Park- und Lebenskünstler

Ingwer

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An Kehrtwenden denkt man manchmal erst in Sackgassen, wenn man verzweifelt nach einer Umkehrmöglichkeit sucht und sich verwundert fragt, wieso man nicht schon vorher bemerkt hat, dass es keinen Wendehammer gibt.
Ohne werkzeugliche Hilfe- und Servolenkung hat die Kiste auch noch nicht- manövriert man sich langsam und trotzdem noch unsicher aus der winzigen, engen Gasse heraus; rückwärts und so nah an den Hauswänden vorbeischrammend, dass es schon zu zischen scheint.
Und mit zitternden Händen und nicht weniger nervösen Füßen sitzt man dann völlig abgefrackelt in seinem Auto, atmet den Schrecken aus und betrachtet völlig fassungslos die mindestens schätzungsweise ein Dutzend Leute aller Altersstufen, die sich in lockerer Gesellschaft und angeregter Unterhaltung von Haus zu Haus aus den offenen Fenstern lehnen und offenbar ganz auf ihre Kosten kommen, was den heutigen Humor betrifft.

Die Welt ist humorlos. Es wäre zwar zu einfach zu sagen, dass beinahe jedes Lachen das man hört, falsch ist, aber es ist nur realistisch, ungefähr jedes zweite Lachen als UNECHT zu erklären.
Echtheit ist nicht leicht zu definieren, Gegenbeispiele lassen sich jedoch leicht finden: Selbsttäuschung und Täuschung anderer ist unecht, lautes Lachen zum Beispiel, dass das eigene Weinen übertünchen soll wie blutrote Farbe einen rötlichen Weinfleck auf der hellen Tapete- einfach vollkommen überzogen und geschmacklos.
Das Lachen hat nichts mit Freude zu tun, sondern dient eher im Gegenteil dazu, Trauer oder Wut zu kompensieren- in geordnete Bahnen zu lenken, um so nicht das maskenhafte Gesicht vor dem kritischen Blick der Gesellschaft verlieren zu müssen.
Unecht ist Eigeninszenierung, da niemand, der sich selbst künstlich in Szene setzen muss, über das natürliche Lachen verführt. Szenisches Lachen ist hölzern- klingt leicht brüchig und hat immer einen singenden Unterton des Theatralischen.
Die Augen des Lachenden sind weit aufgerissen, während sie in die zumeist applaudiernde Menge stieren.

Und so sitzt man im Auto und ist Ursache für all die Lustigkeit dort draußen. Und man bereut jede einzelne Mark, die man nicht für eine Servolenkung oder wenigstens vollgetönte Scheiben ausgegeben hat.
Das Radio dudelt immer noch plänkelnde Neo-Rocksongs vor sich hin, in denen die Musiker nicht mehr von Sex and Drugs and Rock'nRoll singen, sondern davon, wie sie ihre hübschen Mädchen in ihre noch viel hübscheren Appartements locken und mit Geld und dem typischen Charme des Künstlers verführen. Flachlegen.
Man selbst würde sich auch gerne flachlegen, und zwar hinten auf die Rückbank, und dort solange bewegungslos liegenbleiben, bis es Nacht geworden und der letzte Zuschauer zur Ruhe gegangen ist- dann hätte man zwar immer noch genügend Zuschauer (denn Gartenzwerge schlafen nie); aber wenigstens das zynische Lachen bliebe einem erspart.
Man mäht fast einen kleinen Baumsprössling am Straßenrand um.
Aus Scham wird Wut. Sich an der Hupe entladende Wut, und der Ton dröhnt durch das Gässchen, hassgeladen auf jeden, der dort steht und gafft. Auf die Häuser, die zu eng für Autos aneinander stehen. Auf einen selbst, aber das ist nicht schlimm-
denn die Wut ist draußen und nicht mehr innerlich brodelnd.
Man steigt aus, knallt mit dem letzten Rest wütender Emotion die Tür zu und geht.
Fröhlich lachend-
Das nächste Telefon wird sicher nicht weit sein, und irgendein Freund kann sicher hervorragend rückwärts aus der Sackgasse ausparken.
Und man geht Eisessen und freut sich seines Lachens.
Denn das ist echt, auch wenn man damit kein Auto bewegen kann- vielleicht jedoch ein Stückchen der Welt.
 

EsMi

Mitglied
Ich liebe das sich Steigernde und die Gedankengänge + die Geschichte an sich, sehr schön. Inspirativ. Hat Spaß gemacht, ist besonderer Text:)

P.S.: Beim Titel dachte ich sogleich an "Penner" - wegen Park- und Lebenskünstler;-)
 



 
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