernachlässigt, und nun mußte ich die Konsequenzen dafür tragen.
Ein Lichtstrahl flutete plötzlich die Dunkelheit und ich hörte, wie sich eine Türe am Ende des Flures langsam öffnete. Jetzt war es also soweit. Sowohl meine Freundin, als auch ich, blieben wie angewurzelt stehen und wendeten uns dem Ort zu, von dem das Licht einfiel.
Schemenhaft erkannte ich eine männliche Gestalt, die ein langes Tuch um ihre Hüften gewickelt trug, ganz so, wie es die Samurai tun. Dieser Mann war zwar kein japanischer Krieger, aber dafür war er Kambodschaner, der einmal eine hohe Position in seinem Land innehatte. Nur wußte ich nicht welche. Aber eines war mir über Kambodscha bekannt, daß es dort eine unglaubliche Metzelei an der Bevölkerung gegeben hatte. Kambodscha war damals das Schlachthaus Südostasiens.

Ich hielt Ausschau nach dem Säbel und taxierte den Mann so gut ich konnte von oben nach unten. Nackte Füße, eine freie Hand konnte ich erkennen, aber wo war die andere?
Er hielt sie hinter seinem Körper und trat nun ruhigen Schrittes etwa drei Meter in den Flur, um mich in Augenschein zu nehmen. Meine Freundin grüßte ihren Vater mit leiser Freundlichkeit, aber das schien ihn nicht zu interessieren. Er schaute nur mich an und diese Sekunden der Überprüfung wurden für mich zu einer Ewigkeit. Was ihm durch den Kopf ging, konnte ich beim besten Willen nicht erkennen. Auch das ist eine Kunst der Asiaten, die sie meisterhaft beherrschen. Zumindest wollte ich nicht verschämt wegschauen. Bitteschön, hier war ich nun und erwartete offenen Auges das Urteil. Es war schon möglich, daß ich durch meine Anwesenheit gerade das Porzellan einer anderen Kultur gewaltig in Mitleidenschaft gezogen hatte. Ich hoffte, es nur nicht zertrümmert zu haben.

Dann begegneten sich unsere Blicke und verweilten beieinander. Ich atmete ruhig und entdeckte würdevollen Ernst und eine unglaubliche Ausgeglichenheit in seinen Gesichtszügen. Keine Spur von Ungeduld oder aufbrandendem Ärger. Aber was hatte das schon zu besagen? Dann aus dem scheinbaren Nichts heraus bewegte sich sein Arm, den er bis dahin hinter seinem Körper versteckt gehalten hatte und mit seiner Hand, die nun zum Vorschein kam, deutete er seiner Tochter in die Richtung eines anderen Zimmers. Er wirkte bestimmt und entschlossen, ohne jedoch dabei eine Miene zu verziehen.

Seine Gestik wurde begleitet von einigen kambodschanischen Worten, an denen ich meinte, zumindest keine Abweisung vernommen zu haben. Dann nickte er mir fast unmerklich zu und begab sich auf auf den Rückweg in sein Zimmer. Ich schaute ihm hinterher und meine Blicke ruhten auf diesem sanft gefärbten Tuch, welches er um seine Hüften trug. Dann schloss sich die Türe und ich hatte das Gefühl, als ob eine zentnerschwere Last von mir fallen würde. Meine Knie wurden augenblicklich weich und ein Schauer durchfuhr den ganzen Körper. Meine Freundin reichte mir die Hand, streichelte die meine, so als ob ich gerade eine schwere Prüfung bestanden hätte.
 



 
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